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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Trauerkultur in Genua – Reiseeindrücke

Genua, das als alte Seefahrerrepublik im Mittelalter Weltpolitik betrieb und heute der größte Handels- und Passagierhafen Italiens ist, ist eine großartige Entdeckung. Hier wuchs Christoph Kolumbus auf, hier wurden Genuesen im 16. Jh. Bankiers der spanischen Majestäten – und somit der Eroberung und Ausbeutung Amerikas. "La Superba", die Stolze wurde diese Stadt genannt, vor allem die Reiche, was erstklassige Kunstschätze, prunkvolle Paläste und historische Monumente heute noch beweisen: im Jahre 2004 Kulturhauptstadt Europas und mit seiner Altstadt seit 2006 Unesco-Welterbe. Eine weitere Hauptsehenswürdigkeit ist ihr "Cimitero di Staglieno", der berühmte Monumentalfriedhof einer Bankiersstadt – "eines der Wunder der Welt" laut Hemingway oder, wie der britische Schriftsteller Arthur Evelyn Waught schrieb, ein "Museum der bürgerlichen Kunst, im Vergleich dessen der Père Lachaise ein Nichts ist".

Spuren der Trauerkultur innerhalb der Stadt

Die heutige Kirche San Siro, im Stil des Manierismus mit barockem Dekor, ist der letzte Zustand einer ersten Kirche, die selbst auf einem christlichen Friedhof im 4. Jh. gebaut wurde. Sie hieß S.S. Apostoli und war wahrscheinlich die erste Kathedrale der Stadt.

San Lorenzo
San Lorenzo, Tympanon-Relief. Foto: C. Behrens

Die Fassade des Doms San Lorenzo, Genuas größter Kirche, mit polychromem Bauschmuck, reichen Gewändeportalen und Tympanonreliefs, entstand im 13. Jh. Im mittleren und höchsten Tympanon entdeckt man unter den Füßen des thronenden Christus einen querliegenden Betenden zwischen zwei Blasebälgen: der Märtyrer St. Laurentius, der auf einem glühenden Eisenrost starb und dessen Gebeine in Rom liegen, ist Schutzpatron der Stadt sowie von vielen Berufsgruppen, die mit offenem Feuer zu tun haben, etwa der Feuerwehrleute, Bäcker oder Köche; das Rostsymbol findet sich auch als Gittermotiv im Innenraum wieder. Dort stehen außerdem zwei Sarkophage aus weißem Marmor aus dem 15. und 16. Jh. Erwähnenswert hier ist noch die Kapelle Johannes des Täufers, dessen Asche früher an diesem Ort aufbewahrt wurde; die Reliquie hatten genuesische Kaufleute in Kleinasien 1098 erworben, damit ihre Heimatstadt mit Venedig (das die sterblichen Überreste des hl. Markus besaß) konkurrieren konnte.

Sarkophag
Sarkophag eines Dogen. Foto: C. Behrens

Ganz in der Nähe befindet sich die Piazza San Matteo, der besterhaltene mittelalterliche Platz Genuas, wo einst das mächtige Adelsgeschlecht der Doria wohnte. Neben der Familienkirche San Matteo (1308) entdeckt man auch das "Chiostro dei D’Oria", ein wunderschönes Kloster mit einem weiteren, fein bearbeiteten Sarkophag.

Sarkophag
Sarkophag im Kloster D'Orio bei San Matteo. Foto: C. Behrens

In der nicht weit entfernten Chiesa del Gesu‘ (16./17. Jh.) fällt der marmorne Fußboden mit seinen diversen Gerippen- und Sensenmannmotiven auf. Auch nennenswert ist die viel kleinere Kirche Abbazia dei Santi Cosma e Damiano, wo – als Schutzpatrone der Ärzte und Apotheker – die heiligen Zwillingsbrüder und Ärzte Cosma und Damian (3. Jh.) mit medizinischen Instrumenten und Arzneimittelbehältern dargestellt werden.

Damian
Die heiligen Cosma und Damian. Foto: C. Behrens

Zwischen beiden Figuren steht ein Gefäß, wohl für die Reliquien vom heiligen Damian, die 1296 aus Konstantinopel hierher gebracht worden sein sollen; am Fuß der Statuen liegen Zettel mit dem Bild der beiden Heiligen und Gebeten zum Mitnehmen. In der Kirche sind außerdem zwei Gräber erwähnenswert. Das erste, quadratisch mit der lateinischen Inschrift "HOC EST SEPULCRUM ARTIS CHIRURGORUM ET TONSORUM", wurde 1476 dicht bei ihren Schutzpatronen als Gemeinschaftsgrab der Innung der Chirurgen und Friseure eingerichtet; das zweite von 1762 rechteckig und ganz schlicht mit eingeritztem Schädel und Knochen.

Gemeinschaftsgrab
Gemeinschaftsgrab der Chirurgen und Friseure. Foto: C. Behrens
Reiter
Reiterbild von Francesco Spinola, 15. Jh. Foto: C. Behrens

Hier noch ein letztes Beispiel: im Eingang des Stadtpalais Palazzo Spinola (16.–18. Jh.), der seit 1958 als nationale Gemäldegalerie dient, kann man ein Reiterbild von Francesco Spinola aus der Mitte des 15. Jh. bewundern – ein Grabmal aus fein gearbeitetem weißem Marmor.

Die Bestattungen innerhalb der Stadtmauern von Genua waren bereits 1797 verboten worden. Erst 1830 jedoch beschloss man, 3 km nördlich vom Zentrum in den Ligurischen Bergen beim Dorf Staglieno im Bisagno-Tal, die Errichtung eines neuen Monumentalfriedhofs, der sowohl den Reichtum Genuas widerspiegeln als auch den Lebenden Lust und Freude bereiten sollte.

Der Friedhof Staglieno

Die Entfernung vom Zentrum hierher ist mit der Buslinie 12 leicht zu überwinden. Schon m westlichen Eingang – es gibt drei Eingänge, alle im Süden an der Via Piacenza, der Haupteingang in der Mitte – wird an den Wänden viel Informatives mitgeteilt: Friedhofsplan, Öffnungszeiten, aktuelle Grabfelder zur Bestattung oder Exhumierung für Erwachsene bzw. Kinder, Mitgliedschaft beim Verein der bedeutendsten Friedhöfe Europas ASCE (seit 2010), Videoüberwachung oder moderne Informationstechniken, von denen bei uns in Ohlsdorf noch geträumt wird… Außer dem Plan bekommt man beim Pförtner auch verschiedene Publikationen.

Eingang
Friedhof Stagnielo, Westeingang. Foto: C. Behrens
Plan
Friedhofsplan. Foto: C. Behrens

Der Friedhof selbst hat heute eine Gesamtfläche von rund 330.000 m² und man braucht viel Zeit, um überhaupt einen Überblick seiner (mit den Buchstaben A bis G versehenen) sieben Bereiche zu bekommen: da diese allgemein dicht belegt, weitläufig und mit beachtlichen Höhenunterschieden sind, gibt es zwei öffentliche Buslinien.

Arkaden
Die westlichen Arkaden und ihre Schätze. Foto: C. Behrens
Galeria
Galeria Montino, Teil C. Foto: C. Behrens

Nach dem Entwurf des klassizistischen Architekten Carlo Barabino, der schon 1835 an der Cholera starb, entstand ab 1844 unter Leitung seines Mitarbeiters Giovanni Battista Resasco eine streng symmetrische Anlage, die am 1. Januar 1851 eröffnet wurde. Dieser älteste Teil enthält die Säulengänge der unteren Ebene ("Porticato inferiore" A), die in den 1860er Jahren nach Osten mit einem halbkreisförmigen Bogengang (Sektor B) erweitert wurden. Gegenüber vom mittleren Eingang leitet eine monumentale Treppe von 77 Stufen aus Marmor hinauf zum Pantheon, dem markantesten Bauwerk der oberen Ebene D – ein mit Säulenvorhallen und Gräbergalerien umrahmter Rundtempel. Erst Anfang des 20. Jh. wird der westliche Bereich C – mit der an Art Déco reichen "Galleria Montino", dem Denkmal der Gefallenen im Ersten Weltkrieg aus den 30er Jahren und der "Galleria S. Antonino" (erst in den 50er Jahren fertig) weiter ausgebaut.

Pantheon
Blick zum Pantheon. Foto: C. Behrens

In den ersten Sektoren gedenkt das Genueser Bürgertum mit aufwändigen Grabmonumenten seiner Verstorbenen, und lässt manche davon in allen Details schon zu Lebzeiten anfertigen. Da im Laufe der Zeit der ursprüngliche Kern des Friedhofs in der Ebene sich schnell als zu klein erwies, wurde auch bald die Hügellandschaft rund herum mit eingeschlossen, wo zahlreiche Grabfelder entstanden. In diesem neuen Sektor E steht im "Boschetto dei Mille" die klassizistische Grabstätte des aus Genua stammenden Kämpfers für die Einheit Italiens, Giuseppe Mazzini (1805–1872).

Mazzini
Grabstätte Mazzini, 1874-77. Foto: C. Behrens
Raggio
Kapelle Raggio, 1885 Foto: C. Behrens

Insgesamt befindet sich hier ein fantasievolles Sammelsurium von Porträts, Grabmalen und Grabkapellen aller Art, die einen besonderen Reiz in dieser wunderbaren grünen Landschaft entwickeln: so auch die hohe (28 m über der Krypta), neugotische Kapelle Raggio von 1885 aus weißem Marmor.

Badaracco
Grabstätte Badaracco. Foto: C. Behrens
Lavarello
Grabmal Lavarello. Foto: C. Behrens

Im Laufe von 150 Jahren sind in diesem Freilichtmuseum der Bildhauerkunst alle möglichen Baustile vertreten – Neoklassizismus, Romantismus, Realismus, Symbolismus, Jugendstil, Art Déco… Hier einige Beispiele davon: realistische Darstellung einer Witwe mit wunderschöner Spitzenkleidung (Grabmal Badaracco 1878) oder einer ganzen trauernden Familie (Grabmal Lavarello 1890); ein großer geflügelter Chronos des Grabmals Piaggio (1876) und weitere Selbstinszenierungen der Grabstätten Figoli, Noceti, Rossi (1878), Gallino (1894) oder die Grabstätte Inga von 1933 mit ihren beiden Art-Déco-typischen Engeln.

Piaggio
Grabmal Piaggio, 1876. Foto: C. Behrens
Inga
Grabstätte Inga, 1933. Foto: C. Behrens

Ein weiterer Aspekt ist bemerkenswert – die Erotik von zahlreichen dieser Skulpturen, die der Photograph, Künstler und Journalist André Chabot, Spezialist in Sachen Friedhöfe und Trauerkunst 1989 in seinem Buch und Klassiker "Erotique du Cimetière" gut dargestellt hat. Bei den etwa 80 untersuchten Friedhöfen aus 20 europäischen Ländern, sind die meisten Bilder in Mailand und Genua entstanden (58 bzw. 48 – dafür nur zwei Grabstätten auf dem Ohlsdorfer Friedhof!). Unendlich viele, durchsichtig oder leicht bekleidete junge Frauen trauern in Staglieno: so die Verschleierte des Grabmals Cavagnaro di Carlo von 1864, der auf einer Treppe trauernde Engel Calcagno (1905); auch die Liegenden der Grabstätten Bertoloni (1918) für die 17jährige Tochter, Molinari (1927), Sanguineti oder Salvetti (1939).

Carlo
Grabmal Cavagnaro di Carlo, 1864. Foto: C. Behrens
Calcagno
Grabmal Calcagno, 1905. Foto: C. Behrens
Bertoloni
Grabmal Bertoloni, 1918. Foto: C. Behrens
Molinari
Grabmal Molinari, 1927. Foto: C. Behrens
Sanguineti
Grabmal Sanguineti. Foto: C. Behrens
Grabkammern
Mehrstöckige Grabkammern ohne Skulpturenschmuck. Foto: C. Behrens

Staglieno ist nicht nur ein Museum der Bildhauerei – in der Gestaltung des Friedhofs kommt auch die soziale Struktur Genuas zur Geltung. Damals wurden weniger wohlhabende Bürger in Kolumbarien und mehrstöckigen Grabkammern ohne Skulpturenschmuck bestattet, die Armen kamen in schlichte Sammelgräber; die Bogengänge, besonders die südlichen, wurden nach und nach vergrößert, oft mit Unter- und Obergeschoss und bis zu drei parallelen Gängen. Heute sind die freien Flächen zwischen den Bogengängen der Bereiche A und B mit Gräbern für Erwachsene bzw. Kinder belegt, wenn nicht gerade abgeräumt wird. Wie auf anderen italienischen Friedhöfen, gibt es im Osten in der Nähe vom Krematorium schon lange hohe Wände voller Grabnischen – mit Leitern!

Seit der Gründung – ein charakteristisches Zeichen der religiösen Toleranz der weltoffenen Stadt Genua – durften auch Ausländer, Protestanten, Juden oder Moslems auf dem Friedhof Staglieno bestattet werden. So finden sich noch heute im Bereich F verschiedene Felder für jüdische, evangelische sowie islamische Bestattungen. Es gibt auch einen englischen Friedhof mit Commonwealth War Graves und einen Friedhof der Griechen und Orthodoxen.

An der "Viale agli Eroi caduti in tutte le Guerre" (Allee der in allen Kriegen gefallenen Helden) sind außerdem zahlreiche Denkmäler, mit denen die Nation ihren Helden huldigt: zum Beispiel eine Gedenktafel der Luftwaffe oder der Feuerwehr. Eine weitere gibt es noch hier seit 2012: für Frauen, die durch Gewalt gestorben sind – klein und schlicht, aber mit vielen frischen Blumen.

Literatur:
André Chabot, Érotique du cimetière, Henri Veyrier, 1989, 223 S.
Cemeteries of Europe, A Historical Heritage to Appreciate and Restore, Bologna, 2004, 227 S.
Georg Henke, Christoph Hennig: Ligurien, Dumont, 2014, 296 S.
Peter Peter, Italienische Riviera, ADAC Reiseführer, 2014, 143 S.
Parcours d’art à Staglieno, Comune de Genova, 39 S.
Monumentalfriedhof Staglieno. Bildhauerkunst in Genua zwischen 1850 und 1950, lovingenova, Kunst und Literatur, 35 S. (auch im Internet!)
Staglieno – Der Friedhof der Denkmäler: Kunst unter freiem Himmel, Comune di Genova, 14 S.

ALTERNATIVTEXT
Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Tod und Natur (Dezember 2016).
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