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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Vom wem stammt dieser Grabspruch?

Autor/in: Peter Schulze
Ausgabe Nr. 118, III, 2012 - August 2012
Grabspruch

Vor Jahren erhielt der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof eine Anfrage von Julius Müller, Direktor des Wiener Bestattungsmuseums und Autor mehrerer Bücher, nach besonders bemerkenswerten Sprüchen auf Ohlsdorfer Grabmalen. Damals wurde klar, dass eine erschöpfende Beantwortung dieser Anfrage Schwierigkeiten bereiten würde. Niemand hatte bis dahin die auf Ohlsdorfer Grabsteinen zu findenden Spruchweisheiten gesammelt und für den interessierten Leser aufbereitet.

Inzwischen ist das anders. Förderkreis-Mitglied Günther Kell hat den Ohlsdorfer Friedhof von Nord nach Süd und von West nach Ost abgesucht und Sinnsprüche auf Grabmalen gesammelt und fotografisch dokumentiert. Im Friedhofsmuseum gibt es jetzt einen Ringordner mit einer Auswahl der interessantesten Beispiele und für den Besucher, der sich noch umfassender informieren will, gibt es auch eine Kartei mit Fotos sowie digitale Listen und Fotos auf dem Computer.

So weit so gut, eine Frage, die aber oft angesichts eines besonders bemerkenswerten Spruchs oder eines in Stein gehauenen Literatur-Zitats offen bleibt, ist meist die Frage: "Vom wem stammt dieser Spruch?"

Sofern es sich um Zitate aus der Bibel handelt, war und ist es meist üblich, dass die jeweilige Fundstelle unter dem Spruch mit in den Stein gehauen wurde. Nicht so bei vielen anderen Literaturzitaten, wie zum Beispiel bei dem hier abgebildeten Spruch auf dem Grabmal von Anna Henriette Emma Balck, Grablage G 11, 30-31. Der Spruch lautet:

"Das Leben ist doch schön, Man muß es nur versteh'n." Warum sie sich für den Urheber dieses Spruchs interessierte und wie sie diesen schließlich ermittelte, hat Frau Hilke Oberländer, Mitglied im Förderkreis, kürzlich dem Verfasser geschildert: "Ich entdeckte das Grabmal mit dem Spruch vor einem Jahr bei einer meiner vielen Fahrradtouren über Ohlsdorf. Ich schaue immer hier und da; manchmal fällt einem etwas Besonderes auf, manchmal fährt man vorüber. An diesem Grabmal habe ich angehalten. Warum? Auf jeden Fall habe ich genauer hingeschaut. Denn dort stand praktisch mein Lebensmotto: 'Das Leben ist schön', ein Gedanke, der mich seit 2004 begleitet. Ich saß damals – ein wenig traurig – in einem Lokal in den Hackeschen Höfen in Berlin. Ich bestellte ein Duckstein. Die Kellnerin, die mir das Bier brachte, legte einen Bierdeckel hin mit dem Aufdruck 'Das Leben ist schön'. Konnte ich da noch traurig sein? Diesen Bierdeckel habe ich aufgehoben, er steht noch heute bei mir in der Küche. Deshalb ist mir dieses Grabmal aufgefallen. Und immer wieder kehre ich dorthin zurück. Weil das Leben eben schön ist."

Bierdeckel
Positive Botschaft auf einem Bierdeckel. Fotos: H. Oberländer

Zwei Fragen stellten sich nun für Hilke Oberländer, erstens: Wer war diese offenbar seelenverwandte Anna Henriette Emma Balck? Und zweitens: Woher stammt der Spruch auf ihrer Grabstätte? Zu der ersten Frage konnte Petra Schmolinske vom Förderkreis in alten Friedhofsakten einiges herausfinden: Wie das Grabregister, Grabbrief-Nummer 35562, ausweist, wurde das Grab in Ohlsdorf von der Schwester der Verstorbenen, Anna Siegfriede Adelheid Otte, geb. Balck, am 9. 5. 1904 für sich und ihre Schwester Anna Henriette Emma Balck auf Friedhofsdauer erworben, nachdem deren Grab zuvor auf dem St. Catharinen-Begräbnisplatz war. Als Beruf ist für Emma Balck notiert: Rentnerin, als Religion: luth.

Bei der Graberwerberin ist in den Akten das Wort 'verw.' durchgestrichen. Danach und auch nach dem Eintrag im Adressbuch zu urteilen war sie noch verheiratet mit Carlos M. Otte. Sie erwarb das Grab bemerkenswerter Weise nur für ihre Schwester und für sich selbst. Nicht auch für den Ehemann! Und sie wurde schließlich selbst auch nicht hier beerdigt!

Eine Suche in den alten Hamburger Adressbüchern1 ergab, dass Frl. Emma Balck von 1892 bis 1904 in der Esplanade 38 im 2. Stock wohnte. Da dieser Eintrag im Adressbuch von 1905 nicht mehr enthalten war, ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich um die gesuchte Emma Balck handelt. Ein Blick auf die Namen und Berufsangaben der Nachbarn zeigt, dass Esplanade 38 schon um 1900 eine gute Adresse war. Wenn an der Verteilung der Hausnummern seit damals nichts geändert wurde, ist Haus Nr. 38 abgerissen worden, aber das Nachbarhaus Nr. 37 ist noch erhalten und bestens restauriert. Die Schwester Anna Siegfriede Adelheid Otto, geb. Balck, wohnte Steindamm 29. Im Adressbuch steht unter dieser Adresse Carlos M. Otte, für die Jahre 1898 bis 1914 wohnhaft im 3. Stock, ab 1909 noch mit dem Zusatz 'Privatier'. Von 1883 bis 1896 wurde unter dieser Adresse ein Frau C. Otte geführt, die vorher am Steindamm 13 wohnte. Letzte bekannte Adresse von Carlos Otte war Güntherstraße 25, 1. Stock von 1915 bis 1929. Bei keiner der gesuchten Personen sind Hinweise auf einen Beruf zu finden. Ebenso wenig gibt es Hinweise auf den Beisetzungsort des Ehepaars Otte.

Die Lösung der zweiten Frage nahm Hilke Oberländer mit Bravour und Computerhilfe selbst erfolgreich in Angriff: Die Internet-Recherche ergab, dass der Spruch ein Zitat aus der Novelle "Der Schulmeister von Handewitt" des Schriftstellers Timm Kröger ist. Die Eingabe des gesamten Spruchs "Das Leben ist doch schön, man muß es nur verstehn" führte – als einziger Hinweis – zum Projekt Gutenberg-DE2. Dort werden Bücher veröffentlicht, die frei von Urheberrechten sind.

Timm Kröger (1844-1918) war ein schlicht-gemütvoller, heimatverbundener niederdeutscher Erzähler und anschaulicher Darsteller des Bauernlebens in Schleswig-Holstein, befreundet mit Detlev von Liliencron und in seinen Landschaftsschilderungen zum Teil von Theodor Storm beeinflusst3.

Die Novelle "Der Schulmeister von Handewitt" wurde 1893 oder 1894 erstmals veröffentlicht. Deswegen ist es durchaus möglich, dass Anna Henriette Emma Balck, die 1904 gestorben ist, das Zitat dort gelesen und für ihr Grabmal ausgewählt hat.

Den ersten Teil des Timm-Kröger-Zitats kann man übrigens auch schon bei Friedrich Schiller (1759-1803) finden, und zwar in dem dramatischen Gedicht "Don Carlos", 4. Akt, am Schluss des 21. Auftritts. "O Gott, das Leben ist doch schön!" sagt dort der Marquis von Posa zur spanischen Königin. Auch ein Gedicht von Gottfried Keller (1819-1890) hat die Überschrift "Das Leben ist doch schön"4. Es lautet

Das Leben ist doch schön

Wie schön, wie schön ist dieses kurze Leben,
Wenn es eröffnet alle seine Quellen!
Die Tage gleichen klaren Silberwellen,
Die sich mit Macht zu überholen streben.

Was gestern freudig mocht mein Herz erheben
Das muss ich lächelnd heute rückwärts stellen;
Wenn die Erfahrungen, sich drängend, schwellen,
Erlebnisse wie Blumen sie umgeben!

So muss ich breiter stets den Strom erschauen,
Auch tiefer mählich seh den Grund ich winken,
Und täglich lern ich mehr der Flut vertrauen.

Nun goldene Geschirre, sie zu trinken,
Gebt, Götter! mir und Marmor, um zu bauen
Den festen Damm zur Rechten wie zur Linken!

Hilke Oberländer hat den ihr lieb gewonnenen Spruch "Das Leben ist schön", ihr neues Lebensmotto, auf ihre Fleece-Jacken, in denen sie mit dem Fahrrad auf dem Friedhof unterwegs ist, aufdrucken lassen und auf Steine, die sie zur Erinnerung an ihre Gäste verteilt oder auf das Grab ihres Mannes gelegt hat, jedoch ohne das Wort doch. "Der Spruch von Kröger sagt mit seinem 'doch' noch viel mehr aus," findet Hilke Oberländer, "sich einlassen auf das Leben; nicht nur Glück erwarten; auch aus den dunklen Momenten Kraft schöpfen; und wissen, dass diese Momente vorübergehen."

1 http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start
2 http://gutenberg.spiegel.de/buch/598/26
3 dtv-Lexikon der Weltliteratur, München 1971
4 Gottfried Keller: Sämtliche Werke in 8 Bänden, Band 1, Berlin 1958-1961, S. 302

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