"Haben wir kein Salz?" fragt der Mann beim Abendessen mit den drei Kindern. Helene, seine Frau, steht auf, geht zum Balkon und stürzt sich wortlos in den Tod. Damit beginnt der Roman "Die Wut, die bleibt" von Mareike Fallwickl. Zurück bleibt eine Familie im Schockzustand: Lola, die 15-jährige pubertierende Tochter, ihre deutlich jüngeren Halbbrüder Lucius und Maxi, der Ehemann Johannes und die beste Freundin Sarah. Der dritte Roman der in Salzburg lebenden Autorin spielt in ihrer Heimatstadt. Es ist Corona-Zeit, die Zeit des Lockdowns. Die Möglichkeiten, sich zu begegnen, sind stark begrenzt. Die engen Freundinnen Helene und Sarah haben sich seit längerem selten getroffen. Gerade in dieser Zeit lastet der Druck auf den Frauen zu Hause, denn die Männer können sich teils in die Arbeit – und damit dem Alltag zu Hause - entfliehen. Somit ist das Buch auch eine Anklage gegen die männliche Dominanz, gegen die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen ihnen den Rücken freihalten. Die Wut wandert zwischen Lola und Sarah hin und her. Es ist eine Wut gegen das Unbegreifliche dieses Suizids, aber auch eine Wut gegen die männerdominierten Normen. Der Leser wird hineingezogen in die Gefühlswelt der Hauptpersonen und verlangt nach Lesepausen. Der Roman beschreibt eindringlich die Entwicklung der jugendlichen Lola zur selbstbewussten Feministin und auch von Sarah, die sich der Kinder annimmt, im Haushalt einzieht und somit eine ganz neue Rolle einnimmt. Momente der Wut wechseln mit berührenden, intensiv erzählten Szenen. Dadurch entsteht eine beeindruckende Authentizität der Trauer. Neben den starken Frauenfiguren ist auch die Struktur des Romans faszinierend. Die Überschriften der einzelnen Kapitel, die zusammenfassen, was im folgenden Abschnitt geschildert wird, stellen abwechselnd Lola und Sarah ins Zentrum. Auch die verstorbene Helene kommt zu Wort, wenn sie mit ihrer Freundin Sarah in einen imaginierten Dialog tritt. Ein bemerkenswertes Buch über die Trauer und den Verlust von Liebe, Fürsorge und Sicherheit. Und über die (weibliche) Wut, die bleibt.
Mareike Fallwickl, Die Wut, die bleibt (Roman), Hamburg 2023.