Direkt zum Inhalt

OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Tod in der Ideologie des Nationalsozialismus

Pathos und Ideologie

Das Thema Sterben, Tod und Trauer prägte die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur und Gewaltherrschaft auf ganz unterschiedliche Weise. In den frühen Jahren wurde beispielsweise der zivile Tod nationalsozialistischer Funktionäre ideologisch überhöht. Das zeigt im Jahr 1935 das Beispiel der Trauerfeiern für den Gründer des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NLSB), des bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Reichsamtsleiter Hans Schemm. Bemerkenswert ist die militaristische Gleichsetzung mit dem Tod eines Soldaten "auf dem Schlachtfeld" - vielleicht gerade weil die genaueren Umstände des Unglücks, das auf dem Flugplatz Bayreuth geschah, ungeklärt blieben. In vielen deutschen Orten wurden Trauerfeiern angeordnet. Das "Buxtehuder Tageblatt" schrieb damals über die lokale Veranstaltung der NLSB-Ortsgruppe: "Zur Einleitung der Kundgebung spielte Pg. [Parteigenosse] Studienrat Simon den Chopinschen Trauermarsch. Der Ortsgruppenamtsleiter, Pg. Dipl.-Ing. Siecke, widmete dem aus kräftigstem Leben herausgerissenen Kämpfer tiefgefühlte Worte ehrenden Gedenkens. ... ... Nun ist er gefallen wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld, bis zum letzten Augenblick für die nationalsozialistische Idee und für den Führer kämpfend.

"Deutlich wird an solchen Zeremonien, wie sehr Tod und Trauer in der nationalsozialistischen Propaganda politisch instrumentalisiert wurden. Die unterstellte Verbindung mit dem Dienst an der "nationalsozialistischen Idee" brachte ideologisch aufgeladene Trauerliturgien hervor: "Die Toten wurden zu Opfern, so wurde ihr Sterben idealisiert und zugleich wurden durch die Kraft des Blutes auch Zweifelnde eingebunden in dieses System der legalisierten Kriminalität und der kriminellen Legalität," schrieb der Tübinger Kulturwissenschaftler Utz Jeggle einmal.

Gefallenenkult und "Heldengedenktag"

Dabei konnte der von den Nationalsozialisten propagandistisch geschürte "Opferkult" auf jenen Mythen aufbauen, die im Gefallenenkult nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen worden waren. Zum Objekt wurden zunächst unter anderem die Kriegsgräberstätten des Ersten Weltkriegs - die Umstände der deutschen Niederlage in dem von Deutschland selbst mit ausgelöstem Krieg und ihre Folgen waren für die Nationalsozialisten ein steter Anlass zur politischen Propaganda. Diese Kriegsgräberstätten wurden zu einem Ort revanchistischer Ideologie und Gefallenenkults. Der Symbiose von Politik, deutschnationaler Ideologie und einem mythisch verbrämten völkischen, durch Vorherrschaft von Blut und Rasse geprägtem Denken entsprach es, dass Kriegsgräberstätten mit vermeintlich "deutscher" Natur verbunden wurden. Dazu erkor man sich Bäume aus, insbesondere Eichen. Baumbestandene Toten- und Heldenhaine wurden zum "erhabenen" Ort des Gefallenenkultes stilisiert.

Im gleichen Zusammenhang stand die Instrumentalisierung des Volkstrauertages, der in den 1930er-Jahren zu einer immer stärker ideologisch gefärbten Form des Toten- und Gefallenenkultes wurde. 1925 in der Weimarer Republik auf Anregung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge vom Reichsinnenministerium ein-geführt, wurde er unter den Nationalsozialisten 1934 zum "Heldengedenktag" umgestaltet. Die Nähe von Volksbund und Nationalsozialismus war im Laufe der Jahre immer deutlicher geworden. Einer der Gründer des Volksbundes, Siegfried Emmo Eulen, schrieb im Editorial der Volksbund-Zeitschrift "Kriegsgräberfürsorge" schließlich Anfang 1935 in pathosgeladenen Worten wie folgt über das Verhältnis seiner Organisation zur NS-Diktatur und zu Hitler: "Hingabe ist mehr als Pflicht, die von Vielen verlangt und erfüllt wird. Hingabe ist dargebrachtes Opfer. Der Volksbund kennt nur dieses, weil er für die Verewigung des heldischen Opfergedankens kämpft ... Der Führer lebt mit in unserem Werke. ... So schlagen unsere Herzen ihm entgegen und geloben, sich auch im neuen Jahre dem Werke der Heldenehrung hinzugeben, auf dass es aus deutscher Sehnsucht und deutschem Glauben weiterwachse."

So hatte auch der frühere Volkstrauer- und nunmehrige "Heldengedenktag" in der nationalsozialistischen Ideologie große Bedeutung. Künftig wurden aus propgandistischen Gründen wichtige Entscheidungen zur Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges in seinem Umfeld verkündet. Zugleich unterlag der Tag festgelegten Ritualen der Feier zur "Heldenehrung", an denen die NS-Gliedorganisationen teilnehmen mussten. Wie Sylvina Zander in ihrer Studie zur "Geschichte der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus in Bad Oldesloe" (Kiel 2021) schreibt, verlief dieser Tag in einer norddeutschen Kleinstadt im Jahr 1938 wie folgt: "Am [Krieger-] Ehrenmal auf dem alten Friedhof stand von 8-18 Uhr eine stündlich abzulösende Wache. Die Formationen der teilnehmenden Parteigliederungen und Vereine sammelten sich auf dem Marktplatz und zogen in genau festgelegter Marschkolonne zum Friedhof. An der Spitze marschierten die Fahnenblöcke der Partei, der SA, des RLB und der Kyffhäuser, dann folgten die Kranzträger von NSKOV (= NS-Kriegsopferversorgung), Wehrmacht, Partei, Stadt, Kyffhäuser, Kriegsgräberfürsorge und Soldatenbund. Dann folgten der Ehrensturm der SA, die Ehrengäste, das NSKK, die Politische Leitung, der Kyffhäuser-Verband, der Reichsarbeitsdienst, das NSFK, der RLB, das HJ-Jungvolk und am Ende die SS. Zivilisten sollten sich dem Zug vom Marktplatz zum Friedhof nicht anschließen, sondern sich erst auf dem Friedhof einfinden. Hier stellte sich die Marschkolonne entsprechend des Aufstellungsplanes auf."

Nationalsozialistisches Opferpathos: Das Marine-Denkmal in Cuxhaven

Auch ein weiteres Beispiel ist besonders geprägt von der ideologischen Überhöhung des "Opfer-Todes" durch die Nationalsozialisten. Gemeint ist das auf dem Cuxhavener Friedhof Brockeswalde errichtete "Seefahrer-Ehrenmal". Die Einweihung des Monumentes fand am Sonntag, den 5. November 1939, statt, also rund zwei Monate nach dem deutschen Angriff auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Das vom Hamburger Bildhauer Guido Maschke stammende, wandförmige Monument verzeichnet sämtliche Unglücksfälle Cuxhavener Schiffe mit den Namen der verstorbenen Besatzungsmitglieder. Seine Errichtung wurde vom Pathos national-sozialistischer "Opfer"-Ideologie getragen - und damit zu einem aufschlussreichen Beispiel, wie sehr in der nationalsozialistischen Propaganda privater Schmerz und Trauer politisch instrumentalisiert wurden.

Bezeichnend für die NS-Ideologie ist, dass das Ehrenmal ausdrücklich nur den seit 1933, also dem Jahr der Machtübergabe an Hitler, ums Leben gekommenen Cuxhavener Seeleuten gewidmet war. Das "Cuxhavener Tageblatt" hieß es in einem Vorbericht zur Einweihungsfeier: "In diesen Toten, deren Erinnerung Cuxhaven morgen feiern wird, verkörpert sich ein Begriff, der gerade im Nationalsozialismus seine schönste Verwirklichung gefunden hat: Jene einsatzbereite Lebenshaltung, die selbst nicht vor dem Opfer des eigenen Lebens zurückschreckt, wenn es die Aufgabe erfordert, wenn es für das Gelingen des großen Ganzen wichtig ist. Sie alle - einerlei ob es sich um die Männer an Bord der Fischdampfer, der Kutter, der Feuerschiffe oder um unsere Lotsen handelt - haben mit ihrem Tode besiegelt, was uns allen heiligstes Gesetz sein soll: Uns noch mehr einsetzen, alle Opfer zu bringen, die das Vaterland in der schweren Stunde der Entscheidung von uns fordert." Überdeutlich wird hier der maritime Tod von den Nationalsozialisten - in der Tradition des Gefallenenkultes nach dem Ersten Weltkrieg - pathetisch verklärt und zum Opfertod überhöht. Hält man sich vor Augen, dass das NS-Regime zwei Monate zuvor einen Weltkrieg begonnen und bereits zahlreiche Kriegstote zu verantworten hatte, so klingen solche Parolen geradezu zynisch.

Todesnachrichten und Todesanzeigen im Zweiten Weltkrieg

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs kamen Tod und Trauer immer häufiger in die heimischen Wohnstuben. Die Listen der Gefallenen wurden länger. Überbracht wurden Todesanzeigen zum Beispiel von Geistlichen oder Bürgermeistern. Die Nachbarn in Wohnhaus oder Siedlung konnten sich anhand der Familienverhältnisse in Kriegszeiten leicht ausrechnen, welch traurigem Anlass ein solcher Besuch galt.

Noch deutlicher wurde die mörderische Tragik des Krieges in der wachsenden Zahl der Todesanzeigen in der Tagespresse. Im "Oldesloer Landboten" waren sie, wie Sylvina Zander in ihrer Studie zum Nationalsozialismus in Bad Oldesloe festhält, "durchgängig mit dem von Hitler am 1. September 1939 als Kriegsauszeichnung gestiftetem "Eisernen Kreuz" versehen, in dessen Mitte ein Hakenkreuz eingefügt wurde." Diese Todesanzeigen sprachen vom "Heldentod für seinen Führer und Großdeutschland".

In einer anderen norddeutschen Tageszeitung lasen sich im November 1939 - schon wie frühe Durchhalte-Bekundungen - die Legitimationen des Kriegstodes wie folgt: "Wer mit Andacht die Kriegsbriefe gefallener Studenten liest, wird sie nur tief erschüttert aus der Hand legen können, denn die, die da starben, beschämen durch ihren stolzen, ehernen Opferwillen. Da ist nichts von knechtischer Furcht, von eigenem Ich, nichts von Schwachheit und Verzagen zu spüren. Durch alle weht wie ewiges Leben die Hymne heiligsten Opfergeistes." ("Buxtehuder Tageblatt" vom 3. November 1939).

Die Zeremonien am "Heldengedenktag" mussten nun mit zunehmender Dauer des Zweiten Weltkrieges wegen der immer zahlreicheren Gefallenen geändert werden. Die bisherigen rituellen "Heldenehrungsfeiern" wurden nun "Gefallenenehrungsfeiern". Für Bad Oldesloe berichtet Sylvina Zander: "Waren seit der Einführung der Wehrpflicht die Fahnen nicht mehr auf halbmast gesetzt worden, so änderte sich dies jetzt: 1942 war das Straßenbild durch auf halbmast gesetzte Hakenkreuzflaggen geprägt." Der Stormarner NSDAP-Kreisleiter Erich Friedrich musste in seiner Rede 1943 dann auf Durchhalteparolen zurückgreifen: "Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen", hieß es bei ihm. Dieser Spruch ist nicht zuletzt bekannt geworden durch ein weiteres nationalsozialistisches Denkmal: das 1936 in Hamburg eingeweihte sogenannte 76er-Denkmal des Bildhauers Richard Kuöhl. Mit seinen marschierenden Soldaten und der eben genannten Inschrift gilt es als kriegsverherrlichend im Sinn der nationalsozialistischen Auftraggeber. Von solchen Durchhalteparolen war es dann nicht mehr weit von bis zum "Erlass des Führers über den totalen Kriegseinsatz" vom 25. Juli 1944, der nicht zuletzt der Ausdruck von Verzweiflung war und demzufolge - so im Text wörtlich - "das gesamte öffentliche Leben den Erfordernissen der totalen Kriegführung in jeder Hinsicht anzupassen" war.

Aber diese ideologisch genährten Illusionen waren mit zunehmender Kriegsdauer dahin geschwunden. Das zuvor so eifrig und gleichsam missionarisch verkündete "Helden"-Pathos des einzelnen "Opfer"-Todes ließ sich selbst aus nationalsozialistischer Sicht angesichts des massenhaften Sterbens nicht nur auf den Schlachtfeldern, sondern auch durch den Bombenkrieg in deutschen Städten nicht halten. Da war die vermeintliche "Grösse und Ehre des ganzen deutschen Volkes" - sollte man derlei Gemeinschaftsideologien je geglaubt haben - schon längst durch das von den Nationalsozialisten verursachte millionenfache Morden und Töten auf zynische Weise ad absurdum geführt worden.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Tod und Nationalsozialismus (März 2023).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).