Am 30. November 2012 lud die FUNUS Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Mitteldeutschen Feuerbestattungsverein e.V. erneut zu einem Symposium zur Bestattungskultur ein, zu dem wieder namhafte Referenten eingeladen waren. Thema dieses 3. Symposiums waren die Grenzen der Individualität.
Erasmus A. Baumeister aus Köln, Unternehmens-/Marketingberater und ausschließlich für die Bestattungsbranche tätig, berät diverse Bestatter, Friedhöfe, Floristen/Friedhofsgärtner, Steinmetze, Kirchen und ähnliche Betriebe, die mit Bestattungen zu tun haben. Er konnte ausführlich von seinen Erfahrungen und Beobachtungen berichten. Nach 1945 wurde der Tod zum Tabuthema und seiner Meinung nach haben es die Bestatter seither versäumt, das Thema aus dieser Position wieder herauszuholen. Auch wenn es in den 60er bis 80er Jahren umsatzstarke und sogenannte "fette" Jahre gab, ruhe sich die gesamte Branche nach wie vor darauf aus. Man habe ein Imageproblem und hänge dem Wandel weit hinterher. Er kritisierte die fehlende interdisziplinäre Kommunikation sowie die seit Jahrzehnten gleichbleibende und damit längst überholte Werbung der Branche. Hier seien Zeitgeist und innovative Ideen gefragt, die er mit seiner Agentur der Branche liefere. Der Kunde der Bestatterbranche habe Wünsche, die dieser selbst gar nicht kenne. Somit müsse man nicht nur werben, sondern auch "unterhalten". Die Schlüsselposition bleibe hier der Bestatter. Baumeister prognostizierte, dass in den nächsten Jahren die preiswerten Bestattungen auf 50% anwachsen und damit 20% des Umsatzes ausmachen würden, die Bestattungen im mittleren Preissegment mit einem Anteil von 30% einen Umsatz von 30% betragen und 20% Individual-Bestattungen ganze 50% des Umsatzes ergeben würden.
Michael Kriebel von der Gütegemeinschaft FLAMARIUM sprach sich für Transparenz und Offenheit aus. Gerade hier seien die Bestatter gefragt, die direkt mit dem Kunden arbeiten und ihn beraten. Es gelte aber nicht nur, die Bestatter zu sensibilisieren, was zum Beispiel in den vergangen Jahren durch die fundierte Ausbildung zur Bestattungsfachkraft auf den richtigen Weg gebracht wurde; auch Pflege- und Heilberufe sowie Kriseninterventionsteams und ähnliche Einrichtungen sollten zum Beispiel auch hinter den Kulissen einer Feuerbestattungseinrichtung Bescheid wissen, um Transparenz und Offenheit praktizieren zu können. Kriebel gab Antworten auf häufig gestellte Fragen und berichtete über aufkommende Wünsche der Angehörigen, die auch das FLAMARIUM stets versuche zu erfüllen. Als Beispiel sei die Entnahme einer Kleinstmenge von Asche für sogenannte Erinnerungsamulette angeführt, die keine Ascheteilung darstelle und somit auch den gesetzlichen Rahmenvorschriften der Feuerbestattung, welcher jede Einäscherungseinrichtung unterliege, nicht widerspreche. Auch individuell gestaltete Särge, sei es in der Bemalung oder Form, würden in seltenen Fällen vorkommen und im Rahmen der Vorschriften zu keinen Problemen führen.
Stephan Hadraschek vom Bestattungshaus Otto Berg in Berlin berichtete ebenfalls von der kollektiven Verdrängung des Todes in der Nachkriegszeit und spannte den Bogen zum gesellschaftlichen Wandel in den letzten Jahrzehnten. Dieser führte zu einer Entindividualisierung, da weitestgehend anonym gelebt, anonym gestorben und somit letztendlich auch anonym bestattet wird. Dadurch bleibt das Thema Tod und Trauer verdrängt und tabuisiert – Individualität findet somit nicht statt.
Bernd Thürling, Verwalter von sieben Friedhöfen in Berlin, steckte zunächst die Rahmenbedingungen anhand von Gesetzen, Regelungen und Friedhofssatzungen ab. Die Gesellschaft und die finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen bilden ebenso gewisse Grenzen der Individualität. Die Auswahl einer Grabstelle, die Trauerfeier mit ihrem Ablauf und ihrer Gestaltung sowie die spätere Gestaltung der Grabstelle lasse eine Vielzahl von individuellen Möglichkeiten offen. Er sei mit seiner Friedhofsverwaltung stets für Sonderwünsche offen und bemüht, alles Machbare zu erfüllen und im Nachhinein sogar empörte Friedhofsbesucher zu überzeugen. Als Beispiel nannte er die Geburtstagsfeier einer Verstorbenen an deren Grabstelle. Eine derartige Toleranz ist sicherlich nicht die Regel, sollte meiner Ansicht nach jedoch gängige Praxis sein, um den Friedhof wieder attraktiver zu machen.
Marc Wechler vom gleichnamigen Bestattungshaus in Hildesheim referierte von den Spannungsfeldern, die zwischen der Individualität und der Pietät in der Praxis auftauchen und untermalte dieses anhand zahlreicher Fallbeispiele. Billigbestattungen sparen zwangsläufig an der Qualität und seien somit unter Umständen weniger pietätvoll. Darf man sich jedoch dann darüber ernsthaft beschweren oder empören? Tatsächlich spielen die Kosten und finanziellen Möglichkeiten immer mehr eine Rolle. Auch bei der Versorgung des Verstorbenen gingen die Meinungen auseinander. Ebenso stelle sich die Frage, für wen eine Trauerfeier überhaupt sein sollte – für den Verstorbenen oder dessen Angehörige? Individualität, Pietät und Kommerz ständen in Wechselwirkung. Die entscheidende Frage sei aber schließlich, wo die Individualität des Einzelnen liege. Wenn zum Beispiel der Astronaut Neil Armstrong seine Asche ins Weltall schießen lassen würde, wäre dieses sicherlich kein ungewöhnlicher Vorgang, wie aber würde es sich verhalten, wenn ein ganz "normaler" Bürger einen derartigen Wunsch hätte? Ebenso kann man bei Reinhold Messner von einem für ihn passenden Ort und/oder einer passenden Art der Beisetzung ausgehen, wenn seine Asche ins Hochgebirge gebracht würde. Gerade hier seien der Individualität kaum Grenzen gesetzt. Individualität ist an jedem Einzelnen auszumachen und sollte sich bei jeder Bestattung, auch in Sozialfällen, wiederfinden.
Priv.-Doz. Dr. Dr. Tade Matthias Spranger von der Universität Bonn zeigte den Trend zur Individualität auf: Der Tod als mediales Thema, der gesamtgesellschaftliche Wandel mit seinen Folgen, der Friedhof von morgen (individuell und/oder anonym?) oder ist Individualität nur ein Zeichen der Zeit? Die Individualität zeige sich anhand der verschiedenen Bestattungsarten sowie der Gestaltungsmöglichkeiten. Spranger zeigte jedoch mit der Frage "Urne auf dem Kaminsims?" eine heutzutage immer noch große Grenze der Individualität auf. Der Friedhofszwang für Totenasche sei juristisch nicht haltbar, worauf er mit seiner Arbeit immer wieder hinweise und davon ausgehe, dass dieser sicherlich in naher Zukunft aufgehoben werden wird.
Als Fazit darf man sicherlich ziehen, dass es weniger um Grenzen der Individualität geht, als vielmehr darum, diese überhaupt erst aufkommen zu lassen. Diesbezüglich hat sich in den vergangenen Jahren sicherlich schon viel getan, an gewisse Grenzen stößt man dabei noch viel zu selten. Der Friedhofszwang für Totenasche ist im Grunde genommen auch nur noch eine theoretische Grenze, die in der Praxis über Umwege regelmäßig umgangen wird.