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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Über das Porträt in der Grabmalkultur der Neuzeit

Anm. der Redaktion: Die folgenden, leicht überarbeiteten Passagen entstammen einem Beitrag der Autorin, der unter dem Titel erschien: "Das figürliche Grabmal vom Barock bis zum Zweiten Weltkrieg", in: Grabkultur in Deutschland – Geschichte der Grabstätten, Berlin 2009, S. 67-93. Dort sind auch Literatur- und Quellennachweise verzeichnet.

Blicken wir zu Beginn dieses knappen Überblicks zunächst kurz auf die Frühe Neuzeit. Auf barocken Friedhöfen finden sich noch sehr selten porträthafte Abbilder der Toten, die auf Epitaphien vornehmlich für Adlige, Geistliche und Patrizier in den Kirchen schon lange gebräuchlich waren. Im Elbe-Weser-Raum und in Hannover gibt es jedoch eine Reihe von Grabmälern, die – in Anlehnung an Bildnisgrabplatten der Renaissance – den Verstorbenen frontal stehend, mit geöffneten Augen und in zeitgenössischer Tracht zeigen. Dabei handelt es sich auffallend häufig um Kinder oder sehr jung verstorbene Menschen. Erwähnt seien die Reliefs des Knaben Jochim Schlothauer (gest. 1658) und der jungen Frau Margarete Borcherding (gest. 1716). Auf dem Domfriedhof in Verden befindet sich das Grabmal für die 1662 als 2jährige verstorbene Margareta Elisabeth Lange. Unter einem geschwungenen Knickgiebel mit einem Cherub steht das Kind in einem gefälteten Kleid und mit einer Haube auf dem Kopf in einer Rundbogennische.

Im bürgerlichen Zeitalter häufen sich dann Porträtdarstellungen. Unter anderem setzt sich in der Sepulkralkultur des 19. Jahrhunderts das Bildnismedaillon – appliziert auf die unterschiedlichsten Grabmalformen – zur Repräsentanz des Verstorbenen durch. Sein Ursprung ist antik und geht auf römische Imago clipeata – Porträts in kreisrundem Rahmen – zurück. Verbunden mit Lorbeer- oder Eichenlaubkränzen und Blumengebinden erfreute sich diese antike Ehrenformel seit dem Klassizismus besonderer Beliebtheit. Auch die bis 1860 deutlich seltener aufgestellten Porträtbüsten oder Hermen leiten sich wie die Bildnismedaillons aus der Antike ab. Zu ihrer Verbreitung als Ehren- und Gedächtnismal trug nicht unerheblich das Walhalla-Projekt König Ludwigs I. von Bayern bei. Ein frühes Beispiel ist die Büste für den 1815 gestorbenen Dresdner Hoforganisten Johann Anton Deissing (Dresden, Alter Katholischer Friedhof). Vollplastische Stand- oder Sitzfiguren blieben auf den Friedhöfen die Ausnahme. In Deutschland sind frühe Beispiel auf dem Münchener Südfriedhof erhalten, die – aufgestellt in den repräsentativen Arkaden des Campo Santo - für Männer errichtet wurden, die König Ludwig I. besonders nahe standen: so für die beiden Leibärzte Philipp von Walther (1850) und Heinrich von Breslau (1851). Ein späteres Beispiel ist das Sitzgrabmal für den Gustav Adolf Graf von Goetzen (geschaffen von Gustav Eberlein, 1913, Hamburg, Friedhof Ohlsdorf).

Goetzen
Grabmal für Gustav-Adolf Graf von Goetzen, Kaiserlicher Gouverneur von Deutsch-Ost-Afrika und Königlich-preußischer Gesandter bei den freien Hansestädten (1866 - 1910), Bronzeplastik von Gustav Eberlein auf dem Friedhof Ohlsdorf,
Foto: Behrens

Frauen sind im bürgerlichen 19. Jahrhundert noch kaum denkmalwürdig gewesen. Die oft zitierte Definition des Enzyklopädisten Johann Georg Krünitz von 1773, dass die Bestimmung des "Monuments" als Werk der Baukunst oder der Bildhauerkunst sei, "das Andenken berühmter Männer und merkwürdiger Begebenheiten zu erhalten", schloss Frauen selbstverständlich aus. Erst um 1900 nimmt die Zahl der Frauenbildnisse spürbar zu (zahlreiche Beispiele in Hamburg-Ohlsdorf, z.B. Schauspielerin Anni Kalmar, 1903). Ein besonderer Typus des Denkmals sind die Ehepaargrabstätten mit Porträts auch der Ehefrauen. Entweder wählte man ein Rundmedaillon, in dem der Kopf des Mannes im Vordergrund, der der Frau im Hintergrund jeweils im Profil erscheint, oder beide Ehegatten erhielten ein eigenes Porträt, sei es als Medaillon oder als Büste.

Das bürgerliche Denkmal kannte verschiedene Strategien zur Wert- und Würdesteigerung der zu erinnernden Person. Eine davon war die Verbindung des Porträts mit architektonischen Ehrenzeichen wie dem Obelisken oder einem Triumphbogen. Eine andere ergänzte das Bildnis durch ehrende oder trauernde, meistens weibliche attributive Figuren. Eine durch Galvanorepliken popularisierte Famafigur ist die von Heinrich Pohlmann (1839-1917) geschaffene Grabplastik einer antik gekleideten Frau, die mit einer Hand den Namen des Verstorbenen auf das Grabmal schreibt und in der anderen Hand einen Lorbeerkranz hält. Sehr selten ist diese Figur durch eine männliche ersetzt (Grab Albert Hilger, Professor der Pharmazie, 1905, München, Westfriedhof). Für anspruchsvolle und sehr repräsentative Anlagen wählte man allegorische Figuren, die auf die irdische Tätigkeit, die Erfolge und Taten des Verstorbenen ausdrücklicher hinwiesen als unspezifische Famafiguren oder Trauernde. Besonders auf Gräbern von Industriellen finden sich Personifikationen der Arbeit oder Industrie, dargestellt durch Schmiede, Eisengießer oder Frauenfiguren. Ein lebensgroßes vollplastisches Standbild eines Schmieds, das Gerhard Janensch (1860-1933) im Jahr 1897 schuf, ließ der Fabrikant Stock auf sein Grab setzen. "Zur Person des Fabrikanten in Beziehung gesetzt, wurde aus dem Schmied auf dem Sockel ein Unternehmerdenkmal im kleinen", schreibt Peter Bloch. Der Begründer der Lanz-Lokomotivwerke Heinrich Lanz (gestorben 1905) schmückte sein Mausoleum auf dem Mannheimer Städtischen Friedhof mit Nischenfiguren der Arbeit (ein Schmied) und durch eine Allegorie der Nächstenliebe aus und illustrierte damit sein unternehmerisches Selbstverständnis, das sich in zahlreichen Stiftungen und Sozialleistungen für seine Werksangehörigen niederschlug.

Frank
Grabmal Carl Frank, 1884, Nordfriedhof Wiesbaden

Foto: S. Zander

Die Mausoleen der Zeit um 1900 waren in ihrem Zitat aristokratischer Bestattungsbauten zugleich Höhepunkt und Ende des bürgerlichen Zeitalters in der Sepulkralkultur. Die Erfahrungen des zerstörerischen Ersten Weltkriegs mit seinem millionenfachen Sterben und uniformen Soldatenfriedhöfen wie auch die Friedhofs- und Grabmalreform der 1920er Jahre brachten neue Formen der Sepulkralkultur hervor, die das Porträt an gesellschaftlicher Bedeutung verlieren ließen.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Porträts auf Grabmälern (Mai 2010).
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