Bis vor wenigen Jahren konnte man glauben, es bestehe kein Interesse mehr am Bau von bürgerlichen Mausoleen auf Friedhöfen.
Man konnte diese Bauten sogar für eine veraltete Form der Sepulkralkultur halten, die hundert Jahre zuvor ihre Blütezeit hatte. Während der Gründerzeit ließen nämlich auf vielen Friedhöfen zu Geld gekommene Unternehmer, Kaufleute, Ärzte und Akademiker solche repräsentativen Begräbnis- und Erinnerungsräume errichten; erinnert sei zum Beispiel an den Kapellenberg auf dem Kieler Südfriedhof.
Auch in Ohlsdorf entstanden zwischen 1897, als die kleine Kapelle der Familie Philipp (Y 13) entstand, und 1926, als zuletzt das offene Mausoleum der Familien Peper und Hegel errichtet wurde, insgesamt sechzehn größere und kleinere Grabgebäude. Zeitweise war der Baulärm so störend, dass der erste Friedhofsdirektor Wilhelm Cordes einen besonderen Bereich längs der nördlichen Friedhofsgrenze für solche Neubauten auswies. Dass nach 1926 bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts keine neuen Mausoleen mehr errichtet wurden, gehört sicher zu den Folgen der beiden Weltkriege und der zwischenzeitlichen Inflation, zugleich änderten sich aber auch die Einstellungen: Soziale Gleichheit erhielt ein größeres Gewicht im gesellschaftlichen Diskurs.
In den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stieg dann die Nachfrage nach prächtigen Grabbauten auf dem Ohlsdorfer Friedhof wieder an und natürlich wirft das auch ein Licht auf die neuen Prioritäten unserer Gesellschaft. Bis 2004 wurden alle ungenutzten historischen Mausoleen an Grabmalpaten neu vergeben und seitdem sind fünf neue Mausoleen erbaut worden. Ein weiteres befindet sich gerade in der Planungsphase. Damit waren fast achtzig Jahre vergangen, in denen diese Art der Erinnerungssetzung mehr oder weniger ungewöhnlich und möglicherweise sogar verpönt war. Als im Jahr 2005 das Mausoleum der Familie Ritterbusch (Grablage S 22) als erstes fertiggestellt war, rückte mit diesem Neubau sowohl der Gedanke einer "bleibenden" oberirdischen Stätte – also eines ewigen oder mindestens sehr dauerhaften Ortes – für die Toten der eigenen Familie wieder in den Vordergrund, als auch der Aspekt einer, wenn nicht protzigen, so doch aufwändigen Selbstdarstellung und Repräsentation der eigenen Person bzw. Familie.
Für das Ehepaar Ritterbusch war übrigens der Grund für ihre Entscheidung laut Selbstaussage zum einen der Wunsch weder eingeäschert noch in der Erde begraben zu werden, zum anderen die Suche nach einem pflegeleichten Grabplatz (sic!). Im Raum Hannover – die Familie wohnt in Helmstedt – hatten die Friedhofsverwaltungen sich übrigens entweder geweigert einem Mausoleumsbau zuzustimmen oder sich um die Anfragen des selbstständigen Steuerbevollmächtigten gar nicht erst gekümmert.
- Mausoleum Ritterbusch. Foto: B. Leisner
In Ohlsdorf erwarb er einen fünfstelligen Platz in der Nähe der Kapellenstraße. Nicht weit davon war 1925 das Mausoleum der Familie Stupakoff in Form eines kleinen antiken Tempels aus rotem Granit errichtet worden. Der Architekt hatte dabei auf die klassische Form eines griechischen Antentempels zurückgegriffen. Auch das neue Mausoleum ist als eine Art Tempel gestaltet worden. Allerdings verwendet der Architekt, Dipl. Ing. Axel Mikolajek aus Wolfsburg, nur noch Versatzstücke aus der antiken Baukunst. Schon die vorgestellte Pfeiler- und Säulenfront, die im Prinzip der antiken Idee des Antentempels entnommen ist, widerspricht ihr zugleich, da die beiden Außenwände nicht bis zur Frontlinie vorgezogen sind. Damit fehlt der architektonische Grund für den Wechsel zwischen den beiden seitlichen Pfeilern und den zwei runden Säulen in der Mitte. Diese beiden glatten und geraden Säulen wirken außerdem sehr kahl, da nur schlichte dünne Platten anstelle kunstvoller Kapitelle den Übergang zwischen dem tragenden Element der Säule und dem aufliegenden Gebälk vermitteln. Das Gebälk selbst übernimmt in vereinfachter Form das antike Zahnschnittmuster. Abgeschlossen wird das kleine Gebäude von einem flachen Dreiecksgiebel, in dem die Inschrift "hora ventura est" (die Stunde wird kommen) den Betrachter an den Tod gemahnt. Hinter der schlichten aber trotzdem repräsentativen Frontseite erhebt sich ein breitrechteckiges Gebäude, das mit demselben hellen Sandstein verkleidet ist, aus dem auch die Front besteht. Eine breite Tür führt hinter den Säulen in den Innenraum. Die Familie Ritterbusch hat die Grabstätte für den Zeitraum von fünfzig Jahren erworben und selbstverständlich gibt es danach die Möglichkeit die Ruhefrist zu verlängern. Wird darauf allerdings kein Anspruch erhoben, kann die Friedhofsverwaltung das Mausoleum in Form einer Grabpatenschaft weiter vermitteln.
- Mausoleum Braun. Foto: B. Leisner
Vielleicht war dieser Neubau so etwas wie ein Startzeichen für andere, die ebenfalls nach einem ungewöhnlichen Grabplatz Ausschau hielten. Jedenfalls wurden schon zwei Jahre später drei weitere Neubauten auf dem Friedhof errichtet (Mausoleum Braun, S 25, Sanne, AA 18 und Trumm, R 25). Selbstverständlich mussten in allen Fällen die Pläne für die neuen Gebäude der Friedhofsverwaltung vorgelegt werden. Im Genehmigungsverfahren wurden dann Standort und Gestaltungsfragen erörtert. Außerdem sind bei jedem Bau auf dem Friedhof Vereinbarungen getroffen worden, die den Betrieb der Baustelle regeln. Zum Beispiel muss die Bautätigkeit bei Beisetzungen in der Nähe unterbrochen, Lärm vermieden und Abfälle und Planen sofort weggeräumt werden. Auch die Bepflanzung wird vorher festgelegt.
- Mausoleum Sanne. Foto: B. Leisner
Alle drei Bauten benutzen ebenfalls antikisierende Elemente als Schmuckformen. Dabei können sie allerdings nicht verbergen, dass sie im Grunde auch nur aus einem schlichten rechteckigen Raum bestehen, der mit einem mehr oder weniger steilen Satteldach abgedeckt und mit einer vorgesetzten Fassade nobilitiert ist. Selbst Säulchen und Dreiecksgiebel, mit denen die historische Würdeform des Tempels imitiert wird, können kaum über diesen Eindruck hinwegtäuschen. Das Mausoleum Trumm ist wie der Bau der Familie Ritterbusch mit hellem Sandstein verkleidet. Seine Mauern ragen direkt aus der Erde hervor und der kleine Fassadenvorbau mit seinen dünnen Säulchen wirkt anstelle eines Eingangs zu einem sepulkralen Sakralraum mehr wie das Schutzdach eines Einfamilienhauses. Dabei hatte sogar schon die Friedhofsverwaltung den geringen Umfang der Säulchen moniert, allerdings nur mit dem Erfolg, dass dieser von 10 auf ca. 15 cm erhöht wurde.
- Mausoleum Trumm. Foto: B. Leisner
Derselbe Architekt, Jürgen Quast, verantwortet auch den Entwurf des mit rötlichem Granit verkleideten Mausoleums Braun, dessen Fassade über die ganze Vorderseite reicht. Dadurch, dass das Gebäude auf einem – vorne zweistufigen – Sockel steht, ist es deutlicher aus seiner Umgebung herausgehoben. Zugleich wird es durch den Wechsel zwischen der roten Granitverkleidung und den schwarzen Granitsäulen belebt. Sie tragen den Giebel und ihr Material wiederholt sich in zwei umlaufenden horizontalen Bändern in der Außenhaut. Auch die große zweiflügelige Eingangstür übernimmt in ihrer Kassettierung diesen Farbwechsel.
Während diese beiden neuen Gebäude im Waldteil liegen und damit hinter den Rhododendren verborgen sind, ist das Mausoleum Sanne – geplant und ausgeführt von Dipl. Ing. Axel Bobis aus Hamburg – an einem äußerst spektakulären Ort errichtet worden, nämlich auf einer Freifläche im parkartigen Bereich östlich des Nordteiches, dort wo ehemals die Ausläufer des "Geologischen Hügels" zu finden gewesen sein müssen. Schon, dass hier überhaupt gebaut werden durfte, erscheint problematisch, da an dieser Stelle jedes Gebäude den freizügigen Blick in die Parkanlage stört. Dazu kommt, dass das Mausoleum selbst nicht gerade ein dezentes Bauwerk ist, das sich zurückhaltend in die Landschaft einpasst. Zwar wirkt das quadratische Gebäude nicht ganz so garagenähnlich wie die beiden letztgenannten. Es ist ebenfalls auf einem Steinsockel errichtet und der kleinere rechteckige Vorbau ist zweimal abgestuft, so dass die Front sehr lebendig vor und zurück schwingt. Doch die Mauern sind ganz mit unruhig wirkenden, bossierten hellen Steinquadern überzogen, und zugleich sind alle Kanten mit dunklen Quadern abgesetzt, die wie beim Zahnschnitt in die hellen Steinwände hineinreichen. Dadurch und da der Eingang, ebenso wie eine eingesetzte dreieckige Giebelform über der Tür und die Ränder der ebenfalls gestuften Dachgiebel breit mit demselben schwarz-grauen Stein bzw. in dieser Steinfarbe abgesetzt sind, ist ein sehr unruhiges Gesamtbild entstanden. Letzteres wird noch dadurch unterstrichen, dass in die seitlichen Abstufungen schräge, natürlich ebenfalls dunkel abgesetzte Fensterlaibungen eingeschnitten sind. Die verglaste, doppelflügelige Tür und das kleine Fenster im Giebel verstärken diesen Eindruck noch, so dass man sich wünschen würde, dass der Blick auf dieses Gebäude wenigstens etwas mehr von Rhododendren verstellt würde.
Auch das zurzeit letzte neue "Gebäude" auf dem Friedhof erhielt einen geradezu spektakulären Platz – allerdings in jenem Bereich, der einst für Mausoleen ausgewiesen worden ist und daher historisch gesehen problemlos ist. Es steht an dem kleinen Teich in unmittelbarer Nähe des großen ehemaligen Mausoleums Schröder, für das die Familie Kretschmer die Patenschaft übernommen hat. Für den Neubau wurde sogar die Plastik "Das Schicksal" von Hugo Lederer beiseite gerückt. Das Wort Gebäude ist deshalb in Anführungsstriche gesetzt, weil hier den übrigen neuen Mausoleen, die ihren schlichten architektonischen Entwürfen mit applizierten Antikenzitaten Würde zu verleihen suchen, eine ganz andere Idee entgegensetzt wird.
- Mausoleum Gundlach. Foto: P. Schulze
Bauherr ist der international bekannte Fotograf und Stifter Prof. F. C. Gundlach, der im Jahr 2008 einen offenen Kubus von 3x3x3 Metern Kantenlänge aus Beton errichten ließ. In diesem Kubus ist ein rechteckiger Betonkasten für seinen Sarg eingestellt, der später Namen und Lebensdaten des einmal dort Bestatteten tragen wird. Die den Sarglängsseiten gegenüberliegenden Seiten des Kubus sind dabei offen geblieben, so dass man durch sie wie durch einen Rahmen hindurch und auf diese Zellengruft schauen kann. Sein Werk und damit sich selbst hat der Fotograf auf einer der beiden Außenseiten des Kubus durch ein Modefoto von 1966 repräsentieren lassen, das ihn bekannt gemacht hat. Umgesetzt ist es durch das Spiel von erhöhten und vertieften Linien, die in den Beton eingearbeitet sind und ein Schattenbild erzeugen. Es zeigt zwei Frauenköpfe mit Badekappen vor den Pyramiden von Gizeh und reflektiert damit auch die Idee streng geometrischer Körper als Grabstätten, allerdings modisch gebrochen. Und man darf sich natürlich fragen, ob und wieweit der Vergleich zwischen der Berühmtheit des Bauherrn dieser Grabstätte und jener der Erbauer der Pyramiden beabsichtigt ist. Der Entwurf, der von dem Architekten Roland Poppensieker stammt, wurde übrigens 2008 zu den 100 besten Architekturentwürfen Deutschlands gezählt (Architectural Digest).
Noch in diesem Jahr soll auf dem sogenannten Lippertplatz, der seinen Namen von dem nahen Grabmal der Familie Lippert hat, ein weiteres Mausoleum entstehen. Standort ist damit einer der zahlreichen von einer Straße eingefassten Plätze, auf denen Wilhelm Cordes seine Kapellen errichten wollte. Allerdings wurde dieser Platz nie bebaut. Ob es eine gute Idee ist, ausgerechnet diese baumbestandene Freifläche dezentral mit einem neuem Gebäude zu besetzen, wird sich spätestens dann zeigen, wenn das geplante Mausoleum fertiggestellt ist. Im Prinzip ist auf jeden Fall zu wünschen, dass für solche Kleinbauten nicht die prominenten Freiflächen des Friedhofsgeländes sondern jene aufgelassenen großen Familiengrabstätten genutzt werden, die versteckt im Waldteil liegen. Das zukünftige Gebäude soll ebenfalls in "moderner Kubatur" ausgeführt werden, wie von der Friedhofsverwaltung zu erfahren ist. Anzumerken ist allerdings, dass diese moderne Kubatur spätestens eine Erfindung der zwanziger Jahre ist, als das Dessauer Bauhaus diesen Architekturstil beförderte. Insgesamt steht zu hoffen, dass die Friedhofsverwaltung für weitere Neubauten von vornherein in Absprache mit der Denkmalpflege bestimmte Bereiche bzw. Grabstätten des Friedhofs ausweist und dass zum anderen die architektonische Qualität der Kleinbauten sich weiterhin kontinuierlich erhöht.