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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Mosaik von Miniaturlandschaften: Natur und neue Sepulkralästhetik auf dem Friedhof des 21. Jahrhunderts

Anm. d. Red.: Der folgende Text wurde in voller Länge unter dem Titel "Ein Mosaik von Miniaturlandschaften: Über den Friedhof des 21. Jahrhunderts" erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift "Friedhofskultur" Nr. 102, Heft 6: Juni 2012, S. 21-24. Die hier abgedruckte Fassung wurde gekürzt und überarbeitet.

Die Friedhofskultur befindet sich im frühen 21. Jahrhundert in einem grundlegenden Wandel, wie es ihn seit vielen Jahrzehnten nicht gegeben hat. Wichtigstes Merkmal ist die Auflösung der vertrauten räumlichen Strukturen auf dem Friedhof. Diese waren bislang durch die abgegrenzten Einzel- und Familiengrabstätten als bedeutendstes Ordnungselement vorgegeben. Stattdessen entsteht nun im frühen 21. Jahrhundert ein neuartiges Mosaik von zumeist naturnahen Miniaturlandschaften jenseits der Einzelgrabstätte. Dies korrespondiert mit einer zunehmenden Formenvielfalt von Aschenbeisetzungen.

Bereits das Aufkommen und Verbreitung der anonymen Rasenbestattung war ein Schritt zur Überwindung der Einzel- und Familiengrabstätte und zur räumlichen Neustrukturierung des Friedhofs. Die weitere Entwicklung aber hat die gestalterisch eher eintönig wirkenden namenlosen Rasenflächen überwunden und bringt ein vielfältiges Mosaik naturnah modellierter Miniaturlandschaften hervor. Blicken wir auf einige Beispiele, wie die "Memoriam-Gärten". Erstmals auf der Bundesgartenschau 2009 in Schwerin präsentiert, handelt es sich um Miniaturfriedhöfe innerhalb regulärer Friedhöfe. Die Idee stammt vom Bund deutscher Friedhofsgärtner. Inzwischen gibt es mehrere solcher Anlagen, unter anderem in Aachen, Berlin-Steglitz und -Zehlendorf, Duisburg-Waldfriedhof, Bonn und Saarbrücken-Dudweiler.

Ähnlich ausgerichtet sind so genannten "Bestattungsgärten" in Köln und Bergisch-Gladbach. Es sind themenbezogene Beisetzungsflächen, die sich als Landschaftsgärten en miniature zeigen. Die Gräber sind ohne feste Grenzen gleichsam hinein komponiert. So ist der "Garten der Lichter" im Stil eines japanischen Gartens konzipiert und will der symbolischen Bedeutung brennender Lichter für Trauer und Erinnerung gerecht werden. Über einen weiteren Themengarten, den "Auengarten", heißt es: "Der Auengarten ist ein Bereich, der sich wohl am stärksten von dem gewohnten Friedhofsbild unterscheidet. Abseits von traditionellen Grabstätten mit klar begrenzten Einfassungen, betten sich die Gräber im Auengarten scheinbar verstreut in die gewachsene Landschaft ein" (Zitat nach: www.bestattungsgaerten.de).

In derart gestalteten Wald-, Wiesen- und Gartenflächen lebt das klassische Landschaftsverständnis fort, jedoch in veränderter und miniaturisierter Form. Einerseits knüpfen sie an die Park- und Waldfriedhöfe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an. Andererseits verweigern sie sich deren Weitläufigkeit. Vielmehr erinnern die sepulkralen Miniaturlandschaften auf den Friedhöfen in ihrem Erscheinungsbild zumindest strukturell an die neuen, "künstlichen" Freizeiterlebniswelten der Postmoderne: die "Center Parcs" oder das "Tropical Island". Beide verweisen auf das gesellschaftlich-kulturelle Bedürfnis nach einer homogen gestalteten Landschaft. Aber im Unterschied zu den meist weitläufigen Parks und Landschaftsfriedhöfen der bürgerlichen Epoche möchte man sie gleichsam im Zeitraffer erleben – was die miniaturisierte Form erlaubt. Immerhin zeigen die neuen Anlagen, dass das klassische Landschaftsideal seine Attraktivität auch en miniature zu entfalten vermag.

Andere Beispiele akzentuieren stärker die "ursprüngliche" Natur. Dies gilt etwa für die 2010 im schleswig-holsteinischen Ahrensburg eingeweihte "Wildblumenwiese". Es handelt sich um ein zwei Hektar großes, von der evangelischen Kirchengemeinde verwaltetes Areal, das in seinen Randbereichen als Aschenbeisetzungsanlage dient.

Zu den qualitativ wie quantitativ bedeutendsten Tendenzen zählt derzeit das Baumgrab. Zu den größten Anlagen auf deutschen Friedhöfen gehört der 2006 eingerichtete "Ohlsdorfer Ruhewald" auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf. In der fast unberührten, zwei Hektar umfassenden Waldlandschaft mit ihrem Mischwaldbestand werden um Bäume herum Urnengräber angelegt. Die Namen der Verstorbenen können auf einer einheitlich gravierten Schildertafel ebenso vermerkt werden wie die Bezeichnung für die individuell ausgewählte Baumart. Auf größere Pflegearbeiten wird in diesem Areal – abgesehen vom saisonalen Mähen des sprießenden Grases – ausdrücklich verzichtet, um den urtümlichen Charakter der Waldlandschaft zu erhalten. Blumenschmuck und Gestecke können entlang des Erschließungsweges abgelegt werden.

Blicken wir zurück in die Anfänge des "neuen Friedhofs" im 21. Jahrhundert. Zu den Pionieranlagen gehört der 2001 eingerichtete "Garten der Frauen" auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Mit ihm wird zugleich der gesellschaftliche Aspekt neuer Bestattungskultur deutlich: Statt der klassischen familienbezogenen Grabstätte entwickeln sich Anlagen, die von neuen sozialen Gruppierungen mit eigener Identität geprägt sind – wie hier innerhalb der Frauenbewegung. Der flächenmäßig inzwischen deutlich erweiterte "Garten der Frauen" vereint Grabstätten für Mitglieder des gleichnamigen Vereins mit museal aufgestellten Grabdenkmälern bedeutender Hamburgerinnen. Damit wird er auch zum sepulkralen Freilichtmuseum. Zur Anlage gehören Erläuterungstafeln, Ruhebänke und vor allem vielfältige gartenarchitektonisch-gestalterische Elemente, die den Begräbnisplatz als naturnah modellierte Miniaturlandschaft erscheinen lassen.

Karlsruhe
Miniaturlandschaft "Mein letzter Garten", Hauptfriedhof Karlsruhe.

Foto: N. Fischer

Ein weiteres wegweisendes Beispiel: Auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe wurden 2003 und 2007 unter dem Titel "Mein letzter Garten" neuartige Bestattungsflächen für Aschenbeisetzungen (teils auch für Sargbeisetzungen) in einer homogen gestalteten Miniaturlandschaft geschaffen. Point de vue ist ein von Granitblöcken eingefasster Wasserfall, dem sich ein trocken gefallenes Bachbett als Symbol für das versiegende Leben anschließt. Des Weiteren prägen Felssteine, geschwungene Wege, alter Baumbestand und Rasenflächen die Karlsruher Beisetzungslandschaft. Dabei wurde die eher reißbrettartige Anordnung von Einzelgräbern aufgegeben. Vielmehr sind die Grabstätten als Gemeinschaftsanlagen konzipiert. Auf kollektiven Erinnerungsmalen aus Stein und Holz – darunter ein künstlerisch gestalteter Eichenstamm – wird der Verstorbenen namentlich gedacht.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wie bei der Friedhofs- und Bestattungskultur im Allgemeinen, so ist auch in der Grabstättenkultur im Besonderen ein Zeitalter zu Ende gegangen. Sowohl die klassische Familiengrabstätte als auch das einzelne Reihengrab haben an Bedeutung verloren. Sie waren Ausdruck des bürgerlichen Zeitalters, dessen Anfänge in der Zeit um 1800 lagen und das die Grabmalkultur bis weit ins 20. Jahrhundert geprägt hat. Insgesamt lässt sich von den Anfängen einer neuen Sepulkralästhetik sprechen.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Grab und Landschaft (Februar 2013).
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