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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Zum Wandel christlicher Jenseitsvorstellungen auf Grabmälern vom 16. bis 18. Jahrhundert

Anm. d. Red.: Der folgende Text ist eine gekürzte und leicht bearbeitete Fassung eines Aufsatzes, der zuerst erschien in Cornelia Niekus Moore/Marion Kobelt-Groch (Hrsg.): Tod und Jenseitsvorstellungen in der Schriftkultur der Frühen Neuzeit. Wolfenbüttel 2008, S. 201-212. Dort sind auch alle Quellen- und Literaturverweise zu finden.

Der Begriff "Jenseits" tauchte in substantivierter Form erstmals im 19. Jahrhundert auf. Im "Deutschen Wörterbuch" von Jacob und Wilhelm Grimm wird der Begriff im Zusammenhang mit Todesanzeigen wie folgt verwendet: "unser guter vater ist zu einem bessern jenseits abgerufen". Dieser begriffsgeschichtliche Hinweis dokumentiert den fundamentalen Wandel in den Vorstellungen vom Dasein nach dem Tode, der sich gegenüber den früheren, religiös konnotierten Texten und Metaphern vollzogen und zu einem neuen Verständnis, zu neuen Bildern und Beschreibungen geführt hatte.

Dieser Wandel zwischen Früher Neuzeit und bürgerlichem Zeitalter lässt sich anhand der Inschriften und Symbole auf Grabmälern protestantischer Regionen exemplarisch veranschaulichen. Die Reformation hatte grundlegende Veränderungen in den Jenseitsvorstellungen nach sich gezogen – auf die hier nicht eingegangen werden soll – und die ausführlichen, von Bibelzitaten dominierten Grabmalinschriften der Frühen Neuzeit hervorgebracht. Diese waren mit der tröstenden Erwartung der "seligen Erlösung" verbunden – auf der symbolischen Ebene häufig dargestellt im Gekreuzigten, manchmal auch im hoffnungsfrohen Bild des "himmlischen Jerusalem". In der Zeit um 1800 erfolgte jedoch eine Zäsur: Die weitschweifigen Texte frühneuzeitlicher Grabmäler begannen knapperen Texten zu weichen. Der christliche Text- und Bildfundus bildete von nun an nicht mehr das alleinige Reservoir für die Darstellungen des Jenseits bzw. des Weges dorthin. Stattdessen kamen Bilder eines "sanften Hinübergleitens" auf, die sich an antiken Vorbildern orientierten. Etwa ab 1790 wurde der Schmetterling auf den Grabmälern zu einem der populärsten Symbole für den Weg ins Jenseits.

Nach dem Tod eines Menschen beginnt für dessen Seele – so lehren Mythologie, Volksglaube und Religion – eine letzte Reise. In der antiken Mythologie war es eine Reise mit vielen Stationen, die der Reinigung, Bestrafung oder Belohnung sowie der Vorbereitung auf ein neues Leben diente. Dem setzte das Christentum einen zielgerichteten Glauben an das abschließende Weltgericht entgegen. Auf ihrer gefahrvollen "Himmelfahrt" brauchte die Seele schützende Begleiter: die Engel als Verbindung zwischen den Menschen und Gott, wie sie bereits seit der Kunst frühchristlicher Zeit bekannt waren. Dass die Seele fliegt, dokumentiert der Blick in die christliche Ikonographie, in der sie zumeist als kleiner Mensch mit Flügeln dargestellt und von Engeln getragen wird.

Wie für den Wandel der Jenseitsvorstellungen im Allgemeinen, so läutete die Reformation auch für die Texte und Symbole auf den Grabmälern eine Zäsur ein. Dies zeigen historische Längsschnittstudien über die Entwicklung der Grabmalkultur sowohl für größere Territorien als auch für einzelne Orte. Formal handelt es sich bei den untersuchten Grabmälern zunächst vorwiegend um lebensgroße liegende Grabplatten, bevor dann im weiteren Verlauf der Frühen Neuzeit die Zahl der aufrecht stehenden, häufig beiderseits bearbeiteten Stelen zunahm, die schließlich zur verbreitetsten Grabmalform der Neuzeit wurden.

Betrachten wir zunächst die Inschriften. Statt der Fürbitte-Formeln, wie sie in der altgläubigen Lebenswelt geläufig waren, tauchte nun auf den Inschriften der Grabsteine des 16. und 17. Jahrhunderts die Hoffnung auf eine "fröhliche Auferstehung" auf. Inschriften wie "Hier ruhet in Hoffnung der Auferstehung" kamen in vielen Varianten vor. Häufigste Quelle der sepulkralen Inschriften war die Bibel – und zwar gleichmäßig verteilt über Altes und Neues Testament. Wenn auch in den am häufigsten vertretenen Bibelstellen (vor allem Off. 14,13 sowie Phil. 1, 21) zunächst allgemein Trost im Glauben und in Christus als Erlöser gesucht wird, so finden sich auf signifikant vielen Grabmälern Inschriften, deren Bibelzitate ausdrückliche Bezüge zum Jenseits aufweisen und der Hoffnung auf Auferstehung Ausdruck verleihen. Dies gilt beispielsweise für das Bibelzitat aus Joh.11, 25-26: "Ich bin die Auferstehung und das Leben". Daneben wurden Jenseitsvorstellungen in Zeilen wie dieser ausgedrückt: "der Seele Gott gnädig sei". Allerdings war der Anteil der Bibelzitate in den einzelnen Abschnitten der Frühen Neuzeit unterschiedlich hoch. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wirkte die mittelalterliche Glaubenswelt noch nach – Bibelzitate blieben rar, im Elbe-Weser-Raum lag ihr Anteil an den gesamten Inschriften bei 16,9%. Hingegen stieg dieser Anteil im Zeitraum von 1649 bis 1789 auf 87%, bevor er dann bis Mitte des 19. Jahrhunderts wieder auf rund 40% absank (nach C. Bei der Wieden)

Für das Oldenburger Land lassen sich vergleichbare Tendenzen im Verlauf der Frühen Neuzeit feststellen. Auch hier stehen Bibelzitate mit explizitem Bezug zur Auferstehung quantitativ im Vordergrund. Häufig anzutreffen sind Jenseitsvorstellungen vermittelnde Zeilen wie "erwartet eine fröhliche Auferstehung" sowohl zu Beginn als auch zum Schluss der Inschriften. Die Auferstehungshoffnung bildete also ein regelmäßiges Element der Grabmalinschriften (nach W. Runge).

Auch bei den untersuchten Grabsprüchen, also Inschriften ohne Bibelzitate, tauchten häufig Jenseitsbezüge auf. So lautete der im Elbe-Weser-Raum zwischen 1649 und 1789 verbreitetste Grabspruch: "Der getreue Gott verleihe ihnen eine sanfte Ruhe und am jüngsten Tage eine fröhliche Auferstehung zum ewigen Leben." Insgesamt dominieren in dieser Periode deutlich jene Inhalte, die Trost durch Hoffnung auf Auferstehung, ewiges Leben und einen Seelenfrieden im Himmel resp. im Paradies ausdrücken. Manchmal wirken sie in ihrer Mischung aus nacktem Realismus und tröstender Hoffung anrührend: "Ihr seyd durch euren Tod gelanget an den Ort woselbst das Gotteslamm euch weidet fort und fort / euer Seel der Himmel fasst, eur Leib die Kühle Gruft", hieß es auf dem Grabstein des 1771 verstorbenen Harmen Ahting auf dem Friedhof von Golzwarden (Butjadingen).

Wenden wir uns den Symbolen und figürlichen Darstellungen zu. Hier finden sich ebenfalls häufig Bezüge zum Jenseits bzw. zur Auferstehungshoffnung. Charakteristisch verkörpert sich Letztere vor allem in der Figur des Gekreuzigten – zu lesen nicht nur als Darstellung der stellvertretenden Leiden Christi, sondern auch als Durchgangspforte zum Seelenfrieden. Mit betenden, links und recht unter dem Gekreuzigten wie Orgelpfeifen aufgereihten Familienmitgliedern ist diese Figur bis heute auf den erhaltenen frühneuzeitlichen Grabmälern zu finden. Daneben tauchen immer wieder vielfach variierte Cherubim (geflügelte Engelsköpfe) und Putten (Kinderengel) als Begleiter in die jenseitige Welt auf. Waren Cherubim bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts noch relativ selten, so lässt sich sowohl im Oldenburger Land als auch im Elbe-Weser-Raum von der Zeit um 1650 bis zum späten 18. Jahrhundert eine signifikante Zunahme verzeichnen. Auch Putten finden in dieser Periode zahlenmäßig ihre häufigste Verbreitung auf den Friedhöfen.

Beruhten also die Jenseitsdarstellungen auf Grabmälern der Frühen Neuzeit weitgehend auf dem christlichen Text- und Bildkanon, so setzte im späten 18. Jahrhundert ein grundlegender Wandel ein. Der religiöse Kontext blieb zwar im Allgemeinen erhalten, bildete aber nicht mehr das einzige Reservoir für sepulkrale Texte und Symbole und verlor damit seine ausschließliche Bedeutung. Explizite Auferstehungserwartungen wichen zunehmend einer eher allgemeinen Hoffnung auf Trost, dem emotional gefärbten Ausdruck von Abschied, Verlust und Trauer sowie auch Hinweisen auf einen "guten" Lebenswandel der Verstorbenen.

Hinzu kam die seit dieser Zeit gewandelte Kommunikationsrichtung der Inschriften: Sie richteten sich von nun an nicht mehr vom Verstorbenen als Mahnung an die Lebenden, sondern drückten umgekehrt Trauer aus und stellten eine Würdigung des Verstorbenen aus Sicht der Hinterbliebenen dar. Folgerichtig lässt sich feststellen, dass in den Grabmalinschriften ab 1790 der Aspekt von persönlichem Verlust und persönlicher Trauer stärker in den Vordergrund rückt, dabei aber immer weniger Trost durch Auferstehungshoffnung findet. Stattdessen wurden persönliche Verdienste und allgemeine Tugenden (Weisheit, Klugheit, Gelehrtheit) betont. Letztere wurden für die Grabmäler aufgeklärter Zeitgenossen in ihren von pädagogischem Impetus geprägten Schriften ausdrücklich gefordert, wie das untersuchte Beispiel einer Schrift von Johann Friedrich Brandes, eines Repräsentanten der Lübecker "Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit", von 1798 zeigt (nach S. Zander).

Im folgenden 19. Jahrhundert wurden dann die Inschriften zunehmend kürzer. Modern wurden allgemeine Floskeln wie "Hier ruht in Gott", "Hier ruht" und Ähnliches. Auf der Bildebene lösten nun Symbole des "sanften Todes" allmählich die streng christlichen Darstellungen ab. Diese neue Vorstellung vom "sanften Tod" war leitbildhaft von Gotthold Ephraim Lessing in seiner berühmten, vielfach rezipierten Schrift "Wie die Alten den Tod gebildet" vermittelt worden. Lessing propagierte darin die von ihm in den Kunstwerken der Antike entdeckte Anschauung vom Tod als "Zwillingsbruder des Schlafes", als "schönen Tod". In der Folge beeinflusste diese Vorstellung immer stärker die Grabmalkultur. Schöne Jünglinge und weibliche Trauernden, Urnen, umgestürzte Fackeln und abgebrochene Obelisken verkörperten das neue Bild vom Tod. Der Tod wurde als verlöschendes Leben oder sanftes Entschlummern dargestellt, Tod und Schlaf zeigten sich als vertrautes Paar. Abschiedsszenen zwischen Lebenden und Toten fanden ihren bildhaften Ausdruck auf den Grabmälern.

Im Kontext dieser Vorstellung eines sanften Todes zeigten sich seit dem späten 18. Jahrhundert neuartige Symbole einer wie auch immer, jedenfalls nicht mehr rein christlich verstandenen Welt des Jenseits. Statt des Auferstehungswunsches, der sich im Gekreuzigten verkörperte oder der zielgerichteten Hoffnung auf ein "himmliches Jerusalem" tauchten nun auf norddeutschen Friedhöfen der Ouroboros, die sich in den Schwanz beißende Schlange, als Sinnbild für den ewigen Kreislauf des Lebens auf. Zu einem der populärsten Symbole des Weges ins Jenseits wurde der Schmetterling. In der Antike ein Sinnbild für die den körperlichen Tod überlebende Seele (griechisch "psyche" = Seele), überdauerte er bis in die Neuzeit als Zeichen für Auferstehung und Unsterblichkeit. Er galt als Symbol der unsterblichen Seele, die den Körper verlässt und fand zahlreiche Verwendung auf Friedhöfen in Stadt und Land.

Einige künstlerische Zeugnisse mit dem Schmetterling als Symbol des individuellen, "sanften" Hinübergleitens in eine andere Welt gerieten im gebildeten Bürgertum zu wahren Attraktionen. Ein berühmtes Beispiel ist das vom Bildhauer Landolin Ohnmacht entworfene Marmorrelief für die bei einem tragischen Unglücksfall frühverstorbene Hamburger Kaufmannsgattin Catharina Engelbach. Auf dem Grabmal entschwindet ein Schmetterling über dem Haupt der schönen jungen Frau in die Höhe (Kirchhof Hamburg-Hamm, 1795). Von Zeitgenossen wurde es als "sehr edles […] Trauerdenkmal" empfunden (nach E. Kändler).

Hauptsächlich verwendete Literatur:

- Joist Grolle: Die Predigt der Steine. Totengedächtnis in Kirchwerder. Hamburg 1997
- Eberhard Kändler: Begräbnishain und Gruft. Die Grabmale der Oberschicht auf den alten Hamburger Friedhöfen. Hamburg 1997
- Gotthold Ephraim Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet. In: Lessings Werke. Vollständige Ausgabe in 25 Teilen. Hrsg. von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen. 17. Teil. Schriften zur antiken Kunstgeschichte. Hg. von Alfred Schöne. Berlin [u.a.] 1925, S. 309-357
- Gerd Müller: Alte Grabsteine erzählen. Geschichten um den Golzwarder Friedhof. Nordenham-Blexen 1998
- Sabine Poeschel: Handbuch der Ikonographie. Sakrale und profane Themen der bildenden Kunst. Darmstadt 2005
- Wolfgang Runge: Sprechende Steine. Grabstelen im Oldenburger Land von 1600 bis 1800. Oldenburg 1979
- Claudia Bei der Wieden: Erinnerungszeichen. Historische Grabmäler zwischen Elbe und Weser (1231-1900). Stade 2005
- Sylvina Zander: "Mögten wir doch einen ländlichen Gottesacker haben!" – Die "Gemeinnützige" und die Vision einer neuen Begräbniskultur um 1800. In: Der Wagen. Lübecker Beiträge zur Kultur und Gesellschaft, 2006, S. 273-288

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Weltreligionen und Jenseitsglaube (Mai 2013).
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