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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Grabstätten der Roma und Sinti in Hamburg

Um Bedenken zuvorzukommen, die den hier verwendeten Begriff Zigeuner als abwertend empfinden, sei vorausgeschickt, dass dies in keiner Weise beabsichtigt ist. Vielmehr steht der hierzulande umgangssprachlich nach wie vor gebräuchliche - und von den Betroffenen selbst verwendete - Ausdruck völlig unprätentiös für ein Volk bzw. eine ethnische Gruppe, von der die hier lebenden Roma und Sinti Teile sind.

(Zur Durchstreichung des Wortes Zigeuner in diesem Text siehe unten die Anmerkung der Redaktion)

Wer ist ein Fremder und wer ist ein Einheimischer? Über diese Frage könnte man trefflich streiten. Schon Karl Valentin und Liesl Karstädt machten ihr Publikum zu dieser Frage nachdenklich. Wenn es nach der Anwesenheit der Zigeuner in Deutschland geht, müssten sie eher den Einheimischen zugerechnet werden. Denn schon seit dem 15. Jahrhundert leben Zigeuner hier, Opfer jahrhundertelanger Vertreibung und Verfolgung, ursprünglich aus dem Nordwesten Indiens stammend. Wenn sie dennoch als Fremde in den Ländern Europas leben, liegt das sicher an ihrer völlig andersartigen Lebensweise, ihren eigenen Moral- und Tabuvorstellungen, die meist auf Ablehnung in den Gastländern stießen.

Andersartiges Totengedenken und andersartige Trauersitten spiegeln die Grabstätten der Zigeuner auf verschiedenen Hamburger Friedhöfen wider, zum Beispiel auf dem Friedhof Am Diebsteich, auf dem Friedhof Hinschenfelde und auf dem Hauptfriedhof Altona.

Will man die Zigeunergrabstätten Am Diebsteich finden, muss man vom Haupteingang im Süden den gesamten Friedhof durchqueren, bis man die im Norden gelegenen Grabstätten der Katholiken erreicht, die rings um ein 1872 errichtetes, hohes kreuzbekröntes Monument liegen. Wenige Schritte weiter schaut über die dichten immergrünen Hecken ein baldachinartiges Dach mit grüner Kupferpatina herüber. Das Dach gehört zu einem der größeren Zigeunergräber. Der architektonische Aufwand bei diesem Pavillongrab und den rings um diesen Pavillon liegenden Gruftanlagen ohne Dach lässt erstaunen.

Die Grabstätten sind bis zu vier mal sechs Meter groß. Die gemauerten Gruften sind bis zu dreieinhalb mal fünf Meter groß und bis zu drei Meter tief. Auf stählernen Traversen können in diesen Bauten Särge in zwei bis drei Lagen übereinander Platz finden. Die Deckplatten über den Gruften bestehen durchweg aus poliertem Granit im Format von eineinhalb mal drei Meter mit einer Stärke von 15 Zentimeter, woraus sich ein Gewicht von etwa 1,7 Tonnen errechnen lässt.

Zur Gestaltung der aufrecht stehenden Grabmonumente, die durchweg aus dem gleichen polierten Granit wie die darunter bzw. davor liegenden Gruftabdeckungen bestehen, gehören häufig Marien- und Christus-Statuetten aus Bronze oder Keramik, aber auch Kreuze und Engeldarstellungen, denn die Zigeuner sind in aller Regel römisch-katholisch. Zur aufwändigen Prachtentfaltung der Grabsteine gehören darüber hinaus zumeist in Gold ausgelegte, vertiefte Schriften und stilisierte Abbildungen von Rosen, hier und da auch kleine Medaillons mit den Porträts der Verstorbenen. Gelegentlich geben Abbildungen von Pferden, Gitarren, Geigen auf den Gräbern Hinweise auf die Berufe der Verstorbenen.

Eine ergreifende Inschrift, die auf das schwere Schicksal der Zigeuner während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hindeutet, ist zu finden auf der Grabstätte Henny Bora Goy und Franz Nonoka Goy auf dem Friedhof Am Diebsteich (Ck III). Sie lautet:

Tretet her
zu unserem Grabe, stört
uns nicht in unserer Ruh,
denkt was wir gelitten
haben, gönnt uns unsere
ewge Ruh

Neben der aufwändigen Architektur der Gruftgräber lässt sich die besondere Intensität des Totengedenkens und die besondere Form der Trauerkultur auch an dem üppigen Grabschmuck auf den Zigeunergrabstätten erkennen: Auffällig sind zum Beispiel die vielen Grablichter auf den Grabanlagen. Während auf einer normalen katholischen Grabstelle meist nur eines dieser roten Lichter steht, konnte ich im November bis zu zwanzig derartige Kerzen auf einer einzigen Grabstätte finden. Wie mir Holger Braune, der Leiter der Friedhofsabteilung, erläuterte, liegt das schon einmal daran, dass zu den katholischen Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen nicht nur einzelne Hinterbliebene die Gräber besuchen, sondern ganze Sippenverbände an den Trauerzeremonien teilnehmen. An manchen Grabstätten waren im November auch leere Wein- und Schnapsflaschen aufgestellt. Auch dafür wusste der Leiter Friedhofsabteilung eine plausible Erklärung: Bei den Zigeunern muss eine Bestattung innerhalb von 48 Stunden erfolgt sein. Innerhalb dieser Zeit dürfen die Hinterbliebenen nicht essen. Dafür aber ist es üblich, umso mehr zu trinken und zu rauchen. Auch bei den Trauerbesuchen am Grab kreist die Flaschen unter den Trauergästen und bleibt schließlich auf der Grabstätte zurück.

Aber nicht nur im November werden die Grabstätten von den Zigeunern besucht und aufwändig geschmückt. Enormer Aufwand wird auch zu Weihnachten betrieben. Manche der massiven Granitplatten sind zu Weihnachten vollends bedeckt mit Rosensträußen und Trauergestecken, Weihnachtsbäumen samt Kugeln und Lametta, Spekulatius und Schokolade. Auf anderen Gräbern liegen "Bunte Teller", üppig gefüllt mit Keksen, Nüssen, Schokolade, Mandarinen, Marzipan und Schoko-Weihnachtsmännern.

Auch zu Ostern werden die Gräber wieder von großen Familienverbänden der Zigeuner besucht, um bei den Verstorbenen die Auferstehung Christi zu feiern und für die Auferstehung der Verstorbenen zu beten. Auch bei diesen Feiern geht es wieder sehr lebhaft zu auf dem Friedhof, und zwar mit gemeinsamem Essen, Trinken und Musik, wie mir Jürgen Soltau, Verwaltungsleiter beim Kirchengemeindeverband Altona, berichtete.

Ähnlich aufwändige Gruftgräber wie auf dem Friedhof Am Diebsteich befinden sich auf dem Hinschenfelder Friedhof, der zwischen der Walddörferstraße und dem Wandsetal gelegen ist. Während hier und am Diebsteich die Belegungsmöglichkeiten zur Zeit erschöpft zu sein scheinen, gibt es auf dem Hauptfriedhof Altona in der Abteilung 31, Lagernummer IX, ein Grabfeld mit relativ neuen Grabbauten, darunter ein dem Pavillon am Diebsteich ähnliches Grab mit einem baldachinartigen Dach, das von runden Säulen mit goldenen Kapitelen getragen wird, und ein orientalisch aussehendes Mausoleum, dessen Kupferdach so neu ist, dass es noch keinerlei Patinaspuren aufweist. Auch hier ist der üppige Grabschmuck mit teils echten, teils künstlichen Blumensträußen, geschmückten Weihnachtsbäumen, unter denen auch wieder Essbares und Trinkbares liegt, sehr beeindruckend.

Anmerkung der Redaktion (März 2022): Die Redaktion erhielt die hier angefügte E-Mail von Hanno Billerbeck [email protected] und hat sich darauf nach Diskussion darauf geeinigt den Begriff Zigeuner in diesem Text durchzustreichen. Zwar ist schon im Eingangssatz darauf verwiesen, dass die Bezeichnung von dem Autor nicht abwertend gemeint ist, doch soll so noch stärker verdeutlicht werden, "dass sprachliche Veränderungen notwendig sind, um in Zukunft diskriminierende und rassistische Sprache weitgehend vermeiden zu können." Außerdem wurde der Titel des Textes geändert. Allerdings lässt sich die Auffindbarkeit des Textes unter dem ehemaligen Titel nicht mehr ändern, da der Artikel von anderen Websites entsprechend verlinkt ist, und auch eine Entfernung des Textes von der Website würde daran nichts mehr ändern.
E-Mail:
Sehr geehrte Damen und Herren, bei einem Treffen mit Vertretern des Landesverein der Sinti in Hamburg und der Rom und Cinti Union Hamburg erzählten die Vertreter beider Verbände, wie problematisch sie es fänden, dass im Internet "Werbung" für Gräber von Roma und Sinti gemacht werde. Oft handelt es sich dabei um private websites, auf denen Fotos von Gräbern veröffentlicht und mehr oder weniger sensibel und angemessen kommentiert werden. Sie vermuten, dass diese "Werbung" dazu beiträgt, dass es zu negativen Erlebnissen beim Besuch der Gräber kommt. Mitglieder beider Verbände berichten, dass sie beim Besuch der Gräber ungefragt von Fremden fotografiert oder angesprochen werden. Als besonders negatives Beispiel dieser Internetveröffentlichungen wurde der Text "Zigeunergrabstätten in Hamburg" genannt, der in der Zeitschrift für Trauerkultur, Ausgabe 72/2001, veröffentlicht worden und über die Website des Fördervereins auffindbar ist.
Der Text ist über 20 Jahre alt und entspricht in vielen Aspekten nicht mehr dem, was heute Menschen, die sich mit dem Thema Antiziganismus beschäftigen, als angemessen ansehen. Das fängt mit der Bezeichnung an. Der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, der im letzten Jahr dem Bundestag vorgelegt worden ist, ist da vollkommen eindeutig: Der verwendete Begriff ist diskriminierend und diffamierend. (S. 27). Im Bericht wird "Zigeuner" nur durchgestrichen verwendet, um zu verdeutlichen, "dass sprachliche Veränderungen notwendig sind, um in Zukunft diskriminierende und rassistische Sprache weitgehend vermeiden zu können." (S. 27, Anm. 44). Auf S. 30 des Berichtes wird auf die Rolle der Wissenschaft eingegangen. Der in der Zeitschrift für Trauerkultur veröffentlichte Aufsatz entspricht in vielem genau dem, was im Bericht kritisiert wird. "Diese Diffamierungspraktiken sowie die Verortung im akademischen Milieu tragen zur Beharrungskraft der Fremdbezeichnung und den damit einhergehenden Praktiken erheblich bei."
Den "Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus" können Sie kostenlos bestellen oder herunterladen.
Ich möchte Sie bitten zu prüfen, ob Sie Ihre website so gestalten können, dass der Text online entweder gar nicht mehr oder jedenfalls nicht mit den Schlagworten "Zigeunergräber" bzw. "Zigeunergrabstätten" oder ähnliche auffindbar ist. In der gedruckten Version wird er wissenschaftlicher Arbeit ja weiterhin zur Verfügung stehen."

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft In der Fremde begraben (Februar 2001).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).