Direkt zum Inhalt

OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Deutsche Traueranzeigen unter der Lupe

Unter der Zeitungsrubrik "Familienanzeigen" stehen hauptsächlich Traueranzeigen, die zum Beispiel im "Hamburger Abendblatt" am Wochenende bis zu drei Seiten ausfüllen können.

Vordergründig handelt es sich um eine Bekanntmachung an die Öffentlichkeit. Gleichzeitig werden sie – zumindest in Deutschland – zunehmend als letzte Botschaft an den Verstorbenen betrachtet. Aus der Sicht der Hinterbliebenen wird innerhalb der Anzeige versucht, das Wichtigste aus dem Leben des Verstorbenen zusammenzufassen. Neben Floskeln und Wiederholungen sammeln sich da erstaunlich viele Informationen aus so unterschiedlichen Gebieten wie Psychologie und Philosophie, Geographie und Geschichte, Wirtschaft und Soziologie, Theologie, Musik, Kunst, Literatur oder Semantik als Spiegelbild des menschlichen Lebens. Diese Botschaften erzählen vielfach und nicht selten mit Humor von Liebe, Familie und Freundschaft, Lebensmut und Glaube, Engagement, Anerkennung und Bewunderung, auch von Hobbys. Sie spiegeln unsere Gesellschaft wieder, darüber hinaus helfen sie dem Leser, sein begrenztes Dasein bewusster wahrzunehmen.

I. Ein Trauerfall

Ein Mensch stirbt. Durch Tageszeitungen sollen es möglichst viele Leute erfahren. Eins steht immer noch fest, man spricht lieber von Traueranzeigen als von Todesanzeigen und redet ungern vom Tod. Deshalb wird die Nachricht meistens umschrieben: "Er lebt nicht mehr, entschlief, durfte einschlafen, ist (zu Hause/sanft/ruhig/friedlich) eingeschlafen, ist (für immer) gegangen, heimgegangen, heimgekehrt, hat uns (endgültig) verlassen, ist von uns gerufen worden, aus diesem Leben geschieden, aus unserer Mitte gerissen; er hatte keine Kraft mehr zum Leben, bleibt in unseren Herzen oder ein Teil von uns; es war sein Wunsch, die Bühne des Lebens still zu verlassen; ein erfülltes Leben ist vollendet, ein langer Lebensweg hat sich erfüllt, ein (müdes/gutes/liebes/tapferes) Herz hat aufgehört zu schlagen, der Kreis des Lebens hat sich geschlossen, die Reise ist zu Ende, das Ende der irdischen Reise…"

Weitere allgemeine Formulierungen sagen es auch, etwa: "Ruhe in Frieden; alles hat seine Zeit; niemand ist fort, den man liebt; es ist immer zu früh; lieben heißt auch, gehen zu lassen; es ist ein schwerer Abschied, ein Abschied für immer; wir sind nur Gast auf Erden; in Liebe und Dankbarkeit; im Gedenken an...; wenn die Kraft zu Ende geht, ist Erlösung eine Gnade; einschlafen dürfen wenn man müde ist, eine Last fallen lassen dürfen, die man lange getragen hat, ist ein Geschenk des Himmels". Oder etwas ausgefallener: "Mit dem ersten Schneefall frühmorgens starb...; mitten in der Mandelblüte...; heute ist ein sehr trauriger Tag; nur ein Wimpernschlag und alles war anders...; der Tod ist der Weg zum Licht des Himmels und der Erden; Tod mit seinen schwarzen Lippen trägt in der Hand eine singende Amsel; die Erinnerung der Lebenden ist die Sonne der Toten; der Tod hat ihn in seine Arme genommen; eine Ära ist zu Ende; der Erden-Urlaub unseres lieben Ehemanns, Vaters und Großvaters endete am...; in 80 Jahren um die Welt; hinter’m Horizont geht’s weiter..."

Auffallend sind Anzeigen, die nur den Namen (doch meist mit Lebensdaten) schwarz umrahmen, auch wenn eventuell darunter kleinere Namen oder allein Vornamen sowie wenige Worte (in stiller Trauer, wir trauern, im Namen unserer großen Familie, Traueranschrift, Kondolenzadresse...) stehen, vielleicht noch darüber ein "STARK MUTIG STOLZ". Viel häufiger wird die Nachricht persönlich angezeigt: "Wir verabschieden uns, müssen Abschied nehmen, mussten ihn gehen lassen, hatten noch so viel vor, weinen um, trauern um, betrauern, sind unendlich traurig, beklagen den Tod, nehmen zur Kenntnis, erinnern uns ihrer…" Der Satz kann auch mit einem "unser liebes Tantchen", "unsere geliebte Mummi, Granny und Freundin" u.ä. beginnen.

Die Lebensdaten – Geburts- und Todestag, gelegentlich auch der jeweilige Ort – stehen fast immer unter den Namen (selten: nur das Sterbedatum, nur die Jahre, bzw. gar nichts). Bei sehr alten Menschen wird das Alter gerne zusätzlich genannt – "Kurz nach ihrem 107. Geburtstag schlief unsere liebe Mutti friedlich ein"; bei einem Kollegen oder Mitarbeiter nur das letztere: "verstarb im Alter von…". Die Dauer des Lebens wird oft zusätzlich unterstrichen: "…nach einem langen und schönen gemeinsamen Lebensweg, einem frohen und erfüllten bzw. langen, interessanten Leben". Erfreulich ist, wenn der Tod akzeptiert wird und die Anzeige mit folgendem Text beginnt: "Nach einem blühenden Frühling und einem langen, schönen Sommer hat im goldenen Herbst ein erfolgreiches Leben sein Ende gefunden"!

Meistens verhält es sich anders, obwohl natürlich auch eine Urgroßmutter "plötzlich und völlig unerwartet" sterben kann; trotzdem sind es überwiegend jüngere Menschen, deren Tod von den Hinterbliebenen nur mit Mühe akzeptiert werden kann, so wie es etwa Überschriften wie "zu früh!" oder "so wie Du es Dir gewünscht hast – nur viel zu früh" illustrieren. Gelegentlich wird die Ursache des Todes ausdrücklich genannt, so "verstarb nach einem Unfall, durch einen tragischen Fahrradunfall/Unglücksfall, bei einem Badeunfall in Urlaub" oder so "Diagnose Krebs, doch der Krebs hat gesiegt/war stärker, doch dein Feind im Körper hieß Asbest", wobei man eher allgemein von "Kampf, Geduld, Tapferkeit", oder "langer, schwerer, tückischer Krankheit" spricht. Im allgemeinen lassen Überschriften wie "nach drei Monaten Hoffen und Bangen", "Du hattest keine Chance", "es war ein langer Abschied", "das Vorhersehbare ist eingetreten, und dennoch ist es schwer zu ertragen", "gehofft, gekämpft, gelitten, erlöst", "gewagt, gehofft, gekämpft, verloren", "geliebt, gesucht, verzweifelt, doch nicht verloren sondern erlöst", "befreit", "fröhlich gelebt, tapfer gegangen" oder "mit bewundernswerter Tapferkeit" ahnen, was diese Menschen und ihre Familien meistens aufgrund einer Krebserkrankung (das Wort "Aids" macht sich noch rar...) durchmachen mussten. Dagegen wird der plötzliche Tod oftmals folgendermaßen kommentiert:

"Wir sind fassungslos und unendlich traurig; unfassbar und noch unwirklich; mitten aus einem aktiven Leben und voller Pläne; plötzlich, überraschend von uns gerissen, aus dem Leben geschieden; viel zu jung ging er nach einem tragischen Autounfall von uns"...

Schlimm ist, wenn die Betroffenen Kinder und Jugendliche sind. Oft stehen nur die Lebensdaten neben dem Namen sowie ein "Warum?" als Überschrift; ebenso tragisch, wenn zum Beispiel die drei Töchter noch junger Eltern ihren "kleiner Bruder" verlieren, der nach nur sechs Monaten "viel zu früh weitergezogen" ist; oder wenn für den 21-Jährigen auf dem Weg zum Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr durch einen Verkehrsunfall "alle Pläne und Hoffnungen seines Lebens" beendet werden. In ihren Anzeigen versuchen verwaiste Eltern ihre tiefe Trauer auszudrücken: "Eine große Liebe, ein unsagbarer Schmerz"; "…plötzlich und unerwartet wurde meine geliebte Tochter..."; "Am 25. Januar ist mein von mir innig geliebter Sohn gestorben"; "Warum? Man hat mir alles genommen. Meine Tränen füllen einen Ozean. Unvergessen! Deine Dich zutiefst liebende Mutter (Mama)"; "So viel ungelebtes Leben, so viele ungesagte Worte, so viel nicht gegebene Liebe in unseren Herzen. Die Welt ist dunkler und stiller geworden ohne Dich". Oder "Sehnsucht nach Dir begleitet uns jeden Tag, danke für acht wunderschöne Jahre"; für diesen kleinen Achtjährigen drücken die Kinder, Eltern und Lehrer seiner Schule ihre Trauer mit diesem Gedicht aus: "Leben ist wie Schnee, Du kannst ihn nicht bewahren. Trost ist, dass Du da warst, Stunden, Monate, Jahre". Freunde einer 20-Jährigen ("Sie hatte doch noch so viel vor...") listen alle ihre 22 Vornamen auf, Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums trauern ebenfalls um ihren neunzehnjährigen "Freund und Mitschüler" und für einen weiteren schreiben acht Mitschüler seines Leistungskurses die ganze Anzeige auf englisch, wohl ihre Art der Trauerverarbeitung.

In bestimmten Grenzfällen, etwa bei Selbstmord, gestaltet sich diese noch schwieriger. "Warum konntest du nicht auf die Zukunft vertrauen? Wir vermissen Dich!"; "Ein wunderbarer und inspirierender Mensch konnte nicht mehr. Wir sind unendlich traurig, dass es soweit kam", oder "Er hat sein Leben beendet. Mutig und kompromisslos". Vielleicht hilft es den Eltern ein wenig, die Tatsache zu akzeptieren, wenn sie offen darüber sprechen können – "Warum. Warum? Schicksal gibt keine Antwort. Schicksal bleibt stumm. Unser lieber Sohn schied für uns alle völlig unerwartet kurz vor seinem 22. Geburtstag freiwillig aus dem Leben", auch wenn der Tod anscheinend nur halb freiwillig gewesen ist: "Wenn wir dich fragen könnten, warum? So würdest du uns antworten: ‚Ich habe versucht, meine Grenzen auszuloten und diese unabsichtlich überschritten. Weh tun wollte ich euch ganz gewiss nicht’. Aber es tut unsagbar weh". Ähnlich bei Mord: "Mit Entsetzen, Fassungslosigkeit und ohnmächtiger Wut" reagieren zu Recht Angehörige und Freunde auf Gewalt. Diese wird beim Namen genannt: "entrissen durch fremde Hand" heißt es bei einer 22-Jährigen, "ist ermordet worden" im Fall Morsal von Mai 2008, der in allen Hamburger Medien bekannt wurde. Hierbei nutzen Vereine (Autonome Hamburger Frauenhäuser, TERRE DES FEMMES e.V., Städtegruppe Hamburg) gezielt ihre Anzeige, um den Mord zu denunzieren: "Sie ist ein weiteres Todesopfer patriarchaler Gewalt. Ihr wurde brutal die Möglichkeit geraubt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen".

Zu einer besonderen und etwas heiteren Kategorie gehören die mit Zitaten der Verstorbenen versehenen oder mit Humor in der ersten Person verfassten Formulierungen. Hier einige Beispiele: "Mein Lebensweg hat sich vollendet; mein Herz ist still geworden und Friede ist in meiner Seele; lang war mein Leben – nun ist es zu Ende; meine Zeit ist abgelaufen; ich bin still nach nebenan gegangen; ich wollte 100 Jahre werden! Die Mutter war’s, was soll der Worte mehr, so nehm’ ich Abschied von Euch Vieren; betrachtet mich nicht als gestorben, denn ich lebe mit denen weiter, die ich von Herzen geliebt habe; mein Ende ist ein Anfang; es geht mir gut, ich bin frei; alle die mich kannten und gerne hatten, möchte ich wissen lassen, dass ich von Euch gegangen bin. Halte mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben, lasset mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe; ich danke den Engeln; ...ich wünsche mir nur einfach, dass es gilt, mich mit Heiterkeit und Dankbarkeit zu verabschieden; ich bin auf meiner Wolke angekommen. Ihr Lieben, Gute Nacht, ich hab’ mich auf den Weg gemacht, auf meiner Wolke werd’ ich sitzen und ab und zu mal runterblitzen. Sollst mal sehn, wird alles gut; mein Leben war schön; ich wäre gerne bei Euch geblieben; ich habe ein großes Stück vom Kuchen des Lebens abgebissen; ich bin Heim gegangen und grüße alle herzlich! Auf wiedersehen!; endlich... jetzt wohnen wir wieder zusammen; Humor ist der Senf des Lebens, das war stets sein Motto"– und zuletzt noch dies: "So’n Schiet. Hätte gern noch 5 Jahre gehabt, aber das hätte ich Euch auch in 10 Jahren erzählt"...

Ganz am Ende der Anzeige stehen noch wichtige Angaben, vor allem wo, wann, und ob überhaupt eine Trauerfeier und/oder Beisetzung stattfindet. Oft steht dort "die Trauerfeier hat stattgefunden, wir haben von ihr Abschied genommen, auf Wunsch der Verstorbenen findet die Beisetzung in aller Stille/im engsten Familien- (und Freundes-)kreis statt". Man erfährt auch, ob die Beisetzung gleich nach einer Trauerfeier oder (häufig an einem andern Ort) zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt; ob es sich um eine Seebestattung/Beisetzung auf See/Abschied "auf hoher See", eine anonyme Beisetzung, Beerdigung oder Urnenbeisetzung auf dem Friedhof oder im Friedwald handelt; ob statt Blumen Spenden gewünscht sind; zuletzt – "auf Wunsch des Verstorbenen bitten wir auf Trauerkleidung / Trauergarderobe zu verzichten" – steht dort eventuell auch noch, wie sich die Trauergesellschaft anzuziehen hat.

Collage
Schiffsmotive auf Traueranzeigen, in Hamburg keine Seltenheit.
Foto: C. Behrens

II. Lebensinhalte – und die Hansestadt Hamburg

Vielen, vor allem Männern, ist der Beruf eine sehr wichtige Gegebenheit. Gerne wird erwähnt, in welchem Bereich der Verstorbene sein Leben lang tätig war, ob als Akademiker oder Handwerker, besonders wenn letzterer den Meistertitel erlangte. So finden wir eine ganze Reihe Berufe – vom Bäcker- und Konditoreimeister (sogar "Ehrenobermeister des Hamburger Bäckerhandwerks") über Bauschlosser, Bild- und Steinhauermeister, Elektromeister, Glasermeister, Goldschmiedemeister, auch Hausmeister!, Installateur- und Klempnermeister, Kraftfahrzeug-Meister, Maler- und Lackiermeister, Schlossermeister, Schuhmachermeister, Schmiedemeister, Straßenbaumeister... bis zum Zimmermeister. Ebenfalls gern genannt werden Akademikerberufe – u. a. als Amtsgerichtsdirektor, Apotheker, (Freier) Architekt, Arzt für Allgemeinmedizin, Bankdirektor, Beamter, Bereichsleiter, Drogist, Eisenbahningenieur, Facharzt für Augenheilkunde, Filmarchitekt bzw. Filmproduzent, Finanzbeamter, Flugkapitän, Hauptmann, Hotelier, Journalist, Kammersänger, Kaufmann, Komponist, Konsul, Kriminalhauptkommissar oder -direktor, Landwirt, Lokomotivbetriebsinspektor, Maler und Graphiker bzw. Kunsthändler, Ministerialdirektor, Musiker und Musikwissenschaftler, Notar, Oberamtsrat, Pharmazierat, Pianist und Pädagoge, Polizeibeamter bzw. leitender Polizeidirektor, Physiker, Prokurist, Rechtsanwalt und Richter, Regisseur, Senator, Spediteur, Staatsrat, Steuerberater, Studiendirektor oder (Ober-)Studienrat und Wirtschaftsberater. Hin und wieder werden diese Berufe von ihren jeweiligen Symbolen begleitet (vorzugsweise beim Bäcker, Schmied oder Arzt). Und wer schon pensioniert war, bekommt die entsprechenden Abkürzungen "i. R." (im Ruhestand) bzw."a. D." (außer Dienst) dazu. Aber auch dies findet man: "Vater, Ehemann und Autotester".

Überhaupt sind in Deutschland Diplom- oder Promotionstitel nicht nur bei Juristen und Ärzten wichtig: So lassen sich zum Beispiel häufig Dipl. Ing. Architekt bzw. Oberbaurat i. R., Dipl. Brauerei-Ing., Priv.-Doz. Dr., sowie etliche Dr. iur., Dr. rer. pol., Dr. med. dent. bzw. Vet., Prof. Dr. Dr. h.c., Prof. Emeritierter Ordinarius für Kunstgeschichte, Dr. med. Dr. phil., u. ä. in den Anzeigen finden. Neben Mitgliedschaften in besonderen Vereinen wie "Rotarier" spielen außerdem Ehrenzeichen (etwa "Träger des Bundesverdienstskreuzes am Bande bzw. der silbernen Ehrennadel", oder "Ritterkreuzträger im Zweiten Weltkrieg") eine große Rolle und werden grundsätzlich mit angegeben – so etwa bei einem Journalisten, der "Träger des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland" war, bei einem Rechtsanwalt "Senator a. D., Bürgermeister-Stolten-Medaille, Hauptmann a. D.", oder einem "Prof. emeritus Dr. med., Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Orden der aufgehenden Sonne des japanischen Kaisers".

Frauennamen stehen generell viel schlichter, werden meist nur von früheren Namen bzw. dem Mädchennamen begleitet, sofern es sich um eine verheiratete Frau handelt (ein "geborene..., verwitwete..., verliebte..." klingt in diesem Zusammenhang durchaus ungewöhnlich!). Doch hin und wieder erscheint eine zusätzliche Angabe bei (oftmals, aber nicht ausschließlich ledigen) Frauen mit besonderem Profil bzw. größeren Verantwortungen, etwa "Akademische Malerin, Bildhauerin, Bühnenbildnerin, Cembalistin und Pianistin, Dr. med. dent., Frau Dr... Journalistin, Heilpädagogin, Kammersängerin, Kauffrau, Kirchenmusikerin, Küsterin, Lehrerin, Oberstudiendirektorin, Oberkustodin, ehemalige Oberschwester im Hafenkrankenhaus, Rechtsanwältin, Schauspielerin, Schriftstellerin, ‚Prof. ... Begründerin des Erfahrbaren Atems, Univ.-Prof. Dr. med. dent., Veterinäroberrätin"– schließlich werden auch Frauen mit der Biermann-Ratjen-Medaille der Freien und Hansestadt Hamburg oder als Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande und der "Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Silber" der Stadt Hamburg besonders geehrt, und wie zuletzt Loki Schmidt als "Professorin Dr. h.c., Ehrensenatorin und Hamburger Ehrenbürgerin" genannt.

Noch nicht genannt wurden eine für Hamburg wichtige Kategorie von Berufen sowie Angaben, die auf die Nähe zu Wasser und Meer oder ganz konkret auf die Hafenstadt an der Elbe Bezug nehmen (und naturgemäß im Hamburger Abendblatt sehr häufig vorkommen). So staunt man über die große Zahl von Kapitänen und Lotsen u.a. (Hafenlotse, Seelotse, Kapitän und Elblotse, Kapitän zur See, Kapitänleutnant, Fregattenkapitän, Admiral, Hafendirektor, Reeder oder Schiffbaumeister), die neben Angehörigen, Kollegen oder Segelfreunden, vom Stettiner-Yacht-Club und Norddeutschen Regatta Verein, von Reedereien und Gesellschaften (wie die "Lotsenbrüderschaft Elbe", Leonhardt & Blumberg, "Bugsier-, Reederei- und Bergungs- GmbH", "DAG-Bundesberufsgruppe Schifffahrt, Verkehr und Logistik", "TS Hamburg-Hanseatic", "Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft" oder "Orient Schifffahrts- und Speditionsges. mbH") betrauert werden.

Die Traueranzeige, vielfach begleitet von Motiven wie Segelboot, Dampfer, Leuchtturm oder Anker, bringt diese Tätigkeiten dann entsprechend zum Ausdruck: "Er ist davon gesegelt, auf seine letzte/lange Reise/Fahrt gegangen; er hat mit der einsetzenden Tiede seine letzte Reise angetreten, war immer für uns der Fels in der Brandung; nach vielen bewegten Seefahrten ist die letzte Reise beendet, unser Skipper ist für immer von Bord gegangen; …die Segel seiner ‚Lütte Deern’ zu seiner letzten großen Reise gesetzt; Leinen los – Dein Hafen ist in unseren Herzen; wir wünschen Dir immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel; Schiffe sinken, Dein guter Stern nie auf großer Fahrt; Rüm Hart – klaar kiming; die Seefahrt bzw. Marine und Familie waren sein Leben; eine sichere Reise bis hinter den Horizont; sie ist ihrem Kap’tän nachgefolgt". Besonders erwähnt seien hier noch die folgenden schönen Überschriften: "Glaub nicht, der Seemann sei ein Sünder, weil er nicht oft zur Kirche geht – Ein offener Blick zum klaren Himmel ist besser, als ein falsch’ Gebet!"; für einen Kapitän und Cap Hornier, "...auf den Schwingen eines Albatrosses getragen in die Ewigkeit..."; und zuletzt dies: "Farewell, Kapitän! Dem Sturm des Lebens und der tückischen Krankheit hat er mutig wie ein Löwe getrotzt. Nie verlor er die Liebe und die Zuversicht in seine Crew. Der letzte Sturm hatte sein eigenes, unerbittliches Gesetz... Er ist in seinen letzten Hafen eingelaufen". Es leuchtet schon ein, dass die Angehörigen dieser Menschen sie mit Seebestattung und Gedenkfeier an Bord der Cap San Diego bzw. Rickmer Rickmers "auf diese letzte Reise" begleiten wollen, und um Spenden an die "Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger" bitten.

Zu wichtigen, also in diesem Zusammenhang nennenswerten Lebensinhalt zählen auch Nebenbeschäftigungen und Hobbys. Dazu gehören alle Sportarten, die zumeist gemeinsam mit Freunden gepflegt werden, wie Bergwandern ("er hat seinen Gipfel erreicht"), Fußball ("sein gutes Herz schlug für uns, den Sport und die Jugend"), Handball ("unser Mentor, Freund und Trainer"), Golf, Hockey ("er war Torwart der Deutschen Mannschaft 1964 im Hallenhockey"), Kanu, Schießsport, Reiten, Rudern, Tandem- bzw. Radfahren ("auf Deiner geliebten Rad-Trainingsstrecke... abberufen"), Segelflug, Tennis ("der Tennispionier hat sich besonders um das Internationale Turnier am Rothenbaum verdient gemacht"), sogar Zehnkampf ("Manfred Bock, Olympiateilnehmer für Deutschland 1960 in Rom, Deutscher Meister 1962, und Bronzemedaillengewinner bei der Europameisterschaft 1962"). Es trauern auch Nähfreundinnen, Freundinnen eines Literaturkreises, Reisefreunde und andere Kreise: "Chaoten", Freiwillige Feuerwehr, Schach- bzw. Skatspieler ("ihr letztes Blatt ist gespielt und sie hatte keine Trümpfe mehr"), Freunde regelmäßiger Wochenend-Trips... Häufig nur durch ein begleitendes Motiv entdeckt man bei passionierten Technikern ihr Lieblingsgefährt – Motorrad, Lokomotive, den geliebten Sportwagen, Oldtimer, VW-Bus, Lastwagen, Wohnmobil, Motorflieger, sogar Hubschrauber...

Das Material für diese Bestandsaufnahme lieferte vor allem die Auswertung von Traueranzeigen aus dem Hamburger Abendblatt über einen Zeitraum von gut drei Jahren, aber auch der Vergleich mit anderen Zeitungen aus Nord- und Süddeutschland. Daher sei die Freie und Hansestadt besonders – und für Hamburger unverkennbar – beispielhaft hervorgehoben ("ein Eppendorfer bzw. Alsterdorfer Herz hat aufgehört zu schlagen; praktizierender Arzt in Winterhude, Augenärztin in Lokstedt, Chirurg im Hafenkrankenhaus; unser Kiezminister ist vorausgegangen...; der Rubens von der Reeperbahn; der Fleischgroßmarkt trauert um..., die Deichstraße nimmt Abschied...”). Häufig steht auch das Wort "Tschüß"(seltener "Adieu!"), als Überschrift einer sogenannten Selbstanzeige ("...sage ich allen Verwandten, Freunden und Bekannten, allen die mich kannten; Tschüß ihr Lieben"), von Hinterbliebenen formuliert ("zu früh hast du Tschüß gesagt; Tschüß Mama!..." oder Mutti, Oma und Omama, Papa bzw. Vornamen), oder auch in der bekannten Form "In Hamburg sagt man Tschüß!". Ebenfalls lokaltypisch klingt "Unsere Hamburger Deern ist von uns gegangen" oder "Wieder eine Hamburger Deern weniger!". Für einen Kaufmann ist sicherlich das höchste Lob folgendes: "Er war ein Hanseat – zurückhaltend, aufrichtig, weltoffen und von herausragendem unternehmerischen und sozialen Tatendrang", zumal die "freundliche, hanseatische Art" bzw. der "hanseatische Humor" unter Geschäftsleuten oft vermisst wird. Gar nicht so selten werden ganze Anzeigen, vor allem Überschriften und Zitate auf Plattdeutsch geschrieben. Nicht nur das klassische "An de Eck’ stand ’n Jung’ mit’n Tüddelband..."; auch "Dat Du mien Leewsten büst...; Wat schalst moken... Das war immer ihr Schnack; Boben dat Leben steiht de Dood, ober boben den Dood steiht wedder dat Leben (Gorch Fock); n’ Minschen sien Hart plant sienen Weg, de Herr ober lenkt sienen Schritt (Weisheit von Salomon 16,9)".

Englisch bleibt die häufigste Fremdsprache, man denke an den Anglo-German Club in Hamburg und die besondere Beziehung zu England. Manchmal als ganze bzw. zweisprachige Anzeige aufgrund einer Heirat, meist als Überschrift ("To whom it concerns; Time to dream; Forever in our hearts; We miss you! You gave us so much! We will see us again – don’t know when, don’t know where; You were so radiant and your joy for life will stay with us for ever! In memory of… saying good-bye to his friends; In Sorrow"), bzw. in Form ganzer Zitate von Shakespeare, T.S.Eliot ("In my end is my beginning") oder als irischer Segen ("May you be in heaven an hour before the devil knows you’re dead"). Gerne auch werden Sänger auf Englisch zitiert: Bob Dylan, Janis Joplin ( "Freedom is just another word for nothing left to lose" – nach einem Suizid), Paul Anka oder Frank Sinatra, etwas adaptiert ("I did it my way"). Die Überschrift "Best friends forever, Doch unser Doppelpack gibt es nicht mehr", dazu das Motiv zweier zusammengestellter Puzzleteile galt einer Zwillingsschwester...

In einer Hafenstadt und angesichts einer globalisierten Welt wundert man sich kaum, dass Angehörige eines fast Hundertjährigen mit "acht wunderbaren Urenkeln" in "Vancouver, New York, München, Bremen, Hamburg, Köln" verstreut sind; ebenso wenig wie über Überschriften auf Schwedisch bei einer geborenen Karlsson, auf Spanisch ("Si tu lloras, por haber perdido el sol, las lágrimas no te dejerán ver las estrellas"– wenn du weinst, weil du die Sonne verloren hast, wirst du vor lauter Tränen die Sterne nicht sehen), auf Latein für einen Waldorf-Lehrer (paedagogus waldorfensis, pater familiae magnae, amicus Etruscorum, rex niger adorans, homo originalis), von griechischer, arabischer oder japanischer Schrift ganz zu schweigen! Wenn nicht explizit "Ein kölsches Herz hat aufgehört zu schlagen" oder durch eine zusätzliche geographische Angabe ausgedrückt, verraten oft schon Namen wie Vornamen die Herkunft einer wachsenden Bevölkerung mit Migrationshintergrund: Gunnar (aus Nälden, Schweden), Jenczewski (Polen), du Roi, de Leur (wohl Hugenottenfamilien aus Frankreich), Antonio Bonfiglioli, Salvatore Perna, Massimo Bernardini (Italien), Lolita (Barcelona), Raulino Galvão (Portugal), Dimitrios Tsaprazis oder Konstantin Kostas Nalpanditis (Griechenland), Ercüm, Gülsen, Ahmet, Lahut Kurtoglu (Türkei), Huda Al Hilali (Bagdad), Bahram, Farideh, Mahmoud Haddadzadeh (Iran), Hosny, Hafes, Karim, Amir (Ägypten), Eftim Eftimov (Israel), Sudhansu Kumar Datta (Indien), Quang-Dán Trân (Vietnam)... Dabei darf man nicht die aus den Ostgebieten vertriebenen Deutschen vergessen, bei denen die Traueranzeige mit einer Überschrift aus einem Pommernlied versehen ist ( "Weiße Segel fliegen auf der blauen See, weiße Möwen wiegen sich in blauer Höh’, blaue Wälder krönen weißer Dünen Sand; Pommerland, mein Sehnen ist dir zugewandt!") oder gerne die Herkunft erwähnt wird – etwa "geb. in Marienburg / Ostpreußen" oder "Lukowo / Westpreußen" (oft mit den typischen Wappen versehen).

Etliche Aspekte der vielseitigen Thematik "Traueranzeigen" wurden an dieser Stelle aufgeführt, aus Platzgründen jedoch nicht erschöpfend behandelt. Ziel ist es, einen Einblick zu geben in den Reichtum an Informationen, den diese Anzeigen bieten können. Einige Facetten wurden allerdings kaum angesprochen:

– Interessant wäre es, die vielen Zitate (die meist oben rechts stehen) aus der Literatur der Antike bis zur Gegenwart zu analysieren;

– Dasselbe gilt für die Bibelverse vom Alten Testament bis zur Offenbarung, sowie den vielen Glaubenszeugnissen von einzelnen Menschen aus verschiedenen Religionen. Ob Lebensphilosophie oder Glaubensbekenntnis, beiden dient die Traueranzeige als letzte Botschaft.

– Auch die historischen Bezüge einer Anzeige (wie bei den Vertriebenen) sollten in Betracht gezogen werden.

– Ein wichtiges Thema sind Bildmotive (es gibt zum Beispiel unzählige Varianten für Rosen oder Kreuze), sowie die unterschiedliche Bedeutung von Photos und Porträts je nach Zeitung oder Gegend (mehr Porträts in den katholischen Gebieten im Süden Deutschlands).

– Daher schiene es nötig, die verschiedenen Zeitungen miteinander zu vergleichen.

– Ebenfalls angebracht wäre ein Vergleich der nord- bzw. süddeutschen Anzeigentradition (mehr Kreuze, mehr Adel, Formeln wie "Ein vergelt’s Gott").

– Ergiebig wäre sicher, sich Fragen des Stils zu widmen; dieser verändert sich zunehmend, so dass beispielweise innerhalb einer Anzeige Leser und Verstorbene nacheinander angesprochen werden ( "Er..."/ "Du...").

– Dasselbe gilt für die jeweilige Form – Größe und Format, Rahmen, Schrift, Anordnung, Bilder, Farbe (kommt gelegentlich vor) können stark variieren.

– Zwischen den Traueranzeigen finden sich ab und zu Nachrufe bzw. Erinnerungsanzeigen, die an den jeweiligen Jahrestag des Todes erinnern ("in Memoriam, 2. Todestag, 6 Jahre unvergessen, 1096 Tage ohne Dich..."); auch sie wären eine dezidierte Erwähnung wert.

– Auch nicht uninteressant: die Lückenfüller – mitunter finden sich schwarz umrahmte Gedichte (Welt, Süddeutsche Zeitung), sofern nicht einfach direkte (Hamburger Abendblatt) oder indirekte Werbung (bei der Süddeutschen Zeitung sogar für das Sepulkralmuseum in Kassel) geschaltet wird.

– Es ist sogar in den Anzeigen kein Tabu mehr, von Partnerschaft oder von homosexuellen Beziehungen zu sprechen. Interessant wäre auch hier, die Veränderungen und Entwicklungen solcher Aspekte über die letzten Jahre zu vergleichen.

Zweifellos würden all diese letztgenannten Fragestellungen den Rahmen dieser Zeitschrift sprengen – mögen sie also als Anregungen verstanden werden, den einen oder anderen Blick auf die einschlägigen Zeitungsseiten zu werfen, befinden sich unter den Traueranzeigen doch wunderbare Miniaturen und Zeugnisse von Liebe, Dankbarkeit, Anerkennung, Bewunderung und Kreativität. Hierzu noch ein letztes Beispiel aus Anlass des hundertsten Geburtsjahres der drei Jahre zuvor gestorbenen Mutter, in Erinnerung an beide Eltern: "Ihr seid die Generation, die Deutschland in Trümmern nach Ende des Krieges vorgefunden hat. Unter größten Entbehrungen habt Ihr am Wiederaufbau mitgeholfen, aber auch daran, dass Ihr uns für unser Leben ein wirklich gutes Rüstzeug vermittelt habt."

Und noch: "ADIEU... Unser grandioser Freund, ein außergewöhnlicher Grandseigneur mit charismatischer Aura aus Charme, Stil, Savoir-vivre und einer großen Liebe zur Kunst. Ein Ästhet, der mit Genialität den jeweiligen Zeitgeist erkannte, der Primus unter Pares der Herrenmode". Zum Schluss: "Die letzte Frage wie immer.... .... bleibt unbeantwortet."

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Traueranzeigen (Februar 2011).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).