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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der "Nieuwe Oosterbegraafplaats" in Amsterdam

Von dem "Nieuwen Oosterbegraafplaats", also dem "Neuen Ostfriedhof" in Amsterdam ist in den letzten Jahren immer wieder berichtet worden, weil dort neue Wege in der Friedhofskultur beschritten worden sind. Der Begräbnisplatz wurde am 1. Mai 1894 eröffnet. Erst 1860 war in Amsterdam mit dem Westerbegraafplaats der erste große Begräbnisplatz außerhalb des ehemaligen Befestigungswalles angelegt worden.

Sechs Jahre später folgte der "Oosterbegrafplaats". Dieser erste östliche Friedhof wurde allerdings rasch viel zu klein, denn das Bevölkerungswachstum nahm auch in Amsterdam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant zu. So wurde dieser Friedhof schon 1894 geschlossen. Seine Fläche wurde im Jahr 1955 geräumt und als Baugebiet genutzt, sowie in den heutigen Oosterpark umgestaltet.

Parallel zu der Schließung wurde der neue Ostfriedhof eröffnet, der von dem in den Niederlanden berühmten Gartenarchitekten Leonard Anthony Springer entworfen worden ist. Dieser folgte ähnlichen Vorstellungen wie Wilhelm Cordes in Hamburg, wenn er zu dem Motto "Staub" seines Entwurfes schrieb, dass der Friedhof nicht düster und finster sein sollte, damit die Menschen nicht davor zurückschreckten, dorthin zu gehen. Springer entwarf den Friedhof im damals üblichen gemischten Gartenstil als Landschaftspark mit zwei geometrischen Kernen in einem asymmetrischen Grundriss. An den heutigen Grenzen ist der Friedhof durch Wassergräben und dichte Bepflanzung von den Straßen abgeschirmt. Geplant waren auch eine Feierhalle und ein Krematorium, die allerdings nicht gebaut wurden. An ihrer Stelle wurden Bäume um eine zentrale Rasenfläche gepflanzt.

Dem Entwurf von Springer kann man noch heute an Ort und Stelle nachspüren, wenn man den Haupteingang durch das große Tor betritt, das seitlich von einem Pförtnerhäuschen und Wohnbauten aus rotem Klinker begleitet wird. Rechts vom Tor ist seit 2007 in dem ehemaligen Direktorenhaus das Bestattungsmuseum "Tot zover" eingerichtet, das wechselnde Ausstellungen zum Thema Tod und eine inte-ressante Dauerausstellung zur Kulturgeschichte der Bestattung beherbergt (Abb. 1 und 2).


Haupteingang des Nieuwen Oosterbegraafplaats heute (1)

Eingang zum Museum Tot Zover (2)

Zentral gegenüber dem Eingang liegt die große Feierhalle aus dem Jahr 1939, dessen erst 1994 erbautes Krematorium, ab 2010 nach dem Plan der Architekten von Bierman Henket erneuert wurde. Das vielfach gegliederte, monumentale Gebäude öffnet sich in einem weiten Bogen zum Friedhof (Abb. 3).


Feierhalle und Krematorium von der Friedhofsseite aus gesehen (3)

Nebenan steht die kleine Feierhalle. Zu beiden Hallen gehören sogenannte "Koffieruimte" für den Trauerkaffee oder Leichenschmaus.

Wenn man auf der breiten Allee nach Norden weitergeht, beeindruckt der dichte alte Baumbestand des Friedhofs, zu dem es vor Ort auch einen botanischen Führer (im Internet unter https://denieuweoosterbomenpark.nl/alle-bomen/) gibt. Die Grabmale im alten Teil des Friedhofs entsprechen den typischen Grabmalformen, die auf den meisten nordeuropäischen Friedhöfen am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aufgestellt wurden. Darunter befinden sich natürlich auch Galvanoplastiken. Allerdings gibt es Ausnahmen: So liegen zum Beispiel in der Nähe des Eingangs eine Reihe von Grabstätten der Sinti und Roma, die opulent mit Plastiken, Architekturen und Porträts der Verstorbenen ausgestaltet sind.

Tatsächlich zeigt sich auf diesem Friedhof besonders deutlich, dass Amsterdam eine weltoffene Stadt ist, die viele unterschiedliche Kulturen beherbergt. Dem hat die Friedhofsverwaltung vor einiger Zeit Rechnung getragen, indem in der Nordostecke der Anlage ein neues Grabfeld für islamische Verstorbene eingerichtet wurde, das vom übrigen Friedhof durch einen Wall deutlich abgetrennt ist. Die Ausrichtung der Grabreihen hält sich ebenso an die besonderen religiösen Anforderungen des Islam, wie die daneben neu errichtete, in heller Farbe strahlende Abschiedshalle (Abb. 4).


Feierhalle am islamischen Grabfeld (4)

Geht man von diesem Feld in Richtung Westen weiter, so erschließen sich nacheinander Grabflächen, die in der gleichen Zeit neu gestaltet worden sind. Ein geschlängelter Weg führt von dort am Nordrand des Friedhofs entlang. An ihm liegt ein Sammelgrabfeld für die Wiederbeerdigung der stofflichen Reste aus geräumten Gräbern. Die Skulptur eines versonnen lächelnden Frauenkopfes der Künstlerin Femmy Otten schmückt seit 2012 dieses Rasenfeld (Abb. 5). Gegenüber liegen neuere Grabstätten am Wegrand, unter denen einige Grabmale aus Glas besonders ins Auge fallen (Abb. 6).


Plastik von Femmy Otten, 2011 (5)

Grabmal aus Glas mit dem Bild der Putte von Rafaels Sixtinischer Madonna (6)

Eines der ungewöhnlicheren modernen Grabmale steht auf der Grabstätte von Ellin Robles (1951-2011), einer surinamesisch-niederländischen Publizistin und Aktivistin für die Rechte der Frauen. Es stammt von dem Bildhauer Michiel Deylius, der dazu einen groben Steinbrocken durch Glas mit einem glatten polierten Stein verbunden hat. Das Grobe und das Glatte sieht er sinnbildlich für den Charakter der Verstorbenen, zusammengehalten durch das leuchtende Glas - "die Glut der Liebe". Am Boden vor dem Grabmal liegen Blätter aus Zink mit einer Brille sowie vergrößerte rosa Glasmurmeln, jede mit einer Initiale. Sie stehen für die Kinder, die Elling Robles adoptiert und begleitet hat (Abb. 7).


Grabmal für Ellin Robles (1951-2011) von Michiel Deylius (7)

Weiter auf dem geschlängelten Weg gelangt man zu dem ungewöhnlichen, langgestreckten Wassergarten, aus dessen mit Seerosen bestandener Wasserfläche golden schimmernde Urnengefäße ragen. Dieses Feld gehört zu dem umfassenderen Konzept von mehreren parallelen, unterschiedlich gestalteten Grabflächen, mit dem die Landschaftsarchitekten und Städtebauer der Firma "karres en brands" die letzte große Erweiterungsfläche des Friedhofs aus dem Jahr 1928 überplant haben (Abb. 8).


Wassergarten für Urnen (8)

Eine hohe Hecke trennt diesen Bereich von einer Fläche für Urnengräber, die zum größten Teil noch nicht vergeben sind, so dass sie mit Jasmin und anderen Stauden dicht besetzt ist. Unterbrochen wird das Grün von dem darauf folgenden Bereich eines offenen Kolumbariums. Seine außen bis auf einige Durchlässe geschlossenen Mauern, öffnen sich in einem relativ schmalen Innenbereich, in dem die Wände in regelmäßige Fächer für Urnen untergliedert sind (Abb. 9).


Blick in das Krematorium (9)

Nach diesen langgestreckten Rechteckfeldern, die der Leitidee entsprechen, dass auf dem Friedhof "alles erlaubt sein solle, aber nicht alles überall", öffnet sich eine große Rasenfläche mit Solitärbäumen, die als Aschestreuwiese dient. An ihr sind seitlich Steinwände für Namensschilder und Blumenablageflächen aufgestellt. Daneben gibt es noch einen zweiten Bereich für die Asche-Verstreuung: Vom Nordrand der Wiese führt ein schmaler Weg in ein verwildertes Wäldchen, das "het bosprieel" (deutsch Waldpavillon) genannt wird. Es ist ein Naturgebiet mit einheimischer Flora und Fauna, von der Schilforchidee bis zum Eisvogel - wie es auf der Website des Friedhofs heißt. Auch in diesem Bereich gibt es Gedenkpfeiler für Namensschilder (Abb. 10).


Gedenkpfeiler mit Namensplaketten in "het bosprieel" (10)

Wieder zurück auf dem Weg liegt nach Süden hin in der Achse des Krematoriums eine ovale Vertiefung, auf deren Rasenfläche die Skulpturen von vier Kindern zu sehen sind, die auf quadratischen Sockeln stehen und ihre Arme ausstrecken. Zwei leere Sockel sind daneben angeordnet. Die Gruppe wurde von dem Bildhauer Gerrit Bolhuis (1907 - 1975) geschaffen und 1967 aufgestellt. Auf dem Friedhof werden die Kinder "die Engel" genannt und auf die Frage nach den leeren Sockeln gibt die Friedhofsverwaltung gern die Antwort, dass es sich um spielende Kinder handelt, die von Sockel zu Sockel springen. Der Bildhauer wollte eigentlich sechs Figuren schaffen. Doch das Budget der Stadt reichte dafür nicht, so dass der Auftrag auf drei Figuren reduziert wurde. Der Künstler beschloss daraufhin, eine vierte Statue auf eigene Rechnung gießen zu lassen, so dass zwei identische Statuen auf dem Rasen stehen. Seit 2009 dient die Wiese als Verstreuungsfeld für die Asche von Frühgeborenen (Abb. 11).


Aschestreufeld mit Kinderplastiken von Gerrit Bolhuis (11)

Auf dem Feld mit der Kindergruppe befanden sich während des Zweiten Weltkriegs die Gräber deutscher Soldaten, die bei Bombenangriffen auf Amsterdam ums Leben gekommen waren. Sie wurden auf den ab Oktober 1946 vom Niederländischen Gräberdienstangelegten Kriegsfriedhof IJsselsteyn umgebettet. Noch heute befinden sich westlich von diesem Feld die englischen Soldatengräber derselben Zeit. Ihr Grabfeld mit den typischen hellen Stelen bildet einen der Haltepunkte für die "Stille Tocht" (Schweigemarsch); die Gedenkveranstaltung, die am 4. Mai zur Erinnerung an das Kriegsende auf dem Friedhof stattfindet. Insgesamt wird auf diesem Weg an sechs Stellen der Toten mit Blumen und Kränzen gedacht.

Von dem Feld mit der Kindergruppe führt eine Allee aus hohen Pyramidenpappeln quer durch den Friedhof zum neuen Krematorium und dem Haupteingang. Rechts und links davon liegen neu belegte Kindergrabfelder, deren kleine Gräber liebevoll mit Grabmalen und Spielzeug geschmückt sind. Daneben gibt es von Hecken umstandene freie Wiesenflächen, die offenbar auf eine neue Nutzung warten. Allerdings sind die neuen Grabfelder im Norden bei weitem nicht voll belegt, so dass anzunehmen ist, dass die Verwaltung mit der Neugestaltung dieser Flächen keine Eile haben wird.

Natürlich sind auch in Amsterdam Bestattung und Kremation Hauptaufgabe des Friedhofs. Daneben hat der Begräbnisplatz seit 2003 den Status eines nationalen Denkmals erhalten und zugleich bildet dieser historische Ort eine grüne Oase mit hohem Naturwert inmitten der Stadt. Da das Gelände nachts unbeleuchtet ist, suchen viele Tiere hier Zuflucht und Schutz.

Nur Ende Oktober erstrahlt der Friedhof an einem Abend im Glanz vieler Lichter. Dann sind die Amsterdamer eingeladen zu diesem Gedenkabend zu ihren Gräbern zu kommen und sich ihrer Toten zu erinnern. Sie gehen mit Kerzen herum und stellen brennende Kerzen auf die Gräber. Rund um den Urnenteich brennen Kerzen in Schalen; Bäume sind in verschiedenen Farben beleuchtet, deren Licht durch Spiegel verstärkt wird. Dazu gibt es Musik und Lesungen. Diese erfolgreiche Veranstaltung soll in diesem Jahr - nach einer Pause aufgrund der Pandemie - in möglicherweise kleinerem Rahmen wieder aufgenommen werden (https://denieuweooster.nl/herdenkingen/)

Fotos: Barbara Leisner

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Der Alte Friedhof in Niendorf (Januar 2023).
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