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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die "Gruft-Frage"“ und der Ohlsdorfer Friedhof

Als die St. Jakobigemeinde in Hamburg am Ende des 18. Jahrhundert als erste Kirchengemeinde einen "ländlichen" Friedhof vor dem Steintor einrichtete, ließ man eine achteckige Kapelle erbauen, um vermögenden Mitbürgern die Möglichkeit zu geben, so wie in der Kirche, auch im Grünen eine Gruft als Ruhestelle zu erwerben.

Kapelle
Kapelle auf dem Jakobifriedhof. Zeichnung: J. Faulwasser

Hundert Jahre später fotografierte Otto Erich Kiesel die Friedhöfe vor den Toren, weil ihre Schließung bevorstand. Er bezeichnete die reihenweise angelegten Gruften, also ganz oder zu zwei Dritteln in die Erde versenkte, ausgemauerte Keller, in die insgesamt jeweils eine größere Anzahl von Särgen herabgelassen werden konnte, als "typische Gruftanlagen" und unterschied höher aus der Erde hervorragende Gruften mit der Bezeichnung "Sarkophagstil".

Gruftreihe
Früheste Gruftreihe auf dem St. Nicolaifriedhof vor dem Dammtor.
Abb. aus Kiesel, S. 7
Gruftanlagen
Gruftanlagen auf dem St. Petri-Friedhof. Abb. aus Kiesel, S. 8

Zu diesem Zeitpunkt existierte der Ohlsdorfer Friedhof schon seit mehr als vierzig Jahren. Doch Grüfte spielten in seiner Beerdigungstradition kaum noch eine Rolle. Das hatte zu Beginn der Friedhofsplanung noch ganz anders ausgesehen. Der erste Entwurf eines Generalplans, den der damals sehr bekannte Oberingenieur Andreas Meyer im Juli 1878 vorlegte, sah im Zentrum der neuen Anlage einen sogenannten "Campo Santo" vor, der seitlich von großen Gruftarkaden eingegrenzt werden sollte; beschrieben als "Arcadenanlage mit Grabzellen", "welche einstöckig beginnend, mit dem zu beiden Seiten allmählig ansteigenden Terrain zur zweistöckigen Höhe übergeht". Hinten sollten sie mit einer hohen Halle mit weiteren Grabzellen abschließen. Insgesamt sah Meyer diese überdachten Flächen als besonders geeignet für die "Gräber und Statuen hervorragender Persönlichkeiten" an.

Plan Meyer
Ausschnitt aus dem Generalplan von Meyer, 1878. Foto: STAH, Plankammer 141_20_16_187_81-2
Gruftarkaden
Zeichnung der geplanten Gruftarkaden aus dem Generalplan von Meyer, 1878. Foto: STAH, Baudeputation B 1933

Diese große zweiteilige Anlage war den Stadtvätern allerdings zu kostspielig. Wilhelm Cordes wurde als Friedhofsverwalter eingesetzt und legte vier Jahre später einen eigenen Generalplan vor, in dem er die zentrale Schmuckanlage durch die heutige durchgehende Mittelallee ersetzte und den "Campo Santo" zu einer kreuzförmigen Anlage für Gräber auf Friedhofsdauer ohne Arkadenbauten reduzierte. Trotzdem musste die Gruft-Frage noch gelöst werden, denn man erwartete, dass die vermögenderen Hamburger – wenn sie denn überhaupt einmal bereit sein würden, sich so weit außerhalb der Stadt beerdigen zu lassen – die Tradition der Gruftbestattung nicht aufgeben würden.

Plan Cordes
Plan zum Bericht von Cordes zu Grüften vom 7.4.1883
Foto: STAH, Plankammer 141_20_16_188_32-4
Zellengruft
Zeichnung der geplanten Zellengrüfte, zugehörig zum Bericht von Cordes zu Grüften vom 7.4.1883. Foto: STAH, Plankammer 141_20_16_188_32

Gesetzlich wurden allerdings die bisherigen Kellergrüfte verboten und die Gruftbestattung nur noch in Einzellen-Grüften, also gemauerten Räumen, die nur einen Sarg aufnehmen konnten, gestattet. Dafür sah Cordes nun eine neue Anlage vor, nämlich die Flächen nördlich der Mittelallee direkt am Eingang. Die Grüfte sollten hier in die Böschung hineingebaut werden, also von außen nur mit ihrer Frontseite sichtbar sein. Dazu sollte es allerdings nicht mehr kommen. Die parkartige Anlage des Friedhofes führte dazu, dass die Bestattung in Grüften aufgegeben wurde und anstatt dessen immer mehr große Flächen für Familiengräber nachgefragt wurden, die dicht umpflanzt wie kleine "heilige Haine" reich mit plastischem Schmuck besetzt und mit Blumen bepflanzt wurden. Für die Flächen, die für Grüfte vorgesehen waren, musste, da sie im Eingangsbereich des Friedhofs lagen, eine neue repräsentative Nutzung gefunden werden. An ihrer Stelle entstanden neben der Fläche, die für den Althamburgischen Gedächtnisfriedhof genutzt wurde, weitere große Familiengrabstätten für Erd- und/oder Feuerbestattungen.

Doch die Tradition der Gruftbestattung ging mit dem neuen Parkfriedhof nicht vollständig unter. Einige wenige Familien haben diese Form der Beisetzung beibehalten. Zu der größten Anlage unter freiem Himmel zählt dabei sicher der offene Tempel der Familie von Ohlendorff mit seinem vorgelagerten, leicht vertieften Rasenplatz, der von einer Doppelreihe von Einzelgrüften eingefasst ist. Die Grüfte sind zwar mit ihrer Frontseite oberirdisch zu sehen, doch sind sie sonst ganz mit Erde überdeckt und grasbewachsen. Einige wenige weitere Grüfte folgten auf diese äußerst repräsentative Grabstätte, die schon 1899 eingerichtet wurde. Manche sind oberirdisch überhaupt nicht sichtbar und müssen aus den historischen Plänen erschlossen werden. Die Gruftzellen können aber auch oberirdisch zu einem in sich geschlossenem Gebäude zusammengefasst sein wie bei der 1911 errichteten zweiten Grabstätte der von Ohlendorffs oder sie ragen, wie die Grabstätte Cazalli, ein Stück weit über die Erde. Dort gibt es einen Zugang zu der gemauerten Gruft, in der in zwei seitlichen Kammern je zwei Särge übereinander eingestellt werden können.

Mausoleum
Mausoleum Heinrich Freiherr von Ohlendorff mit seitlich anschließenden Gruftwänden. Foto: Archiv FOF

Kontakt zur Autorin: [email protected]

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Gruftbestattungen (August 2013).
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