Dass auf dem Ohlsdorfer Friedhof eine artenreiche Flora, Funga und Fauna heimisch ist, ist inzwischen allgemein bekannt. Insgesamt 450 verschiedene Laub- und Nadelhölzer sind gezählt worden und auf der Webseite der Friedhofsverwaltung ist zu lesen: "neben Eichhörnchen, Feldmäusen, Fröschen oder Wildgänsen machen hier auch Maulwürfe keinen Halt vor gepflegten Grabbeeten".
Zu den Tieren, die auf dem Friedhof sozusagen in freier Wildbahn leben, gehören Marder, Füchse und Rehe, aber auch nachtaktive Kleinsäuger und natürlich viele Insektenarten. Bei Untersuchungen wurden acht verschiedene Arten Fledermäuse sowie 284 Arten von Nacht- und Kleinschmetterlingen gefunden. Dazu kommt eine bunte Singvogelwelt, die man im Mai und Juni bei Führungen des NABU auf dem Friedhof kennenlernen kann. 2016 wurde eine Erfassung des Brutvogelbestands von der Friedhofsverwaltung in Auftrag gegeben, bei der insgesamt 50 Brutvogelarten nachgewiesen wurden. Vier davon sind in den Roten Listen Hamburgs oder Deutschlands als bestandsgefährdet geführt, weitere vier Arten stehen auf der Vorwarnliste. Mit etwas Glück kann man an den verschiedenen Wasserflächen des Friedhofs sogar einem Eisvogel beim Fischen zusehen. Über Deutschland hinaus berühmt geworden sind die Ohlsdorfer Uhus, die schon mal ihre Brutstätte im Blumentrog eines Grabmals eingerichtet haben. 2016 lebten drei Uhu-Paare auf dem Friedhof.



Den heimischen Tierarten gesellen sich auch solche hinzu, die in dieser Gegend eigentlich nicht zu Hause sind. So wurden Waschbären gesichtet und bei schönem Wetter sonnen sich Wasserschildkröten auf einem Ast im Prökelmoorteich, falls sie nicht gerade von Kormoranen verdrängt worden sind.
Aber nicht nur der Ohlsdorfer Friedhof ist ein Naturparadies, das einer reichen Tier- und Pflanzenwelt ungestörten Lebensraum bietet. Gerade in den großen Städten bilden Friedhöfe sehr oft ungestörte Rückzugräume für bedrohte und seltene Tier- und Pflanzenarten. Schon 2016 wurde an der Technischen Universität Berlin eine der ersten Studien auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee durchgeführt, in der die Wissenschaftler mehr als 600 Tier- und Pflanzenarten dokumentierten. Dazu muss allerdings erwähnt werden, dass dieser Friedhof aufgrund der Verbrechen der Nationalsozialisten und aufgrund der Teilung Deutschlands immer mehr verfiel und nach der Einheit nur langsam wiederbelebt wurde.
Auf dem Wiener Zentralfriedhof ist inzwischen eine Population wilder Feldhamster zuhause. Diese Tierart ist draußen auf Wiesen und Feldern inzwischen aufgrund der extensiven Landwirtschaft vom Aussterben bedroht. Die kleinen Hamster fühlen sich auf dem Friedhof offenbar besonders wohl; unter anderem auch deshalb, weil dort - wie auf katholischen Grabstätten üblich - auf den Gräbern brennende Kerzen aufgestellt werden. Deren fetthaltiges Wachs finden die Hamster lecker und offenbar bekommt es ihnen auch gut.1
In Wien fragt seit April 2021 das Forschungsprojekt "BaF - Biodiversität am Friedhof" der Universität, wie viel Leben es nach dem Tod gibt.2 Regelmäßig werden Begehungen auf den 57 Friedhöfen des Stadtgebiets durchgeführt, um die dortige Artenvielfalt zu erfassen. Damit soll erstmals die tatsächliche Biodiversität aller biologischen Erscheinungsformen auf Friedhöfen beschrieben werden. Das Forschungsteam bittet dafür die Bewohner Wiens als sogenannte Citizen Scientists um Mithilfe und Mitwirkung. Sie können ihre Sichtungen auf einem Meldungsportal für Stadtwildtiere im Internet mitteilen. Außerdem hat man auf ausgewählten Friedhöfen Wildkameras installiert, um auch die nachtaktiven und scheuen Arten zu erfassen.
Auch anderswo beginnen Biologen sich mit dem Artenreichtum der Bestattungsplätze auseinanderzusetzen. Ein - Ende 2023 abgeschlossenes - Forschungsprojekt im westlichen Ruhrgebiet ergab, dass auf allen 153 untersuchten Friedhöfen insgesamt 961 unterschiedliche Pflanzenarten gefunden wurden. Von ihnen sind über 100 entweder auf der Roten Liste NRWs oder auf einer entsprechenden regionalen Liste verzeichnet.3
Der Verband der Friedhofsverwalter Deutschlands e. V. hat inzwischen einen Ratgeber zum Thema Biodiversität herausgegeben.4 Die Broschüre enthält zehn Tipps, wie die Artenvielfalt auf Friedhöfen noch weiter gefördert werden kann. Erarbeitet wurde sie vom Kuratorium Immaterielles Erbe Friedhofskultur zusammen mit der Biologin, die die Untersuchung im Westlichen Ruhrgebiet durchgeführt hat.
Friedhöfe haben zwar die Hauptaufgabe, würdige Orte für die Bestattung der Toten, die Trauer und die Erinnerung zu sein. Doch die Erkenntnisse der Biologie über den Reichtum der Fauna und Flora besonders auf den historisch gewachsenen Begräbnisplätzen sind ein weiterer Aspekt, der die Bedeutung dieser besonderen Orte nicht nur für Trauernde, sondern auch für die Umwelt und die Natur unterstreicht.
Anmerkungen:
1 Die Hamster kann man inzwischen auf einigen Youtube-Videos bewundern. https://www.youtube.com/watch?v=rkZ6gzyg7yY
2 https://www.citizen-science.at/blog/wo-das-leben-endet-und-beginnt-biod…
3 Corinne Buch, Peter Keil, Friedhöfe tragen zur urbanen Biodiversität bei. - Ergebnisse einer floristischen Kartierung in Mülheim an der Ruhr. - Natur in NRW 02/2020: 22-27. https://is.gd/WM9aR2
4 https://www.friedhofsverwalter.de/wp-content/uploads/biodiversitaet_rat…