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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Trauerkulturen in Westafrika - ein Reisebericht

Ab Dezember sind in unserem Museum sechs ungewöhnlich pop-farbene bunte Särge aus Ghana zu sehen, Zeugen einer schon über ein halbes Jahrhundert alten Trauerkultur, die aber geographisch (in Teshie bei Accra) und sozial (nur für sehr reiche Leute aus Westafrika oder sogar Europa) begrenzt bleibt.

Für die Freunde aus Ghana, auch aus Accra, die wir kennen und die hier in Hamburg leben und arbeiten, ist diese Trauerkultur fremd oder unbekannt.

Im Schuljahr 1996/97 hatten mein Mann und ich die Möglichkeit, einen mehrmonatigen Aufenthalt in den westafrikanischen Ländern Benin (ehemals Dahomey) und Togo - mit einem kurzen Besuch in Ghana - zu verbringen. Ich möchte von einigen Beobachtungen berichten, die wir dort unterwegs machen konnten, die wahrscheinlich für die Mehrheit der Bevölkerung typischer sind und eine zwar nüchternere, aber sicher interessante Ergänzung zu der Ausstellung aus Ghana darstellen.

Das Erste, was uns im Benin um Cotonou auffiel, waren Sargmacher mit erstaunlichen Firmennamen, wie "la dernière Demeure" (der letzte Wohnort), "les Merveilles de Dieu" (die Wunder Gottes) oder "Mercedes Personnelle" (Persönlicher Mercedes)...

Einmal sahen wir einen Sarg mit kleinen Fenstern, in Ghana waren manche Särge sogar mit Spitzen ausgelegt, aber sonst sind sie allgemein aus Holz, meist einfarbig, ehe hell bemalt und mit einfachen dekorativen Mustern. Oft sieht man daneben Sessel oder Kinderbetten - Särge werden einfach vom Tischler wie andere Möbel betrachtet, Leben und Tod gehören zusammen. Den Transport besorgt der Käufer allein, indem er den Sarg auf einem kleinen Wagen schiebt oder quer auf sein Fahrrad oder Motorrad lädt.

Natürlich besuchten wir die Friedhöfe, die wir auf dem Wege sahen. Am exotischsten ist sicherlich der unter Palmen am Strand gelegene Friedhof im verschlafenen Grand-Popo (Benin), der bessere Zeiten in der französischen Kolonialzeit erlebte. Sofort fiel uns Europäer auf, wie merkwürdig bunt viele Gräber sind: oft werden dort Badezimmerkacheln als Baumaterial verwendet, die Salz und hohe Feuchtigkeit dieses tropischen Klimas relativ gut vertragen und billiger sind als die in dieser sandigen Küstenregion nicht vorhandenen Natursteine. Man findet die herkömmlichen Grabformen, die von den verschiedensten christlichen Missionen der Kolonialzeit übernommen worden sind, aber auch erstaunliche moderne, meist gekachelte Gräber mit schrägen oder runden Formen.

Aus der deutschen Kolonialzeit sahen wir noch mehrere Grabstellen in Lome, das 1897 Hauptstadt der deutschen "Musterkolonie" Togo war, dann von 1914 bis 1919 britisch wurde, bevor der Völkerbund zwei Drittel der ehemaligen deutschen Kolonie, die dem heutigen Togo entsprechen, als Mandat an Frankreich übertrug. Diese Grabstellen gehören meist früh verstorbenen jungen Leuten, wie bei dieser Grabinschrift in Lome zu lesen ist:

Hier ruhet Christian Buchholz
geb. 29. August 1888 zu Pinneberg
gest. 12. Januar 1908
an Bord des Dampfers
Lucie Woermann

Das westliche Drittel der deutschen Kolonie Togo kam als Mandat des Völkerbundes an Großbritannien, es entspricht heute der Volta-Region im Osten von Ghana, wo sich noch einige deutsche Friedhöfe befinden. So fanden wir in Ho, der Hauptstadt der Volta-Region, die Gräber von zwei jungen Frauen (1857-1880 und 1866-1897). In der Nähe lagen weiße Grabstätten mit sehr bunten und realistischen Portraits von Afrikanern in Halb-Relief, wie wir sie zuvor in Togo und Benin nicht entdeckt hatten, da sonst schwarz-weiße Abbildungen der Verstorbenen üblich sind.

Unterwegs und bei unseren Wochenendausflügen gerieten wir öfters in größere und laute Menschenversammlungen und auch mehrmals in Beerdigungsfeiern hinein. So beobachtete ich im spektakulären Pfahldorf von Ganvié, in Benin nördlich von Cotonou mitten in einer großen flachen Lagune, dass viele Einbaumboote mit festlich bekleideten Menschen sich an einem Pfahlgebäude mit Lautsprechern versammelten, um eine Trauerfeier zu begehen. Ein anderes Mal gingen wir durch ein kleines Dorf, wo musiziert, getrommelt und getanzt wurde.

Als besonders beeindruckend und würdig war für uns eine Beobachtung in einem anderen Dorf im Busch weiter nach Norden: weit von der Hauptstrasse sahen wir plötzlich hunderte Autos und geschätzte 1200 Menschen, die zur Beerdigung eines ehemaligen Ministers gekommen waren. Wir stellten fest, dass die Menschen in drei Gruppen mit drei verschiedenen Musikanlagen eingeteilt waren, offenkundig wurden sie je nach Bedeutung behandelt: die Wichtigsten mit ihren festlichsten Kleidern saßen auf bequemen Plastiksesseln und bekamen Getränke und Essen, gaben aber auch ohne Scheu dem Gastgeber einen Briefumschlag, dessen Inhalt gezählt wurde. Die zweite Kategorie erhielt nur Erfrischungsgetränke, die dritte, zahlenmäßig stärkste, erhielt nichts...

Eine meiner Cousinen aus Bordeaux hat einen Togolesen geheiratet, der in Theologie und Philosophie in Frankreich promoviert hat und heute das private "Collège Protestant" (mit 1500 Schülern, 50 Lehrern und Klassenfrequenzen bis 87 Schülern!) in Lome leitet. Dieser angeheiratete Cousin, der mit diesem verantwortungsvollen Posten seine vierköpfige Familie - in einem Haus ohne Klimaanlage wohnend - mit Mühe ernährt und aus dem gleichen Dorf wie Staatspräsident Eyadema bei Kara im Gebiet der Kabiyè ganz im Norden Togos stammt, erzählte von einem Trauerfall in seiner eigenen Familie. Als seine Tante in Lome starb, musste er sich als einziges Familienmitglied mit einem festern Einkommen nicht nur um alles am Ort kümmern, sondern auch eine Woche später die Leiche auf dem Weg nach Kara begleiten. Der Transport eines Leichnams bei großer Hitze über 600 km bis in den Norden ist ein technisches und finanzielles Problem, in einem Leichenwagen mit Klimaanlage kostet dies allein ein Monatsgehalt eines Schuldirektors. Auch die meisten Kosten der zweiten Beerdigungsfeier im Norden waren zu tragen - und die Verwandten sollen gemurrt haben, weil er nicht für den Kauf des Stoffes gesorgt hatte, mit dem sich üblicherweise alle weiblichen Trauergäste gerne gleich anziehen! So verzehren die Kosten für die Beerdigungsfeierlichkeiten oft die Ersparnisse vieler Jahre. Ersparnisse, die vielleicht für Investitionen gedacht waren, wie z.B. für einen Außenbordmotor für einen Fischer oder eine Dieselpumpe für einen Bauern. Damit werden diese Feiern zu einem massiven Entwicklungshemmnis vor allem für die ländliche Bevölkerung.

Vor einigen Jahren erhielt mein Vater eine Todesanzeige von einem Freund aus Benin, dessen Ehefrau im Alter von 70 Jahren am 15. November 1994 verstorben war. Die Anzeige war in Form eines teuren Faltprospektes mit zwei Farbfotos gestaltet. Bei der Liste der betroffenen Kollektivitäten und Familienangehörigen stand der Gatte erst an 8. Stelle, ganz an Ende in 21. Position der Distrikt-Gouverneur von Lions International. Auf der dritten inneren Seite der Anzeige wird das Programm der Trauerfeier bekannt gegeben, die erst 10 Tage danach stattfindet (Kühlaggregate für die Leichenhallen überall im Lande bilden einen wichtigen Markt für Firmen aus Europa und Japan).

Und so sah das Programm aus: am Freitag 25.11.94 ab 20 Uhr Andacht in der Methodistenkapelle in Cotonou, Samstag 26.11.94 ab 10 Uhr Trauerkapelle im Hause der Verstorbenen, um 14 Uhr 30 Leichenabnahme, um 15 Uhr Trauerfeier in der Methodistenkapelle, dann Beerdigung, zuletzt am Sonntag 27.11.94 um 9 Uhr Gottesdienst mit Danksagung. Zu dem Anzeigenprospekt gab es noch ein Begleitheft von 48 Seiten, auch mit zwei Farbfotos der Verstorbenen, die sicher zur Elite der Gesellschaft gehörte, mit Liturgie und Liedern der verschiedenen Andachten, einer vom Ehemann verfassten Lebensgeschichte und zwei Briefen der Enkel. Als wir 1996 im Lande waren, standen in den lokalen Zeitungen wieder Anzeigen mit Foto und dem Text "Schon zwei Jahre sind vergangen: Sie, die sie kannten und liebten, denken Sie und beten Sie für sie!" - was in Benin üblich ist.

Anfang November zu Allerheiligen beobachteten wir auf dem großen zentralen Friedhof außerhalb von Cotonou viele katholische Familien in Sonntagskleidung, die einen Besuch bei ihren Grabstellen abstatteten, Kerzen anzündeten, beteten oder sangen.

Alltags machten auf uns die Friedhöfe, die wir in Benin und Togo besuchten, den Eindruck, viel natürlicher als bei uns in Europa im Leben integriert zu sein. So der Friedhof in Lome, der mitten im Stadtgebiet und dicht bei unserer Wohnung lag: Da saß eine Familie gemütlich auf den Gräbern, aß und trank, da schlief einer im Schatten auf der kühlen Grabplatte, hier in der Sonne ausgebreitet auf den Grabsteinen trocknete die Wäsche, Wickeltücher und Höschen... Oder eine Ziege ruhte einfach auf einem Grab, wie bei Dassa, einem vielbesuchten Wallfahrtsort in Benin.

Leben und Tod gehören zusammen, Tote und Geister begleiten einen überall, so können wir als Europäer besser die vielen Sprüche verstehen, die überall zu lesen sind und als Schutz fungieren sollen besonders bei der Benennung von Gesellschaften, die man gründet möglich mit Gottes Namen und Segen wie, in Benin, z.B. "Poissonnerie Dieu est grand" (Fischgeschäft 'Gott ist groß'), Discothèque "Laissez tout à Dieu" ('Überlasst alles Gott'), Garage "Dieu le fera" (Autowerkstatt 'Gott wird es tun') oder "la Santé" ('Gesundheit') oder "la Gràce de Dieu" ('Gottes Gnade')... In Ghana findet man entsprechendes in Hülle und Fülle mit Namen wie "Jesus cares Shop" für ein Geschäft mit Aluminium-Töpfen, "Lord of Mercy Hairshop", "The Glory of Hope" für einen Friseur usw. Auch liest man solche Schutzsprüche auf den meisten Fahrzeugen, da die Verkehrsunfälle extrem häufig sind: so "L'Eternel est mon Berger" ('der Herr ist mein Hirte'), "Rien ne peut contre la volonté de Dieu - bonne chance!" ('Nichts geht gegen Gottes Willen - Viel Glück!') und manchmal hätte man wirklich eine Bibel nötig, wenn man hinter einem Auto fährt, auf dem nur "Exodus 15,26" oder "Psalm 31" steht... Den schönsten Spruch mit entsprechend buntem Bild fanden wir auf einem großen Laster zwischen Cotonou und dem Norden des Staats Benin, und damit möchte ich diese kunterbunten Beobachtungen beenden:

"Don't loss hope until the bones are rotten", was auf Deutsch heißen könnte "Gib die Hoffnung nicht auf, so lange Deine Knochen noch nicht verrottet sind!"

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Internationale Bestattungskulturen (November 2000).
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