Wie im Christentum widerspricht auch im Judentum die Selbsttötung den religiösen Vorstellungen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren aber religiös bestimmte Regeln für viele Menschen allmählich an Bedeutung, während gesellschaftliche Konventionen wichtiger wurden.
In der Welt der Geschäftsleute ist die Messlatte bekanntlich der geschäftliche Erfolg. Misserfolg schmälert Ansehen und Ehre, was dann, im Falle des Ruins, so manchen Kaufmann oder Finanzmann dazu bewog, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Eine Anfrage des dänischen Bibliothekars und Autors Per Hofman Hansen, die über den Friedhof beim Förderkreis gelandet ist, führt auf die Spur eines solchen, lange vergessenen Ereignisses. Herr Hansen suchte das Grab des jüdischen Bankiers Siegmund Weisz, der aus Budapest stammte. Dieser hatte ab 1884 in Hamburg ein Bank- und Wechselgeschäft geführt und sich federführend in einem Projekt zur touristischen Erschließung der dänischen Nordseeinsel Fanø engagiert. Als das Vorhaben scheiterte, nahm er sich am 29. Mai 1896 das Leben und wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel bestattet – Grablage B11, 218.
Für die Mitteilung der Grablage bedankte sich Herr Hansen in einer Email mit der folgenden ausführlichen Erklärung: "Der sehr beliebte dänische Schriftsteller und Maler Holger Drachmann (1846-1908) lebte 10 Jahre lang zwischen 1888 und 1898 in Hamburg. Hier lebte er mit der dänischen Freundin Amanda und bekam gute Freunde, darunter … Sigmund Weisz. Drachmann war mehrmals auf Fanø gewesen, um zu malen und für seine schwache Gesundheit zu sorgen. In diesen Jahren, auf Fanø, wie auf Föhr und Sylt, bestand ein Interesse daran, große Badehotels zu gründen. Es erforderte große Investitionen, und hier sah Sigmund Weisz eine große Chance, viel Geld zu machen, weshalb er auch große Summen investierte. Es wurde eine Aktiengesellschaft gegründet, aber um ein größtmögliches Interesse am Unternehmen zu wecken, war es wichtig, dass er gute Beziehungen zu … Persönlichkeiten in Kopenhagen, Berlin, London und anderen Großstädten unterhält. Hier war Drachmann eine große Hilfe, da er alle Liebhaber und Prominenten in Kopenhagen kannte. Drachmann hatte daher eine große Anzahl bedeutender Menschen in Kopenhagen dazu bewegt, 1892 an der Einweihung des großen Kurhotels auf Fanø teilzunehmen, das von den Hamburger Architekten Janda & Puttfarcken entworfen wurde. Ein Sonderzug wurde von Hamburg und Kopenhagen nach Esbjerg arrangiert, und eine exorbitante Party auf Fanø wurde abgehalten, was alles von Weisz bezahlt wurde. Ein anderes Hotel wurde 1894 eröffnet, aber die erwarteten Einnahmen fehlten, für die Weisz verschiedene Spekulationen anstellte und versuchte, alles an englische Investoren zu verkaufen. Es war alles gescheitert, und Weisz sah keinen anderen Weg, als sich in der Nacht vor der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft zu erschießen."1
Mehrere Tageszeitungen, nicht nur in Hamburg, berichteten über den Vorfall und das Scheitern des Projekts. Außer den wesentlichen Tatsachen fand dabei der Redakteur des General-Anzeigers noch den folgenden Umstand bemerkenswert: "Der Selbstmörder hatte einen Brief auf seinem Pult liegen lassen, in welchem sich ein 20 Markstück befand, mit der Weisung, dasselbe der Scheuerfrau zu überweisen, da diese in Folge seines plötzlichen Scheidens aus dem Leben viel Umstände haben würde."2 Ob man wohl daraus Rückschlüsse auf Weisz‘ Persönlichkeit ziehen kann?
Am 31. Mai 1896 wurde Siegmund Weisz auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.3
Sein Grabmal aus dem damals viel verwendeten schwarzen Granit trägt als Inschrift auf der Vorderseite nur seinen Namen. Die Lebensdaten stehen auf der Rückseite. Der obere Teil ist leider umgefallen, liegt aber so, dass man noch darunter schauen kann. Man muss also auf die Knie gehen, wenn man den Namen lesen möchte.
Anmerkungen
1 Email von Per Hofman Hansen vom 21.3.2018
2 General-Anzeiger für Hamburg-Altona, Sonntag 31. Mai 1896
3 Bestattungsregister Friedhof Ohlsdorf
Literatur
Per Hofman Hansen, Holger Drachmann på Fanø, Dänemark 2015
Foto: Petra Schmolinske