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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Gedichte der Anderen

Die Anderen? Nicht jeder, der dichten kann, wird gleich ein Dichter. Doch Dichten ist eine Beschäftigung, der man sich sehr gut in seinen Mußestunden widmen kann und dabei, entsprechendes Talent vorausgesetzt, auch recht interessante Ergebnisse erzielen kann, wie einige Ohlsdorfer Prominente eindrucksvoll beweisen.

Wer weiß schon zum Beispiel, dass Hamburgs Oberbaudirektor Professor Fritz Schumacher (1869–1947, Grablage Althamburgischer Gedächtnisfriedhof, Grab 25) Gedichte verfasst hat? Wenn man sich allerdings bewusst macht, dass er einer Generation angehörte, in der – einen gewissen Bildungsstandard vorausgesetzt – die Schreibkultur an sich und auch das Verfassen von Gedichten als Bestandteil der Allgemeinbildung angesehen wurde, wundert man sich nicht so sehr darüber.

Schumacher
Grabplatte für Oberbaudirektor Fritz Schumacher auf dem Althamburgischen Gedächtnisfriedhof. Foto: Peter Schulze

Schumacher war ein sehr produktiver Schreiber. Vieles schrieb er natürlich "von Berufs wegen", aber einige Bücher, die nach seinem Ausscheiden aus dem Amt erschienen, widmen sich auch anderen Dingen, wie die Titel erkennen lassen: "Stufen des Lebens – Erinnerungen eines Baumeisters" von 1935, "Rundblicke – Ein Buch von Reisen und Erfahrungen" von 1936 und "Träumereien – Ernste und heitere Gedankenspiele" von 1939: Schumachers in schlichtes Leinen gebundene Gedichtsammlung mit dem Titel "Begleitmusik des Lebens" erschien 1937, aber die meisten Gedichte dürften erheblich älter sein.

Da klingt natürlich manches von dem, was er geschrieben hat, für uns ungewohnt, sowohl sprachlich als auch in der Betrachtungsweise. So spricht Schumacher in wahrscheinlich um 1914 entstandenen Gedichten "vom edlen Wettkampf" und "der deutschen Seele". Dieses Pathos hat uns ja spätestens der letzte Krieg recht gründlich ausgetrieben.

In vielen Gedichten philosophierte Schumacher über unterschiedliche Aspekte des Lebens. Das folgende Gedicht allerdings fällt deutlich aus dem Rahmen, denn hier schreibt Schumacher über das Ehrenmal mit dem Barlachschen Relief an der Kleinen Alster, das Schumacher so am Herzen lag:

Ehrenmal
Aus stillen Wassern ragt ein Mal.
Mit stolzen Formen prunkt es nicht,
Nur eine Tafel glatt und schlicht
Verkündet mahnend eine Zahl.
Von Vierzigtausend spricht der Stein,
Die eine einz’ge deutsche Stadt
Im Schicksalskampf geopfert hat
Für dich und mich und unser Sein.
Und tief im Innersten bewegt
Schaut eine Mutter in das Land,
Die tröstend ihre treue Hand
Auf ihres Kindes Scheitel legt.
Sie schaut nach vorwärts, nicht zurück.
Im leiddurchfurchten Angesicht
Erglimmt es, wie ein innres Licht,
Und über Weiten geht der Blick.
Ob er das Reich der Hoffnung fand?
Ob einst aus Leiden und aus Graun
Das Hoffen wird zu stolzem Schaun? –
Geheimnis ist in Stein gebannt.

Aber auch der so ernst wirkende Fritz Schumacher hatte offenbar Sinn für Humor. Sein "Lied von der Kunst" beginnt mit folgendem Vers:

Die Eva sprach: Mein Zeitvertreib,
Ach Adam, ist nicht groß!
Du bist mein Mann, ich bin dein Weib, –
Doch sonst ist gar nichts los.
Hier ist nichts, was ich naschen mag,
Nichts, was man klatschen kann,
Was tu ich nur den ganzen Tag? –
Ich zieh mir mal was an!

Marcks
Grabmal Marcks. Grablage: AD 15, 139-142. Foto: Peter Schulze

Ein Freizeitdichter der nächsten Generation ist der Bildhauer Gerhard Marcks (1889–1981, Grablage AD15, 139-142), Ohlsdorf-Kennern bekannt als Schöpfer des Bombenopfer-Mahnmals. Seine Gedichte hatte zunächst der Bruder Dietrich Marcks sorgfältig aufgeschrieben, und Marcks setzte die Sammlung dann später selber fort. Als sein Nachlass der Gerhard-Marcks-Stiftung in Bremen zur Sichtung und Bearbeitung übergeben wurde, beschloss man, eine Auswahl zu veröffentlichen. Gerhard Marcks’ "Gedichte" erschienen 1984. Marcks Sprache ist uns vertrauter als der Schumachersche Stil, aber auch er macht sich seine Gedanken über Kunst, Natur und Menschenleben. 1957 entstand dieser Vers:

Die Blume stirbt zur Frucht,
die Frucht zum Samen,
der Samen stirbt zur neuen Pflanze hin.
Wir gehn den Weg, woher wir kamen,
Geburt ist Tod, und Tod ist Neubeginn.

Eine insgesamt positive Einstellung zum Leben kommt in diesem Vers von 1944 zum Ausdruck:

Ein Pflänzchen steht, das Nahrung findet,
da wo der Wind ein Krümchen Erde hingeweht.
Und wie man sieht: es fragt nicht bang,
ob kurz ob lang – es wächst und blüht.

Dabei betrachtete Marcks seine Mitmenschen durchaus kritisch…

Was ist dem Pöbel der Heilige Gral?
Seinen Wert taxiert er als Buntmetall.

... aber auch mit viel Humor:

Das Dümmste sind doch halbe Sachen:
Die Bombe sprengte unser Haus;
Frau Nachbarin war ganz empört:
Sie sind fein raus,
Sie können lachen!
Ihr Haus ist ganz zerstört,
aber mir regnet’s rein – was soll ich machen?

Der Marckssche Grabhügel gehört zu den schönsten Plätzen auf dem Friedhof. Das Grabmal hat Gerhard Marcks höchstwahrscheinlich selbst gestaltet. Es ist zwar im Werkverzeichnis nicht aufgeführt, aber das schräg gegenüber stehende Grabmal seines Galeristen Rudolf Hoffmann, das eindeutig von Marcks stammt, ist im Stil so ähnlich, dass man daran eigentlich nicht zweifeln kann.

Während man im Falle von Schumacher und Marcks mit etwas Glück die genannten Gedichtbände antiquarisch ergattern kann, liegt der Fall bei dem Schauspieler, Regisseur und Intendanten Gustaf Gründgens (1899–1963, Grablage O 6, 5) komplizierter. Hier gibt es keine Gesamtausgabe seiner humoristischen Geistesblitze dichterischer Art. Überhaupt wird gerne angezweifelt, dass Gründgens überhaupt "so etwas" gemacht habe. Nach dem Wechsel von Hamburg nach Berlin ans Deutsche Theater im Jahre 1928 hat Gründgens wohl wirklich für dichterische Entspannungsübungen keine Zeit mehr gehabt, aber am Beginn seiner Karriere bei Erich Ziegel an den Kammerspielen war das noch anders. Seine Gedichte und mindestens ein Prosatext erschienen in der satirischen Zeitschrift "Das Stachelschwein", die zwischen 1924 und 1929 von Hans Reimann herausgegeben wurde. Da diese Hefte kaum aufzutreiben sind, ist derzeit aber leider nicht feststellbar, wie viele Beiträge Gründgens insgesamt geliefert hat, und wir sind auf die Wiedergabe einzelner Gedichte in biografischen Texten angewiesen.

Im Original liegt hier bisher nur ein Prosatext in "Das Stachelschwein", Jahrgang 1926, Heft 3, vor. Daraus einige Kostproben:

Die Tante im Loch
Sie war das Prunkstück der Familie und uralt. Auf ihrer Stirn ruhte noch ein Kuß Wellingtons, den ihr dieser nach der Schlacht bei Waterloo aus Freude über sein endliches Zusammentreffen mit Blücher gegeben hatte. (In Erinnerung an diesen Tag wurde später eine bekannte Schreibmaschine "Wellington" genannt.)

... Ich war dreizehn Jahre alt, als ich sie endlich kennen lernen durfte, und zwar geschah sie mir am goldenen Hochzeitstag meiner Großeltern, der mit allem Pomp in Aachen gefeiert wurde.

Da mußte Tante Nettchen natürlich wieder ausgepackt werden. Ja, es wurden eigens goldene Gedenkmünzen geprägt, vorne: die Großeltern mit Datum, hinten: Tante Nettchen mit einem Spruch...

Auf dem Rückweg zum Bahnhof – es ist ziemlich finster und die kleine Seitenstraße sehr schlecht beleuchtet – kommt die Tante auf einmal abhanden. Der jugendliche Erzähler gerät in Panik, fällt schließlich zu Boden und schreit laut um Hilfe.

... Plötzlich wurde ich jäh aufgerissen. Rechts eine Ohrfeige ("Vater!" dachte ich erfreut). Links eine Ohrfeige ("Großvater!" jauchzte es in mir). Und weinend und lachend erzählte ich ihnen das entsetzliche hoffnungslose Unglück.

Die Väter rannten mit mir zum Tatort. Mein Vater bückte sich, reichte der Tante die Hand und hob sie vorsichtig den halben Meter, den sie heruntergefallen war, wieder herauf. Sie saß auf einem hohen Kohlenberg und lächelte blöd.

Ich wurde fürchterlich verhauen.

Gründgens’ Grab liegt recht versteckt hinter Rhododendren rechterhand des Althamburgischen Gedächtnisfriedhofes. Die ganz schlichte Grabplatte verzichtet auf alle Daten und trägt nur seinen Namen, natürlich in der von ihm seit seinen frühen Hamburger Tagen gewünschten Form Gustaf Gründgens mit f. Er nahm es jedem sehr übel, der seinen Namen noch in der ursprünglichen Form Gustav, also mit v, schrieb.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Ohlsdorf und seine Dichter (November 2008).
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