Die Stadt Lodz (auf polnisch Lódz), ca.100 km südwestlich von Warschau, hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Textilzentrum entwickelt und einen Ruf als "polnisches Manchester" erworben. Als der alte Jüdische Friedhof 1892 geschlossen wurde und der neue "Cmentarz ydowski" zeitgleich entstand, zählte die Stadt fast eine halbe Million Einwohner; 1914 waren davon etwa 50 000 Deutsche und ein Drittel jüdischen Glaubens. Von 1892 bis 1939, innerhalb von 47 Jahren, entstanden etwa 160.000 Grabstätten, auf denen gut ein Drittel der Grabsteine des heute knapp 44 ha großen Geländes errichtet wurden. Ob einfache Grabsteine, ob Mausoleen der lokalen Fabrikantenfamilien (darunter viele Juwelen des Jugendstils): Auf diesem Jüdischen Friedhof wird das Baumsymbol auf Grabmalen sehr häufig verwendet.
- Poznanski-Mausoleum auf dem jüdischen Friedhof von Lodz. Foto: Behrens
Am auffälligsten ist gleich hinter dem Eingang das monumentale Mausoleum aus Granit, Marmor, Schmiedeeisen und Glas der Familie Poznanski. Der 1900 verstorbene Izrael Poznanski war einer der reichsten Fabrikbesitzer in Lodz; mit einem Radius von 9,5 Metern soll sein Mausoleum, errichtet zwischen 1903 und 1905, die größte jüdische Grabstätte der Welt sein. Es wurde in den 1980er Jahren saniert. Im Inneren ist die Kuppel mit einem wunderschönen Mosaik der bekannten venezianischen Firma Andrea Saviatti ausgestattet; darauf schmücken zwischen den Fenstern vier große Palmbäume die Decke – bei den Juden ein beliebtes Motiv, Symbol von Fülle und Erlösung und hier auch eine Anspielung auf den Bibelvers: "Der Gerechte wird blühen wie ein Palmbaum" (Ps. 92, 13).
- Grabmal Akawie. Foto: Behrens
Ganz anders schmückt ebenfalls eine Palme das bescheidenere Grabmal der 1910 mit 22 Jahren verstorbenen Ruta (Rachela) Akawie; dort umrahmen je drei Trauernde den breitgefächerten Baum. Mit einer subtilen Metapher gibt die Skulptur des Bildhauers Abraham Ostrezega den Eindruck eines großen, weinenden Gesichtes, wobei die Köpfe der Menschen die Augen, ihre Kleider die Tränen, die Palmblätter die Augenbraunen, der Stamm die Nase und die halbrunde Tafel darunter traurige Lippen darstellen könnten. Die Werke des Bildhauers wurden übrigens wiederholt von gläubigen Juden missbilligt...
Die große Grabstätte (1906) der Familie Stiller vom Berliner Bildhauer Otto Richter ähnelt dagegen einem ägyptischen Tor mit zwei bronzenen Türen; in der Mitte, zwischen beiden Tafeln mit Inschriften in Hebräisch und in Deutsch (Arnold Stiller, 1845-1904, stammte aus Deutschland), wachsen zwei einander umschlingende Jugendstil-Rosenbäume, hier Symbol von Gebrechlichkeit und kurzem Leben – das Ehepaar starb kurz nacheinander.
- Grabmal Majbaumova. Foto: Behrens
Ebenso umrahmt ein Rosenstock die kleine Sandstein-Stele mit der Urne der 1925 mit 29 Jahren verstorbenen Felicja Majbaumowa.
Besonders reizvoll ist außerdem die Jugendstil-Grabstätte der Kaufmannsfamilie Rappaport von 1909 aus rotem Sandstein: Hauptornamente im mittleren Halbrund sind hier zwei blühende Kastanienbäume, weitere Blätter und Kastanien schmücken links und rechts davon die beiden Seitenpfeiler.
- Grabmal Rappaport. Foto: Behrens
Auch aus rotem Sandstein in Form einer doppelten Stele wurde das Grabmal Monitz von 1917 für einen dreißigjährigen Sohn und seine 25 Jahre später verstorbene Mutter erschaffen. Darauf stellt das Relief einen gebrochenen Baum hinter einem Feld Mohnblüten mit Rosenkranz dar. Kein Zufall, dass dieser Baum als Eiche – Symbol für Lebendigkeit und Gesundheit – eindeutig erkennbar ist.
- Grabmal Monitz. Foto: Behrens
Damit wird ein auf diesem jüdischen Friedhof von Lodz besonders verbreitetes Thema angesprochen, denn eine große Zahl (Hunderte?) von Grabsteinen, oft dicht an dicht und in vielen Variationen, wiederholen das Motiv der gebrochenen bzw. gesägten Eiche. Diese symbolisiert den Baum des Lebens, dessen Früchte die Ewigkeit gewähren. Einige Grabmale stellen die Eiche ganz plastisch als Baumstumpf vor, die meisten nur als Halbrelief; manche der Eichen werden mit Vorhang, Palmwedel, Kranz, Überschrift, toter Taube oder auch mit einer fliegenden Taube mit Zweig im Schnabel dargestellt. Nicht selten werden mehrere dieser Symbole kunstvoll miteinander inszeniert. Es kann auch sein, dass das Motiv ganz klein oben auf dem Grabstein erscheint, für sich allein oder mit anderen Symbolen: Vorhang, Davidsstern, Torah-Büchern, segnenden Händen, Leuchtern mit gebrochenen bzw. erloschenen Kerzen. Fast alle Inschriften dieser Grabmale sind leider für den Laien weder lesbar noch datierbar.
- Grabmal mit Darstellung einer durchgebrochenen Eiche unter einem bahrtuchartigen Vorhang. Foto: Behrens
Zum Schluss entdeckt der Besucher links nach dem Innenausgang ein helles, 1956 errichtetes Denkmal mit einem Obelisk in Form eines Fabrik-Schornsteins. Er erinnert an die 45.327 von den Nazis ermordeten Juden, die zwischen 1939 und 1944 in den Ghettos der Stadt starben und zum Teil in einem besonderen Bereich, dem sogenannten Ghetto-Feld, südöstlich des Friedhofs liegen. Und nicht zufällig entdeckt man auf diesem Denkmal unter einer Menora und einer Tafel aus schwarzem Granit (in Polnisch, Hebräisch und Yiddisch) ein Relief mit einer stilisierten, gebrochenen Eiche und vielen, vielen Bruchteilen – eines der wichtigen Symbolen auf diesem Friedhof.
Literatur:
- Miroslaw Zbigniew Wojalski, Der jüdische Friedhof in Lodz, WOW ZORA, Lodz, 1999
- Joanna Podolska: Spacerownik, The Jewish Cemetery in Lódz, Biblioteka Gazety Wyborczej, 2010.
- Daniela Schetar-Köthe und Friedrich Köthe, ADAC- Reiseführer Polen, 2011