Vor 60 Jahren, am 3. Mai 1945, war mit der kampflosen Übergabe Hamburgs durch den Wehrmachts-General Alwin Wolz an den britischen Brigadegeneral Douglas Spurling der Krieg für die Hamburger Bevölkerung zu Ende.
Not und Elend aber dauerten für diejenigen, die das Kriegsende überlebt hatten, noch mehrere Jahre lang an. Denn eine geregelte Versorgung mit dem Lebensnotwendigen gab es nicht mehr. Lebensmittelmarken, bereits während des Krieges eingeführt, gab es in der Besatzungszeit weiter. Aber die Rationen für den Einzelnen wurden 1946 und 1947 immer weiter gekürzt. Hungersnot war die Folge.
Es mangelte nicht nur an Lebensmitteln, sondern ebenso an Strom, Gas, Kohle und Brennmaterial aller Art. Dies war für die deutsche Bevölkerung besonders bedrohlich, weil es 1946/47 einen sehr strengen Winter gab. Von Mitte Dezember 1946 bis Anfang März 1947 herrschte in Hamburg Dauerfrost bis minus 20 Grad. Da die Versorgung mit Kohlen aus dem Ruhrgebiet unterbrochen war, musste alles, was brennbar war, zum Heizen herhalten. Auf dem Gelände des Ohlsdorfer Friedhofs sammelten die Menschen Reisig und Tannenzapfen, bis der Boden völlig leer geräumt war, so leer, wie man es heute nie wieder antreffen würde. Selbstverständlich war auch nicht genügend Holz für die Herstellung von Särgen vorhanden, obwohl die Sterblichkeit unter der von Krieg und Hungersnot geschwächten Bevölkerung naturgemäß besonders groß war.
Wie Marianne Behrend dem Verfasser erzählte, hatte sie zusammen mit ihrer Mutter in den letzten Kriegsjahren bereits die armen Leute bedauert, die ohne Sarg beerdigt werden mussten, und gehofft, dass niemand in der eigenen Familie während dieser Notzeit betroffen sein würde.
Die Familie Barmwold/Behrend wohnte seit 1907 an der Fuhlsbüttler Straße in unmittelbarer Nähe des Ohlsdorfer Friedhofs. Diese Hauptverkehrsstraße war während des Zweiten Weltkriegs wiederholt von den Alliierten bombardiert worden. Von den meisten Häusern standen, wenn überhaupt noch etwas stand, bei Kriegsende lediglich leere Fassaden. Die Zimmer dahinter waren weg. In der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1943 wurde das Haus der Familie Barmwold/Behrend von den Bomben getroffen. Alle Bewohner des Hauses hatten den Angriff in ihrem Luftschutzkeller, dessen Decke vorsichtshalber zusätzlich ausgesteift und abgestützt worden war, überlebt. Das eingestürzte Gebäude aber versperrte den Ausgang aus dem Keller. Nur mit Hilfe eines Mauerdurchbruchs zum Keller des Nachbarhauses konnten sich die Eingeschlossenen wieder befreien. Wegen der Trümmer konnte man das Haus auch nicht mehr zur Straße hin verlassen, sondern nur noch über den hinter dem Haus angrenzenden jüdischen Friedhof.
Im Kältewinter 1946/47 wurde Louise Barmwold, die Großmutter von Marianne Behrend, schwer krank. Marianne lief von einer Apotheke zur anderen, aber die nötigen Medikamente gab es zu dieser Zeit nirgendwo. Louise Barmwold starb am 28. Februar 1947 im Alter von 84 Jahren. Das Begräbnis sollte nach alter Familientradition im Familiengrab von 1899, Grablage F 16, auf dem Friedhof Ohlsdorf stattfinden und durchgeführt werden durch den Gemeinnützigen Bestattungsverein (das heutige Großhamburger Bestattungsinstitut GBI). Aber dort, wie auch bei allen anderen Bestattern, konnte man den Hinterbliebenen weder einen Sarg noch ein Totenhemd anbieten. Zumindest das Totenhemd konnte dank einiger Stoffe, die Verwandte aus der Schweiz geschickt hatten, selbst genäht werden.
Der Beisetzungstermin wurde wiederholt verschoben, denn der Boden war seit mehreren Wochen metertief gefroren. Der Grabaushub war mit normalen Werkzeugen praktisch unmöglich. Der gefrorene Boden wurde schließlich aufgesprengt.
Am 11. März 1947 fand im kleinen Kreis von Familie und Nachbarn unter Leitung des Friedhofspastors die Trauerfeier für Louise Barmwold in der ungeheizten Kapelle 4 des Ohlsdorfer Friedhofs statt. Während eines heftigen Schneesturms nahmen die frierenden Hinterbliebenen anschließend am offenen Grab Abschied von der Verstorbenen.