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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Seebestattung – Geschichte und gegenwärtige Praxis

Geschichte und rechtliche Voraussetzungen

Meer, Tod und Bestattung haben in der Kulturgeschichte eine besondere Bedeutung. Das Meer ist mit seinen Sturmfluten und Schiffbrüchen von genereller Unberechenbarkeit und Bedrohlichkeit gekennzeichnet. Hier ist die Erfahrung des Todes immer nah gewesen. Robert Harrison schrieb in seinem Buch über die "Herrschaft des Todes": "Auf dem Meer gibt es keine Grabsteine. Geschichte und Gedächtnis gründen sich auf das Einschreiben, aber auf dieses Element läßt sich nichts schreiben. Den Ort seiner Toten hält es nicht fest, es schließt sich über ihm, und sein grenzenloses Grab bleibt von Menschen unbezeichnet."

Diese besondere Erfahrung des maritimen Todes wurde über Generationen hinweg tradiert und hat eine besondere Bestattungskultur hervorgebracht: die Seebestattung. Heute ist die Seebestattung – als Urnenbeisetzung im Meer – eine Form der Naturbestattung, für die die Bestattungspflicht auf Friedhöfen (so genannter Friedhofszwang) nicht gilt. Prominente Personen, die sich seebestatten ließen, sind unter anderem die griechische Sängerin Maria Callas, der US-amerikanische Jurist und Verleger John F. Kennedy jr., der französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau und der deutsche Schauspieler Erik Ode.

Historisch gesehen hatte die Seebestattung jedoch zunächst vor allem praktische Aspekte, sie war in der Regel eine Notbestattung: Im Zeitalter der Segelschifffahrt, also bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, mussten verstorbene Besatzungsmitglieder oder Passagiere aus hygienischen Gründen dem Meer übergeben werden. Sie konnten während der wochen- oder monatelangen Schiffspassagen nicht an Bord bleiben, wollten sie nicht die Gesundheit der übrigen Besatzung oder Passagiere gefährden. Zum Zweck der Notbestattung wurden die Verstorbenen in Segeltuch eingenäht und beschwert. Nachdem der Kapitän vor versammelter Mannschaft und auf halbmast gesetzter Flagge eine Ansprache gehalten hatte, wurde der Verstorbene in die See gelassen. Vor diesem Hintergrund entwickelten Seeleute zu dieser Form der Bestattung eine besondere Beziehung. In der deutschen Kriegsmarine wurde die Seebestattung des toten Körpers unter anderem durch die Marinedienst-Vorschrift von 1925, in der bundesdeutschen Handelsmarine durch das Seemannsgesetz von 1957 (modizifiert 1961) in § 75 "Tod des Besatzungsmitgliedes" geregelt. Auch weiteren, nicht-gewerblichen maritimen Organisationen ist es erlaubt, solche Seebestattungen nach bestimmten Vorschriften durchzuführen. Dazu gehören die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, die Lotsenbrüderschaften, die Bundespolizei See und die Wasserschutzpolizei.

Abgesehen von diesen Ausnahmen ist es heute im Allgemeinen nicht mehr gestattet, einen toten Körper im Meer zu versenken. Verstorbene bleiben mit Hilfe einer Kühlvorrichtung so lange an Bord, bis der nächste Hafen erreicht ist. Nur wenn dies nicht möglich ist, hat der Kapitän für eine angemessene Bestattung in seemännischer Tradition zu sorgen. In einigen berufsspezifischen Fällen ist die Seebestattung bis heute auch als ehrenvolles Begräbnis bekannt, etwa für Marine-Angehörige.

Das deutsche Feuerbestattungesetz von 1934, das die Feuerbestattung der Erdbestattung erstmals allgemein gleichstellte, erlaubte in § 9, Absatz 3, auf Antrag und mit behördlicher Genehmigung Ausnahmen von der Beisetzung der Asche auf einem Friedhof – und damit grundsätzlich auch die Seebestattung. Die Anfänge regulärer Seebestattungen für breitere Bevölkerungskreise in der Bundesrepublik Deutschland stammen aus den 1970er Jahren. 1975 wurde auf Initiative des Bundesverbandes des Deutschen Bestattungsgewerbes die Deutsche See-Bestattungs-Genossenschaft e. G. (DSBG) mit Sitz in Kiel gegründet. Ihr gehören gegenwärtig rund 400 Unternehmen an. In der DDR war die Seebestattung nicht möglich, aber auch hier gab es für Sterbefälle bei der Marine eine gesetzliche Regelung. Weitere Formen wasserbezogener Bestattungsformen, wie die im Ausland bekannte Bestattungen von Aschen in einem Bach, Fluss oder Binnensee, sind in Deutschland derzeit gesetzlich nicht möglich.

Der regulären Seebestattung geht eine Einäscherung in einem Krematorium voraus. Die Versenkung der wasserlöslichen Urne geschieht in speziell ausgewiesenen Gebieten, zumeist vor der deutschen Nord- oder Ostseeküste.

Im Übrigen unterliegt die Seebestattung den entsprechenden gesetzlichen Verordnungen in den einzelnen Bundesländern. Nach wie vor setzt eine Seebestattung eine entsprechende amtlich-behördliche Genehmigung voraus. Der Grund liegt in der notwendigen Entbindung vom Friedhofszwang für Beisetzungen. Auch muss der Verstorbene die Seebestattung gewünscht haben. Dies kann von den Hinterbliebenen erklärt werden, wenn nicht im Vorwege eine entsprechende schriftliche Festlegung erfolgte. Ist letzteres nicht der Fall, so muss in einigen Bundesländern die Verbundenheit zum Meer nachgewiesen werden – etwa durch entsprechende Zeugnisse (Sportboot-, Segel-, Angelschein oder ähnliches).

In der Praxis haben sich die Reglementierungen – und damit der Zugang zur Seebestattung – im frühen 21. Jahrhundert gelockert. So ist die Seebestattung beispielsweise in Schleswig-Holstein – wo besonders viele Seebestattungen stattfinden – anderen Bestattungsformen vollkommen gleichgestellt. In Bayern hingegen muss ein Antrag auf Entbindung vom Friedhofszwang gestellt werden.
Statistisch verlässliche Angaben über die Zahl der Seebestattungen in deutschen Meeresgewässern gibt es nicht. Schätzungen gehen von einem Durchschnittsanteil zwischen ungefähr einem bis zwei Prozent an den Gesamtbestattungen in Deutschland aus, demnächst dürfte die absolute Zahl zwischen rund 8 000 und 16 000 jährlichen Seebestattungen liegen. Bekannt sind große regionale Unterschiede: Die Seebestattung ist vor allem in den norddeutschen Bundesländern verbreitet.

Abläufe und Zeremonien

Im Vergleich zu einer normalen Feuerbestattung mit anschließender Aschenbeisetzung auf dem Friedhof ändern sich die Abläufe bei einer Seebestattung erst nach der Einäscherung. Zunächst erfolgt die übliche Trauerfeier sowie die Verbrennung im Krematorium. Anschließend wird die Asche in die gewünschte Küstenregion überführt, was je nach Entfernung zu unterschiedlich hohen Kosten führt. Zwar sind generell die Kosten der Seebestattung zunächst höher als bei einer friedhofsgebundenen Aschenbeisetzung, allerdings entfallen die Kosten für Erwerb und Pflege einer Grabstätte.

Die Seebestattung selbst wird von der Reederei, die vom jeweiligen Bestattungsunternehmen beauftragt wurde, mit einem speziell ausgestatteten Schiff vollzogen. Je nach Heimathafen fahren die einzelnen Schiffe genau markierte Beisetzungsgebiete an. In Deutschland geschieht dies in den meisten Fällen in der Nord- und Ostsee, aber Seebestattungen sind prinzipiell – verbunden mit entsprechend höheren Kosten – auch in anderen Meeren möglich.

Um Schifffahrt oder Badestrände nicht zu gefährden, wurden behördlicherseits strenge Regeln und Positionen für Seebestattungen festgelegt. Unter anderem dürfen Seebestattungen nur außerhalb der Drei-Meilen-Zone stattfinden. Die verwendeten Urnen müssen sich von selbst im Wasser auflösen.

Die Zahl der mitreisenden Angehörigen ist je nach Größe des Schiffes begrenzt und beträgt in der Regel nicht mehr als 20 Personen – allerdings gibt es inzwischen auch Schiffe, die bis zu 36 Personen aufnehmen können.

Während der Passage wird die Urne an einem geeigneten Ort an Bord aufgebahrt, zum Beispiel im Salon oder einem geschützten Bereich auf Deck. Gegebenenfalls kann von den Hinterbliebenen eine Andacht durchgeführt werden. Nachdem das Schiff an der vorgesehenen Beisetzungsstelle auf offener See angelangt ist, übernimmt der Kapitän die zeremonielle Übergabe der Urne ans Meer. Die Urne wird dabei an einem Tau hinabgelassen. Zu den ausgeübten Ritualen zählen Flaggenhissen, musikalische Untermalung und Schiffsglocke und -pfeife. Wenn die Schiffsglocke acht Mal schlägt, ist dies in seemännischer Tradition ein akustisches Zeichen, dass die Wache nun zu Ende ist und bedeutet im übertragenen Sinne hier das irdische Lebensende. Zumeist werden einzelne Blumen oder Blätter als "letzter Gruß" auf dem Meer ausgestreut. Hingegen sind Kränze mit Schleifen und Blumengebinde aus ökologischen Gründen nicht erlaubt. Die Urne löst sich nach einer gewissen Zeit auf, die Asche lagert sich am Meeresboden ab und wird von Sanden bedeckt. Auf Wunsch wird den Hinterbliebenen ein Dokument mit den genauen Koordinaten des Beisetzungsortes überreicht. Eine Grabstelle im klassischen Sinn gibt es jedoch nicht, daher entfällt bei der Seebestattung auch jegliche Ruhezeitbeschränkung.

Hinweisschild
Hinweisschild in Büsum. Foto: N. Fischer

Abschließend dokumentiert die Reederei gegenüber der zuständigen Behörde die durchgeführte Seebestattung mit einem beglaubigten Auszug aus dem Schiffstagebuch und einer Kartenskizze, in der die geografischen Koordinaten der Beisetzungsstelle verzeichnet sind.
Die Zeremonien sind von Reederei zu Reederei verschieden. Außerdem muss noch unterschieden werden zwischen begleiteten und unbegleiteten Überfahrten, also mit Trauergemeinde oder ohne. Im letzteren Fall spricht man von so genannten "stillen Beisetzungen", bei denen in der Regel mehrere Urnen gleichzeitig auf hoher See versenkt werden. Dadurch werden die Kosten deutlich gesenkt, unter anderem weil die Beisetzungsreise mit dem Schiff zeitlich flexibel gestaltet werden kann. Auch hier wird die Urne vom Kapitän dem Meer übergeben. "Stille Beisetzungen" werden häufig bei Beisetzungen in entfernteren Meeresgebieten durchgeführt.

Seebestattung und Gedenkkultur

Prinzipiell ist die Seebestattung sowohl eine besondere Form der Naturbestattung als auch der anonymen Bestattung. Ein spezieller Bestattungs- bzw. Erinnerungsort ist äußerlich nicht erkennbar. Gedenk- und Erinnerungsobjekt bleibt zunächst die erwähnte, auf Wunsch ausgehändigte Seekarte mit dem markierten Beisetzungsort. Für häufig frequentierte Meeresgebiete, zum Beispiel Kieler Bucht und Lübecker Bucht an der Ostsee sowie Büsum an der Nordsee, werden jährliche Gedenkgottesdienste mit regelmäßigen Gedenkfahrten zur Beisetzungsposition angeboten. Dabei können auf dem Meer Erinnerungsblumen verstreut werden.

Sylt
Seebestattungsmemorial in Westerland auf Sylt. Foto: N. Fischer

Hinzu kommen allgemeine Gedenkstätten, die einem bestimmten Seebestattungsgebiet zugedacht sind, jedoch nicht die Namen der Seebestatteten aufführen. Ein solches Memorial befindet sich beispielsweise an prominenter Stelle auf dem Brodtener Steilufer an der Lübecker Bucht (Ostsee).

Koordinaten
Auf einigen Plaketten sind Koordinaten der Seebestattung verzeichnet. Foto: N. Fischer

Darüber hinaus bieten einzelne Friedhöfe neuerdings die Möglichkeit, die Namen von seebestatteten Personen auf einem Gemeinschaftsdenkmal vermerken zu lassen. Dies ist unter anderem in Westerland auf Sylt und im Ostseebad Großenbrode möglich.

Eine besondere Gedenkstätte für Seebestattungen mit namentlichen Kennzeichnungen wurde im Jahr 2011 von der Stadt Wilhelmshaven (Jadebusen/Nordsee) auf dem Rüstringer Berg eingeweiht. Unter dem Namen "Seefrieden" besteht sie aus Holzstelen, die auf Messingtafeln die Namen der Seebestatteten mit den Geburts- und Sterbedaten sowie die Koordinaten des Seebestattungsortes tragen.

Allgemein ist die Seebestattung ein wichtiges Beispiel für das zunehmende Auseinanderfallen von Bestattung einerseits, Gedenken andererseits. Der Verflüchtigung der Asche im Meer korrespondiert eine neuerdings deutlich ausgeprägtere Gedenkkultur an Land, wie die letztgenannten Beispiele dokumentieren. In ihrer Verbundenheit sowohl mit freier Natur als auch maritimer Tradition und Mentalität ist die Seebestattung Ausdruck einer individualisierten Bestattungskultur, die sowohl spezielle Zeremonien als auch neuartige Formen materieller Gedenkkultur hervorgebracht hat.

Redaktioneller Hinweis: Der folgende, leicht gekürzte Text ist zuerst erschienen in Tade M. Spranger/Frank Pasic/Michael Kriebel (Hrsg.): Handbuch des Feuerbestattungswesens. München 2014, S. 252–257.

Literaturhinweise:
-Pludra, Michael Paul: Das Seebestattungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt/Main 2011.
-Von Stritzky, Gabriele: Adieu … . In: Der Tod und das Meer: Seenot und Schiffbruch in Kunst, Geschichte und Kultur. Hrsg. von Stefanie Knöll, Michael Overdick, Norbert Fischer, Thomas Overdick. Handewitt 2012, S. 144–145.
-Sörries, Reiner: Alternative Bestattungen. Formen und Folgen. Ein Wegweiser. Frankfurt/M. 2008
-Fischer, Norbert: "Muscheln wachen am Grab": Über die Seebestattung: Friedhofskultur 93, 2003; Nachdruck in: Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur, Nr. 81, II/2003.

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