Der Zweite Weltkrieg gilt als der bislang verheerendste militärische Konflikt in der Weltgeschichte und kostete Schätzungen zufolge zwischen 50 und 62 Millionen Menschen aus fast 100 Staaten das Leben.
Und das nicht nur an den Fronten kriegerischer Auseinandersetzungen, sondern auch durch Gewaltherrschaft über Zivilisten. Eine unvorstellbare Anzahl, insbesondere wenn man sich ein Bild machen wollte von den einzelnen Schicksalen und den vielfältigen Umständen ihres Todes. Im Folgenden wird versucht, an wenigen Beispielen der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft Einzelschicksalen nachzugehen, die am Ende des Krieges 1945 in Hamburg ihr Ende nahmen.
6. Januar 1945, Frauen-KZ Ravensbrück bei Fürstenberg/Havel
Nach kurzer Haft starb dort die 44-jährige Hamburger Lehrerin Yvonne Mewes an Typhus. Zuvor war sie seit Mitte 1944 in der Gestapo-Haftanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel Schikanen ausgesetzt, bekam zeitweise keine Nahrung und musste in Dunkelhaft sitzen. Weder Haftrichter noch Staatsanwalt konnten ihr eine strafbare Handlung nachweisen. Seit etwa zwei Jahren leistete sie im Schuldienst auf ihre Art individuellen Widerstand gegen das NS-Regime: Sie gehörte nicht der NSDAP an und kam nicht der Aufforderung der Schulbehörde nach, in der Kinderlandverschickung als Lehrerin zu arbeiten. Sie befürchtete, über ihre Unterrichtsgestaltung nicht frei entscheiden zu können und dass die Kinder dort durch die Hitlerjugend und Partei beeinflusst werden. Schließlich kündigte sie im Juli 1944 ihren Schuldienst, aber vergebens. Die Schulbehörde bewertete ihre Haltung als Arbeitsverweigerung und wollte ein Exempel statuieren, sie übergab den Fall der Gestapo. Die unmenschlichen Haftbedingungen löschten ihr Leben aus. Auf Veranlassung der Familie konnte ihre Urne nach Hamburg überführt und am 4. April 1945 im Familiengrab auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt werden. Nach Ablauf des Nutzungsrechtes an dem Grab erhielten ihre sterblichen Reste einen würdigen Platz in der Gräberanlage der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft aus 28 verschiedenen Nationen.
8. Februar 1945, Schießplatz „Am Höltigbaum“ in Hamburg-Rahlstedt
Auf dem deutschen Soldatenfriedhof des Zweiten Weltkrieges auf dem Friedhof Ohlsdorf in der Nähe der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge errichteten Gedenkhalle bei Kapelle 9 liegen auch Opfer der deutschen Militärjustiz begraben. Sie wurden 1960 nach hier umgebettet. Einer von ihnen ist Herbert Klein, geb. am 8. Februar 1922. Herbert Diercks schreibt dazu: „Im letzten Kriegsjahr war der 23-jährige Soldat nach zweimaliger schwerer Verwundung an der Ostfront zu einer Genesungskompanie nach Neumünster versetzt worden. Nach einem Urlaub kehrte er aber nicht zu seiner Einheit zurück, sondern hielt sich in Hamburg versteckt. Nach wenigen Wochen wurde er bei einer Razzia der Feldgendarmerie verhaftet. Das Gericht der Division Nr. 490 in Neumünster verurteilte ihn wegen Fahnenflucht zum Tode. Am 10. März 1945 wurde das Urteil auf dem Schießplatz ‚Am Höltigbaum’ vollstreckt. Seine Mutter erhielt vom Kriegsgericht die Nachricht, dass Todesanzeigen oder Nachrufe in Zeitungen und Zeitschriften verboten seien.“ Von März bis April 1945 wurden weitere, mindestens 65 meist in Rahlstedt/Höltigbaum erschossene und namentlich bekannte Wehrmachstsangehörige auf dem Friedhof Ohlsdorf begraben.
- Herbert Klein mit seiner Mutter
28. Februar 1945, Arbeitserziehungslager Hamburg-Wilhelmsburg
In Hamburg gab es auf St. Pauli rund um die Schmuckstraße eine sogenannte Chinesenkolonie, die von Gemischtwarenläden, Wäschereien und Restaurants geprägt war und wegen der illegalen Lokale für Glücksspiel nicht immer einen guten Ruf hatte. In der Zeit des NS-Regimes stagnierte das Leben in der Kolonie immer mehr, bis im Mai 1944 die Gestapo alle dort lebenden Chinesinnen und Chinesen u.a. der Spionage für die Alliierten verdächtigte, verhaftete und sie ins KZ Fuhlsbüttel sperrte. 165 von ihnen wurden wenig später in das KZ-ähnliche Arbeitserziehungslager in Hamburg-Wilhelmsburg verlegt. Siebzehn von ihnen starben an den Haftbedingungen, unter ihnen Liang Wong (17.9.1904–28.2.1945). Begraben sind sie auf dem Ohlsdorfer Friedhof zusammen mit anderen Opfern aus 28 verschiedenen Nationen. Außer an seinen Namen und den Lebensdaten erinnert an Liang Wong nur noch folgende Eintragungen auf der sog. Kriegsgräberkartei der Verwaltung: Beruf Arbeiter / beigesetzt als Leiche / Sterberegister Nr. 450–45 / Standesamt Fuhlsbüttel / Sarg Nr. 2531–45 / Grablage Bp 73, Reihe 10, Nr. 2 / Grabzeichen: ja / öffentlich gepflegtes Grab: ja. Viele tausend solcher Karteikarten dokumentieren die „ordnungsgemäße“ Erfassung und Bestattung der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Manchmal aber haben sich nicht wieder gut zu machende Fehler eingeschlichen. Sucht man nämlich die genannte Grablage auf, so ist auf der Grabplatte der Name eines anderen Chinesen, Bau Chan Ho 2.9.1897–22.10.1944, zu lesen. Er starb ebenfalls im obengenannten Arbeitserziehungslager, wird aber an anderer Stelle mit dem Geburtsjahr 1887, mit einem Alter von 57 Jahren und der Namensfolge Chan Ho Bau erwähnt.
- Grabstein für Bau Chan Ho (Foto: Schulze)
14. April 1945, Luftangriff auf Hamburg
Laut Statistik war es der 210. Luftangriff der Alliierten auf Hamburg, der letzte, bei dem Tote zu beklagen waren. Hans Brunswig vermerkt dazu: „Ohne Vorwarnung durch den LS-Warndienst warfen kurz nach Mitternacht schnelle Kampfflugzeuge (‚Mosquitos’) nach Setzen von Leuchtzeichen 5 Minenbomben, etwa 320 Sprengbomben und 70 Flüssigkeits-Brandbomben ab, die zum Teil bereits vor ‚Kleinalarm’ und ‚Fliegeralarm’ fielen.“ Etwa hundert Flugzeuge waren beteiligt. Es kamen dabei 150 Menschen ums Leben, 683 wurden obdachlos. Betroffen waren hauptsächlich die Stadtteile Innenstadt, Harvestehude und St. Georg. „Durch eine Panik wegen des Bombenabwurfs vor ‚Fliegeralarm’ kamen beim Aufsuchen des LS-Bunkers der Reichsbahn am Hauptbahnhof 12 Personen ums Leben.“ Darunter auch der 17-jährige bei Belgrad geborene Deutsche Günter Bülow, wie das Standesamt St. Georg vermeldet, und die aus Cuxhaven stammende 28-jährige Margarete Heine, geb. Schuldt. Wollte sie wieder zurück in ihren Heimatort oder in Hamburg nach nahestehenden Menschen suchen? Begraben wurden sie auf dem Ohlsdorfer Friedhof auf dem langen Grabfeld für die Bombenopfer hinter der Kapelle 10, wegen seiner Ausdehnung intern als „Handtuch“ bezeichnet.
19. April 1945, in der Nähe Buchholz/Nordheide
Seit einem Tag näherten sich britische Truppen dem südlichen Verteidigungsbereich Hamburgs. An den Abwehrkämpfen südwestlich von Buchholz nahmen nachweislich auch Volkssturmmänner teil. Es gibt über deren Verluste nur einen Eintrag im Sterberegister des Standesamtes Harburg: Ein aus Moorburg stammender Kompanieführer der Hamburger Volkswehr fand am 19. April 1945 in Rade den Tod. Irgendwo südlich von Hamburg müsste sein Grab zu finden sein.
21. April 1945, KZ Neuengamme
In der Nacht auf den 22. April 1945 wurde die 22-jährige Erika Etter im KZ Neuengamme ermordet. Sie war nach ihrer Verhaftung am 17. Mai 1944 zusammen mit 13 anderen Frauen und 58 Männern ohne Urteil eines Gerichts auf eine „Liquidationsliste“ gesetzt worden. Die Gestapo verhaftete Erika Etter wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und „Wehrkraftzersetzung“, nachdem ihre Eltern, ihr Bruder und ihr Mann Werner Etter bereits Wochen zuvor verhaftet worden waren. Sie alle gehörten während des Krieges einer Widerstandsorganisation an, die nach dem Krieg als Gruppe „Etter-Rose-Hampel“ bezeichnet wurde.
- Werner und Erika Etter
Den seelischen Zustand von Erika nach der Verhaftung ihrer Angehörigen beschrieb ein Freund der Familie u.a.: „... Und nun folgten grausame Tage für das junge Menschenkind. Eben noch ganz eingesponnen in ihr Mutterglück, sieht sie sich plötzlich von einer entsetzlichen Wirklichkeit gepackt, steht sie ganz alleine einer Welt von Bosheit und Gemeinheit gegenüber, als Angehörige eines aus politischen Gründen Verhafteten, völlig rechtlos und vogelfrei. Auf unserem Gartenweg kam sie mir eines Tages entgegen, bleich und still, aber gefasst.“ Ihr Mann wurde vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 19.2.1945 in Berlin-Brandenburg hingerichtet. Die Urne mit den Aschenresten konnte 1946 nach Hamburg überführt werden. Erika Etter erhielt nach dem Krieg ein symbolisches Grab unter der Namensplatte ihres Mannes Werner im Ehrenhain Hamburger Widerstandskämpfer auf dem Friedhof Ohlsdorf.
- Grabstein für Werner und Erika Etter (Foto: Schulze)
26. April 1945, Vahrendorf, südlich von Hamburg
Es passierte in der Nacht auf den 26.April, acht Tage vor der kampflosen Übergabe Hamburgs, dreizehn Tage vor dem Ende des Krieges. Die von Süden auf Hamburg vorstoßenden britischen Truppen hatten Vahrendorf besetzt, einen kleinen Ort in der Nähe des heutigen Freilichtmuseums Kiekeberg. Die 7. Kompanie des Ausbildungs- und Ersatzbataillons 12 der SS-Division Hitler-Jugend und andere Einheiten eroberten auf Befehl des Hamburger Kampfkommandanten Alwin Wolz im verlustreichen Kampf zunächst das Dorf zurück. Wolfgang Buchwald, der den Angriff überlebte, erinnerte sich: „Es war einfach nur ein Gemetzel.“ Auf deutscher Seite fielen 65 Soldaten, 46 von ihnen wurden später auf der Kriegsgräberstätte oberhalb Vahrendorfs auf dem Krähenberg beigesetzt. Das Alter der Toten liegt vorwiegend bei 17 Jahren. Einer von ihnen war Peter W. Petersen, geb. 1928 auf Pellworm, ein SS-Freiwilliger? Bei seiner Umbettung 1946 fand man bei seinen Gebeinen einen grauen Rock, ein rotkariertes Taschentuch, ein blaukariertes Hemd, einen weißen Rollkragenpullover und das Wehrmachtsabzeichen. Seine Identität konnte erst in den 1970er-Jahren festgestellt werden, so dass der schon für ihn gesetzte kreuzförmige Grabstein immer noch die Inschrift trägt: „Unbekannter Soldat, 26.4.45“. Diese Inschrift tragen hier die meisten Steine. Auf dem Soldatenfriedhof liegt auch ein unbekannter Volkssturmmann. Der Volkssturm hatte in dieser Nacht u.a. den Auftrag, mit Holzschubkarren durch den Wald zu fahren und dort Munitionskisten aufzusammeln. Auf einem Grabkreuz ist der Name Stefan Silvestero zu lesen. Er war ein serbischer Kriegsgefangener, der sechs Tage zuvor zufällig in einen Artilleriebeschuss geriet und dabei getötet wurde. 1995, zum 50. Jahrestag der unsinnigen Kämpfe, errichtete die Gemeinde Rosengarten eine steinerne Gedenktafel mit Hinweisen auf das damalige Geschehen.
29. April 1945, Schloss Friedrichsruh am Sachsenwald
Es war der Tag, an dem Hamburger Parlamentäre die deutsche Front bei Appelbüttel südlich Hamburgs überschritten und die ersten Verhandlungen mit Offizieren der 7. britischen Panzer-Division einleiteten mit dem Ziel, das Reservelazarett in Harburgs Phönix-Werken vor Artilleriebeschuss zu schonen. Letztlich leiteten die Verhandlungen die kampflose Übergabe Hamburgs ein. Es war auch der Tag, an dem die letzten Bomben auf Hamburg fielen. In der Stadt waren keine Toten zu beklagen an diesem Sonntag, dem 29. April 1945, aber in Friedrichsruh östlich von Hamburg. Mehrere britische Tiefflieger beschossen gegen 17.00 Uhr das Schloss des Fürsten von Bismarck und warfen sowohl Splitter- als auch Brandbomben auf das Gebäude. Es stand nach kurzer Zeit in Flammen, aus Hamburg rückte die Feuerwehr zum Löschen an. Das Schloss war Aufenthaltsort der in Hamburg verbliebenen schwedischen und schweizerischen Diplomaten und mit den Flaggen dieser neutralen Staaten kenntlich gemacht. Bei diesem Angriff kamen der schweizerische Honorargeneralkonsul Adolf Ludwig Zehnder, seine Ehefrau Else und eine Wirtschafterin ums Leben. Stunden vorher und kurz nach dem Angriff war das Schloss nochmals Ziel der Tiefflieger. Die feierliche Beisetzung der Getöteten fand am 8. Mai 1945 auf dem Waldfriedhof Aumühle statt.
- Generalkonsul Adolf Zehnder
Seit dem 29. April 1995, dem 50-jährigen Todestag, erinnert in Hamburg am Gebäude Rathausmarkt 5 eine Gedenktafel an den Generalkonsul Zehnder. „Damit wird ein Menschfreund geehrt“, so das Hamburger Abendblatt, „der im Krieg unglaublich vielen Menschen hat helfen können, die Zuflucht und Zuversicht suchten.“ Aus Protest gegen das Regime von Adolf Hitler ließ Zehnder sich während des Dritten Reiches mit Vornamen Alfred nennen.
30. April 1945, im Süden Hamburgs
Ein gleiches Schicksal wie das des serbischen Kriegsgefangenen bei Vahrendorf erlitt auch die 21-jährige gebürtige Polin Klara Schymetzko. Sie war Schwesternhelferin und stammte aus der Gegend bei Thorn, einer Stadt an der Weichsel mit wechselvoller Geschichte. Seit 1920 wieder polnisch, gehörte die Stadt von 1939 bis 1945 zum Reichsgau Danzig-Westpreußen. Seit zehn Tagen beschoss die Artillerie des VIII. englischen Korps den Süden Hamburgs. Am 30. April 1945 wurde die Polin bei einem Artilleriebeschuss in Hamburg-Harburg durch einen Granatsplitter tödlich verletzt. Ihr Grab befindet sich auf dem Sinstorfer Friedhof. Nur eine kleine Grabplatte erinnert an das Schicksal dieser jungen Frau, eine von vierzig anderen umgekommenen und dort beigesetzten Zivilisten. Ihre Schwester nahm in den 1980er-Jahren einen damals langen Weg aus Polen auf sich, um das Grab zu besuchen.
17. Juli 1945, in Hamburg
Etwa 12 Wochen nach ihrer Befreiung durch britische Truppen im Krankenhaus Langenhorn starb am 17. Juli Magda Thürey zu Hause bei ihrem Bruder an den Folgen der 18-monatigen Gestapohaft. Sie war KPD-Mitglied und bis 1933 Lehrerin im Stadtteil Eimsbüttel. Während des Krieges gehörte sie mit ihrem Mann Paul Thürey der illegalen Widerstandsgruppe „Bästlein-Jacobs-Abshagen“ an. Ein wichtiger Ort des Widerstandes war ihr Seifenladen in Eimsbüttel, Emilienstraße 30. Hier konnten Fäden zusammenlaufen, Nachrichten weitergegeben und Aktionen geplant werden. Ihr Mann wurde 1942 von der Gestapo verhaftet und zwei Jahre später im Hamburger Untersuchungsgefängnis enthauptet. Die Gestapo nahm Magda Thürey im Oktober 1943 in „Schutzhaft“ und sperrte sie ins Gefängnis Fuhlsbüttel. Der Seifenladen blieb erhalten und wurde von der Gestapo als Falle genutzt, so dass es zu weiteren Verhaftungen kam. Der Gesundheitszustand von Magda Thürey verschlechterte sich zusehends. Sie litt außerdem seit Jahren an multipler Sklerose. Als sie fast bewegungslos war, verlegte man sie auf die Nervenstation des Krankenhauses Langenhorn (heute Ochsenzoll/Klinikum Nord). Von hier konnte sie nach der Befreiung von ihrem Bruder nach Hause geholt werden. Das Ehepaar Thürey ist auf dem Ehrenfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung auf dem Friedhof Ohlsdorf begraben. Bei dem Begräbnis von Magda reichten sich Vertreter von SPD und KPD symbolisch die Hände und versprachen, zukünftig stets die Einheit der Arbeiterbewegung zu wahren.
31. Juli 1945, auf der Elbinsel Finkenwerder
„Polizei-Oberwachtmeister Paul Fischer, 58 Jahre alt, gehörte zu den Polizeibeamten, die keinen ‚Dreck am Stecken’ hatten (und damit der von der britischen Besatzung anerkannten Hamburger Schutzpolizei angehörte, d. V.). Wohnhaft in St. Pauli, Hopfenstraße 7, gehörte er zu den ‚gutmütigsten’, den ‚wirklich netten’ Udels, die man auf St. Pauli und auf der Elbinsel Finkenwerder so kannte. Dort nämlich war Paul Fischers Revier“, so Polizeireporter Ernst Lütcke. Auf Finkenwerder gab es damals noch die Deutsche Werft, auf der bis zu ihrer Befreiung annähernd tausend KZ-Häftlinge und Fremdarbeiter arbeiten mussten und in notdürftigen Baracken hausten. Die jahrelang geknechteten und unterdrückten „Displaced Persons“ entwickelten eine verständliche Wut auf die Deutschen. Es kam zu Raub und Plünderei auf der Elbinsel. Auf einem Streifengang während dieser Zeit ereilte an der Ecke Steendiek/Finksweg Fischer sein grausiges Schicksal.
- Paul Fischer
Eine Augenzeugin gab zu Protokoll: „Es war kurz nach Mitternacht. Ein paar Leute schrieen laut durcheinander. Einer rief etwas auf Deutsch, so was wie ‚Halt, stehen bleiben!’ Andere riefen etwas Ausländisches. Dann knallte es plötzlich. Ich zog ganz vorsichtig die Gardine vor meinem Fenster zur Seite. Da sah ich unsern Udel auf der Straße liegen, und ein paar Männer rannten, schwer bepackt, davon, in Richtung Deutsche Werft. Das waren Ausländer.“ Paul Fischer wurde ein Opfer des heute unvorstellbaren Chaos‘ der ersten Nachkriegszeit. An seinem Todestag, dem 31. Juli 1945, vermeldete das Hamburger Nachrichtenblatt u.a.: „In der Hamburger Hochstraße werden zwei Kinder unter einstürzenden Trümmern begraben. Ein Kind wurde tot geborgen.“
- Ehrengrabstätte für Paul Fischer (Foto: Schulze)
20. Oktober 1945, bei der Leichenhalle an der Jungiusstraße
Gegenüber der ehemaligen Polizeirevierwache 31 an der Karolinenstraße lag das Gelände alter aufgelassener Friedhöfe. Noch fünf Monate nach Kriegsende drängten sich auf engem Raum Baracken, bewohnt von ehemaligen verschleppten Zwangsarbeitern. Dort stand an der Jungiusstraße auch noch die alte Leichenhalle. In den ersten Stunden des 20. Oktobers 1945 wird dem Polizei-Oberwachtmeister Albin Bohn gemeldet, dass mehrere Männer aus dem Barackenlager in die Leichenhalle eingebrochen sind und Diebesgut hineingestellt hätten.
- Albin Bohn
Mit zwei weiteren Polizisten überzeugt sich Bohn von der Meldung und pirscht sich im Schutze alter Grabsteine vorsichtig in Richtung des Nebeneinganges des Lagers, um die Diebe dingfest zu machen. Unerwartet und aus kurzer Entfernung fällt ein Schuss. Die britische Militärpolizei kommt zu spät, die Täter sind im DP-Lager verschwunden und der 44-jährige Polizist Albin Bohn ist tot. Begraben wurde er auf dem Friedhof Ohlsdorf auf der Ehrengrabstätte der Polizei, dem sog. ‚Revier Blutbuche’.
- Ehrengrabstätte für Albin Bohn (Foto: Schulze)
Am selben Tag verurteilte im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee das Oberste Militärgericht der Briten den Kapitänleutnant Heinz Eck, den Leutnant zur See August Hoffmann und den Marinestabsarzt Walter Weißpfennig zum Tode durch Erschießen. Sie waren für schuldig befunden worden, 1944 als Führungsoffiziere des deutschen U-Bootes U 852 im Südatlantik die Überlebenden des von ihnen versenkten griechischen Frachters „Peleus“ mit Maschinenpistolen und Handgranaten ermordet zu haben, als sie sich auf Flöße und Wrackteile gerettet hatten.
- Das Curiohaus war 1945 bis 1947 Schauplatz von Prozessen des britischen Militärgerichts (Foto: Schulze)
4. November 1945, Friedhof Ohlsdorf
Zum Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung fand auf dem Ohlsdorfer Friedhof eine Massenkundgebung statt, veranstaltet vom Komitee ehemaliger politischer Gefangener. Etwa 15.000 Menschen, darunter Delegationen aus 25 deutschen Städten, nahmen daran teil. Zum Abschluss wurde die Urne eines „unbekannten Konzentrationärs“ feierlich enthüllt. „Die Urne hatte eine zentrale Bedeutung“ schreibt Herbert Diercks: „Überlebende des KZ Buchenwald, darunter zahlreiche Hamburger Widerstandskämpfer, hatten auf einem ‚letzten Appell’ am 19.4.1945 geschworen, nie wieder Krieg und Faschismus zuzulassen. Der ‚Schwur von Buchenwald’ wurde weltbekannt. Jede im KZ Buchenwald vertretene Nation nahm je eine Urne mit Aschenresten von in den letzten Tagen des Lagers verstorbenen Häftlingen mit auf den Weg in die Heimatländer, um im Sinne des gemeinsamen Schwurs das Andenken an die dort 56.000 Ermordeten zu erhalten. Ehemalige Hamburger Buchenwald-Häftlinge übergaben diese Urne dem Komitee ehemaliger politischer Gefangener.“ Erst im September 1949 konnte diese Urne wegen politischer Unstimmigkeiten mit anderen in dem bereits im Mai 1949 vor dem Krematorium Ohlsdorf eingeweihten Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung beigesetzt werden.
Quellen:
Herbert Diercks: Friedhof Ohlsdorf, auf den Spuren von Naziherrschaft und Widerstand, Hbg. 1992
Rita Bake/Brita Reimers: Stadt der toten Frauen, Hamburg 1997
Hans Brunswig: Feuersturm über Hamburg, Stuttgart 1994
Ernst Lütcke: Revier Blutbuche 1945–1988, Hamburg 1989
Hellmuth H. Schulz: Schweizer Institutionen und bedeutende Schweizer in Hamburg im Zeitraum 1846 bis 2003, Hamburg 2004
Informationen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, 2005