Brombeeren sind auf dem Ohlsdorfer Friedhof - jedenfalls gefühlt - ziemlich allgegenwärtig, und sie machen sich durch ihre Stacheln manchmal recht unangenehm bemerkbar. Wie bei Wikipedia nachzulesen ist, entstand aus diesem Umstand auch ursprünglich der Name. Im Althochdeutschen wurde die Pflanze 'brāmberi' genannt, 'Beere des Dornstrauchs'.1 Botanisch korrekt ist das allerdings nicht, denn wie bei den Rosen sind es Stacheln, keine Dornen. Weiter ist bei Wikipedia angegeben, dass es allein in Europa über 2000 Arten gibt.
Dass in Ohlsdorf mehr als eine Art vorkommt, war mir auch schon aufgefallen, da es durchaus recht unterschiedliche Blattformen gibt.

Aber selbst die 'Fitschen Gehölzflora'2 widmet den Brom- und Himbeeren, botanisch Rubus, gerade einmal vier Seiten. Daher hatte ich nicht versucht, die Sache zu vertiefen und beschränkte mich auf das Sammeln. Brombeerkonfitüre ist schließlich sehr lecker.
2022 veröffentlichte dann der Hamburger Botanische Verein in seinem Jahrbuch einen Beitrag über 'Die Brombeeren des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg'.3 Die Autoren Werner Jansen und Stefan Schielzeth berichten darin ausführlich über die Ergebnisse ihrer Kartierungsaktion, die sie ab 2015 über mehrere Jahre durchführten. Sie stellten fest, dass der Ohlsdorfer Friedhof nicht nur den Dendrologen viel zu bieten hat, sondern auch den Batologen - das sind die Spezialisten für Brom- und Himbeeren. In ihrem Artikel sind in einer Tabelle die eindeutig bestimmten Arten mit Angaben zur Fundhäufigkeit und den jeweiligen Bedürfnissen bezüglich Licht- und Bodenverhältnissen zusammengestellt.4 Es sind 36 Arten! Der Friedhof dürfte damit zu den brombeerreichsten Gebieten in Hamburg zählen.
Die Autoren erklären dies folgendermaßen:
"Die außergewöhnlich hohe Artenzahl des Gebietes hat mehrere Ursachen. Unterschiedliche Bodenverhältnisse und für das Gedeihen der meisten Brombeerarten optimale klimatische Bedingungen mit der Lage in der Großstadt sind hier gegeben und bilden die Grundlage. Hinzu kommt der Reichtum an anthropogen geschaffenen, für Brombeeren optimal geeigneten Habitaten: Der Friedhof ist reich strukturiert mit breiten Straßen und Wegen, vielen Hecken zur Abgrenzung der Grabfelder, Innensäumen von Gebüschen, kleinen Baumgruppen und zum Teil naturnah gestalteten Gewässern. Brombeeren finden in auffälliger Weise auch einen guten Standort in Rhododendron-Sträuchern und -Hecken, in denen sie als Spreizklimmer mit Hilfe ihrer rückwärts gerichteten Stacheln ans Licht streben; ihre Beseitigung ist hier so gut wie unmöglich."5
Das im letzten Satz Gesagte lässt sich immer wieder gut beobachten. Zum einen hängen oft aus den Rhododendren von oben lange Brombeerranken herunter, und wo es nicht gelingt, eine Pflanze vollständig zu entfernen, ist sie nach kurzer Zeit wieder da. Die Ruten, die neu austreiben, blühen und fruchten dann im darauffolgenden Jahr. Das entspricht ja auch dem normalen Wuchsverhalten: Brombeeren tragen "am zweijährigen Holz".
Die Autoren beschreiben einen Teil der Arten auch mit einem kurzen Text und gehen dabei unter anderem der Frage nach, woher sie eigentlich stammen. In drei Fällen handelt es sich um Neophyten, also um eingeschleppte Arten. Bei der Armenischen Brombeere, Rubus armeniacus, wird angenommen, dass ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet die Kaukasusregion war. Sie wurde 1840 von der Baumschule Booth in Klein-Flottbek eingeführt und ist heute in Hamburg wohl die mit Abstand häufigste Art.6 Nicht ganz so stark hat sich bisher die aus dem östlichen Nordamerika stammende Kanadische Brombeere, Rubus canadensis, verbreitet und auch die Schlitzblättrige Brombeere, Rubus laciniatus, deren Herkunft nicht geklärt ist. Es ist aber wahrscheinlich, dass auch diese beiden Arten sich in Zukunft weiter ausbreiten werden und einheimische Arten verdrängen. Sie müssten also als invasiv eingestuft werden.
Neben diesen von weiterher stammenden Arten gibt es auch einige, die aus anderen Bundesländern oder dem näheren europäischen Raum hierher eingeschleppt wurden. Das kann zum Beispiel durch das Material für die Winterabdeckung geschehen, das seit vielen Jahren aus der Eifel bezogen wird. Häufiger ist wohl die Verbreitung durch Vögel anzunehmen, sowohl im Nahbereich als auch von weiter her durch Zugvögel.7
Beim Lesen des Artikels stellte sich für mich die Frage, ob ich mit Hilfe der dort vorhandenen Informationen auch die eine oder andere Art bestimmen könnte, kam aber damit doch nicht sehr weit. Auf Grund einer Abbildung im Artikel erscheint es mir immerhin sehr wahrscheinlich, dass es sich bei dem Zweig auf dem folgenden Bild um eine Kanadische Brombeere handelt. Sie wächst nicht weit entfernt vom Museum rechts und links der Bergstraße und gehört zu den wenigen sommergrünen Arten. Da sie kaum Stacheln hat, kann sie sich im Rhododendron nicht so gut hinaufarbeiten und bleibt daher eher niedrig. Sie ist auch nicht so 'kratzig', was das Pflücken deutlich angenehmer macht. Die Früchte sind kleiner als bei den anderen Arten, schmecken aber genauso gut.

Abschließend gebe ich noch einige Sätze aus dem letzten Abschnitt des Artikels von Werner Jansen und Stefan Schielzeth wieder, die hier auf die Bedeutung der Brombeeren für den Natur- und Artenschutz hinweisen:
"Im Hinblick auf das Projekt 'Ohlsdorf 2050' und der damit einhergehenden möglichen Veränderung oder Beseitigung von Fundorten sollten die Untersuchungen auch für Naturschutz-Zwecke ausgewertet werden. [...] die Steinfrüchte der Brombeeren [stellen] ein für bestimmte, im Untersuchungsgebiet häufig vorkommende Vogelarten attraktives und wichtiges Nahrungsangebot dar. Außerdem werden die Blüten von einer Vielzahl von Insekten, besonders auch Käfern, aufgesucht, und die Brombeerpflanze selbst dient als Nist- und Versteckmöglichkeit. Es ist augenscheinlich, dass zwischen der Brutvogeldichte im Untersuchungsgebiet und dem hohen Anteil der Brombeeren an der Vegetation eine Beziehung besteht."8
Weiter weisen sie darauf hin, dass einige der heimischen Brombeeren bereits als gefährdet anzusehen sind. Bis 2022 waren zwar noch keine Arten in die Roten Listen aufgenommen worden, aber für mehrere heimische konnte ein erheblicher Rückgang mittlerweile nachgewiesen werden. Die Autoren stellen daher abschließend fest:
"Auch bei dem jetzt schon fortgeschrittenen Planungsstand zu 'Ohlsdorf 2050' sollte es möglich sein, bei der teilweisen Neustrukturierung 'unter Berücksichtigung der Belange von Denkmalpflege und Naturschutz' diese Brombeeren nicht als lästigen Wildwuchs zu behandeln, sondern ihre Standorte weitgehend zu erhalten."9
Anmerkungen:
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Brombeeren - abgerufen 12.10.2024
2 Jost Fitschen, Gehölzflora, Heidelberg, Wiesbaden, 1994
3 Berichte des Botanischen Vereins zu Hamburg, Heft 33 (2022)
4 ebd. S. 9
5 ebd. S. 10
6 ebd. S. 14
7 ebd. S. 13
8 ebd. S. 27
9 ebd. S. 28