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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Trauerhaltestelle

In den vergangenen Monaten ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof ein Ort entstanden, vom dem neue Impulse für unsere Trauer- und Friedhofskultur ausgehen. Die von der Architektin Mareile Höring und der Interior Designerin Solveig Trzebiatowski konzipierte Trauerhaltestelle ist ein öffentlich zugänglicher Rückzugsort, an dem sich Menschen in ihrer Trauer geborgen fühlen können. Der Bau erfolgte im Auftrag des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur e. V., in enger Abstimmung mit der Stiftung Deutsche Bestattungskultur und den Hamburger Friedhöfen -AöR-. Am 11. Juni wurde die Trauerhaltestelle, die direkt an der Mittelallee (am Weg zum Prökelmoorteich) liegt, im Rahmen einer kleinen Feierstunde der Öffentlichkeit übergeben.

Was ist die Trauerhaltestelle?

Die Trauerhaltestelle besteht aus zwei massiven Betonklammern, die einen geschützten Raum bilden, der gleichzeitig offen ist. Sie kann alleine oder in kleinen Gruppen betreten werden. Im Inneren laden Sitzmöglichkeiten zum Verweilen ein. Es gibt keinerlei Anleitung für ihren Besuch - so wie es auch kein Patentrezept zur Verarbeitung und Bewältigung von Trauer gibt. Die Trauerhaltestelle bietet einen flexiblen Rahmen, in dem die Besucherinnen und Besucher ihren eigenen Bedürfnissen nachspüren können. Was tut mir gut in meiner Trauer? Wie kann ich meiner Trauer Raum geben? Was verbindet mich mit anderen Trauernden? Was kann oder möchte ich nur mit mir selbst ausmachen?


Blick über den Inselteich während der Einweihung der Trauerhaltestelle am 6. Juni 2021 (1)

Die Trauerhaltestelle gibt auf sanfte Weise Hilfestellungen zur Aushandlung dieser Fragen. So haben die Besucherinnen und Besucher im Inneren die Möglichkeit, an designierten Wänden Nachrichten mit Kreide zu hinterlassen, die dann in der Witterung vergehen. Sie können Blumen oder persönliche Gegenstände ablegen. Sie entscheiden frei, wie lange sie sich in der Trauerhaltestelle aufhalten, ob sie im Stehen oder Sitzen verweilen oder in Bewegung bleiben möchten. Ein Grundverständnis der Trauerhaltestelle ist natürlich, dass die persönlichen Räume der einzelnen Besucherinnen und Besucher respektiert und geachtet werden.


Trauerhaltestelle von außen (2)

Von der Idee zum Konzept zum Bauwerk

Bereits 2012 gewannen Mareile Höring und Solveig Trzebiatowski beim Architekturwettbewerb "Trauer braucht Raum" mit dem Entwurf der Trauerhaltestelle einen Sonderpreis. Es folgten Ausstellungen mit einem Modell in Originalgröße in Frankfurt a. M. und im unterfränkischen Münnerstadt. Entwurf und Modell enthielten bereits die prägenden Charakteristika der nun errichteten Trauerhaltestelle: Die offene Gestalt; die Sitzmöglichkeiten im Inneren; die Ablageflächen für Blumen und persönliche Gegenstände; die Möglichkeit zum Hinterlassen persönlicher Nachrichten. Mit dem Ohlsdorfer Friedhof konnte schließlich der ideale Standort für die erstmalige Verwirklichung des Baus gefunden werden - und mit den Hamburger Friedhöfen -AöR- ein starker und verlässlicher Partner. Die Bauarbeiten auf Ohlsdorf begannen im Winter 2020.

Trauer braucht Raum

Ideell begleitet wurde der Bau von der Stiftung Deutsche Bestattungskultur, die Idee und Konzept der Trauerhaltestelle seit Jahren pflegt und weiterentwickelt. Dahinter steht der Anspruch, den fortlaufenden Wandel unserer Trauer-, Gedenk- und Friedhofskultur ein Stück weit erfahrbar und erlebbar zu machen. Die Trauerhaltestelle lotet die sich wandelnden, immer individueller werdenden Bedürfnisse der Trauernden aus - und will diesen Bedürfnissen gleichzeitig selbst als Ort gerecht werden.


Trauerhaltestelle von außen (3)

Nicht zuletzt in der Corona-Pandemie mussten wir erleben, wie unzureichend die öffentliche Auseinandersetzung mit Fragen rund um unsere Bestattungs- und Trauerkultur noch immer ist. Dass Trauer Raum braucht; dass Abschiede individuell sein sollten; dass jede und jeder ein Recht auf eine persönliche Abschiednahme und ein Gedenken nach ihren/seinen Vorstellungen hat, wird in unserer Gesellschaft noch nicht genügend reflektiert. Die Trauerhaltestelle möchte hier einen Anstoß zum Nachdenken und zum gemeinschaftlichen Austausch geben.

Was bringt die Zukunft?

Es gibt keinen fixen Zeit- oder Fahrplan für die nächsten Monate und Jahre. Nach der (hoffentlich zeitnahen) Überwindung der Pandemie und der Wiederankurbelung des öffentlichen Lebens wird die Trauerhaltestelle ihren Weg auf Ohlsdorf gehen. Dieser Weg soll verbunden sein mit einem möglichst breiten Dialog, der über den Ort selbst hinausgeht: Was macht die Trauerhaltestelle aus? Wie erleben Besucherinnen und Besucher die Trauerhaltestelle? Welche Eigenschaften sind entscheidend für ihre Wahrnehmung und Nutzung?

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird letztlich darüber entscheiden, wie die Trauerhaltestelle sich langfristig ins Gesamtgefüge Ohlsdorf einfindet. Außerdem steht natürlich die Frage im Raum, ob in Zukunft noch weitere Trauerhaltestellen entstehen oder eingerichtet werden können. Könnten diese auch in abgewandelter Form und Größe konzipiert werden? Können vielleicht auch bereits bestehende Orte zu Trauerhaltestellen werden, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen? Über diese und weitere Fragen will die Stiftung Deutsche Bestattungskultur einen regen und offenen Dialog führen.

Die Trauerhaltestelle als gemeinschaftliches Projekt

Im Mittelpunkt aller Ideen und Gedanken rund um die Trauerhaltestelle stehen die Menschen, die diesen besonderen Ort besuchen und erfahren. Darum wünschen wir uns einen intensiven, vielfältigen Austausch mit Partnern und Freunden in Hamburg wie bundesweit. Wir wollen Veranstaltungen, Publikationen und Aktionen ins Auge fassen - vor allem aber offen sein für Ideen, Impulse und Vorschläge, die an uns herangetragen werden. Welche Eindrücke haben Sie von einem Besuch der Trauerhaltestelle mitgenommen? Wie wirkt die Trauerhaltestelle als Ort - und als Symbol? Darüber möchten wir mit Ihnen sprechen.


Der Innenraum der Trauerhaltestelle (4)

Kommen Sie mit Fragen und Anregungen gerne jederzeit auf uns zu. Sie erreichen uns am besten per E-Mail unter der Adresse [email protected]. Wir freuen uns darauf, die Zukunft der Trauerhaltestelle gemeinsam zu gestalten.
Dr. Simon J. Walter, Kulturbeauftragter der Stiftung Deutsche Bestattungskultur

Weiterführende Informationen zur Trauerhaltestelle:
https://www.stiftung-deutsche-bestattungskultur.de/projekte/trauerhalte…
https://www.friedhof2030.de/trauerhaltestelle/

Fotos: Stiftung Deutsche Bestattungskultur (1); Britta Heitmann (2-4)

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Bildhauer Richard Kuöhl (August 2021).
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