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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

März 1945 in Ohlsdorf

März 1945, kaum zwei Monate vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Das „Tausendjährige Reich“ lag in den letzten Zügen.

Am 30. Januar hatte der „Führer“ Adolf Hitler zum letzten Mal, bevor er sich mit Suizid aus der Verantwortung stahl, die Bevölkerung mit einer Rundfunkansprache in den Endsieg hämmern wollen. Doch die „Meldungen aus dem Reich“ des NS-SD (Sicherheitsdienst) sahen im Volk längst den letzten Hoffnungsfunken ausgelöscht. Die gefürchteten geheimen Schnüffler dieser brutal mordenden SS-Truppe mussten feststellen, dass Deutschland nach Meinung seiner Einwohner vor der größten nationalen Katastrophe mit schwersten Auswirkungen für jedermann stand, dass das Vertrauen in die Führung lawinenartig abgerutscht war, dass die Hitler- und Goebbels-Appelle voller Verachtung als leere Phrasendrescherei abgelehnt und mit Hohn kommentiert wurden. Eine der Antworten der Naziführung daraufhin waren fliegende Standgerichte, die von vornherein nur Todesurteile gegen diejenigen, die den zwecklosen Durchhaltebefehlen zu begegnen suchten und dabei „gegriffen“ wurden, verhängten. Auf dem Territorium des kleiner werdenden deutschen Reichs waren 13 Millionen Menschen ausgebombt, zudem zählte das Deutschland des März 1945 sieben Millionen Fremdarbeiter und alliierte Kriegsgefangene.

Auf Hamburg bezogen: An die 45.000 Bewohner hatten bereits bei Luftangriffen der Alliierten ihr Leben verloren. Fast 300.000 Wohnungen (53 Prozent des Gesamtbestandes) in 36.000 Häusern waren zerstört. Die Zuteilungsperioden von Nahrungsmitteln wurden von acht auf neun Wochen verlängert, jede Familie hatte an zwei Tagen der Woche „Gassperre“. Und Anfang März 1945 erlebte Hamburg eine Kriegspremiere besonderer Art: Auf den Hamburger Hafen wurden Seeminen abgeworfen.

Den Untergang vor Augen, beeilte sich Hamburgs NS-Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Karl Kaufmann, in Volksdorf eine kommunale Außenverwaltung einzurichten. Das ist insofern bemerkenswert, als sie weit jenseits des Hamburger Festungsrings verlief, dessen Grenze im Norden die Fuhlsbüttler Straße bildete – wohlweislich nicht unter Einschluss des Niendorfer Geheges und Ohlsdorfer Friedhofs, weil diese Gelände möglicherweise als Hindernisse für Angreifer gesehen worden sind.

Ohlsdorf im März 1945: Mit Massengräbern für die Opfer des Luftkriegs (vor allem denen von 1943) und den unwürdigen Bestattungen der Toten und Hingerichteten als Folge des nationalsozialistischen Terrors in Hamburg (siehe „Ohlsdorf“, Heft Nr. 62, 81 und 87) war der Friedhof längst auch zum Schauplatz der politischen Umstände geworden. Aber nicht nur. Zum Teil ging es noch zu, als sei die „gute alte“ Zeit stehen geblieben.

Das geht aus einer Rechnung eines renommierten Hamburger Bestattungsinstituts hervor. Obwohl es an allem mangelte, obwohl vor allem Holz bestenfalls für Instandsetzungsmaßnahmen zu kriegen war, gelang es noch, für die Beerdigung eines Angehörigen einer gutbürgerlichen Familie (ohne „großen Namen“) einen massiv gekehlten Sarg bereitzustellen – mit feingraviertem Namensschild und Inschrift. Für die Aufbahrung gab es Kandelaber mit Leuchtern und Kerzen. Frische Schnittblumen wurden ebenso aufgeführt wie die aufwändige Dekoration des Katafalks. Ein Diener hatte die Aufsicht am Kondolenztisch, ein Lohndiener kümmerte sich um die Trauergäste. Die Beisetzung fiel in die Verantwortung von zehn Trägern unter Leitung eines Zugführers im Anscharkostüm – alles, wie ausdrücklich vermerkt, 1. Klasse.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Sterben und Tod um 1945 (Mai 2005).
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