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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

100 Jahre Friedhofs- und Grabmalreform: Die Gründung des Reichsausschusses Friedhof und Denkmal 1921 und sein gesellschaftlich-kulturelles Umfeld

Der "Reichsaussschuß Friedhof und Denkmal" ist der Vorläufer der heutigen, in Kassel ansässigen und seit 1951 bestehenden Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. Der Reichsausschuss wurde am 15.Oktober 1921 in Dresden gegründet. Initiatoren waren vor allem Interessenverbände aus dem Grabmalgewerbe, die sich im Reichsverband der deutschen Steinmetzindustrie e.V. vereinigt hatten.

Insgesamt aber repräsentierten die Gründungsmitglieder ein sehr breites Spektrum an interessierten Organisationen, von rein berufsständischen Verbänden bis hin zu Kirchen. Der Reichsausschuss gilt als Institutionalisierung einer Bewegung, die unter dem Stichwort "Friedhofs- und Grabmalreform" bekannt wurde und die Friedhofsgeschichte im Deutschland des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusste.

Ursprünglich war die Friedhofsreform der Versuch, jene historistische Vielfalt auf den städtischen Begräbnisplätzen des Kaiserreiches zu überwinden, die seit der Zeit um 1900 als "protzig" oder "wahllos", insgesamt jedenfalls als "unästhetisch" empfunden wurde. Die Reform war zugleich der kulturkritische Versuch, dem massenhaft produzierten, künstlerisch vermeintlich wertlosen Industriegrabmal etwas Neues entgegenzusetzen. Diese kulturkritische Intention sollte jedoch, wie zu zeigen sein wird, bald in ihr Gegenteil umschlagen: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Friedhofsreform zum typischen Ausdruck eben jener urban-industriellen Gesellschaft, gegen deren Begleiterscheinungen sie ursprünglich angetreten war. Die Grabsteine entwickelten sich zu normierten und standardisierten Bausteinen einer neuen Friedhofsästhetik, deren wichtigste Leitbilder Funktionalität und Effizienz sind.


Geometrische Funktionalität prägt den Osterholzer Friedhof in Bremen, einer der frühen Reformfriedhöfe in Deutschland

Für die Geschichte der Friedhofs- und Grabmalreform hatte die Eröffnung des Münchener Waldfriedhofes 1907 hohen Symbolwert. In München gab es jene Rahmenbedingungen, unter denen man der bisherigen Friedhofsgestaltung mit ihrer als wahllos-uneinheitlich betrachteten historistischen Stilvielfalt eine Alternative entgegensetzen konnte. Zwar nicht zum ersten Mal, aber mit bisher unbekannter Rigorosität sorgte der Münchener Stadtbaudirektor Hans Grässel auf dem Waldfriedhof für Grabmalvorschriften, die zu einer relativ einheitlichen Gestaltung führten. Schon vor Eröffnung des Waldfriedhofs hatten Ausstellungen in München und Wiesbaden eine neue Friedhofs- und Grabmalkultur propagiert. Vor allem die 1905 eröffnete Wiesbadener Ausstellung zur Friedhofs- und Grabmalkunst erwies sich als Initialzündung und wurde in den Folgejahren auch in anderen deutschen Städten präsentiert. Wie diese Ausstellung, ging auch die parallele Gründung der Wiesbadener Gesellschaft für Grabmalkunst auf die Initiative des Arztes Wilhelm von Grolmann (1863-1935) zurück.

Die Friedhofsreformbewegung mündete schließlich institutionell 1921 in den „Reichsausschuß für Friedhof und Denkmal e. V.“ Dessen Gründung, vom Architekten und späteren sächsischen Oberregierungsbaurat Waldo Wenzel (1879-1952) vorbereitet, wurde unter anderem forciert von Natursteinlieferanten und vom Steinmetz-Handwerk, und zwar unter direktem Verweis auf ihre wirtschaftliche Notlage. Die bereits aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bekannten Verflechtungen zwischen den einzelnen Zweigen der deutschen Kulturreformbewegungen setzten sich fort: Der Deutsche Werkbund war korporatives Mitglied und der Geschäftsführer des Deutschen Bundes Heimatschutz, Werner Lindner (1883-1964), gehörte zu den aktiven Kräften. Als eines seiner wichtigsten Ziele verstand der Reichsausschuss die Erarbeitung einer Friedhofsmusterordnung, die für ganz Deutschland als Rechtsgrundlage für die einheitliche Gestaltung der Friedhöfe gelten sollte.

Auch in der Arbeit des Reichsausschusses schlug sich die Vielfalt, ja Widersprüchlichkeit reformerischer Vorstellungen nieder. Der bereits mehrfach geschilderte Konflikt zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen, vor allem zwischen Handwerk und Industrie, blieb prägend und war vielfach nicht aufzulösen. So sprach sich mit Waldo Wenzel, einer der führenden Friedhofsreformer und Gründungsvorsitzender des Reichsausschusses, noch kurz vor dessen Konstituierung gegen eine Schablonisierung der Grabmäler und für heimatbezogene Formen aus. Auch die 1922 in München vom Reichsausschuss herausgegebenen Richtlinien für Friedhofs- und Grabmalgestaltung entsprachen eher handwerklich-bildhauerischen Interessen, wenn sie Naturstein, künstlerisches Unikat und handwerkliche Arbeit favorisierten.


Osterholzer Friedhof in Bremen

1927 erschien der von Stephan Hirzel herausgegebene programmatische Sammelband "Grab und Friedhof der Gegenwart". Es war eine Zeit, als auf etlichen städtischen Friedhöfen die Grabmalgestaltung bereits durch bürokratische Reglementierungen rigoros eingeschränkt worden war. Typisierung und Normierung der Grabmäler bereiteten auch der bisherigen Industriefeindlichkeit der Friedhofsreformer ein Ende. So bezeichnete Stephan Hirzel in dem erwähnten Sammelband des Reichsausschusses aus dem Jahr 1927 die frühere Kritik an der Grabmalindustrie als einseitig. Von vornherein war klar, dass die Normierung der Grabmäler industrielle Massenproduktion begünstigte - schon Typisierung und Normierung an sich waren ja eine Konsequenz industrieller Produktionsbedingungen.

So hatte etwa der Verband der deutschen Granitindustrie frühzeitig bei Regierungsstellen interveniert und beim preußischen Innenministerium erreicht, dass die zwischenzeitlich verbannten Hartgesteine nach 1921 auf Friedhöfen wieder zugelassen wurden (und 1928 veröffentlichte der Reichsausschuss dann Richtlinien für die Bearbeitung von Hartgesteinen). Statt regionaler Vielfalt und handwerklich-künstlerischem Unikat rückte die Typisierung der Grabmäler immer mehr in den Mittelpunkt - als Vorbild wirkten hier nicht zuletzt die Soldatenfriedhöfe des Ersten Weltkriegs. Unter Rückgriff auf die klassizistische Formensprache wurde der Typ der Stele zur allgemein propagierten Grabmalform, die als serielles Basiselement beliebig vervielfältig- und kombinierbar war. Die schon vor dem Ersten Weltkrieg erhobene Forderung nach Typisierung wurde also zu einem entscheidenden Merkmal der Friedhofsreform in den 1920er-Jahren, und dies kam industrieller Massenproduktion entgegen.

Bezeichnenderweise wandelte sich zugleich die Beurteilung industrieller Herstellungsverfahren durch die Reformer. Im Verlauf der 1920er-Jahre wurde die Industrie mehr und mehr als gleichberechtigter Partner akzeptiert. Im Vorwort des oben genannten 1927 vom Reichsausschuss herausgegebenen Sammelbandes wurde die Kritik an industrieller Produktion als einseitig bezeichnet. Man billigte der Grabmalindustrie den Vorteil kostengünstiger Fertigung zu und erkannte, dass dies breiteren Kreisen den Erwerb eines angemessenen Grabmals ermöglichte.

Nicht nur die Grabmäler, sondern auch andere Gestaltungselemente wurden der zweckrationalen Ästhetik angepasst. Wasserflächen, Hecken und Büsche wurden geometrisch-sachlich ausgerichtet. Hempelmanns "Handbuch der Friedhofsgärtnerei" von 1927 liefert bis auf den Zentimeter genaue Hinweise für den korrekten Schnitt von Hecken und Büschen.

Unter der nationalsozialistischen Diktatur wurden diese Bestrebungen fortgeführt, institutionell wie personell. Wie Gerold Eppler in seinem Aufsatz "Waldo Wenzel - Leben und Werk" (Eppler, S. 133-147) im unten angegebenen Band ausführlich darlegt, war gerade die Person des Gründungsvorsitzenden ideologisch eng mit dem NS-Regime verbunden. Demnach trat Waldo Wenzel 1933 sowohl in die NSDAP als auch in die SA ein, wo er Rottenführer wurde (Eppler, S. 136). Er setzte seine Arbeit ab 1937/38 als Leiter eines Arbeitsausschusses für Friedhof und Denkmal fort, der ein einheitliches, nationalsozialistisch orientiertes Friedhofsrecht vorbereiten sollte - eine reichsweite Gleichschaltung der Friedhöfe also. Angesichts des bald einsetzenden Zweiten Weltkrieges versandeten dessen Aktivitäten jedoch (ebd., S. 142-145).

Siehe auch den Veranstaltungshinweis am Ende des Heftes zum 100. Jahrestag der Gründung des Reichsausschusses für Friedhof und Denkmal.

Literatur:
Vom Reichsausschuss zur Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal. Kolloquium am 8. und 9. November 1996, veranstaltet vom Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, Kassel 2002

Anm. d. Verf.: Der vorliegende Text basiert auf folgenden bereits veröffentlichten Arbeiten: "Zwischen Kulturkritik und Funktionalität: Die Friedhofsreform und ihr gesellschaftlicher Kontext in Deutschland 1900-1930", in: Vom Reichsausschuss zur Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Kassel 2002, S. 9-21, sowie auf Kapitel IV der Dissertation des Verfassers "Vom Gottesacker zum Krematorium - Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert", Köln 1996.

Fotos: Norbert Fischer

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