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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

„Ordnungsgemäß“ verscharrt: NS-Diktatur und Ohlsdorfer Friedhof

Heutzutage stellen sich Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft dem Betrachter meist in einem gepflegten Zustand dar. Sie sind würdig gestaltet und liegen in einer friedvollen Umgebung.

Damals aber, in der Zeit der NS-Diktatur, als Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene oder Deserteure auf vielfache Weise einen grausigen Tod fanden, war es anders um den Ort und die Umstände ihrer Beerdigung bestellt. An Beispielen von Grabfeldern auf dem Ohlsdorfer Friedhof soll das Augenmerk auf diese wohl kaum bekannte und nicht mehr sichtbare Tatsache gelenkt werden.

Geht man den Recherchen von Herbert Diercks nach (s. ders.: „Auf den Spuren von Naziherrschaft und Widerstand“, Hamburg 1992), so waren es vorwiegend die Randgebiete im Bereich der Kapellen 12 und 13, auf deren freien Flächen und abseits vorhandener Gräberfelder die Toten begraben, genauer gesagt beseitigt wurden. Die Flächen sind annähernd identisch mit den gepflegten Anlagen, wie sie sich heute dem Betrachter darstellen. In unwürdiger Weise wurden damals die Toten aus dem Hamburger Untersuchungsgefängnis sowie dem friedhofsnahen Zuchthaus und Gefängnis Fuhlsbüttel zum Friedhof transportiert. Einem Protestschreiben der Friedhofsverwaltung aus dem Jahr 1942 z.B. ist u.a. zu entnehmen: „… Die Leiche befand sich bei der Einlieferung ohne jegliche Bekleidung und musste nackend aus dem Anhänger eines Personenwagens in die Leichenhalle der Kapelle gebracht und in demselben Zustand von unseren Leuten beigesetzt werden… “ Ab 1943 überließ man diese unerträglichen Arbeiten den eingesetzten KZ-Häftlingen aus Neuengamme und gegen Kriegsende wohl auch italienischen und polnischen Gefangenen, die Zwangsarbeit auf dem Friedhof leisteten. (Anm.: Was Zwangsarbeit für die Häftlinge bedeutete, wird in einer Ausstellung von Januar bis Februar 2005 im Hamburger Rathaus gezeigt werden.)

Bemerkenswert ist, dass von der Friedhofsverwaltung die Beisetzungen ordnungsgemäß mit persönlichen Daten der Toten, aber auch den angeblichen Todesursachen wie „Herzversagen“ dokumentiert worden sind. Das galt auch für die von 1940 bis 1942 im Krematorium verbrannten 1019 Toten des KZ Neuengamme. Für ihre Einäscherung wurden keine Holzsärge, sondern palettenartige Holzgestelle verwendet, auf denen die Leichen festgebunden waren. Insgesamt konnte die Friedhofsverwaltung nach Kriegsende 1897 Namen aus dem Feuerbestattungsregister für den Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes ermitteln. Die Ursache für die Dokumentation mag darin gelegen haben, dass die Gestapo oder die SS nach Ablieferung des von ihnen vernichteten „unwerten Lebens“ ihren Auftrag als erledigt ansahen, die Friedhofsverwaltung aber ohne Unterschied der zu Bestattenden „ordnungsgemäß“ handelte.

Nach dem Einebnen der Grabhügel wuchs Gras über die abseits liegenden Grabfelder. Es sollte nach Kriegsende noch mehr als ein Jahrzehnt vergehen, bis sie ein würdiges Aussehen erhielten: Erst in den späten 1950er-Jahren begann man in einer vieljährigen Aktion, die vorhandenen Gräber zu markieren, ggf. die Toten umzubetten und zusammen mit Opfern von anderen Friedhöfen in Hamburg oder auch aus dessen Umgebung in gemeinsamen Anlagen zur endgültigen Ruhe zu bestatten. Dank der „ordnungsgemäßen“ Registrierungen der Friedhofsverwaltungen oder Eintragungen in Kirchenbüchern konnten die meisten Toten identifiziert und ihre Gräber mit einer beschrifteten Grabplatte markiert werden. Seit Anfang der 1960er-Jahre bietet sich dem Betrachter das heutige Bild der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, deren Erhalt und Pflege mit dem sog. Gräbergesetz vom 1. Juli 1965 bundeseinheitlich geregelt wurde. Danach bleiben diese Gräber dauernd bestehen und die Bundesrepublik Deutschland übernimmt die Kosten der Pflege.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Begraben im Abseits (November 2004).
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