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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Bestattungskultur in Zeiten von Corona - Ein Forschungsprojekt

Das Versterben nahestehender Personen bedeutet für die Hinterbliebenen häufig eine Ausnahmesituation und somit eine starke emotionale Belastung. Um Trauer gut verarbeiten zu können, stellen persönliche Nähe und Zuneigung wichtige Eckpfeiler für die Bewältigung dar.

Doch wie funktioniert das in Zeiten von Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen, wie sie die Corona-Pandemie erfordert? Welche Auswirkungen hat die erschwerte oder gar verwehrte und somit fehlende Abschiednahme von einem geliebten Menschen? Wie kann ein Abschied trotz dieser Pandemie gestaltet werden? Und vor allem: Wie wirken sich all diese Komponenten auf die Bestattungskultur aus?

Einige dieser aufgeworfenen Fragen wurden bereits in dem vergangenen Jahr in den Medien diskutiert oder zumindest wurden die Umstände von Trauernden oder auch die Schwierigkeiten im Bereich der Bestattungs- und Trauerarbeit porträtiert; sowohl in Text als auch in Bild und Film. Eine detaillierte sowie differenzierte Aufarbeitung wurde allerdings noch nicht durchgeführt. Denn auch bei den vielen Medienberichten bezieht sich die Berichterstattung meist auf Bestatter, Kirchenämter und Trauernde aus dem christlich sozialisierten Kontext. Doch die deutsche Gesellschaft ist bereits seit Jahrzehnten als sehr divers zu bezeichnen. Und besonders bei den Themen Tod, Sterben und Trauer ist es wichtig, niemand zurückzulassen. Doch wird kaum aufgezeigt, welche Umsetzungsprobleme auch andere religiöse Gemeinschaften neben dem Christentum haben. Um dies zu verdeutlichen möchte ich einen beispielhaften Blick auf das Frühjahr 2020 werfen: Für deutsche Muslime wirkte sich die Covid-19-Pandemie z.B. auf die Leichenüberführung ins Herkunftsland aus, indem dies durch die Grenzschließungen während des Lockdowns drastisch beschränkt wurde, aber auch die Bestattung im Leichentuch und das gemeinschaftliche Totengebet sind teilweise bis heute von den Schutzmaßnahmen betroffen.

Allein dieses kurze Beispiel macht deutlich, dass dieses Thema sehr komplex ist, sich ein genaues Hinsehen jedoch lohnt. Und diesem Auftrag möchte ich mich im Rahmen einer Dissertation widmen: die Veränderung der Bestattungskultur durch Corona zu erforschen und dabei auch einen exakten Blick auf die Umstände der verschiedenen religiösen Traditionen zu werfen. Denn während die deutsche Bevölkerung in der Vergangenheit als mehrheitlich christlich beschrieben werden kann, stellt die diverse Religionslandschaft der Gegenwart eine weitere Herausforderung für die Bestattungskultur dar. Daher sollen neben christlichen auch jüdische, hinduistische, buddhistische und muslimische Gemeinden untersucht werden.

Eine deutschlandweit aufgestellte Studie, utopisch aber wünschenswert, ist jedoch im Rahmen eines Dissertationsprojektes nicht umsetzbar. Die Bestattungsgesetze der Bundesrepublik sind auf föderalistischer Ebene organisiert und sind daher in jedem Bundesland unterschiedlich in Gesetzgebung und Ausführung. Aus diesem Grund beschränkt sich diese Untersuchung auf ein Bundesland - Nordrhein-Westfalen, an welchem exemplarisch die Auswirkungen der Pandemie auf die Bestattungskultur aufgezeigt werden.

Doch warum genau Nordrhein-Westfalen? Für dieses Bundesland sprechen drei verschiedene Kriterien:
Zur Vorauswahl eignete sich die Betrachtung der Corona-Fallzahlen. Seit Beginn der Pandemie hat NRW stetig mit hohen Fallzahlen zu kämpfen. Begünstigt wurde dieser Verlauf durch schwere Regionalfälle, wie z.B. der Karneval-Ausbruch in Heinsberg oder die Massenausbrüche in den Fleischverarbeitungsfabriken. Als zweites Kriterium ist die demografische Struktur von Bedeutung. Nordrhein-Westfalen bietet bei verschiedenen relevanten Punkten eine ausgewogene Mischung in Bezug auf die Einwohnerzahlen des Landes, Stadt- bzw. Metropolregionen und ländlich geprägte Gebiete. Entscheidend für die Forschungsfragen und damit das dritte wichtige Auswahlkriterium ist die Religionszugehörigkeit der Bundeslandbewohner. Laut des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung zeigt sich auch 30 Jahre nach der Einführung der Deutschen Einheit noch ein großer Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland im Bereich der Religiosität. Der Osten Deutschlands ist stark von Konfessionslosigkeit geprägt, während Westdeutschland grob in ein katholisches Süd- und evangelisches Norddeutschland aufgeteilt werden kann. Über diese schematische Aufteilung in konfessionslos, evangelisch oder katholisch hinaus ist Deutschland sehr pluralistisch geprägt. Es finden sich somit auch muslimische, jüdische, hinduistische und buddhistische Gemeinschaften. Während die humanistischen Gemeinschaften wachsen und im Rahmen der Arbeit auch Erwähnung finden werden, vor allem, weil diese durch die Einführung von humanistischen Begräbnisstätten in der Sepulkralkultur in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnen, werden die sogenannten Neuen Religiösen Bewegungen (wie z.B. Zeugen Jehovas, Scientology oder Wicca etc.) aufgrund ihrer nicht bestehenden Relevanz im Bestattungsbereich innerhalb dieser Forschungsarbeit nicht thematisiert.

Die Datenerhebung für den explorativen Schwerpunkt der Dissertation wird mithilfe von qualitativen Interviews durchgeführt. Interviews stellen in der Qualitativen Sozialforschung eine weitverbreitete Erhebungsmethode dar, da sie unter anderem der Ermittlung von "Expertenwissen" dienen sowie eine Datenerfassung und -analyse auch auf subjektiver Ebene ermöglichen. Die Befragung der einzelnen Proband*innen erfolgt mithilfe leitfadenorientierter Interviews, die mit einer narrativen Eröffnungs-frage eingeleitet werden sollen. Die im Fokus stehenden Experten setzen sich aus folgenden (Berufs-)Gruppen zusammen: Bestatter*innen, Personal im Bereich der Trauerbegleitung und Seelsorge und religiöse Führungspersonen, die (konfessionelle) Beisetzungen durchführen.

Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, einen Überblick über die Situation der Bestattungskultur unter Covid-19-Bedingungen mithilfe des ausgewählten Fallbeispiels und den verschiedenen Proband*innen zu erhalten. Um dieses Ziel zu verdeutlichen und ein wenig fassbarer zu machen, sollen an dieser Stelle drei von mir entwickelten Arbeitshypothesen vorgestellt werden. Eine Arbeitshypothese umfasst die Annahme über ein z.B. voraussichtlich zutreffendes Forschungsergebnis. Diese These kann sich ganz selbstverständlich während der Datenerhebung und -auswertung als richtig, aber auch als falsch herausstellen. Vorerst gehe ich von folgenden Hypothesen aus:

  1. Die umfassenden Kontaktbeschränkungen beeinflussen das Abschiednehmen und erschweren somit den Trauerprozess.
  2. Nicht-christliche Bestattungsrituale sind vermutlich stärker von der Pandemie und den auferlegten Schutzmaßnahmen betroffen, weil sie u.a. ihre Bestattungen transnational durchführen und/oder eine Beisetzung im Leichentuch präferieren und damit den Hygieneschutzregelungen nicht entsprechen.
  3. Die Corona-Pandemie wird Langzeitfolgen für das gesellschaftliche Zusammenleben haben und somit auch für die zukünftige Bestattungskultur in Deutschland.

Diese Hypothesen umfassen natürlich nicht die gesamte Dissertationsidee, sollen aber einen Überblick darüber geben, wie facettenreich das Forschungsdesign angelegt ist. Ob sich all die Fragen beantworten und Hypothesen verifizieren lassen wird sich zeigen, aber mit Sicherheit wird die Corona-Pandemie auch die Bestattungskultur in verschiedenster Hinsicht beeinflussen und dies am Ende vielleicht sogar auf eine positive Art und Weise. Die Dissertation entsteht am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Hamburg und wird betreut von Prof. Dr. Norbert Fischer.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Corona und Tod (Mai 2021).
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