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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Leben auf dem Friedhof?

Wer immer (womöglich im Zweifel) diese titelgebende Frage stellen sollte, würde als unmittelbare Antwort ein entschiedenes Ja zu hören bekommen – zumindest vonseiten der Verfasserin, welche als Französin mit Wahlheimat Hamburg schon lange engagiertes Mitglied des Förderkreises ist und seit gut vier Jahrzehnten in Klein-Borstel und damit in direkter Nähe vom Ohlsdorfer Friedhof lebt.

Im Vergleich zu den oft trostlosen Friedhöfen Südeuropas sind deutsche Ruhestätten allgemein in wesentlich mehr Grün eingebettet – was natürlich ganz besonders für den größten Parkfriedhof der Welt gilt! Im Folgenden sollen nun ein paar Überlegungen zu dem Thema durch eigene Erfahrungen und Beobachtungen vor Ort ergänzt werden. Alle Bilder dieses Beitrages sind dort entstanden.

1. Die Lebenskraft eines Naturraums

Kaum ein Ohlsdorfer Friedhofsbesucher lässt das faszinierende Schauspiel der Jahreszeiten kalt: Ist nicht gerade das sprießende Frühlingsgrün auch ein eindeutiges Symbol für Erneuerung und Lebenskraft? Nicht ein Wunder, jedes Jahr aufs Neue diese blühende Pracht der Azaleen und Rhododendren? Die herrlichen Farben des Laubes im Herbstlicht? Und dann, auf einmal: der Zauber des frischen Schnees über dem inzwischen kahlen, oft düster gewordenen Friedhof.

Rhododendron
Farbenprächtige Rhododendronblüte auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Foto: Behrens

Vor dem Hintergrund eines immerwährenden Vegetationswechsels einer sehr reichen Flora, deren vielfältige Spezies oft aus den entferntesten Ecken der Welt stammen, lassen sich zudem Lebenszeichen und Überraschungen der dort beheimateten Fauna entdecken. Neben Eichhörnchen, Feldmäusen, Fröschen oder Wildgänsen machen hier auch Maulwürfe keinen Halt vor gepflegten Grabbeeten; noch in den 1970er Jahren konnte man im Bereich der Kapelle 13 ein Fasanenweibchen hinter einem Grab in 50 Meter Entfernung der Bramfelder Chaussee beim Brüten beobachten... Und bei einem späten Spaziergang durch den Friedhof kann es auch heute noch passieren, dass man einen ahnungslosen Feldhasen aufschreckt.

Eine ganz besondere persönliche Erfahrung war für mich vor etwa zehn Jahren ein spätabendlicher Besuch in Begleitung von Beobachtern des Naturschutzbundes Hamburg: An jenem Juni-Abend durften wir auch nach 21 Uhr am Lippertplatz in aller Ruhe (und trotz der vielen Mücken!) sitzen bleiben, um dann, umgeben vom großstädtischen Verkehr, die Tierwelt dieser Friedhofsoase in der Stille der langsam eintretenden Dämmerung zu erleben: die noch lange hin und her fliegenden und rufenden Vögel; die ersten Fledermäuse, einen über die Waldstraße laufenden Iltis (oder Marder?), um danach, weit hinter dem Auto meiner Begleiter und in völliger Finsternis, alleine mit dem Rad den Weg bis zum Hauptausgang zurückzufahren.

Da die meisten Vierbeiner und Kleinsäuger überwiegend nachtaktiv sind, werden sie leider selten vom "normalen" Besucher erlebt. Ahnt der etwa, dass der Friedhof sieben Arten Fledermäuse, sowie 284 Arten von Nacht- und Kleinschmetterlingen zählt (darunter in Hamburg allein 89 nur in Ohlsdorf)? Weiß er, dass an mehreren Standorten Bienenvölker gepflegt werden? Dass hier unter den vielen Vierbeinern wie Mardern, Füchsen und Rehen neuerdings sogar Waschbären gesehen wurden? Dass außerdem ein Friedhofsjäger für das Gleichgewicht dieser vielseitigen Fauna zuständig ist?

Kürzlich stand in der "Welt" (18.10.2011, S. 31) unter einem sehr treffenden Titel ein schöner Artikel von Bettina Albrod: "Ohlsdorf, der Friedhof der Wildtiere. Dort, wo Hamburg seine Toten begräbt, herrscht ein reges Tierleben." Der Engländer David Potter, seines Zeichens ein begnadeter (und geduldiger!) Filmemacher, hat sich über zehn Jahre auf die Lauer gelegt, um, wie Frau Albrod schreibt, jenes Tierleben "filmisch festzuhalten". Und wer seinen wunderbaren Film "Naturerlebnis Ohlsdorfer Friedhof – spannendes Tierleben mitten in Hamburg" gesehen hat, wird manche großartigen Szenen nicht so leicht vergessen – etwa den Fuchs, der im Morgengrauen beim Fischfangen am Teich ertappt wird; auch nicht den gut zwei Kilo schweren, jungen Uhu, der sich am helllichten Tag auf das schwimmende Holzkreuz einer Vogeltränke setzen und trinken will, dabei ein unfreiwilliges Bad nimmt und entsprechend durstig davonfliegt!

Wer sich über den Gesang der ersten Amseln oder Singdrosseln freut, kann im Mai und Juni im Rahmen einer der beliebten NABU-Führungen "Was singt denn da?" einige der 95 auf dem Friedhofsgelände gesichteten Vogelarten (darunter 67 Brutvögel) kennen lernen. Spechte und Kleiber sind in dieser Zeit leicht zu hören, manchmal auch zu sehen. Die augenfälligsten Bewohner des Friedhofes sind Enten und Wildgänse; im Frühjahr trifft man letztere als ganze Familien mit ihren Jungvögeln auf den Wegen dicht am Wasser, im Winter überqueren sie gemächlich die Straßen, ohne Angst vor den Autos. Vielleicht erinnert sich in diesem Zusammenhang noch jemand an die zwei eleganten schwarzen Schwäne aus Australien, ein Geschenk der Königin Elisabeth an Hamburg: Um 1970 belebten sie eine Zeit lang den "Schwanensee" – wie der Nordteich damals (aus gegebenem Anlass!) bei uns hieß, bekamen aber leider ihre Brut zur falschen Jahreszeit. Beherzte Besucher versuchten zwar, die Jungvögel durch den Winter durchzufüttern – aber wohl umsonst.

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Der in Ohlsdorf auf einem Grabmal nistende Uhu. Foto: Behrens

Der aufregendste aller Ohlsdorfer Vögel bleibt jedoch der größte Raubvogel Europas: der Uhu. Das Männchen ist 65 cm, das Weibchen 70 cm groß; ein Paar beansprucht als Revier 300 ha für sich allein. Eines der wenigen im Hamburger Raum lebenden Paare ist seit Jahren hier ansässig, im Winter hört man sie einander rufen. Mehrere Jahre lang brütete das Weibchen im Waldgebiet des Friedhofs hoch auf einer Kiefer in einem übernommenen Nest, das eines Tages durch ein Gewitter zerstört wurde; erst Jahre später nahm sie den dann für sie neu gebauten Brutkasten an. Zwischendurch brütete sie einmal direkt am Boden: Um sie und ihren Nachwuchs dort zu schützen wurde der Eingang der Grabstätte Woermann eine Zeit lang gesperrt und mit großen Rhododendren bepflanzt. Manche Naturfreunde erinnern sich noch an das Drama, als der Uhu-Vater, Jäger und Ernährer der Familie, plötzlich starb – durch das tägliche (und wochenlange) Verfüttern von tiefgefrorenen Küken konnten die Jungvögel jedoch gerettet werden. Danach wählte das Weibchen als "Nest" den Blumentrog des Grabmals Brach, so dass man über Wochen (unter Aufsicht des NABU) zwar nur von weitem, dafür jedoch in Augenhöhe, das faszinierende Heranwachsen der drei kleinen Uhus mitverfolgen konnte. Zum Glück wurde dieses einmalige Erlebnis (im Jahr darauf gab es keinen Nachwuchs) von Naturliebhabern oder -experten festgehalten; die hier abgebildeten Uhu-Bilder sind uns von einem leider unbekannten Naturfreund geschenkt worden...

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Der 3 Kilo schwere, ausgewachsene Uhu auf einer Grabstele auf dem Friedhof Ohlsdorf. Foto: Behrens

Ist das alles nicht Leben und Lebenskraft auf dem Friedhof? Es gäbe der Beispiele noch so viele, etwa, wenn Anfang April – anlässlich des chinesischen Ehrentags für die Toten – ein Eichhörnchen das frisch ausgebreitete Obst in Unordnung bringt, indem es an einem der Äpfel knabbert; oder, symbolisch: wenn auf einem Grab ein bronzener Pflanzentrieb dem Winterschnee trotzt. In diesem Sinne ist die Initiative des Ohlsdorfer Naturlehrpfads an der Cordes-Allee (eröffnet am 6.5.1999) mit seinen 23 Stationen vom Südteich bis hinter der Kapelle 4 nicht nur für Kinder begrüßenswert.

Chinesengrab
Kulinarische Gaben auf einem chinesischen Grab. Foto: Behrens

2. Die Lebensspuren der Friedhofsbesucher

An erster Stelle sollte man an die vielen, oft unsichtbaren, verwaltenden Menschen denken, die hier täglich arbeiten, um den 391 Hektar großen Ohlsdorfer Friedhof zu pflegen und für die Öffentlichkeit in Ordnung zu halten. Zwar wirken in der allgemeinen Ruhe die Rasenmäher gelegentlich eher störend; auch die zunehmend zum Einsatz kommenden Motorlaubbläser sind im Herbst nicht zu überhören. Aber die riesigen Rasenflächen müssen regelmäßig gemäht, die vielen Kriegsgräberanlagen einheitlich gepflegt und tonnenweise Laub und Abfälle gesammelt werden, ehe man diese als Kompost und Baustoff weiterverarbeiten kann. All das, sowie zahlreiche Bauarbeiten verschiedenster Art, erledigen die fleißigen Mitarbeiter des Friedhofsgeländes – sowie vieles mehr, das man mitunter dann bemerkt, wenn beispielweise eine Straße wegen neuer Wasserleitungen gesperrt werden muss. Als es vor vierzig Jahren weniger Autos, noch kein Fahrrad und nur Laubharken gab, war um den Totensonntag großer Betrieb auf dem Friedhof: Damals verdienten viele Schüler ihr Taschengeld bei den Blumenläden und zogen für den Kunden Tannenzweige und grüne Wintergestecke auf flachen Karren bis zum Grab.

Obdachlos
Grafitto auf einem historischen Grabstein. Foto: Behrens

Es gibt einzelne Friedhofsbesucher (die Presse berichtet gerne davon), die unerwünschte Spuren hinterlassen – sei es, indem sie sogenannte "schwarze Messen" abhalten, oder wie in letzter Zeit mehrfach geschehen, Gräberteile stehlen oder die Gräber in anderer Form beschädigen. Im Eingangsbereich wurden vor Jahren regelmäßig Grabssteinskulpturen beschädigt, indem ihnen Nase und Finger abgeschlagen wurden. Anders, wennschon ebenso traurig war es, im September 1994 die Worte "Obdachlos als Leiche" auf einem Grabmal im Heckengartenmuseum zu entdecken. Und wie unheimlich, als im August 2002 die schöne "Sinnende" beim Grabmal Köser von 1927 – eine weiße Marmorskulptur von Richard Kuöhl, die von Süden betrachtet schon von weitem zu sehen ist – auf einmal mit dem Gesicht auf dem (zum Glück weichen!) Boden lag... Oder war dieser Sturz etwa allein durch Wind und Zeit geschehen? Ab und zu gibt es etwas lustigere, unvorhergesehene Situationen. Bei einer Führung für eine mit der Bahn aus Lüneburg angereiste Frauengruppe brachte eine der Damen ihren kleinen Hund an der Leine mit, der sich jedoch vorbildlich benahm; bei einer anderen Führung für in Hamburg lebende französische Familien gingen die jugendlichen Teilnehmer langsam und weit hinter der Gruppe – mit ihrem Fußball: Schließlich hatten sie gehört, der Park-Friedhof sei etwas "ganz anderes" als in Frankreich! Wieder ein anderes mal ging ein schwarz bekleideter junger Mann mit einem erstaunlich flinken Haustier an der Leine durch den Friedhof spazieren – es war ein Frettchen!

Schallplatte
Eine marmorne Schallplatte auf dem Grabmal eines Musikers. Foto: Behrens

Die häufigsten Besucher eines Friedhofs bleiben jedoch die Trauernden. Auch sie lassen oftmals sehr persönliche Spuren am Grab zurück und öffnen so den Raum für Trauer oder Erinnerung. Mit der Zeit lernt man auf solche Details zu achten. Allein schon die ausgefallene Gestaltung eines Grabmals vermag die Stärke der Beziehung, die Lebendigkeit der Gefühle zu zeigen. So kann man vielleicht folgende Grabstellen betrachten: den großen verrosteten Anker des Grabmals August Winkler von 1917 südlich des Rosengartens; die übergroße marmorne Schallplatte des "Unforgettable Mr. Music" Thomas Czayka (1953-2006) in der Nähe der Kapelle 6 oder ein namenloses, riesiges Mobile im Bereich der Kapelle 13, das sich beim leichtesten Stoß in jede mögliche Richtung bewegt. Hinzu kommen die zahllosen Grabstätten, in deren unmittelbarer Nähe sich kleine "Ergänzungen" finden lassen: Etwa am Rosengarten eine kleine eiserne Fee oder Prinzessin für die junge "Nina"; oder die Baumratten-Skulptur mit (fast) echten Barthaaren und Krallen neben dem Grabstein von Dr. h.c. Erna Mohr im Garten der Frauen.

Tennis
Ein Tennisschläger auf dem Grab von Herby. Foto: Behrens

Darüber hinaus beweisen auch bescheidenere Lebensspuren bzw. Attribute, wie individuell Lebende an die Toten denken können: mit einem HSV-Fähnchen, bunt bemalten Marienkäfersteinchen, sorgfältig und in einer Reihe um das Beet gelegte Tannenzapfen, mit schön eingeordneten Kastanien auf dem Würfelgrab "Bobo", andernorts mit vielen Fahnen, einem Fußball oder allerlei Spielzeugen; mit einer liebevollen, an einen Zweig gehängten Kinderzeichnung an Opas Grab, einem verzierten Tannenbäumchen zu Weihnachten, einem Weihnachtsmännchen nebst "Herbys" eigenem Tennis-Schläger, einem Osterhäschen zu Ostern und, immer häufiger, Ostereiern. Man geht bedächtiger, gerührt an solchen Grabsteinen vorbei – und erfährt Ähnliches auf dem Gedächtnis-Friedhof, wenn man eine Kette um dem Grabstein vom Schauspieler Robert Nhil entdeckt, oder ein Stück Kuchen, sauber hingelegt am Fuß der Christus-Figur oder auch eine bunte Origami-Girlande sechzig Jahre (1945-2005) nach Hiroshima.

Osterhase
Ein Osterhase auf dem Grabmal Förster. Foto: Behrens

Umso mehr lächelt man über skurrile Dekorationen, die einem unerwartet (und gar nicht selten) ins Auge fallen. Etwa über einen am bzw. auf dem Grab stehenden Gartenzwerg, einen Hasen vor einem Grab "Förster", die ausgefallene Inschrift "Zwischenstation", eine künstliche rote Rose in der Hand einer steinernen, nachdenklichen Schönheit – oder über eine Brille, die jemand auf die Nase einer Statue gesteckt hat. Ein humorvoller Besucher hatte sich sogar einmal getraut, einen gefundenen Ohrenschützer auf den Kopf der armen "Trauernden" vom Bildhauer Kuöhl zu setzen!

Zwischenstation
Kurze Grabinschrift: "Zwischenstation". Foto: Behrens

Doch ist die Trauer nicht der einzige Anlass für einen Besuch auf dem Ohlsdorfer Parkfriedhof. Die einen laufen täglich ihre Runde in der frischen Luft. Andere suchen sich zum Lesen eine schöne, ruhige Stelle auf einer sonnigen Bank im Rosengarten oder am Wasser, oder sie spielen Schach – wie ein junges Ehepaar vor knapp achtzig Jahren, kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes. Kenner wissen genau, wo und wann leckere Beeren, Pilze und Kastanien zu sammeln sind. Auch Sportler wurden (werden noch?) ab und zu auf dem Friedhof gesehen – mindestens wird es davon erzählt: beim Angeln am Prökelmoorteich; beim Schlittschuhfahren auf dem Eis oder mit Langlaufschiern im tiefen Schnee, mit Rennfahrrad oder Inline-Skates im Sommer. Allerdings ist nicht alles offiziell zugelassen, wenn nicht gar ausdrücklich verboten.
Am "Tag des Friedhofs", Mitte September, stellen sich jedes Jahr alle Mitarbeiter und sämtliche Gewerbe, Bestattungsinstitute und Gärtner sowie der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, Garten der Frauen, NABU und viele weitere Institutionen des Ohlsdorfer Parkfriedhofs vor.

Lesung
Eine Dichterinnenlesung auf dem Friedhof. Foto: Behrens

Bei dieser Gelegenheit herrscht pralles Leben bei buntem Programm mit Musik, Reden, Essen und Trinken, Spielen, Kutschenfahrten und Märchenerzählungen; 2009 wurde sogar leidenschaftlich Tango getanzt! Darüber hinaus gibt es im Lauf des Jahrs regelmäßige Führungen über den Friedhof, vor allem im Sommerhalbjahr; zu bestimmten Anlässen finden auch Lesungen statt – einmal sogar nachts bei Fackelschein. Nicht zu vergessen sind die vielen Erinnerungsfeiern für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, wie am 25.4.2003 im Bereich der Kapelle 13 das beeindruckende "Europa auf Ohlsdorf", unterstützt mit Chormusik, für die Kriegsgräber verschiedener Nationen und mit bunten Schildern für jede Nation. Auch erwähnenswert sind Konzerte, wie zum Beispiel am 28.6.2003 in der Kapelle 10 mit dem polnischen Collegium Majorum aus Stettin; oder die Posaunenchöre, die regelmäßig eine halbe Stunde vor dem monatlichen Sonntagsgottesdienst auf dem Friedhof, sowie am Totensonntag eine ganze Stunde an jedem Eingang spielen.

Zu guter Letzt seien noch die Grabbesitzer erwähnt, die gerne auf dem Friedhof feiern. Wie in Russland und den osteuropäischen Ländern in regelmäßigen Abständen üblich, trauern auch hier manche orthodoxe Christen bei Speis und Trank am Grab ihrer Angehörigen. Fragwürdig mag es manchem, vor allem trauernden Besucher dennoch erscheinen, wenn der Besitzer eine richtige Party bei seinem Mausoleum organisiert – mit Zelt und/oder gedecktem Tisch, Oldtimern auf dem Rasen, sogar mit Jagdhörnern; man kann es schon anders machen.

Im Jahr1998 übernahmen auch mein Mann und ich eine Grabmalpatenschaft auf dem Ohlsdorfer Friedhof, ein Werk des Bildhauers Arthur Bock von 1908. In Halbkreisform, mit steinernen Rosen und einem Kreuz, in schöner Lage unter Kiefern und dicht bei den Uhus gelegen, lädt die schlichte Bank einfach zum Sitzen ein. Als im Mai 1999 das Grabmal frisch restauriert worden war, entstand dort zufällig und sehr spontan ein lustiges Familienbild... genau an dem Tag, an dem unsere ältere Tochter heiratete! Jahre später wurde ebenfalls wegen eines Fototermins für eine Zeitschrift kurzfristig entschieden, das lang geplante Muttertags-Kaffeetrinken mit Kindern und Enkeln statt im heimischen Garten einfach an Ort und Stelle zu feiern. Kurz darauf, am zehnten Hochzeitstag ihrer Eltern, besuchten unsere Enkel (die Jüngsten damals erst dreieinhalb Jahre alt) wieder das Grabmal, erstmals alle drei selbstständig mit dem Fahrrad; dort angekommen kletterten sie fröhlich bis zum Kreuz hinauf, ehe sie anschließend – ganz leise – den Uhu nebenan besuchen gingen. Die Kinder wissen ebenfalls, dass ihr Großvater seit einem Herzinfarkt seine Freunde jedes Jahr an seinem Geburtstag zu einem besinnlichen Glas Champagner an eben diesen Ort einlädt.

Kinder
Patenschaftsgrabmal der Familie Behrens, erklettert von den Enkelkindern. Foto: Behrens

Mit diesen fröhlichen Erinnerungen im Hinterkopf wird es diesen Kindern vermutlich leichter fallen, auch später das Grab ihrer Großeltern zu besuchen – so jedenfalls hoffen wir es. Vielleicht verstehen sie dann von selbst, dass Leben und Tod wirklich zusammen gehören. Und irgendwann erfahren sie vielleicht auch selber die Bedeutung dieses Kreuzes – wie es dort, ganz oben auf dem Patenschaftsgrab, inmitten der Natur steht. Es erinnert uns daran, dass Jesus Christus Schmerz, Leid, Tränen und Tod überwunden hat. Und dass jedem von uns Menschen ein neues, ganz anderes Leben im Gottesreich versprochen wird – in Wahrheit, Liebe, Licht und Freude.

Kontakt zur Autorin per E-Mail: [email protected]

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Neues Leben auf dem Friedhof (Februar 2012).
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