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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Vom Parkfriedhof zum Friedhofspark: Freiflächenumgestaltung eines Teilbereichs des Neuen Annenfriedhofs in Dresden

Autor/in: Lara Schink
Ausgabe Nr. 161, II, 2023 - Juni 2023

Zwischenstand nach zwei Jahren Arbeit als Modellprojekt im BBSR-Forschungsvorhaben Green Urban Labs II *

Im Sommer 2021 erhielten wir, ein Planungsteam bestehend aus Mitarbeitenden des federführenden Amtes für Stadtgrün und Abfallwirtschaft der Landeshauptstadt Dresden und dem Verband der Annenfriedhöfe Dresden, die erfreuliche Nachricht, mit dem Projekt "Vom Parkfriedhof zum Friedhofspark: Freiflächenumgestaltung eines Teilbereichs des Neuen Annenfriedhofs in Dresden" als eines von sechs Projekten bundesweit für das Forschungsvorhaben "Green Urban Labs II" ausgewählt worden zu sein (Abb.1).


In den Arkaden des Campo Santo befinden sich die Grabstätten vieler Industrieller. Der Bereich lädt zum Erkunden und Verweilen ein, ist aber leider in schlechtem Zustand (1)

Im Rahmen des Programms "Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BBSR) wurden Modellprojekte gesucht, die "innovative, beispielgebende und kreative Ansätze für die zukunftsweisende Entwicklung grüner und blauer Infrastruktur in sich verdichtenden Städten" verfolgen. Dabei sollen die Erkenntnisse dem BBSR zur Verfügung gestellt werden, um diese weiteren Kommunen zur Verfügung zu stellen.

Die Frage der Nutzung von perspektivisch nicht mehr zur Bestattung benötigter Flächen und ihrer Bewahrung als Grün- und Freiflächen ist für viele Kommunen hochaktuell, auch und besonders für Dresden: Zur Stadt gehören 58 Kirch- und Friedhöfe mit einer Gesamtfläche von 173 ha. Die Prognose für 2050 geht von einem Bedarf von 57,7 ha Bestattungsfläche aus; entsprechend dringend sind Konzepte und Maßnahmen für die künftigen Freiflächen erforderlich.

In Dresden sind zwar 53 der 58 Friedhöfe in kirchlicher Trägerschaft, doch gibt es ein steigendes Ungleichgewicht zwischen Gebühreneinnahmen und dem (Grün-)Wert für den Stadtteil. Deshalb wird das Friedhofswesen zunehmend auch als städ-tische Aufgabe begriffen. In den sich durch Bebauung in hohem Tempo verdichtenden Stadtquartieren soll u.a. durch die Umwandlung von Friedhöfen in öffentliche Parks und Grünflächen das sich verschärfende Defizit an Grünraumausstattung ausgeglichen werden. Mit dem Neuen Annenfriedhof soll nun im Rahmen des Projektes auf einer Teilfläche modellhaft diese Umwandlung realisiert werden. Aufgrund der Vielfalt der Ansprüche an die Fläche bezüglich denkmalpflegerischer, naturschutzfachlicher, kultureller, naherholungstechnischer und sozialer Aspekte erfordert die Umsetzung des Modellprojektes ein sehr hohes Maß an fachbereichsübergreifender Kooperation mit sehr heterogenen Akteuren. Die Umsetzung soll beispielhaft für die zukünftigen multifunktionalen Transformationen der Friedhofslandschaft in Dresden dienen.

Das Projekt wird noch bis Ende 2024 im Rahmen von Green Urban Labs II begleitet und mit 130.000,00€ durch das BBSR gefördert. Bei den folgenden Erläuterungen handelt es sich entsprechend um einen Zwischenbericht.

Die Dresdner Friedhofslandschaft, der Neue Annenfriedhof und der Bereich "Friede und Hoffnung"

Großzügig angelegt als ca. 10,5 ha großer Parkfriedhof war der Neue Annenfriedhof zu seiner Weihung 1875 der größte Friedhof in und um Dresden und der erste mit gartenkünstlerischer Gestaltung (Gartenarchitekt: Max Bertram). Auch der Eingangsbereich mit monumentalem Hauptgebäude im Campo-Santo-Stil (Architekt: Robert Wimmer) macht den Friedhof bis heute zu einem Kleinod des Stadtteils Löbtau (Abb. 2).


Auszug aus dem Friedhofsentwicklungskonzept (2018) - hier zu sehen ist der Bestandsplan des Neuen Annenfriedhofs mit Markierung der Green-Urban-Labs-II-Projektfläche "Friede und Hoffnung" Quelle: Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft Dresden (2)

1897 wurde durch die ev.-luth. Kirchgemeinde "Frieden und Hoffnung" unmittelbar angrenzend der "Löbtau-Naußlitzer Friede- und Hoffnungsfriedhof" geweiht mit weiteren rund 3,5 ha. Beide Friedhöfe werden heute zusammen mit dem Alten Annenfriedhof durch den Verband der Annenfriedhöfe Dresden unterhalten.

Nach dem Krieg sanken die Bestattungszahlen und die Missbilligung der DDR-Regierung gegenüber kirchlichen Einrichtungen sorgte im Anschluss für geringe Kirchenmitgliedszahlen und ausbleibende finanzielle Unterstützung. Die Urnenbestattung und speziell die anonyme Urnengemeinschaftsanlage wurde politisch idealisiert als passende Bestattungsform zur angestrebten gesellschaftlichen Gleichheit.

Heute finden auf Dresdner Friedhöfen ca. 10 Prozent christliche und 90 Prozent weltliche Bestattungen statt; ähnlich ist das Verhältnis zwischen Erdbestattung und Urnenbestattung (zugunsten der Urnenbestattung). Die geringen Belegungszahlen haben auf dem Neuen Annenfriedhof zur Konsequenz, dass heute etwa zwei Drittel der Fläche für Bestattungen beschränkt oder ganz geschlossen sind. Bereits in den 1990er-Jahren hat man begonnen, die Belegung auf ein Kerngebiet zu beschränken um die Freiflächen extensiver pflegen zu können. Dies betrifft auch den kompletten Teilbereich "Friede und Hoffnung".

Da der Friedhof in einem mit Grünflächen unterversorgten Stadtbezirk liegt, wird er rege von der Einwohnerschaft besucht und als größte Grünanlage des Stadtteils sehr geschätzt. Der Nutzungsdruck durch (zu schnelle) Radfahrende, Hundebesitzende (ohne Leine) und (laut spielende) Kinder wird bisweilen zur Herausforderung für Trauernde, zugleich schätzen viele die Lebendigkeit des Neuen Annenfriedhofs.

Seit der Wiedervereinigung werden kirchliche Friedhöfe in Dresden zunehmend durch kommunale Fördermittel unterstützt. Um Lösungen für den Umgang mit dem Flächenüberhang zu finden, hat die Landeshauptstadt Dresden 2018 ein trägerübergreifendes Friedhofsentwicklungskonzept beschlossen. Neben einer umfassenden Analyse und vielen Planungsgrundlagen liefert das Konzept auch Vorschläge für vier Pilotprojekte mit Umnutzung von Friedhofsfreiflächen bzw. ganzen Friedhöfen. Einer der Vorschläge ist die Umgestaltung des Teilbereichs "Friede und Hoffnung" auf dem Neuen Annenfriedhof zu einem Stadtteilpark mit eigenem Café ( Abb.3).


Zum 2. Workshop konnte dank der Unterstützung lokaler Akteure (Palais Café und Cross River Coffee) das potentielle Café-Angebot in der Fläche bereits ausprobiert werden, ebenso wie ein Spielangebot für kleine Kinder (Outlaw Kinder- und Jugendhilfe) (3)

Wir sind in die Arbeit mit folgenden Projektzielen gestartet:

- Neue Möglichkeiten und Angebote der Freizeitnutzung schaffen, vorhandene Angebote verbessern, gleichzeitig die freizeitliche Nutzung des Friedhofskernbereichs reduzieren;
- ökologische Funktionen der Fläche erforschen und bedarfsgerecht verbessern;
- sozialen Austausch fördern - im besten Fall generationsübergreifend;
- zeitgenössische und historisch-kulturelle Aspekte gestalterisch miteinander verbinden;
- Friedhofskultur, Stadtteilgeschichte und Umweltbildung vermitteln;
- Möglichkeiten der Zusammenarbeit weiterentwickeln und neu schaffen zwischen verschiedenen Institutionen in Bezug auf das Friedhofswesen; Anknüpfungspunkte für Folgeprojekte finden.

Neue Verbindungen schaffen und alte Ver bindungen stärken - der Beteiligungsprozess

Ein großer Schwerpunkt des Projektes besteht in der projektbezogenen Vernetzung von Akteuren. Im Rahmen von (Stand: 13.04.2023) bisher fünf Beteiligungsveranstaltungen sollten bestehende Verbindungen vertieft, neue hinzugewonnen und aus beidem ein Netz gesponnen werden, das möglichst auch auf andere Flächen übertragbar ist. Für das Jahr 2023 sind noch mindestens zwei weitere Veranstaltungen geplant (Abb. 4)..


Beim 1. Workshop entwickelten die Teilnehmenden gemeinsam erste Ideen an Thementischen zu Denkmalpflege und Kulturkommunikation, zu Gesamtgestaltung und Freiraumkonzept, zu Artenschutz und Umweltbildung, sowie zu Kunst und Begegnung (4)

Bei den Veranstaltungen werden Zwischenergebnisse aus Teilprojekten präsentiert, dazu werden die Teilnehmenden um Feedback gebeten und sind eingeladen eigene Ideen einzubringen. Die Mischung aus Vertreter:innen verschiedener kommunaler und kirchlicher Ämter, beider großen Hochschulen (TU/HTW Dresden), sowie aus Umweltschutz- und Nachbarschaftsvereinen sorgt für einen facettenreichen Austausch, durch den eine große Bandbreite von Anregungen und Projektideen generiert wird. Diese beinhalten sowohl fachliche Perspektiven und konzeptionelle Gedanken, als auch konkrete Kleinprojekte für neue Informations- und Aktivitätsan-gebote zugunsten der Friedhofsbesucherinnen und -besucher.

Die Ergebnisse aller Workshops sind vollständig hier einsehbar: www.dresden.de/green-urban-labs.

Als besonders produktive Partner erwiesen sich die beiden Hochschulen, die sich gestalterischer und ökologischer Teilthemen annahmen, darunter:

=> mehrere entomologische Untersuchungen (HTW Dresden, Studiengang Umwelt-monitoring + Umweltamt der Landeshauptstadt Dresden)
=> Erfassung von Fledermausquartieren auf fünf Dresdner Friedhöfen (HTW Dresden, Masterarbeit Axel Frieden, Studiengang Landschaftsentwicklung)
=> Messung/Analyse der stadtklimatischen Eigenschaften der Fläche (HTW Dresden, Studiengang Gartenbau)
=> Naturschutzkonzepte für den Neuen Annenfriedhof (TU Dresden, Masterarbeit Annika Seitz, Studiengang Landschaftsarchitektur; Dominique Dick, Studiengang Raumentwicklung und Naturressourcenmanagement)
=> gestalterische Ideen zur architektonischen Entwicklung der Fläche (TU Dresden, Studi-engang Architektur)
=> Vorschläge zur Verbesserung von Barrierefreiheit auf Friedhöfen (HTW Dresden, Bachelorarbeit Frauke Kronefeld, Studiengang Gartenbau) (Abb. 5 und 6).




Mit einer Malaisefalle untersuchen Umweltmonitoring-Studierende die Insektenfauna des Neuen Annenfriedhofs. Zeitgleich untersucht Landschaftsentwicklungsstudent Axel Frieden mittels Schallaufzeichnung und Lebendfangaktionen die Fledermausquartiere auf fünf Dresdner Friedhöfen (5/6)

Ein Gewinn für das Projekt sind dabei nicht nur die Erkenntnisse aus den Untersuchungen, sondern auch die Auseinandersetzung mit den Qualitäten und Potentialen der konkreten Fläche und des Ortes Friedhof im Allgemeinen durch gleichwohl Leh-rende wie Lernende (Abb. 7).


Zum 2. Workshop stellten Masterstudierende der Landschaftsarchitektur Interventionen des Projektes „Das Monster aufdecken“ in der Fläche vor, die unter der Professur Ana Viader Soler mit Gastdozentin Véronique Faucheur erarbeitet worden sind (7)

Durch die Einbeziehung in das Projekt konnte auch die Unterstützung sonst eher weniger mit Friedhöfen betrauter Fachämter gewonnen werden:
=> Das Umweltamt spendierte 40 Nistkästen für unterschiedliche Vogel- und Fledermausarten, finanzierte entomologische Bestimmungen und half fachlich bei der Betreuung von Workshops und Studierendenarbeiten.

=> Das Amt für Stadtplanung und Mobilität nahm Teile der Realisierung des Projekts in einen EFRE-Förderantrag für ein angrenzendes Sanierungsgebiet auf (Bewilligung derzeit noch offen).
=> Das Amt für Kultur und Denkmalschutz hilft bei der Organisation eines Kulturnetzwerkes für Friedhöfe, bei der Planung eines digitalen Friedhofsführers/Audiorundgangs und half beratend bei der Erarbeitung der denkmalpflegerischen Zielstellung.
=> Das Büro der Kinder- und Jugendbeauftragten führte eine Kinder- und Jugendbeteiligung mit einer KiTa und der 8. Klasse einer Oberschule in unmittelbarer Nachbarschaft zum Friedhof durch.

Wesentliche Investitionen aus den Projektfördermitteln

Neben dem Beteiligungsprozess selbst, werden auch Planungskosten durch die Projektfördermittel bestritten. Bisher wurde aus den Mitteln eine denkmalpflegerische Zielstellung finanziert, ein Sanierungsgutachten für den Friedhofsschuppen, der zum Café umgenutzt werden soll, und der Vorentwurf für die Neugestaltung der Fläche. Bis Ende 2024 sollen die weiteren Mittel unter anderem noch Teilen der Artenerfassungen zugutekommen, einem Baumzustandsgutachten, einem Pflegekonzept, sowie den Entwurfsplanungen für die Neugestaltung der Fläche und des künftigen Friedhofscafés.

Der Elefant im Raum

Die Tatsache, dass sich das Planungsgebiet in kirchlichem Eigentum befindet, die Kommune jedoch eine Weiterentwicklung der Fläche plant, sorgt für Herausforderungen und wirft die Frage nach Zuständigkeiten und Berechtigungen auf. Kommunale und kirchliche Ämter, Kirchgemeinde- und Friedhofsvorstand, sowie die Friedhofsverwaltung diskutieren, wie hier eine gemeinsame Lösung gestaltet werden kann. Aufgrund der geringen Anzahl an Grabstellen, wird die Fläche derzeit bei Pflege und Unterhaltung vom Friedhofsträger hintenangestellt. Investiert die Kommune nun in die Umgestaltung, braucht es für die Pflege eine neue Lösung, um diese nicht der Verwahrlosung preiszugegeben. Ob diese in einer finanziellen oder praktischen Unterstützung des Friedhofsträgers durch die Kommune münden kann, ist derzeit noch ungewiss, könnte aber wegweisend für weitere Friedhofsfreiflächen in Dresden sein.

(Anm. der Redaktion: Lara Schink ist Friedhofsverwalterin des Verbandes der Annenfriedhöfe in Dresden sowie Sprecherin des Netzwerks Dresdner Friedhofsverwalter und Lehrbeauftragte für Friedhofsgartenbau an der HTW Dresden)

* = Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung

Fotos. 1, 5, 6: Lara Schink, Verband der Annenfriedhöfe Dresden; 3, 7: Juliane Tobies; Verband der Annenfriedhöfe Dresden; 4: Katja Porrmann; Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft Dresden.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Vom Friedhof zum Park (Juni 2023).
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