Auf dem Ohlsdorfer Friedhof hinter der Kapelle 13 in Grablage Bo 72 liegt ein kleines Gräberfeld, dessen Steine ungewöhnliche Symbole und Inschriften tragen.
Wer verbirgt sich dahinter? Wir stehen vor den Gräbern der Bahá'ì, einer relativ unbekannten Glaubensrichtung, der jüngsten Weltreligion. Am 14. November 2002, dem Hamburger Tag der Weltreligionen, erhielt ich im Versammlungsraum der Bahá'ì am Mittelweg freundliche Auskunft und Schriftmaterial. Sechs Millionen Anhänger leben über die Welt verstreut in 340 Ländern, die Hamburger Gemeinden bestehen seit etwa 1924.
Mitte des 19. Jahrhunderts in Persien aus dem Islam hervorgegangen, bot die eigenständige Religion durch ihre Inhalte bald Anlass zur Verfolgung, da sie ein humanitär-aufklärerisches Weltbürgertum anstrebt. Zentrale Gründergestalt war der Bahá'u'lláh (1817 - 1892) "Herrlichkeit Gottes", abgeleitet vom Arabischen Bahá = Herrlichkeit und lláh = Gott. Bahá steht aber auch für die Ziffer "9", besitzt darum Symbolwert. Auf einen Klerus verzichtet man, stattdessen werden neun "geistige Räte" berufen, auf Orts- wie auf Nationalebene. Sie sind verantwortlich für Verwaltung und Lebensfragen. Fundament der Religion sind die Schriften des Bahá'u'lláh. Grundsätzliche Bedeutung hat das Wort "Einheit", nämlich Gottes, der Religionen und der Menschheit. Daraus erwachsen Zielvorstellungen wie Harmonie zwischen Wissenschaft und Religion, Gleichberechtigung von Mann und Frau, bestmögliche Erziehung der Kinder beiderlei Geschlechts.
Auf jedem Kontinent befindet sich ein sog. "Haus der Andacht", das europäische steht in Langenhain/Taunus. Mächtig alle, von unterschiedlicher Architektur mit zentraler Kuppel, neun Seiten und neun Eingängen, letztere Offenheit für die Anhänger verschiedener Religionen symbolisierend. Das internationale Verwaltungszentrum der Bahá'ì, das "Universale Haus der Gerechtigkeit" prägt mit dem Grabmal des Báb, einem Propheten, das Stadtbild Haifas (Israel), weithin leuchtet die echt goldene Kuppel des Schreins. Der Bahá'u'lláh lebte nach der Verbannung in der damaligen Gefängnisstadt Akko und starb dort auch. Sein Grab gibt Gebets- und Bestattungsrichtung an. Große Verfolgungswellen der Islamisten kosteten vielen Verkündern und Tausenden von Anhängern das Leben.
Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens ist das sog. "19-Tage-Fest" am Anfang eines jeden Bahá'ì Monats mit Andacht, Beratung und geselligem Beisammensein in privaten Räumen oder gemieteten Sälen. Religionsmündig wird ein Bahá'ì mit 15 Jahren. Er ist dann angehalten zum täglichen Gebet, zur Wallfahrt, zum Fasten zu bestimmten Zeiten sowie zum bereitwilligen Spenden. Letzteres ist Mitgliedern vorbehalten, von ihnen erwartet man 19 % des erwirtschafteten Überschusses! Misst man das Vermögen an Größe und Pracht der "Häuser der Andacht", so muss es beträchtlich sein! Die Trauungszeremonie hat keinen festlichen Charakter, wichtig ist, dass beide Elternpaare die Schwiegerkinder akzeptieren. Scheidung ist nicht möglich.
Eine komplizierte Besonderheit ist der Kalender, zur besseren Übersicht benutzen auch Bahá'ì ein Schema zum Unterlegen. Der Beginn der Zeitrechnung wurde auf das Jahr 1260 islamischer Zählung festgelegt, das entspricht der des Jahres 1844 der christlichen Ära. Beginnend am 21. März wird das Jahr in 19 Monate zu 19 Tagen (= 361) plus vier bis fünf "eingeschobener" Tage unterteilt. Fastenzeit ist vom 2. bis 21. März, dann beginnt das reine Sonnenjahr wieder mit dem Neujahrstag. Fest- und Gedenktage fallen auf dieselben des christlichen Kalenders.
- "Bahá'i-Grabmale auf dem Ohlsdorfer Friedhof" (Foto: Schulze)
Zur Bestattung gibt es nur wenige Vorschriften. Das Grab, nach Akko ausgerichtet, sollte höchstens eine Stunde vom Sterbeort entfernt sein, die Seele des Menschen hat ihn dorthin geleitet. Üblich ist das Erdbegräbnis, aber der Sitte des Gastlandes entsprechend kann auch eine Verbrennung erfolgen. Für über 15-Jährige soll ein Totengebet gesprochen werden. Die Grabsteine tragen oft den Namen des Bahá'u'lláh sowie ein baumähnliches Zeichen. In diesem Zeichen symbolisieren horizontale Linien von unten nach oben die Ebene der Gläubigen, der Propheten und Gottes, alle drei sind durch den senkrechten Strich miteinander und mit dem Himmel verbunden.
Die Bahá'ì glauben, dass der Tod wie die Geburt eine offene Tür zu einem neuen größeren Leben ist: "Anzunehmen, dass der Geist nach dem Tode des Körpers zu Grunde gehe, ist wie die Vorstellung, dass ein Vogel in einem Käfig umkäme, wenn der Käfig zerbrochen wird..."