Der Bildhauer Oskar Erwin Ulmer (1888-1963) hat sich viel mit dem Thema "Mutter und Kind" auseinandergesetzt und dazu zahlreiche Plastiken geschaffen.
Die Mutter-Kind-Gruppe (1913) an der rechten Fassadenseite der ehemaligen Oberschulbehörde in Hamburg mag wohl seine erste Plastik zu diesem Thema gewesen sein. Er war einer der regionalen bildenden Künstler, die der Architekt Fritz Schumacher gern zur Ausschmückung seiner öffentlichen Bauten heranzog. Ulmer gehörte dem Künstlerrat an, jener Vereinigung, die nach dem Ersten Weltkrieg wohlwollend die Reformbestrebungen auf dem Friedhof Ohlsdorf unterstützte. Auf diesem Friedhof ist er mit zahlreichen Arbeiten vertreten.
Die hier wohl bekannteste Plastik ist jene aus Muschelkalk auf dem Familiengrab Ulmer am Ende der Talstraße: Eine Halbfigur eines weiblichen Aktes, einer Mutter, die ihr kleines Kind in den Armen hält, auf einem Postament mit Inschriften, der Kopf mit einem kupfernen Schutzdach versehen. Sie wurde aufgestellt, nachdem 1945 dort Rose Ackers, seine Schwiegermutter, begraben wurde.
Wie einer Zeitungsnotiz des "Hamburger Fremdenblattes" vom 6. Dezember 1938 zu entnehmen ist, hat Ulmer diese Plastik bereits früher geschaffen. Danach wurde sie zur Hundert-Jahr-Feier des Hamburger Künstler-Vereins, dessen Mitglied er war, im Altbau der Hamburger Kunsthalle ausgestellt und wie folgt gewürdigt: Von den Plastikern des Vereins tritt diesmal O. Ulmer bemerkenswert hervor. Kolbe ist sein unverkennbares Vorbild, aber seine Figuren sind von schönem plastischen Gefühl getragen und rhytmisch gefällig behandelt. Der Hinweis auf Kolbe mag unwahrscheinlich sein, da dieser nur wenig älter als Ulmer war und als sein Lehrer und Vorbild nachweislich der Bildhauer Adolf von Hildebrandt (1847-1921) gilt, bei dem er an der Kunstakademie in München studierte.
Nach Auskunft seiner Tochter, Frau Lise-Lotte Schiller, hat sich Ulmer in seinen frühen Werken an griechische Formideale gehalten, vermutlich ein Einfluß seines Lehrers von Hildebrandt, und sich mit indischer Philosophie und Theosophie befasst. Die zwei runenartigen und rätselhaften Zeichen am Postament des Familiengrabmals mögen darauf einen Hinweis geben. Die Mutter-Kind-Plastik wurde nochmals ausgestellt und zwar im Juli 1941 in München auf der Großen Deutschen Kunstausstellung und in einer Hamburger Tageszeitung als Figur mit gelöster Anmut beschrieben. Ein erwartetes Kaufangebot des Staates blieb jedoch aus. Vier Jahre später erhielt die Plastik als Familiengrabmal ihre endgültige Verwendung. Später wurden auch er und seine Frau hier beigesetzt.
Meist unbekannt ist Ulmers Mitwirkung an der Ausführung des KZ-Opfermahnmales vor dem Krematorium unter dem Architekten Karl Heinz Ruscheweyh. Vermutlich wird er hierzu 1948/49 die Schriften und die Urnen entworfen haben. Die Mitarbeit ging so weit, dass er auch mit dem Füllen, Schließen und Aufstellen der Urnen befasst war. Seit den zwanziger Jahren führte er ein Grabmalgeschäft, in dem der spätere Bildhauer und Leiter des Friedhofskulturdienstes Egon Lissow den Steinmetzberuf erlernte. Heute erinnert gegenüber dem Hauptgebäude des Friedhofs der Firmenname Ulmer & Range an den ehemaligen Betrieb Ulmers.
Im Schaufenster dieses Grabmalgeschäftes steht das Gipsmodell, nach dem die Steinplastik "Mutter und Kind" gearbeitet worden ist. Das Modell ist mit Schelllack patiniert und mutet von weitem wie eine Bronzeplastik an.