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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Ohlsdorf 2050" und Denkmalschutz? Rückblick auf das Jahr 2015… ein Appell an die Öffentlichkeit

Der Wandel der Trauerkultur und die daraus entstehenden Schwierigkeiten der Friedhöfe in ganz Deutschland sind Fakten, mit denen man leben muss.

Bei schwindendem Personal und wachsenden Kosten sowie radikal abnehmender Nachfrage nach Erdgrabstätten hat der Ohlsdorfer Friedhof durch seine Größe ganz besonders zu kämpfen. Selbstverständlich sind Rasenflächen ohne Büsche, Hecken und weitere Hindernisse leichter zu pflegen; und das Überprüfen der Standsicherheit wird längst nicht so aufwendig, wenn die neuen Grabstellen, statt auf 391 ha zerstreut, nur noch um wenige Kapellen und damit auf ein Viertel der Gesamtfläche konzentriert werden. Sind aber solche grundsätzlichen Veränderungen wirklich denkbar für Ohlsdorf, den einmaligen und größten Parkfriedhof der Welt, der seit der Neufassung des Denkmalschutzgesetzes vom 1. Mai 2013 als Gesamtkunstwerk anerkannt ist? Und wenn man weiß, dass im letzten Oktober die gesamte deutsche Friedhofskultur als immaterielles Erbe der UNESCO vorgeschlagen wurde? Dies darf man ernsthaft bezweifeln.

1. Ein persönliches Anliegen… David gegen Goliath?

Anfang 2015 hört man zunächst intern vom Projekt "Ohlsdorf 2050" – noch ohne konkrete Vorstellungen, was daraus entstehen könnte. Für mich persönlich ändert sich alles am 1.3.2015 nach einem spontanen Sonntagsspaziergang durch den nördlichen Teil des Friedhofs. Auf meinem Wege sehe ich auch in diesem Winter mehrere abgelaufene, grün markierte Grabsteine; bei Kapelle 9 stapeln sich bereits abgeräumte Steine zu einem großen Haufen… Plötzliches Staunen jedoch am Eingang Friedhofsweg, denn ein grüner Punkt markiert ebenfalls das Grabmal der "Familie Wilh. L.C. Gundlach Kl. Borstel" (1870–1927), den Nachkommen des Vorbesitzers des Geländes südlich der Alster – und damit des heutigen Klein Borstel: Gundlach hatte nämlich sein Grundstück erworben, bevor die dort vorhandenen Heideflächen 1856 durch Kornfelder ersetzt wurden. Wohnhaft seit 46 Jahren in diesem Stadtteil, weiß ich wie alle hier, dass die Straßennamen "Gundlachs Twiete" und "Kornweg" Zeugnisse dieser lokalen Vergangenheit Hamburgs sind; auch, dass ältere Klein-Borsteler noch das berühmte "Café Gundlach" an der Alster kannten. Seit 1998 Vorstandsmitglied des "Kultur- und Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof", fühle ich mich hier also doppelt angesprochen.

Gundlach vorher
Das Grabmal Gundlach vorher. Foto: C. Behrens

Nach einem Anruf mit den Verantwortlichen gleich am nächsten Morgen wird der grüne Punkt entfernt. Das 2 m hohe Grabmal ist vorläufig gerettet, wird jedoch drei Monate später nach einem Fehlgriff abgeräumt und zerstört: einen Tag darauf ist leider nur noch ein oberes Drittel wieder auffindbar, das der Klein-Borsteler Heimat-Verein nun zum richtigen Standort Eingang Gundlachs Twiete an der Wellingsbütteler Landstraße stellen will – mit Zustimmung der Behörde, die auf sich warten lässt.

Gundlach nachher
Das Grabmal Gundlach nachher. Foto: C. Behrens

Kurz vor einer lang geplanten Reise darf ich in der Folge alle grün markierten Grabmale im Linne-Gebiet östlich der Kapelle 9 bis zum Prökelmoorteich nachträglich offiziell überprüfen und das Grün der erhaltenswertesten Steine mit roter Farbe übersprühen. Obwohl dies unter erheblichem Zeitdruck geschieht, wird dennoch sorgfältig nach Alter, Form, Verzierung, Spruch, Schrift usw. untersucht und dokumentiert – und die Arbeit auch am Wochenende nicht ausgesetzt, so dass meine Tätigkeit am Sonntag, dem 8.3., immerhin bei herrlichem Wetter, einige Friedhofsbesucher so beunruhigt, dass die Polizei alarmiert wird, weil sie mich für eine "Sprayerin" halten. Zusätzlich muss jedes Grabmal noch einmal besucht und einzeln mit gelbschwarzem Band abgeklebt werden, damit die weitere großflächige Abräumungsarbeit (im Volumen von ca. 24.000 Grabstätten nach zehn Jahren Rückstand) von Fachkräften mit Maschinen weiter fortgeführt werden kann, ohne die ausgewählten Steine zu gefährden: Denn die einmal abgeräumten Grabmale werden endgültig vernichtet und zu Straßenbauzwecken genutzt.

Grabmal Becker
Grabmal Becker von 1930, gerettet. Foto: C. Behrens

Im Frühjahr folgen viele interne Sondersitzungen über das Thema "Abräumung", auch zusammen mit der Verwaltung des Friedhofes, die unser Anliegen versteht: sie zeigt sich entgegenkommend und stellt uns den ehemaligen Cordes-Tunnel als Zwischenlager zur Verfügung – unter der Bedingung, dass der Förderkreis die Kosten trägt. Auf der Grundlage eines mit der Verwaltung gefundenen Verfahrens werden im kleinen Kreis aus einer "Longlist" der ersten bearbeiteten Sektionen interessante Grabsteine zu einer "Shortlist" ausgewählt. Seitdem warten 41 "gerettete" Grabmale sowohl auf ihre Restaurierung, als auch auf einen endgültigen Standort, eins davon litt bei der Umzugsaktion. Weitere Steine wurden doch abgeräumt aus finanziellen Gründen. Denn diese erste Rettungsaktion für die Sektionen 32, 37, 38, 39 und 55 kostete den Förderkreis eine höhere Investitionssumme – zu viel für einen kleinen Verein, der lediglich von den Beiträgen seiner 200 Mitglieder, von Spenden und der ehrenamtlichen Arbeit seiner 30 meist älteren Aktiven lebt.

Tunnel
Gerettete Grabmale im Cordes-Tunnel. Foto: C. Behrens

Dieses Ergebnis wirft auch lange Zeit einen trüben Schatten auf die Aktion; denn der Vorstand fühlt sich durch die Kosten, die Größe des Friedhofs mit rund 60 Sektionen, die Vielfalt der Aufgaben angesichts weniger Mitarbeiter deutlich überfordert: Der Verein hat das Projekt in dieser Form endgültig aufgeben. Daraus lernen wir zweierlei: Erstens müssen die bemerkenswertesten Grabsteine unbedingt eine Zeit lang am Ort bleiben dürfen, solange ein neuer, endgültiger Standort nicht gesichert ist; jede unnötige Umsetzung ist kostspielig und gefährdet den Stein. Zweitens: Allein schaffen wir es nicht – wir, und das heißt natürlich der Friedhof selbst als anerkanntes Denkmal, brauchen unbedingt Hilfe von außen, vom Denkmalschutz und vonseiten des Senats.

Grabmal Gohert
Grabmal Gohert-Schwarting von 1918 mit seinem selten gewordenen Porzellan-Porträt, gerettet 1.7.2015. Foto: C. Behrens

Ab Mai 2015 wird die Auswertung der nächsten Sektionen jedoch fortgeführt, da Einzelne im Förderkreis für eine Fortsetzung plädieren, gleichzeitig auch ermutigende Helfer sich und ihre Freizeit anbieten. Diesmal findet die Auswertung allerdings vor der grünen Markierung und anhand von Räumungslisten statt, die die weitere Arbeit viel einfacher machen; darüber hinaus fällt die Auswahl – bei hunderten von in Frage kommenden Grabmalen pro Sektion – viel leichter, wenn man zu zweit ist. Im Sommer sind aber viele und auch ich verreist, dadurch geht die Arbeit etwas langsamer, für den Friedhof wie auch für den Förderkreis. In dieser Zeit übernehmen zwei nette FOF-Mitarbeiter jeweils allein eine Sektion, dokumentieren alle Grabmale – und schwören danach: nie wieder! Es mag also nicht verwundern, wenn im Laufe des Sommers die große Sektion 43 östlich des Inselteichs ohne externe Nachprüfung übersprungen und abgeräumt wird.

Grabmal Joachim
Das Grabmal Joachim von 1977 in AG 43, 193-194 musste abgeräumt werden, 6.3.2015. Foto: C. Behrens

Nach dem Sommer wird daher die Arbeit der Auswahl und Dokumentation für die "Longlist" mit Abraümungslisten und Kamera, Maßband und der zuvor vorbereiteten Karte grundsätzlich nur noch zu zweit vorgenommen. Dazu müssen zunächst und in Ruhe zu Hause alle einzelne Grabstellen der Liste auf einer vergrößerten Karte der Sektion genau geortet und markiert werden; später werden sie dann an Ort und Stelle einzeln aufgesucht, wobei eine Person das ausgewählte Grabmal vermisst, während die andere Bilder macht und wichtige Merkmale notiert. Solange es nicht regnet (denn das Papier darf nicht nass werden), ist es eine gute Team-Arbeit, die sich weder von großer Hitze, noch von einem drohenden Gewitter oder auch den eiskalten Tagen, an denen Knipsen und Schreiben schwer fallen, aufhalten lässt. Unnötig zu sagen, dass das viel Zeit und Kraft kostet, welche angesichts von Termindruck (das Abstimmen beider Team-Partner einerseits, die drohende Abräumung – wenn keine Beerdigung vorliegt, muss gearbeitet werden – andererseits) oftmals auf Kosten der Familie und anderer Verpflichtungen geht.

Hermes-Kopf
Hermes-Kopf im Anzuchtgarten, 23.4.2015. Foto: C. Behrens

2. Die politische Seite

Langsam nehmen viele Ohlsdorfer Besucher die zunehmenden Veränderungen wahr; es handelt sich auch längst nicht mehr um eine "Nacht und Nebel-Aktion", wie eine Friedhofsliebhaberin das Verfahren am Anfang nannte – endlich wird die Öffentlichkeit durch Medien informiert, etwa so…

"Ohlsdorf – weniger Friedhof, mehr Park" betitelt Jan Haarmeyer seinen Artikel im Hamburger Abendblatt vom 25./26.7. 2015, S.7, und schreibt weiter "Zahl der Bestattungen sinkt: Stadt will nur noch ein Viertel der Fläche für neue Gräber nutzen. Drei Millionen Euro für Ideenwettbewerb und Umgestaltung".

Darauf antwortet die Behörde für Umwelt und Energie mit dem Beitrag vom 27.7. ihres Pressesprechers Jan Duber: "Ohlsdorf. Verändern heißt Bewahren. Friedhof Ohlsdorf als Ort der Gedenkenkultur und Naturraum entwickeln – Beteiligung von Anwohnern und Angehörigen".
Und drei Wochen später schreibt Matthias Schmoock darüber: "Was aus alten Grabsteinen wird: Jährlich werden auf dem Ohlsdorfer Friedhof rund 6000 Grabmale abgeräumt. Eine Spurensuche" (H.A., 15./16.8.15, S.12).

…bis zu dem Zeitpunkt, wo die Flüchtlingsfrage alle anderen Themen verdrängt.

Nun darf man selbstverständlich alte Grabsteine nicht mit Menschenleben in Beziehung setzen. Dennoch wird der Ohlsdorfer Friedhof mit seinem Kulturgut auch direkt von der Problematik betroffen: Im ehemaligen Anzuchtgarten in Klein-Borstel, wo längst nicht mehr gearbeitet wird, soll schnellstens eine Unterkunft für 700 Flüchtlinge gebaut werden. Daraufhin gibt die Stadt Hamburg im Sommer einer externen Firma den Auftrag, den Platz frei zu machen. Auf der Fläche wurde aber seit Jahrzehnten vieles deponiert – auch alte Grabmale, wenn sie wegen mangelnder Standsicherheit oder aus Altersgründen nicht mehr am Ort bleiben konnten. Dabei wird vieles sehr schnell entsorgt und umgelagert oder – mitgenommen? Der hier am 23.9.15 aufgenommene, wunderbare Hermes-Kopf (Sandsteinstütze eines Mausoleums?) ist zwei Tage später das einzige, noch sichtbare Stück auf dem Gelände des Anzuchtgartens – und seitdem unauffindbar.

Jetzt auf dem Friedhofsgelände selbst wurden auch die alten Grabsteine schnell zu einem neuen, leider Monate lang nicht gesicherten Standort bei Kapelle 8 gebracht. Inzwischen sind diese sorgfältig bei der ex-Kapelle 5 gehortet worden; einige davon lagen zuerst beim Betriebshof der Neuanlagen und erlebten damit ihren vierten Umzug! Wie es von außen, vorher am 8.6.15 im Anzuchtgarten, dann im September bei Kapelle 8 auch noch zu beurteilen war, handelt sich um wertvolle Schätze, von denen ganz wenige Leute wissen: darunter auch viele vom Denkmalschutz katalogisierte Grabmale, wie etwa das Grabmal Wulf von 1938 (Katalog-Nr.1166, schon 1985 durch einen neuen Stein ersetzt) mit einem schwebenden Engel. Die damalige Auswahl der denkmalswerten Grabstätten (nur bis 1950) war in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Mammut-Unternehmen gewesen. Es wird deshalb umso dringender, diese ausgewählten Zeugnisse der Hamburger Vergangenheit zu restaurieren – soweit das noch möglich ist, damit sie endlich in den passenden Museen untergebracht werden und zur Besichtigung offen stehen!

ALTERNATIVTEXT
Grabmal Wulf von 1938, Katalog-Nr. 1166, hier noch im Anzuchtgarten, 8.6.2015. Foto: C. Behrens

Langsam, wie oben schon erwähnt, bekommt der Förderkreis seit Juli 2015 politische Unterstützung. Inzwischen hat der Abgeordnete Dietrich Wersich (CDU) zweimal eine "Schriftliche Kleine Anfrage" mit dem Titel "Wird das Erbe des Ohlsdorfer Friedhofs ausreichend geschützt?" an den Senat gestellt – der sich jetzt mit dem Projekt "Ohlsdorf 2050" endlich ernsthaft befassen muss. Auf die erste kleine Anfrage vom 6.8.15, antwortet er am 14.8.15 mit der Drucksache 21/1236; die zweite SKA vom 21.9.15 folgt einen Monat später, wird am 29.9. mit der Drucksache 21/1660 beantwortet. Beide Drucksachen sind bei Weitem nicht zufriedenstellend, denn: "Die Bewertung erhaltenswerter Grabmale soll künftig unter Einbeziehung des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof e.V. erfolgen. Dazu erhält der Förderkreis Listen der zur Räumung anstehenden Grabmale und sichert diese ggf. auf eigene Kosten."

Wir wollen dennoch weiter fest hoffen, dass uns das Jahr 2016 endlich finanzielle Unterstützung der Kulturbehörde bringt, ehe der Schaden noch größere Ausmaße annimmt. Unser Kampf ist noch lange nicht vorbei: Trotz aller Schwierigkeiten hat unser Verein eine durch das Projekt jetzt notwendig gewordene Erweiterung der Außenanlage des Museums nach Süden vor. Und vielleicht finden sich künftig zunehmend Hamburgerinnen und Hamburger – gerne dazu andere Friedhofsbesucher –, die auch bereit sind, sich für das Kulturgut Ohlsdorfer Friedhof zu engagieren? Auch mit einzelnen Spenden, z. B. für ein Grabmal in der neuen Anlage am Haupteingang, ist uns schon geholfen!

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Ohlsdorf - Projekt 2050 (Februar 2016).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).