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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

ASINUS AD ORGANUM - Eine Eselei auf einem Grabstein

Friedhof und Musik – Themen und Variationen in der Grabmalkunst so lautet der Titel eines Beitrags von Christine Behrens in der Ausgabe Nr. 82 dieser Zeitschrift.

Darin wurde u. a. auf einen Orgel spielenden Esel auf einem Grabstein des Wohldorfer Friedhofs in Hamburg aufmerksam gemacht und Parallelen zu einem ähnlichen Motiv an einem Gestühl der Kirche St. Marien in Lübeck gezogen. Das Gestühl stammt aus der ersten Hälfte oder der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Grabplatte aber erst aus dem Jahr 2003. Gibt es da eine Verbindung? Ja, wie der Verfasser recherchiert hat, aber anders als der Leser es vermutet.

Esel in Lübeck
Bekrönung des Gestühls in St. Marien Lübeck.
Foto: Heiko K. L. Schulze

Zur halbplastischen Holzschnitzerei als Bekrönung einer Seitenwange des besagten Gestühls weiß der Landeskonservator Heiko K. L. Schulze aus Kiel anzumerken: "Die Deutung des Esels ist unklar. Oft bedeuten Tierdarstellungen Sprichwörter. Zu den Sprichwortweisheiten gehören auch die im Mittelalter beliebten Darstellungen einer 'verkehrten Welt', von der neckisch angedeutet werden soll, dass sie eben leider gar nicht selten und ebenso real sei wie die vernünftige Welt. Sinnvolle menschliche Tätigkeiten werden von Tieren quasi 'nachgeäfft': Ein als unmusikalisch geltender Esel spielt die Orgel, und die Vögel, die eigentlich begabten Sänger, sind die Zuhörer". Ähnliche Darstellungen – wie die eines Dudelsack pfeifenden Esels auf einer alten Grabplatte (s. den Beitrag von Peter Schulze in der Ausgabe Nr. 104 dieser Zeitschrift) oder eines Leier spielenden Esels an Sakralgebäuden – bedeuten, so Heiko K. L. Schulze, "keine Verhöhnung der Kirchenlehre, sondern zeig[en] nur, dass auch normale Fromme auf solche Gedanken kommen. Von der Geistlichkeit werden sie nicht als Schwäche gedeutet, sondern als weise Einsicht in die Besonderheit der Natur des Menschen".

Briefkopf
Briefkopf des Kirchenmusikers Gerhardt Blum, gest. 2000.
Vorlage: Anneliese Blum

Die "Eselei" auf der Grabplatte des Kirchenmusikers Gerhardt Blum (1930-2000) ist auf die Begeisterung des nunmehr Verstorbenen für das Motiv in Lübeck zurückzuführen: Nachdem eine Bekannte nach einem Besuch ihn mit einer Postkarte und den Worten "Ich wusste gar nicht, dass Sie auch hier vertreten sind" darauf aufmerksam gemacht hatte, zog er sich aus Spaß den Esel zu. Er ließ sich daraufhin einen Briefkopf entwerfen, ohne zuhörende Vögel zu Füßen des Esels, aber mit einem fliegenden Vogel als Symbol des Heiligen Geistes über seinem Kopf. Diese moderne Variante des Orgel spielenden Esels verwendete er auch auf Plakaten für seine Konzerte. Nach seinem Tod gestaltete die Keramikerin Ulrike Weiß aus Paris, eine Freundin der Familie, eine Porzellanplatte in den Maßen 17 x 29 cm, auf der eine vereinfachte Nachbildung der modernen Variante des Orgel spielenden Esels erhaben dargestellt ist: Der Esel erscheint hier jedoch ohne Schwanz, der Vogel fliegt nach links in die entgegengesetzte Richtung, und das Manual der Orgel ist zum Esel hin gedreht.

Porzellanplakette
Porzellanplakette auf dem Grabstein
für Gerhardt Blum, Friedhof Wohldorf/Hamburg
Foto: Christine Behrens

Die Informationen zur "Eselei" auf der Grabplatte gab freundlicherweise Frau Anneliese Blum, die Ehefrau des verstorbenen Kirchenmusikers. Damit erhellen sich die immer wieder nachgefragten Hintergründe dieser modernen Variante des Orgel spielenden Esels.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Katastrophen und Unglücksfälle (Mai 2009).
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