Direkt zum Inhalt

OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Verlegung der Begräbnisplätze in Hamburg um 1800

Wie überall im christlichen Europa wurden auch in Hamburg die Toten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in den Kirchen und auf den dazugehörigen Kirchhöfen inmitten der Stadt beerdigt.

Allerdings gab es auch immer schon Ausnahmen von dieser Bestattungstradition. So erwähnt z.B. Jonas-Ludwig von Hess in seiner Topographie von 1811, dass die Hamburger anscheinend alles nach St. Georg hinausgewiesen hätten, was sie in der Stadt nicht haben wollten, und zählt dazu auch den "Armensünder Kirchhof" und "Armen Kirchhof" auf der St. Georgs-Weide vor dem Steintor.1 Vor diesem Tor gab es wahrscheinlich schon seit der Gründung des Leprosenhauses im Mittelalter bei der zugehörigen St. Georgs-Kirche Grabstätten für die Kranken, die man aus der Stadt verwiesen hatte. Später befand sich beim Beinhaus dieser Kirche zudem ein Platz, auf dem jene „Armen Sünder“ begraben wurden, die man nicht direkt beim Galgenfeld verscharrte2


1 Die Friedhöfe vor dem Dammtor und dem Steintor. Ausschnitt aus: "Hamburg während der Belagerung in den Jahren 1813 und 1814"

Vor dem Dammtor wurde anscheinend erst 1713 ein erster Friedhof angelegt. Damals erhielten die Hamburger Juden während der Pestzeit dort ihren eigenen Begräbnisplatz. In seiner Nähe wurden auch die Toten dieser Epidemie bestattet. Heute erinnert daran nur der Name "Pesthügel", der auf historischen Karten verzeichnet ist. Den Ort des von den Nationalsozialisten aufgehobenen jüdischen Friedhofs bezeichnet immerhin noch ein Denkstein.


2 Gegend vor dem Dammtor während der Demolierung 1813, Lithographie der Gebrüder Suhr

Im Laufe des 18. Jahrhunderts setzte dann im Rahmen der Aufklärung ein breiter Diskurs über die hygienischen Probleme der Kirchbestattungen ein, der seinen Niederschlag in zahlreichen Schriften fand. Einzelne Verfechter der Bestattung außerhalb der Städte gingen dabei mit gutem Vorbild voran, wie der reformierte Pfarrer Wilhelm David Fuhrmann in seiner Schrift gegen die Kirchenbestattungen vermerkte.3 Parallel dazu wurden erste Verbote von Kirchenbeerdigungen erlassen. So untersagte das Pariser Parlament 1765 die Bestattung auf innerstädtischen Kirchhöfen und schränkte die Kirchenbestattung auf wenige Berechtigte ein. Kaiser Joseph II. ließ 1784 per Hofdekret gleich alle innerörtlichen Begräbnisplätze in den Habsburger Landen schließen. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. verbot 1798 das Begraben der Leichen in den Städten und Kirchen und befahl an jedem Ort Begräbnisplätze außerhalb der Städte und Dörfer einzurichten.4


3 Federzeichnung "Grabmal der Ruhestätte für die Brüder der Stück von Achten Casse auf immerwährend", Grabstein a. d. Marien-Magdalenen-Kirchhof z. Hbg, aufgenommen 1925

In Hamburg verstärkte sich die Diskussion ab 1785, als der Senat eines seiner Mitglieder damit beauftragte, Vorschläge zur Verlegung der Begräbnisse auszuarbeiten. Ein Jahr später setzte die Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und der nützlichen Gewerbe, die spätere Patriotische Gesellschaft von 1765, eine Preisaufgabe zu diesem Thema aus. Anonym erschien im selben Jahr ein Traktat mit dem umständlichen Titel "Gründe der Wahrheit, den Christen zu bewegen die Gräber für Verstorbene, von Kirche und Stadt zu entfernen. Begleitet mit Vorschlägen, wie die Verlegung, ohne die Einkünfte der Kirche zu schmälern, vollzogen werden kann." Darin zieht der Verfasser vehement gegen Aberglauben und kirchliches Gewinnstreben zu Felde.

Die damals noch vorherrschende Vorstellung von der Kirche als einem gemeinschaftlichen Versammlungsort der Lebenden und Toten, wobei die Toten durch die geweihte Erde besonders geschützt waren, wurde mit solchen Diskussionen auch in Hamburg von der Wahrnehmung der schädlichen Ausdünstungen der Toten und damit von neuen hygienischen Bedenken abgelöst.5 Tatsächlich war die Geruchsbelästigung bei der häufigen Räumung der Gräber auf den Kirchhöfen erheblich. Damit einher ging ein radikaler Bruch mit den über Jahrhunderte tradierten Bestattungsgewohnheiten, der im Endeffekt zu einer immer stärkeren Verdrängung des Todes und der Toten aus dem Leben der Stadtbewohner führte. Während in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch einundzwanzig verschiedene BegräbnispIätze innerhalb und außerhalb der umwallten Stadt lagen,6kann man von einem Stadtplan aus dem Jahr 1834 ablesen, dass sich die Zahl der kirchlichen Begräbnisplätze auf zwei vor dem Steintor und zehn vor dem Dammtor reduziert hatte.7 Heute erinnern in der heutigen Altstadt nur noch Straßennamen und einzelne Grabplatten in oder an den Kirchen an die zahllosen Gräber, die früher sozusagen mitten im Leben vorhanden waren. Auch ist kaum noch bekannt, dass sich an den Kirchen Beinhäuser befanden. Dort wurden die Knochen jener Toten gesammelt, die den ständigen Neubelegungen Platz machen mussten.


4 Grund- und Aufriß der St. Nicolai Begräbniß Capelle". Lavierte Federzeichnung um 1810

Zugleich mit der Aufklärung entstand eine neue Naturnähe, die einzelne Bürger veranlasste, Grabplätze außerhalb der Stadt zu suchen – allen voran der berühmte Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (siehe den Beitrag von Norbert Fischer). Als dann im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts angesehene Bürger Grabstätten auf dem idyllischen Dorffriedhof in Hamm erwarben, fingen die Kirchenverwalter an um ihre Einnahmen zu fürchten.8 Als erster reagierte der Jurat Heinrich Kühl (1748 - 1821) von St. Jakobi. Er ließ den verwahrlosten und schlecht beleumdeten Begräbnisplatz seiner Kirche vor dem Steintor neu herrichten und darauf eine achteckige Kapelle erbauen. In ihrem Boden wurden Grüfte ausgemauert, von denen er eine für sich und seine Frau reservierte. Den Grabverkauf annoncierte er sogar in der Zeitung. Daraufhin verlangten die anderen Hauptkirchen vom Senat die Ausweisung neuer Plätze vor den Toren, und schon 1794 konnte erstmals vor dem Dammtor beerdigt werden.9 Die ersten Plätze dort gehörten den Kirchen St. Petri und St. Johannis sowie St. Nikolai. Ihnen folgten 1797 St. Katharinen und 1799 St. Michaelis. Nach 1800 kamen noch einige kleinere Begräbnisplätze dazu. Ihre rechteckigen Flächen waren entlang des Laufgrabens zur Sternschanze aufgereiht.

Die Patriotische Gesellschaft ließ den Platz der St. Petri-Kirche bald nach seiner Errichtung mit italienischen Pappeln umranden. Man setzte sie auch „in einzelnen Gruppen auf die Plätze selbst, mit anderen Bäumen vermischt“ und fasste die Zugänge mit ihnen ein. Damit wollte man zum einen diese Baumart im Norden heimischer machen, zum anderen aber auch die Friedhöfe verschönern und ein Beispiel geben. Tatsächlich machte das Vorbild bald Schule.10

An dem gemeinsamen Eingang der beiden Plätze der Petri-Kirche und des Johannisklosters wurde im Jahr 1800 eine – von dem Architekten Johann August Arens (1757-1806) im Stil der Revolutionsarchitektur entworfene – Kapelle als Durchgangsraum errichtet (siehe Beitrag von Marriet Boutez). Auch die anderen Plätze vor dem Dammtor erhielten Torhauskapellen, als Raum zur Aufbahrung und Bewachung der Toten und für die Abschiednahme.


5 Achteckige Kapelle und Gruft auf dem verfallenen St. Jacobi Friedhof vor dem Steintor. Zeichnung von Henriette Hahn 20. 6. 1891

Zehn Jahre später schreibt der oben genannte Jurat Kühl, dass die Begräbnisplätze „mit Pappeln und Hecken umzogen, und im Innern mit Schattengängen von Linden, Ulmen und Trauerweiden, und mit Gebüsch- und Stauden-Gruppen bepflanzt“ waren und nennt sie vortreffliche Einrichtungen, "die schon eingerichteten Gärten gleichen". Die "mit viel Geschmack . . . angelegten Todten-Capellen, eleganten Monumente, und aufrecht gesetzten Steine mit wohlgewählten Inschriften und Verzierungen vermehren fortdauernd den Reitz sie zu besuchen und zu benützen."11

Bestattet wurden auf den neuen Plätzen vor dem Dammtor aber nicht nur Hamburger Bürger. Im Winter 1807/1808 waren spanische Soldaten in der Stadt einquartiert, von denen mehrere hundert starben und auf dem Begräbnisplatz des Krankenhofes begraben wurden, der neben dem Platz des St. Johannisklosters lag. Der schon genannte Berichterstatter Jonas-Ludwig von Hess klagt, dass sogar das Holzkreuz von dieser gemeinsamen Grabstätte gestohlen worden sei.12

Gleichzeitig konnte man in Hamburg aber auch weiterhin seine Toten in der Stadt zu Grabe tragen. Erst die französische Besatzungsmacht erließ zum 1. Januar 1813 ein entsprechendes Verbot, das auch nach dem Abzug der Franzosen gültig blieb. Die verstorbene Frau Senatorin Jenisch, geb. Steetz, wurde als letzte in der St. Katharinen-Kirche beigesetzt.13 Die Begräbnisplätze vor dem Dammtor wurden im selben Jahr von den Besatzern verwüstet und konnten erst nach deren Abzug wieder hergerichtet werden.

Anmerkungen:
1 Jonas-Ludwig von Hess, Hamburg topographisch, politisch und historisch beschrieben. Hamburg 1811, 2. Aufl. Band 3, S. 6.
2 Otto Adalbert Benecke, Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten zum Teil nach ungedruckten Quellen erzählt. Hamburg 1856, S. 19 u. 28.
3 Wilhelm David Fuhrmann, Historische Untersuchung über die Begräbnißplätze der Alten, besonders über das Entstehen und den Fortgang der Gewohnheit unter den Christen, die Leichen innerhalb der Städte, selbst sogar in den Kirchen zu beerdigen. Zur Abstellung dieser Gewohnheit angestellt.,. Halle 1800, S. 117.
4 Linda Brüggemann, Herrschaft und Tod in der Frühen Neuzeit. München 2012, S. 195.
5 S. dazu Barbara Leisner, Heiko K. L. Schulze, Ellen Thormann, Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. Geschichte und Grabmäler. Hamburg 1990, Bd. 1, S. 16-19.
Eberhard Kändler, Begräbnishain und Gruft. Die Grabmale der Oberschicht auf den alten Hamburger Friedhöfen. Hamburg, 1997, S 20ff.
6 Vgl. Henry Keidel, Die hamburgischen Friedhöfe einst und jetzt. Eine kurze Darstellung ihrer Geschichte. Hamburg 1925.
7 https://www.europeana.eu/de/item/2048415/item_WAZONILNG5GABKGRM2CH2OYB5…8 Kändler, s.o. S. 40 u. 43.
9 Hier und im Folgenden: Leisner et.al. s.o., S. 223, Anm. 25, 26, 28.
10Verhandlungen und Schriften der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und Nützlichen Gewerbe 1794, Bd. 4, S. 107f. und S. 141; Kändler, s.o., S. 46.
11 Beerdigung der Todten außer der Stadt, befördert im Jahre 1793 durch den derzeitigen Juraten der Kirche St. Jacobi Heinrich Kühl in Hamburg, 1807, in: STAH (Staatsarchiv Hamburg) Senat Cl. VII Lit. Lb No 4 Vol. 10b Fasc. 6.
12 Hess, s.o., S. 53.
13 Geffcken, Die Leichenbegängnisse in Hamburg im 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Band 1, S. 497, hier Anm. S. 500.

Fotos: 1: aus F. H. Neddermeyer: Topographie der Freien und Hanse Stadt Hamburg, Plan IV: "Hamburg während der Belagerung in den Jahren 1813 und 1814", Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 1832. - Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12535868). - 2: aus Gebrüder Suhr - Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=71614049. - 3: Museum für Hamburgische Geschichte, D 1925,9. - 4: Museum für Hamburgische Geschichte, Karton 39 Großformat, "Aeltere Friedhöfe vor dem Dammtor, Friedhofskapellen, Grabdenkmäler". - 5: Museum für Hamburgische Geschichte, Karton 39 Großformat, "Aeltere Friedhöfe vor dem Dammtor, Friedhofskapellen, Grabdenkmäler", E 1910.31. -Die Autorin dankt dem Museum für Hamburgische Geschichte für die Abbildungserlaubnis.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Tod um 1800 (August 2020).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).