Um 1900 publizierte Johann Deininger Ansichten von hölzernen „Erinnerungszeichen“ in Tirol.
Dazu schrieb er u.a.: „Die kleinen Tiroler Dorffriedhöfe mit ihren Grabkreuzen aus Holz und Schmiedeeisen geben gleich den bäuerlichen Behausungen und ihrem Inhalte interessante Aufschlüsse über den Charakter der Volkskunst in diesem Land. Der Grundcharakter ihrer farbigen Ausstattung stimmt mit jenem an Möbeln und Geräten überein. Die besonders umrahmten bildlichen Darstellungen an den Kreuzungsstellen der Balken enthalten gewöhnlich Figuren in betender Stellung, die ein naiv und sorgfältig ausgeführtes Konterfei der Verstorbenen darstellen, welchen das Erinnerungszeichen geweiht ist. Die Inschriften sind entweder noch im Rahmen des Figurenbildes oder an anderen Stellen der Kreuze angebracht, häufig bereichert durch Verse, welche an sich interessante Dokumente der Volkspoesie repräsentieren.“
- Hölzerne Grabkreuze aus Tirol (Repro: Reiter)
Hans Guggenberger hat etwa 700 dieser Tiroler Grabkreuze aus fünf Jahrhunderten gesammelt. Eine Auswahl ist seit dem Jahr 2000 auf dem Museumsfriedhof Kramsach/Tirol ausgestellt. Weitere Beispiele werden erstmals außerhalb und in einer Sonderausstellung auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg von Juni bis Oktober 2005 gezeigt. Diese Ausstellung ist Anlass, an dieser Stelle näher auf die Tiroler Grabkultur und Schmiedekunst einzugehen.
- Hölzerne Grabkreuze aus Tirol (Repro: Reiter)
Vom Kesselträger zum geschmiedeten Grabkreuz
Das geschmiedete Grabkreuz hat sich aus dem geschmiedeten Weihwasserkesselträger am Eingang eines Friedhofes oder am Anfang der Gräberreihen entwickelt. Meist war es ein schlichter Kesselträger, zuweilen mit gedrehtem Schaft, und einem fähnchenartigen Ausleger mit dem Weihwasserkessel. Friedhofsbesucher, die daran vorbeigingen, besprengten mit dem Weihwasser symbolisch die letzte Ruhestätte aller in diesem Friedhof. Auf dem Friedhof von Stams im Tiroler Oberinntal sowie einigen wenigen anderen Gottesäckern finden sich noch einige fast 500 Jahre alte Kesselträger. Jene von Stams wurden kürzlich in der Sagzahnschmiede in Kramsach fachmännisch restauriert.
- Schmiedeeiserner Kesselträger (Repro: Reiter)
Erst ab dem Zeitpunkt, da jede Familie ihre eigene Grabstätte hatte, gestaltete man auch das einzelne Grab aufwändiger. An der Schmalseite des Grabhügels stellte man ein Grabzeichen in Holz, häufig in Schmiedeeisen, im 19. Jahrhundert in Gusseisen oder in Stein, auf. Die geschmiedeten Grabzeichen erfreuten sich dabei besonderer Beliebtheit, und tatsächlich haben die Kunstschmiede in Land und Stadt zuweilen hervorragende künstlerisch hochwertige Arbeiten geschaffen. Viele von diesen alten Grabkreuzen sind dem Rost zum Opfer gefallen oder wurden, weil unzeitgemäß, zum Alteisen gebracht oder sie fanden den Weg in diverse Museen. Aber die Tradition der geschmiedeten Grabkreuze lebt fort. Vor allem in der Sagzahnschmiede Guggenberger wird das Handwerk hochgehalten und im dortigen Depot findet sich die größte Sammlung alter Grabkreuze aus dem Alpenraum.
- Muster von schmiedeeisernen Grabkreuzen aus Tirol (Repro: Reiter)
Dauerhaftes Material Eisen
Infolge der Dauerhaftigkeit des Materials Eisen haben sich schmiedeeiserne Grabkreuze sowie auch die am Anfang einer Gräberreihe situierten schmiedeeisernen Träger für Weihwasserkessel an vielen Orten durch mehrere Jahrhunderte erhalten. Deshalb lassen sich an diesen Erinnerungszeichen auch mannigfache Anklänge an verschiedene Stilepochen erkennen. Das konstruktive Gerippe ist in der Regel angemessen der Größe der Grabkreuze, welche nach der Höhendimension von zirka ein bis drei Meter variieren, aus starkem Stabeisen in der Form eines lateinischen Kreuzes gebildet, mit welchem, vornehmlich bei Kreuzen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, senkrecht zur Kreuzebene nach vorne gerichtet ein geschmiedeter Träger zur Aufnahme des kupfernen Weihwasserkessels verbunden ist.
- Muster von schmiedeeisernen Grabkreuzen aus Tirol (Repro: Reiter)
Das die Kreuzstäbe umgebende Rankenwerk wird in den meisten Fällen aus Rundeisen gebildet, deren Enden in Form von Blättern oder Blüten flach ausgehämmert sind, seltener aus schwachem Flacheisen. Der senkrechte Kreuzesstamm ist gewöhnlich in einen niedrigen, nur selten behauenen oder profilierten Steinsockel eingelassen und an seiner unteren Partie durch Winden oder Torsieren belebt. Bei größeren Kreuzen ist derselbe auch durch Stauchung oder Spaltung verstärkt und durch eine nach rückwärts gerichtete Eisenstrebe befestigt. Die schmiedeeisernen Grabkreuze aus dem 16. Jahrhundert besitzen an ihren freien Endungen kunstvoll gearbeitete tulpenartige Blumen, deren Blätter, welche an das Stabende geschweißt sind, zuweilen gotische Abspitzungen zeigen. Unterhalb finden sich bei den älteren meist Blechfähnchen.
Bessere Rohware brachte Aufschwung
Bis zum 16. und 17. Jahrhundert musste der Schmied das Roheisen, „Rohluppe“ genannt, selbst durch mehrmaliges Schmieden und Härten erst reiner, dichter und gleichmäßiger machen und es mühsam in Grundformen bringen. Nach Aufkommen von Walz- und Schneidewerken konnte diese Vorarbeit wegfallen. Dem Kunstschmied stand nun gereinigtes Schmiedeeisen in Form von Stäben, als „Garbe“ bezeichnet, Bandeisen, Flacheisen und Blech, aber schon in gewalzter, gestreckter und aufgespaltener Form zur Verfügung. Die Folge war ein merklicher Aufschwung dieses Handwerkszweiges, zumal weitere Verfeinerungen in der Bearbeitungstechnik hinzugekommen waren: Treiben, Feilen, Drehen der Stäbe, Eisenschnitt, Schmieden im Gesenke, Gravur und Ätzung. Die Einzelteile wurden außer durch Schweißen und Nieten häufig als „Durchschiebung“ oder durch „Bund“ aneinandergefügt. Diese handwerklichen Verfeinerungen ermöglichten die außerordentliche Vielfalt und phantasievolle Gestaltung schmiedeeiserner Werke im Barock und Rokoko. Kunstvolle Grabkreuze aus Schmiedeeisen erregen bei Kennern wie Laien Freude und Bewunderung.
- Muster von schmiedeeisernen Grabkreuzen aus Tirol (Repro: Reiter)
Uraltes Handwerk
Das Schmieden rotglühenden Eisens mit dem Handhammer auf dem Amboss, Stauchen, Strecken und Spalten sowie das Härten des glühenden Werkstoffs durch Eintauchen in kaltes Wasser, all diese Grundformen der Bearbeitung sind seit Erfindung des Eisens etwa gleich geblieben. Vielleicht ist es gerade die Treue des Kunstschmiedehandwerks zu der uralten, materialgerechten Bearbeitungstechnik, die bis heute schmiedeeiserne Grabkreuze als etwas besonders Gediegenes und Wertvolles erscheinen lassen. In unserem Zeitalter der kaum mehr fassbaren industriellen Technik lieben wir diese altertümliche handwerkliche Kunst wie eine schöne Erinnerung.
Unter Schmieden versteht man, vereinfacht ausgedrückt, das Umformen von Metallen zu Gebrauchsgegenständen durch Hämmern im warmen und weichen Zustand. Dabei macht sich der Schmied zu Nutze, dass Schmiedestahl sein Gefüge verändert und weich wird, sobald er erhitzt wird. Der Schmied bringt den Stahl auf eine Temperatur zwischen 800°C und 1200°C.
Die Temperatur des Materials erkennt der Schmied an dessen Glühfarbe. Bei 800°C glüht er dunkelrot, bei 1250°C weißgelb. Nach dem Erhitzen kann der Schmied das Material am Amboss oder am Hammerwerk plastisch bearbeiten. Wenn die Temperatur des Materials unter 800°C fällt, wird es spröde und reißt. Um dies zu vermeiden, muss der Schmied das Material noch einmal erhitzen, um weitere Arbeitsschritte vorzunehmen. Doch bei jedem Erhitzen verliert das Eisen an Qualität. Die Grundverfahren der Eisenbearbeitung werden in die Bereiche Umformen, Trennen und Verbinden eingeteilt. Es gibt ein paar Schmiedetechniken, die der Schmied öfter verwendet: Eine Vergrößerung des Querschnitts der Werkstücke erfolgt durch das Stauchen. Beim Strecken erzeugt der Schmied durch Hämmern des Werkstücks ein Verringern des Querschnitts und damit ein Dehnen des Materials. Werkstücke locht der Schmied mit dem Durchschlag. Da die zum Schmieden notwendige Werkstoffmenge nur annähernd bestimmt werden kann, macht der Schmied Sicherheitszuschläge. Der überschüssige Werkstoff am fertigen Schmiedestück muss daher wieder abgetrennt werden, was als Abschroten bezeichnet wird.
Tiroler Friedhofskultur
An Allerheiligen bzw. Allerseelen gehört der Besuch der familiären Grabstätte zu den „gebräuchlichen“ Verpflichtungen der Tiroler. Aber unabhängig von den doch etwas morbid angehauchten trüben Novembertagen laden die Tiroler Friedhöfe ganzjährig zu Ausflügen ein, um die Ruhe zu genießen und um kulturgeschichtliche Einblicke zu gewinnen.
Städtische Friedhöfe haben auch in Tirol ihre eigene Geschichte. Geschichten, die über Jahrhunderte bzw. Jahrzehnte u.a. von einer „Idee“ zur Separierung der Toten von den Lebenden bis hin zur parkähnlichen Ausgestaltung geprägt sind. Der Friedhof als Naherholungsgebiet ist auch in der Landeshauptstadt Innsbruck keine außergewöhnliche Randerscheinung. Unabhängig von den großen Anlagen in den Städten, sind die kleinen Friedhöfe in den Tiroler Dörfern besondere Örtlichkeiten: allein ihre Positionierung im Ortsgefüge räumt ihnen eine Ausnahmestellung ein. Zumeist sind sie in unmittelbarer Nähe zur Pfarrkirche gelegen und dadurch in irgendeiner Art und Weise unmittelbar ins Ortsgeschehen integriert. Die Toten weilen unter den Lebenden, zumindest in geographischer Hinsicht.
Die Pflege der Gräber nimmt nach wie vor in Tirol eine wichtige Stellung ein: sie ist – auch wenn das Verhältnis zum Tod immer mehr von Distanz geprägt wird – Spiegelbild der dörflichen sozialen Kontrolle. In diesem Sinne widmet man in den Tiroler Dörfern den Gräbern zu Allerheiligen oder Weihnachten besonderes Augenmerk. Die Grabstätten sind aber nicht nur zu diesen Zeiten mit reichem Blumenschmuck versehen, unzählige Kerzen leuchten auf den Friedhöfen. Vereinzelt gibt es noch den „Brauch“, dass man mit den Kindern am Abend, also bei Einbruch der Dunkelheit, zu Allerheiligen bzw. Weihnachten den Friedhof besucht. Hierbei steht dem Totengedenken der Erwachsenen die kindliche Freude beim Anblick der unzähligen brennenden Kerzen gegenüber.
Friedhöfe mit Grabkreuzen und Grabsteinen sind aber auch Spiegelbilder der regionalen Kulturgeschichte. An den Gedenkstätten zeigen sich u.a. der persönliche Umgang mit dem Tod oder die bildhaft umgesetzten Symbole (u.a. Stundenuhr oder Skelett) der Vergänglichkeit. So geben Grabkreuze nicht nur Auskunft über handwerkliche Vorlieben und Fähigkeiten der Region, sondern auch über den „künstlerischen“ (persönlichen) Zugang zum Tod.
Die Dorffriedhöfe der Region Alpbachtal und Tiroler Seenland
Auf nur gut zehn Kilometer Luftlinie bietet die Region Alpbachtal und Tiroler Seenland verschiedenste Aspekte der Dorffriedhöfe. Eines haben alle gemeinsam: es herrschen überall schmiedeeiserne Grabkreuze vor. Grund dafür sind die Friedhofsordnungen. Schmiedeiserne Grabkreuze wirken nämlich transparent. Sie verdecken nicht wie Grabsteine die Landschaft. Sie haben etwas Graziles, wachsen scheinbar in den Himmel. In Alpbach und Reith sind beispielsweise ausschließlich schmiedeeiserne Grabkreuze auf den Friedhöfen erlaubt. Davon ausgenommen wurde auch nicht Nobelpreisträger Dr. Erwin Schrödinger. Während in Alpbach sogar überall der gleiche Steinsockel vorgeschrieben ist, hat man in dieser Beziehung in Reith zumindest die Wahl.
- Friedhof Reith (Foto: Reiter)
In Brixlegg spiegelt sich die Geschichte des alten Knappendorfes und der damit verbundenen Schmelzhütte wieder: Arkadengräber, monumentale Familiengräber, Grabsteine und schmiedeeiserne Kreuze, wobei letztere überwiegen.
- Friedhof Brixlegg (Foto: Reiter)
Rattenberg, mit 460 Einwohnern Österreichs kleinste Stadt, bietet das Ambiente eines kleinstädtischen Friedhofs. Hier werden auch zahlreiche Urnengräber sichtbar, wie sie auf den Dorffriedhöfen noch nicht allzu vorherrschend sind. So findet man die verschiedensten Facetten. Eines haben alle gemeinsam, eine Blumenpracht, die weltweit wohl einzigartig ist. Und es scheint sich zu bewahrheiten, was oft gesagt wird: von der Beschaffenheit des Friedhofs kann man den Charakter der Lebenden beurteilen. Nicht umsonst werden die Tiroler Dorffriedhöfe auch von unzähligen Gästen aus aller Welt besucht, denn sie sind ein Stück Tiroler Kultur.