In Wyk, dem Hauptort der nordfriesischen Insel Föhr, wächst zwischen alten Kiefern, die den großen Orkan "Christian" im Oktober 2013 überlebt haben, ein neuer Mischwald heran. Die jungen Bäume werden seit 2015 von Eltern zum Gedenken an ihre verstorbenen Kinder gepflanzt. Der Tod ihrer Kinder fegte wie ein Orkan durch die Familien, hinterließ ein großes Chaos von Verlust und Schmerz, Verzweiflung und Einsamkeit. Die betroffenen Eltern und Geschwister begleiten einander auf Ihrem Weg durch die Trauer. Sie stützen und ermutigen sich drin, ihr Leben nach dem Orkan neu zu ordnen.
Die Himmelsbäume sind ein Symbol für ihre Gemeinschaft. Sie zeigen, dass die Trauer und der neue Lebensabschnitt Zeit und Pflege zum Gedeihen brauchen. Die Bäume für die totgeborenen oder verunglückten, durch Krankheit, Suizid oder Gewalt verstorbenen Kinder und Jugendlichen wurden in den Familien sorgfältig ausgewählt. Sie stellen eine Verbindung zwischen Erde und Himmel dar.
Die "Himmelsbäume" - auf Friesisch "Hemelsbuumer" - stehen in einem öffentlichen Park. Die Anlage wurde von der Selbsthilfeorganisation "Verwaiste Eltern und trauernde Kinder in Schleswig-Holstein e.V." initiiert. Alle Bäume sind mit einem Schmetterling aus Holz, auf dem der Name des Kindes eingraviert ist, gekennzeichnet. Die Verwaisten Eltern wollen nicht zuletzt die zahlreichen Ferien- und Kurgäste auf das Glück und die Vergänglichkeit des Lebens aufmerksam machen.
Am 24. Juni 2023 war die Anlage Ziel einer wissenschaftlichen Exkursion des Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Hamburg. Die Fahrt fand statt im Rahmen des von Prof. Dr. Norbert Fischer geleiteten Seminars "Neue Schauplätze der Trauer" (Sommersemester 2023 und Wintersemester 2023/24). In dieser zweiteiligen Lehrveranstaltung geht es im Rahmen forschenden Lernens darum, die aktuell wachsende Zahl neuer Orte des Gedenkens im öffentlichen Raum ("public mourning") zu untersuchen. Hier hat sich ein breites Spektrum entfaltet: Gedenkorte für Opfer von Gewaltherrschaft, für Unglücksopfer zu Land und Meer, für Opfer von Seuchen (u.a. Corona) und anderen Katastrophen, für frühverstorbene Kinder und Obdachlose. Das Seminar zielt darauf, kulturelle Muster und gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Orte zu erforschen. Methoden sind teilnehmende Beobachtung, Interviews mit Experten und Betroffenen sowie Auswertung medialer Zeugnisse.
An den "Himmelsbäumen" konnten die Exkursionsteilnehmer:innen mit drei betroffenen Elternteilen sprechen, die ihre Geschichten und Erfahrungen erzählten. Zu ihnen gehörten Regine und Lothar Brandt - ihr Sohn Titus kam im Alter von 19 Jahren infolge eines schweren Arbeitsunfalls nach vier Monaten Krankenhausaufenthalt unerwartet durch eine innere Blutung ums Leben. Auch Katja Suchsdorf-Ter Avest berichtete von ihrem Schicksal: Ihre Tochter Antonina Philippa Sophie verstarb 2002 im Alter von 15 Jahren während einer Urlaubsreise an einer Miningokokken-Meningitis. Ebenfalls begleitet - und auch vorbereitet - wurde die Exkursion von Elke Heinen, die zu den maßgeblichen Initiatorinnen der Anlage gehört.
Die Betroffenen - so ein erstes Feedback - fanden es mutig von den Studierenden, dass sie nach der Geschichte der verstorbenen Kinder gefragt haben und sich nicht nur für den Baum und die Anlage interessierten. Die Eltern konnten berichten, was sie mit genau diesem Baum und der Pflanz-Aktion in Gemeinschaft mit anderen Betroffenen zum Ausdruck bringen wollen. Die Aktion ("materialisierte" Trauer) hat eine bewegende Vorgeschichte und Bedeutung für den weiteren Weg der Eltern, Geschwister, Freunde usw. Alle drei sagten im Nachhinein, dass es ihnen gut tut, wenn sich jemand für ihre Kinder interessiert. Die Erinnerung schmerzt, aber das Erzählen befreit - so lautet der Tenor.