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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der "Aschengarten" – Otto Linnes neues Konzept für die Urnenbestattung

Als die Feuerbestattung in Hamburg am Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, setzte man die Aschen oberirdisch bei.

Sie wurden gut sichtbar – entweder innen in Nischen entlang der Wände oder im Außenbereich des ersten Krematoriums – aufgestellt. Otto Linne veränderte nach dem Ersten Weltkrieg diese Art der Aschenbeisetzung grundlegend.

Die Feuerbestattung war bis zum Anfang der 1920er-Jahre eine relativ seltene Bestattungsart. In der Weimarer Republik aber begann man sie als moderne Beisetzungsart zu fördern. In Hamburg wurden die Gebühren herabgesetzt. Rasch erhöhte sich ihr Anteil an den Bestattungen, so dass im Jahr 1923 schon 20 bis 25% aller Verstorbenen kremiert wurden. Gleichzeitig setzte sich der neue Friedhofsdirektor Otto Linne für eine neuartige Gestaltung der Aschengrabstätten ein. Sein Vorgänger Wilhelm Cordes hatte einen Urnenpark beim ersten Krematorium sowie zwei Waldstücke mit lichtem Birkenbestand und geschlängelten Wegen auf dem Ohlsdorfer Friedhof für die Aufstellung von Urnen hergerichtet. Sie standen, gefüllt mit der Asche der Verstorbenen, auf Sockeln oder waren in kleine Grotten oder andere Grabmalformen eingestellt. Otto Linne schrieb dazu:"Solange die Feuerbestattung der hohen Unkosten wegen größeren Umfang nicht annahm, war der Urnenhain erträglich. Um jeden Aschengrabplatz herum war genügend freier Raum, der bepflanzt werden konnte, so dass die einzelnen Grabstätten voneinander getrennt waren." Er fährt fort, dass die Feuerbestattung nun aber in vielen Städten eine Bestattungsart für alle Schichten geworden sei und die Friedhofsverwaltungen ein lebhaftes Interesse daran hätten, sie zu fördern, "weil sie erhebliche Ersparnisse an Friedhofgelände bringt. Dieses finanzielle Interesse ... zwingt aber auch dazu, ... Aschengrabplätze zur Verfügung zu stellen, die nicht mehr Raum in Anspruch nehmen, als für die Unterbringung der Aschenreste notwendig ist. Die Zusammendrängung der Aschengräber in den Urnenhainen, womit die Häufung vieler verschieden gestalteter Aschengrabmale ... verbunden war, gab bei dem Mangel jeglicher Grabmalbestimmungen ein trostloses Gesamtbild." Damit begründete er die Notwendigkeit "einer einwandfreien Gestaltung von Aschengrabplätzen".

Titelseite der Broschüre
Titelseite der Broschüre von Linne und Frank zu neuen Aschengrabmalen, 1924 (Foto: Archiv Förderkreis)

Bei der Neugestaltung standen also finanzielle Erwägungen fast gleichberechtigt neben ästhetischen Forderungen. Linnes erster Entwurf für ein neues Grabfeld zur Beisetzung von Aschen wurde 1923 auf dem Erweiterungsgelände entlang des Kanals, der zum T-Teich führt, fertig gestellt. Im Gegensatz zu den bisherigen Urnenhainen bezeichnete er diesen neuen Bereich als "Aschengarten" oder "Aschengrabgarten" und schrieb dazu, dass die gesamte Fläche "von einem Rhododendronwall umgeben und durch gleiche Wälle in drei Räume geteilt" sei. "Die Nischen der einzelnen Gärten sind durch immergrüne Hecken voneinander getrennt. Die Mittelpartien der Seitengärten sind etwas vertieft. Hier liegen um kleinkronige Bäumchen (Flieder, Zieräpfel, auch Rosen) vereint je acht Aschengrabstellen von 0,5 qm Größe. Auf jeder solchen Stätte können vier Aschen beigesetzt werden. Es sind aber auch größere Aschengrabstellen mit 1 qm Größe für acht Aschen und 2 qm Größe für sechzehn Aschen usw. vorgesehen." Historische Aufnahmen zeigen, dass die drei Bereiche innen mit Grabreihen ebenfalls in quadratischer Form ausgefüllt waren. Die trennenden Hecken waren wie Mauern gerade geschnitten und wurden zur Mitte hin niedriger. Das Zentrum des gesamten Bereiches nimmt noch heute ein Brunnen ein, dessen hoher Pfeiler sowohl als Schmuck wie auch als weithin sichtbarer Orientierungspunkt dient.

Nach Linnes Ansicht war es aufgrund der engen Abfolge und der Kleinheit der einzelnen Grabstätten notwendig, dass "die Friedhofsverwaltung einen maßgebenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Grabmale und die Bepflanzung" habe. Er entwickelte deshalb zusammen mit Frank, dem Leiter des neu eingerichteten Friedhofskulturdienstes, sieben Grabmaltypen, deren Aufstellung für den neuen Bereich obligatorisch war, wobei "die Aufstellung von Urnen auf Sockeln ganz verboten" war. Damit wurde die generelle unterirdische Beisetzung der Aschen stillschweigend vorausgesetzt.

Plan Bk 54
Ausschnitt aus dem Plan für das neue Aschengranquartier Bk 54, 1924 (Foto: Archiv Förderkreis)

Die neuen Grabmaltypen entsprachen in ihren Ausmaßen jeweils der Größe der Grabplätze. Als kleinstes Grabmal war die "einfache liegende Platte, deren Oberfläche mit der Graboberfläche in einer Ebene liegt" vorgesehen. Darauf folgte die gleiche Platte "mit den einfachsten, architektonischen Ausdrucksmitteln", da sie 5 cm über der Graboberfläche hervorragen sollte. Je nach Grabgröße durfte sie in quadratischer oder in rechteckiger Form gestaltet werden. Auch der dritte Grabmaltyp, ebenfalls eine – allerdings noch größere – liegende Platte war in zwei Formaten vorgesehen, während mit dem vierten Grabmaltyp eine neue Form der Liegeplatte entwickelt wurde, die als "kubisches, allseitig ausgebildetes Grabmal" beschrieben wird. Ihr quadratischer Körper sollte mindestens eine Handbreit über die Grabfläche hervorragen. Konsequent wurde dieser niedrige Kubus im folgenden Grabmaltyp zum schlanken Pfeilergrabmal weiterentwickelt, das sowohl in quadratischer wie in runder Form gedacht war und in verschiedenen Gestaltungen dargestellt wurde. Als letzten und größten Grabmaltyp schlugen Linne und Frank die "uns von den Vorfahren überlieferte stehende Steinplatte (Stele) ohne sichtbaren Sockel" vor. Mit seinen strengen Gestaltungsvorschriften für die neue Anlage entsprach Otto Linne den Vorstellungen der Friedhofsreformer, die forderten, dass jede einzelne Grabstätte einen würdigen und ästhetisch ansprechenden Platz erhalten sollte. Das einzelne Grabmal durfte sich dabei nicht ungebührlich aus seiner Umgebung hervorheben. Tatsächlich zeigt ein historisches Foto, das zehn Jahre später von dem Grabfeld aufgenommen wurde, dass am äußeren Rand des Aschengartens Stelen und Pfeiler aufgestellt waren, während auf den inneren Reihen nur liegende Steine zu finden sind. Im Übrigen waren auch Material und Gestaltung weitgehend vorgegeben: Nur hellfarbiger Sandstein war zugelassen und die Schrift musste erhaben ausgebildet sein.

Aschengrabplatte
Grabplatte mit 5 Zentimeter Höhe, gezeichnet von Frank, 1924 (Foto: Archiv Förderkreis)

Die neuen Grabmalformen für Aschenbeisetzungen propagierten Linne und Frank in einer kleinen Broschüre. Darin schrieben sie zum Abschluss, dass die Friedhofsverwaltung – und damit meinten sie sich selbst – es begrüßen würde, wenn ihre Anregungen "zu einer Vertiefung der Grabmalkunst auf diesem Gebiete" führen würden. Die Friedhofsverwaltung selbst "wird auf diesem Wege weitergehen", fügten sie selbstbewusst hinzu und kündigten zugleich an, dass neben dem ersten Aschengrabgarten "schon einige Aschengrabterrassen in Ausführung begriffen" seien. Die Durchsetzung seiner Grabmalreform allerdings muss Otto Linne noch manche schlaflosen Nächte gekostet haben. Von Seiten des Grabmalgewerbes war man gar nicht glücklich über die strengen Vorschriften und neuen Grabmaltypen. Otto Linne wurde scharf angegriffen und hatte manchen Kampf auszufechten.

Wie man an vielen Stellen heute noch sehen kann, haben sich die Reformideen und die neuen Aschengrabmale schließlich gegen alle Widerstände in Ohlsdorf durchgesetzt. Die letzten Reste der ersten innovativen Anlage Otto Linnes allerdings verfallen immer mehr. Der Gartenarchitekt Horst Günther Lange, der vor zehn Jahren einen Entwurf für eine behutsame Restaurierung der Aschengärten einreichte, stellte schon damals fest: Die Aschengärten "sind nur noch in Resten erhalten; der historische Zustand ist nur unter Zuhilfenahme von Fotos zu erahnen." Auf die Umsetzung seiner Pläne wartet er noch heute.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Otto Linne der Reformer (Mai 2007).
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