Schon im letzten Heft dieser Zeitschrift wurde ein Überblick über Ziele und erste Erfolge der Europäischen Route der Friedhofskultur gegeben. In diesem Heft nun wird diese Tourismusaktion in den Mittelpunkt gerückt.
Einige von den vielen Friedhöfen, die sich zu dieser Route zusammengeschlossen haben, sollen hier näher vorgestellt werden. Mit dieser Aktion sind historische Begräbnisplätze erstmals für ein breites Publikum als touristische Attraktionen definiert worden. Damit kann dieses wichtige Kulturerbe jetzt nicht nur Friedhofsliebhabern, sondern auch solchen Menschen nahe gebracht werden, die normalerweise keine Friedhöfe besuchen.
- Plan der europäischen Friedhofskulturroute. Grafik: ASCE
Die großen und – wenn nicht europaweit dann doch mindestens in den eigenen Ländern – bekannten Friedhöfe, die zu dieser Kulturroute gehören, sollen hier allerdings nicht im Zentrum stehen. Über solche berühmten Begräbnisplätze wie den Ohlsdorfer Friedhof, der dieser Zeitschrift ihren Namen gibt; den Wiener Zentralfriedhof; den Kopenhagener Assistenz-Kirchhof; die vielen historischen Friedhöfe in Berlin – dort zählen zur Route: der Dorotheenstädtische Friedhof; der Friedhof der Märzgefallenen; die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor; der Alte St. Marien und St. Nikolai Friedhof; der alte St. Matthäus Friedhof; der Alte Zwölf Apostelfriedhof; der Südwestkirchhof in Stahnsdorf und der Protestantische Friedhof in Potsdam-Bornstedt, welcher sogar zum Weltkulturerbe gehört – kann man ebenso wie zum Beispiel über den Cimiterio Monumentale di Staglieno in Genua, den Père-Lachaise in Paris oder den ehemaligen Hauptfriedhof von Barcelona, den Cementiri de Montjuic, zahlreiche Publikationen im Buchhandel erwerben und außerdem leicht eine Reihe von interessanten Internetseiten aufrufen, die mit Informationen und Bildern nicht geizen. Doch zahlreiche andere Anziehungspunkte dieser Route sind auch Friedhofsliebhabern weitgehend unbekannt und gerade sie machen die neue Broschüre, mit der die Route vermarktet wird – jeder kann sie aus dem Internet herunterladen (http://www.cemeteriesroute.eu/en/?page_id=831) – zu einer interessanten Lektüre.
- Grabmonument für Heinrich Schliemann auf dem ersten Friedhof von Athen. Zeichnung: R. Ziller
Da gibt es zum Beispiel den ersten modernen Friedhof von Athen, der um 1837 gegründet wurde, kurz nachdem Athen zur Hauptstadt des modernen griechischen Staates wurde. Auf diesem Friedhof, der auf einem Hügel liegt, sind nicht nur viele wichtige Persönlichkeiten der griechischen Geschichte begraben, dort liegt auch das Grab des berühmten deutschen Archäologen Heinrich Schliemann (1822-1890): Gleich im Eingangsbereich steht sein Grabmal, das dem Tempel der Nike auf der Athener Akropolis nachempfunden ist und die Inschrift "Dem Heros Schliemann" trägt.
- Das moderne Friedhofsmuseum in Dublin, Glasnevin Trust aus dem Jahre 2011. Foto: ASCE
Der Dubliner Glasnevin Cemetery ist mit einer Fläche von 50 Hektar der größte und in seiner Heimat bekannteste Friedhof Irlands. Auch er stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sein Gründer, der Politiker Daniel O’Connell, setzte sich in dieser Zeit sowohl für die Rechte der irischen Katholiken als auch für die Menschenrechte ein. Er bestimmte den neuen Begräbnisplatz als Friedhof für "alle Religionen und für jene Menschen ohne Religion". Bis dahin waren die Katholiken in Irland so sehr unterdrückt, dass ihnen die Ausübung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit verboten war. So bedeutete der neue Friedhof, dass sie dort erstmals wenigstens nach eigenem Ritus begraben werden konnten. Heute liegen in dem geweihten Boden Seite an Seite die Überreste von Revolutionären und Pazifisten, zusammen mit jenen von Politikern, armen Leuten, Sportlern, Sängern, Dichtern und Schriftstellern. Glasnevin ist damit der Nationalfriedhof Irlands. Selbst James Joyce widmete ihm übrigens in seinem weltberühmten Roman Ulysses ein eigenes Kapitel. Besonders interessant ist ein Friedhofsbesuch aber auch aufgrund des vor kurzem eröffneten modernen Friedhofsmuseums, dessen Ausstellung mit den modernsten Mitteln die soziale, politische und kulturelle Geschichte des Landes durch die Generationen, die dort beerdigt wurden, widerspiegelt.
- Grabmale auf dem West Norwood Cemetery in London. Foto: ASCE
Das reiche sepulkrale Kulturerbe Englands ist bisher leider nur mit wenigen historischen Friedhöfen in der Route vertreten: Der Ford Park Cemetery in Plymouth, dessen hügelige Landschaft mit Kreuzen und Stelen besetzt ist, diente in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur dieser Stadt sondern auch Devonport und Stonehouse als einziger Begräbnisplatz. In Liverpool kann man die landschaftlich gestalteten Flaybrick Memorial Gardens besuchen und in London nehmen der Brompton Cemetery und der West Norwood Cemetery an der Route teil. Ihr Bekanntheitsgrad steht zu Unrecht weit hinter dem berühmten Highgate Cemetery zurück. Gerade der West Norwood Cemetery ist einer der größten viktorianischen Friedhöfe Englands und zudem einer der ältesten privaten Landschaftsfriedhöfe in London. Er wurde übrigens als "Millionärs-Friedhof" bekannt, weil dort so viele reiche Leute begraben und mit großartigen Monumenten erinnert wurden.
- Grabmale des 19. Jahrhunderts in der Certosa, Bologna. Foto: Certosa Bologna
Wie schon in der letzten Ausgabe der Zeitschrift erwähnt, finden sich die meisten Friedhöfe der Kulturroute in den südlichen Ländern Europas. Das ist insofern kein Wunder, als die Gründung der ASCE, die die Route initiiert hat, von Bologna ausging. Verbindungen nach Spanien und Portugal aber auch zum Balkan liegen also traditionell nahe. Die "Certosa" von Bologna ist im Übrigen unbedingt eine Reise wert, bildet doch das ehemalige Kartäuserkloster der Stadt, das 1334 gegründet und 1797 von Napoleon aufgehoben wurde, den innersten Kern dieser Anlage. Außerdem wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts innerhalb des Friedhofs eine etruskische Nekropole aus dem 6. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. entdeckt, die ein weiterer Anziehungspunkt ist. Die Leidenschaft der lokalen Aristokratie für monumentale Familiengrabmale machte die Certosa im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem "open air museum". Ein Besuch dieser Anlage gehörte übrigens bald zu dem Programm der "Grand Tour" damaliger Italienreisender, zu denen auch Lord Byron, Charles Dickens, Theodor Mommsen und Stendhal zählten. Ein Aspekt, der die Certosa von Bologna von anderen monumentalen Friedhöfen Europas unterscheidet, ist die Nutzung des Klosters, an das im Laufe der Zeit kleine Gebäude, Räume und Säulengänge angebaut wurden, so dass Friedhof und Stadt sich nur wenig voneinander unterscheiden. Natürlich sind auch dort viele wichtige Persönlichkeiten bestattet worden, so unter vielen anderen der Komponist Ottorino Respighi oder der berühmte Kastrat Farinelli, aber auch der Unternehmer Alfieri Maserati.
Leider können hier nicht alle italienischen Friedhöfe ausführlich vorgestellt werden, doch soll wenigstens erwähnt werden, dass auch der englische Friedhof in Florenz, der protestantische Friedhof und der Monumentalfriedhof von Verano in Rom, der Cimitero della Villetta in Parma, der Cimitero Monumentale di Bonaria in Cagliari und die beiden Friedhöfe der kleinen oberitalienischen Stadt Lecco dazugehören. Natürlich ist es schwierig hier nur einige wenige Friedhöfe aus der Vielzahl auszuwählen, die man auf der Kulturroute in Portugal und Spanien besuchen kann, und natürlich ist die hier vorgestellte Auswahl sehr persönlich. In Cordoba sollte man aber zum Beispiel nicht nur die berühmte Kathedrale im maurischen Stil besichtigen, sondern auch den Friedhof "Nuestra Señora de la Salud" besuchen, der 1833 eingerichtet wurde. Eine Epidemie war wie so oft der Auslöser für die Verlegung des Friedhofs, zusammen mit dem entsprechenden Gesetz, das der älteste Bruder Napoleons 1809 in Madrid erließ. Obwohl die Anlage schon 1811 fertiggestellt war, dauerte es dann aber noch zwölf Jahre, bis die ersten Bestattungen möglich waren. Besonders im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ließen viele Einwohner der Stadt auf diesem Friedhof die typischen zeitgenössischen Mausoleen, zusammen mit Grabmalarchitekturen, Skulpturen und Kunstwerken errichten und auch die Grabstätten bekannter Stierkämpfer, der sogenannten 'Kalifen von Cordoba', sind es wert besichtigt zu werden.
- Grabmale im ersten Hof des Cemeterio San José, Granada. Foto. Wikipedia, freie Lizenz
Ein weiterer wichtiger andalusischer Friedhof, der städtische Friedhof von San José in Granada, sollte ebenfalls nicht ausgelassen werden. Auch er stammt vom Beginn des 19. Jahrhunderts, als der alte Friedhof von Barreras, heute der Patio I des Begräbnisplatzes, zum Hauptfriedhof der Stadt gemacht wurde. Dieser Friedhof, der nicht weit vom Eingang der berühmten Alhambra liegt, gehört insoweit noch zu der historischen Landschaft dieser Burg- und Festungsanlage, als sich auf seinem Gelände die archäologischen Überreste eines weiteren Palastes aus dem 14. Jahrhundert befinden. Der Friedhof selbst ist in verschiedene Hofräume gegliedert, und man kann selbstverständlich auch hier an den Grabstätten die Geschichte der Stadt ablesen. Zugleich aber hat man einen einzigartigen Blick auf die Stadt Granada und die umgebende Sierra Nevada mit ihren fruchtbaren Ebenen.
- Friedensmonument, Friedhof Pobrezje, Maribor. Foto: ASCE
Erwähnenswert ist, dass auf dem Balkan, der am Ende des letzten Jahrhunderts durch den Krieg so schwer zerstört wurde, heute insgesamt sechs Friedhöfe an der Kulturroute teilnehmen; Friedhöfe, die in Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien und damit auch im ehemaligen Kriegsgebiet liegen. Die gemeinsame Teilnahme an diesem Tourismusprojekt darf man sicher als Schritt zur Normalisierung der Beziehungen werten. Je ein Friedhof von Sarajewo, Belgrad, Ljubliana und Maribor sowie zwei Begräbnisplätze in Zagreb werben dabei für sich. Da Maribor in diesem Jahr als europäische Kulturhauptstadt besonders attraktiv ist, sei hier auf den Friedhof Pobrezje hingewiesen, der aus drei Teilen besteht. Seine erste Fläche wurde 1879 als Stadtfriedhof angekauft, weil man mehr Begräbnisplätze für Nicht-Katholiken und Arme brauchte. Erst Jahrzehnte nach seiner Eröffnung wurde er dann auch von der katholischen Kirche geweiht. Dagegen wurde der Magdalena-Friedhof von Anfang an für die katholischen Gläubigen eingerichtet. Zuletzt kam der Franziskaner-Friedhof hinzu, der 1927 speziell für die Brüder dieses Ordens angelegt wurde. Verbunden sind diese Begräbnisstätten mit drei Kriegsgräberfeldern. Das erste erinnert an Soldaten des Ersten Weltkriegs; auf dem zweiten liegen sowjetische Kriegsgefangene von 1941-1942 und das letzte erinnert an den Partisanenkampf. An der Südseite des Friedhofs befindet sich außerdem ein Weg der Erinnerung, der zum Park der Erinnerung führt. Dort wurde 2011 ein ungewöhnliches Friedensmonument errichtet. Dieses Denkmal ist das erste Monument auf dem Balkan, das allen Kriegsopfern gewidmet ist, ohne jeden Unterschied in Bezug auf Nationalität, Religion oder Hautfarbe.
- Friedhof im Nebel, Alter Podgorze Friedhof, Krakau. Foto: ASCE
Außer den genannten Staaten sind noch Bulgarien und Polen, Estland, Schweden und Norwegen mit je einem Friedhof in der Kulturroute vertreten. Unter ihnen ist der Alte und der Neue Podgorze Friedhof in Krakau besonders wichtig. Der erstere war über hundert Jahre lang der wichtigste Begräbnisplatz für die königliche Freie Stadt Podgorze, die um 1790 als zweite jüdische Siedlung der Stadt angelegt wurde und in der die Nationalsozialisten ein Ghetto und ein Konzentrationslager einrichteten. Der wahrscheinlich schon bei der Stadtgründung um 1790 angelegte alte Begräbnisplatz wurde im Jahr 1900 geschlossen und verwilderte danach. Ein Teilstück wurde während des Zweiten Weltkrieges von den Nationalsozialisten zerstört, die eine Eisenbahn anlegten; ein weiteres 1970, als eine neue Straße gebaut wurde. Heute ist dieser Begräbnisplatz ein Ort der Ruhe und Meditation. Mit seiner Schließung wurde der Neue Podgorze Friedhof eröffnet, der malerisch auf einem Hügel liegt.