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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Komm zu uns auf die See" - Über Denkmäler des nassen Todes

Die historische Erfahrung des todbringenden Meeres, die Erfahrung von Sturmflut, Schiffbruch und Strandung hat an der Nordsee eine besondere Trauer- und Erinnerungskultur hervorgebracht.

Sie findet ihren Ausdruck in der regionalspezifischen Grabmalkultur der Kirchhöfe an der Küste und auf den Inseln wie auch in jenen Namenlosen-Friedhöfen, die den unbekannten Strandleichen gewidmet sind. Vielerorts finden sich darüber hinaus maritime Memorials, die als Denk- und Erinnerungsmäler, als besondere Orte der Trauer den "nassen Tod" ins kollektive Gedächtnis der Küstenbevölkerung haben einfließen lassen.1

Um diese zuletzt genannten maritimen Memorials, um Denk- und Erinnerungsmäler an der deutschen Nordseeküste, geht es im Folgenden. Eine erste Variante unter ihnen ist einzelnen, den jeweiligen Ort besonders berührenden Schiffsunglücken gewidmet. Manchmal bilden diese Memorials eine Mischform mit Namenlosen-Friedhöfen, wie auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog. Dort liegt mitten im Ort eine Gedenkstätte, die der Strandung des Auswandererschiffes "Johanne" am 6. November 1854 gewidmet ist. Für 28 am Inselstrand angeschwemmte Tote wurde kurz nach dem Unglück eine eigene Begräbnisstätte östlich des Inseldorfes angelegt. Sie wurde in der Folgezeit dann auch zum Begräbnisplatz für unbekannte Strandleichen und zur Gedenkstätte. Das heutige Erinnerungsmal mit seiner Inschrift ("Fern von ihrer Heimath fanden sie hier ihre letzte Ruhestätte") stammt aus dem Jahr 1932: ein aus Strandholz gefertigtes und auf einem Steinsockel ruhendes Eichenkreuz, das von Anker nebst Ankerkette umwunden wird.

Es gibt weitere Beispiele für Gedenkstätten, die einzelnen Schiffskatastrophen gewidmet sind: Auf der Insel Borkum erinnert ein schlichter Gedenkstein an das Unglück der "Annamarie" und ihrer Besatzung im Jahr 1935 (das Memorial wurde 1958 errichtet). Auf dem Friedhof Brockeswalde in Cuxhaven verzeichnet ein wandartiges Monument alle Schiffsunglücke der örtlichen Fischerei- und anderen Boote mit Datum und den Namen der verstorbenen Besatzungen.

Annamarie
Gedenkstein an das Unglück der "Annamarie" (Foto: W. Jung)

Ein besonders eindrucksvoll situiertes Memorial ist – und damit verlassen wir vorübergehend die deutsche Nordseeküste – an der schottischen Atlantikküste zu sehen. Es ist dem Untergang der "Iolaire" gewidmet, der in der Neujahrsnacht 1919 nahe Stornoway geschah, dem Hauptort der Isle of Lewis bzw. der Äußeren Hebriden insgesamt. Bei dem Untergang der "Iolaire" kamen 205 Menschen ums Leben. Das Schiff war in stürmischer See wegen eines Navigationsfehlers auf die berüchtigten Klippen der "Beasts of Holm" unweit der Hafeneinfahrt aufgelaufen. 181 Tote kamen von der Isle of Lewis, daher gilt der Neujahrstag 1919 bis heute als "schwärzester Tag" in der Geschichte dieser Insel. Die Männer, zumeist Marinesoldaten, kehrten aus dem Ersten Weltkrieg heim und ertranken teilweise in Sichtweite ihrer Häuser, als das Schiff frühmorgens um zwei Uhr auf eine Klippe auflief. Lediglich 79 der 284 Passagiere und Besatzungsmitglieder konnten gerettet werden.2

Memorial
Gedenkstein an den Untergang der Iolaire (Foto: Fischer)

Das Memorial thront weithin sichtbar auf einer Klippe über der Hafeneinfahrt von Stornoway und ist demonstrativ dem Meer zugewandt (Es ist von Land aus nur schwer zu erreichen). Während das Unglück in einer Epoche geschah, als Stornoway noch zu den bedeutendsten Fischereihäfen Europas zählte, wurde das Memorial selbst erst wesentlich später errichtet, nämlich 1958. Im Jahr 2001 wurde dann eine das Denkmal erläuternde Tafel hinzugefügt.3

Neben einzelnen Schiffsunglücken gibt es auch Memorials, die allgemein den auf See Gebliebenen gewidmet sind. Viele von ihnen stammen aus jüngerer Zeit. Ein besonders aufschlussreiches Exempel steht im ostfriesischen Hafenort Dornumersiel. Die Rede ist von der Bronzeplastik einer Trauernden mit Kind, die unter dem Titel "He ist buten bleeven" für die auf See Gebliebenen geschaffen wurde. Die 1972 errichtete Figur stammt von dem lokalen Bildhauer Christian Eisbein. Sie steht gut sichtbar auf einer Brücke über das Sieltief von Dornumersiel, also dem Hauptfahr- und Entwässerungsstrom. Das Memorial greift in seiner Gestaltung zurück auf ein bekanntes Vorbild aus dem Arsenal christlich-bürgerlicher Sakralkunst: die Pieta-Figur. Und um den Mythos vom bedrohlichen Meer noch einmal zu bekräftigen, meißelte man in die nahe Mauer neben dem Denkmal die Pegelmarken vergangener Sturmfluttragödien ein.

Es gibt weitere, schlichtere Beispiele für diese Art des Totengedenkens – zwei von ihnen seien abschließend kurz vorgestellt. Auf dem Neuen Friedhof in Büsum (Dithmarschen) steht an prominenter Stelle am Hauptweg, zwischen Friedhofseingang und Hochkreuz, ein Findling mit der Inschrift "Zum Gedenken an die auf See gebliebenen Fischer. Christkyrie. Komm zu uns auf die See". Neben der großflächigen Inschrift schmücken nur Herz, Kreuz und Anker den von Rhododendren umrahmten Stein. Der Kirchhof von Ording (Halbinsel Eiderstedt) beherbergt ein zentral gelegenes, rund zwei Meter hohes Steinkreuz als Erinnerung an die auf See Gebliebenen. Errichtet im Jahr 1938, trägt es die Inschrift "Und das Meer ist nicht mehr" (und verweist auf die Bibelstelle Offenbarung 21,1).

Ording
Steinkreuz auf dem Kirchhof von Ording (Foto: Fischer)

Nachbemerkung: Der Autor inventarisiert im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Hamburg maritime Denkmäler für die "Auf See Gebliebenen" an der deutschen Nordseeküste. Hinweise auf weitere Objekte werden mit Dank entgegengenommen. Kontakt: Dr. Norbert Fischer, Auf dem Sand 8, 21271 Hanstedt/Nordheide, Telefon + Fax 04184/8373, E-Mail: [email protected]

1 Als Überblick Norbert Fischer: Tod am Meer – Die Namenlosen-Friedhöfe an der Nordsee, in: Norbert Fischer/Markwart Herzog (Hg.): Nekropolis. Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden, Stuttgart 2005, S. 147-159 (dort auch weitere Literaturangaben zum Thema); siehe auch Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur, Jg. 1989, Heft 1.

2 David Saunders: Britains Maritime Memorials & Mementoes, Sparkford (Somerset) 1996, S. 149.

3 http://www.geo.ed.ac.uk/scotgaz/features/featurefirst8715.html (18. Oktober 2003)

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Maritime Gedenkkultur (November 2005).
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