[Anm. d. Red.: Die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Henriette Hochhuth setzte sich in ihrer 1992 an der Universität Hamburg eingereichten Magisterarbeit mit dem Thema Tod, Bestattung und Friedhof bei Theodor Fontane auseinander. Wir danken der Autorin für die freundliche Erlaubnis, Auszüge aus Einleitung und Schluß ihrer Arbeit abdrucken zu dürfen.]
Bei der Suche nach dem Vorkommen des "Schauplatzes Friedhof" in der deutschen Prosaliteratur des 19. Jahrhunderts fiel die große Zahl von Beerdigungen auf, die sich im Romanwerk Theodor Fontanes finden. Da ist kaum ein Text, in dem der Tod nicht wenigstens durch eine Beerdigung oder einen Beerdigungszug repräsentiert ist und nähere Beachtung findet, kaum ein Roman, in dem nicht eine Begebenheit auf einem Friedhof selbst stattfindet oder dieser Ort wenigstens erwähnt wird; des öfteren beginnen die Texte sogar explizit auf dem Friedhof. ...
Das Erscheinungsbild des Friedhofs hat bei Fontane zwar durchaus noch romantische Züge, aber lediglich in eben dem präzise geschilderten Bild, das er zu entwerfen vermag, nicht im Entwickeln der Empfindungen seiner Figuren und deren Gedanken gegenüber dem Tod. Vielmehr verbirgt der Autor seine Gedanken über den Tod scheinbar hinter den teilweise recht äußerlich anmutenden Handlungen seiner Charaktere im Zusammenhang mit dem Tod, um genau damit jedoch ein umso klareres Bild der Gesellschaft seiner Zeit geben zu können. Diese nämlich zeigt er genau an dem Punkt, wo der religiöse Umgang mit dem Tod nicht völlig ungebrochen besteht, gleichwohl aber die seit Generationen etablierten Sitten und Bräuche Selbstverständlichkeit sind und den Tod äußerlich handhabbar machen.
"Tod und Bestattung" ... bei Fontane kommt das eine nicht ohne das andere vor: wo in den Texten Fontanes gestorben wird, da wird auch beerdigt, begeben sich die Figuren auf die Friedhöfe, kleiden sich zu diesem Anlaß in Schwarz, beratschlagen über das adäquate Begehen des Trauerfalls, bestellen Grabsteine, errichten Kreuze und Statuen auf den Gräbern der Verstorbenen, unterhalten sich ausführlich über die Einzelheiten der Begräbnisse und machen insgesamt den Tod so zu einem wichtigen Teil ihres Lebens. ...
Fontane benutzt das Thema Beerdigen und Tod bzw. Gräber und Friedhof aber nicht allein zum Aufzeigen dieses Verhaltens. Ihm dient es als Folie, um auf diesem Hintergrund allgemeine Aussagen über die Gesellschaft seiner Zeit und ihre Struktur zu machen ... Er scheint dem gesellschaftlichen Bereich der Bestattung und ihres Umfeldes die Möglichkeit dazu in hohem Maße zuzusprechen, wählt weder Hochzeiten, noch Dorffeste, politische Versammlungen oder Zusammenkünfte im Wirtshaus in solch hoher Zahl wie Beerdigungen dazu, etwas über die Strukturen von Hierarchien, Verhaltensmustern und Konventionen zu vermitteln. Das Thema Tod im Zusammenhang mit Bestattung wird von Fontane als in hohem Maße poesiefähig erachtet.
Der Grund hierfür scheint einerseits darin zu liegen, daß das Thema Tod eine menschliche Gemeinschaft, sei es ein Dorf oder eine städtische Gesellschaft, immer wieder und unter Einbeziehung aller ihrer Mitglieder betrifft, manchmal geschieht dies auch in unvorhersehbarer Weise. Andererseits ermöglicht die Behandlung dieses Bereiches eine gewisse Spannung, lassen sich zum Teil sogar recht irrationale Verhaltens- und Denkweisen des Subjekts anhand dieses Themas für den Dichter aufzeigen. Wie kein anderer Bereich scheint ihm der Umgang der Menschen mit dem Tod und den Toten die Möglichkeit zu geben, Wesentliches über ihr Leben und Dasein mitzuteilen. ...
Daß Fontane tatsächlich selber schon früh an Fragen nach Bestattung und Friedhofsgestaltung interessiert war, belegen neben von ihm selbst angefertigten zahlreichen Skizzen von Grabmälern auf Friedhöfen der Mark Brandenburg auch aussagen von seinen eigenen Vorstellungen bezüglich des Aussehens von Gräbern in einer Zeit, als das Errichten wuchtiger Gitter, monumentaler Marmorgestalten in unterschiedlichsten Posen, das Aufkommen von Galvanoplastiken und, soweit finanziell möglich, der Bau protziger Mausoleen Konjunktur hatte ...
Mit dieser Betrachtung steht Fontane ganz in der Tradition des sich um 1800 entwickelnden Naturbegriffs, innerhalb dessen das Grabmal in freier Natur der finsteren, moderumwehten Kirchengruft vorgezogen wurde. So romantisch und vielleicht eher kunstgeschichtlich beziehbar seine Sätze in diesem Zusammenhang auch scheinen mögen, so werfen sie dennoch ein ungemein hilfreiches Licht auf die Bewertung der Texte von seiten des Dichters, wenn es um Tod und Bestattung beziehungsweise um die Gestaltung der Grabstätten seiner Haupt- und Nebenfiguren geht. ...
Der mit dem Tod eng verknüpfte Schauplatz Friedhof nimmt bei Theodor Fontane einen sowohl quantitativ wie qualitativ breiten Raum ein. Anfangs- und Endpunkte sowie wichtige Schlüsselszenen und Gespräche finden immer wieder an diesem Ort statt. Die Vorausdeutung auf innerhalb der Handlung zu erwartende Ereignisse ist dafür ein wichtiges Motiv. In kaum einem seiner Texte fehlt der teilweise sehr versteckt gegebene Hinweis auf die Lage und Beschaffenheit des Kirchhofes. Entscheidende Textinformationen liefert Fontane auch durch angeführte Inschriften auf Grabsteinen.
Neben der häufig noch in romantischer, wenn auch gebrochener Verwendung dieses Schauplatzes als einem Ort der Einkehr und Besinnung spielt jedoch ... auch eine persönliche Vorliebe Fontanes für Friedhöfe und Gräber dabei eine Rolle. Die Differenziertheit, in der er Friedhofs- und Grabgestaltung seiner Zeit in den Texten darstellt, liefert bis in die grabmalästhetischen Details ein umfassendes Bild des Zeitgeschmacks, das nicht zuletzt auch einen Aussagewert für die Denkmalpflege hat.