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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Unsere Grab-WG" … : Das Gemeinschaftsgrab des Nyegaard-Stiftes auf dem Friedhof Diebsteich in Altona

Gemeinschaftsgrabanlagen zählen zu den wichtigsten Trends aktueller Friedhofs- und Bestattungskultur. Der Begriff selbst ist nicht eindeutig definiert.

Im weitesten Sinn meint er eine Anlage, die zusammenhängenden Gestaltungskriterien folgt und von zentraler Hand gepflegt wird. Lange Zeit wurde der Begriff allein für so genannte Anonyme Felder mit Rasenbestattungen ohne individuelle Kennzeichnung des Einzelgrabes verwendet. Gegenwärtig jedoch wird der Begriff vor allem für thematisch, symbolisch oder gruppenbezogen orientierte Anlagen benutzt. Bei letzteren gibt es Gemeinschaften, die sich erst nach der Bestattung finden, aber auch solche, die sich bewusst für ein spezifisches, in der Regel jenseits der Familie liegendes Kollektiv im Gemeinschaftsgrab entscheiden. Für gruppenbezogene Anlagen gibt es inzwischen etliche Beispiele, zu den bekanntesten in Hamburg zählt der "Garten der Frauen" auf dem Ohlsdorfer Friedhof.


Historischer Grabstein mit neuer Inschrift. Foto: N. Fischer

Im Mai 2017 wurde auf dem Diebsteich-Friedhof in Altona ein neues Gemeinschaftsgrab für Bewohnerinnen des Nye-gaard-Stiftes feierlich eingeweiht. Bei diesem Stift in gemeinnütziger Trägerschaft handelt es sich um eine Wohnanlage für alleinstehende Seniorinnen, die nach Hedwig von Nyegaard (1828-1898) benannt wurde. Sie war eine sozial denkende, vermögende und früh verwitwete Persönlichkeit aus Altona, die sich für in Not befindliche alleinstehende Frauen einsetzte. In diesem Zusammenhang verfügte sie, die selbst auf dem Friedhof Norderreihe beigesetzt wurde, testamentarisch den Bau des Damenstiftes. Die weitläufige, im Stil der Neorenaissance gebaute und an der heutigen Max-Brauer-Allee in Altona gelegene Anlage entstand 1899-1901.


Elke Visser. Foto: E. Visser

Elke Visser, die seit 2012 im Nyegaard-Stift lebt, hat mit Unterstützung weiterer Frauen ehrenamtlich die Betreuung der Anlage auf dem Diebsteich-Friedhof übernommen. Sie ist die entscheidende Anlaufstelle für Informationen zur Nutzung des Gemeinschaftsgrabes, das auf 80 Urnenbeisetzungen sowie fünf Erdbeisetzungen ausgelegt ist. In einem am 9. August 2019 geführten Interview erklärt sie, dass die Idee aus dem Vorstand gekommen war. Mit dem Gemeinschaftsgrab wird die grundsätzliche Idee der Stiftung, gemeinschaftliches Leben für alleinstehende Frauen unter solidarischen Bedingungen zu ermöglichen, auch auf Tod, Trauer und Erinnerung übertragen. Nicht zuletzt sollen für die Stiftsbewohnerinnen die finanziellen Belastungen im Rahmen der Bestattung begrenzt werden.
Dass das Gemeinschaftsgrab auf den Diebsteich-Friedhof gekommen ist – so berichtet Elke Visser – hängt nicht zuletzt mit der guten Verkehrsanbindung zusammen. Den Kontakt zur Friedhofsverwaltung stellte der Steinmetz Bert Ulrich Beppler her. Die endgültige Entscheidung für den Friedhof Diebsteich wurde gemeinsam unter den interessierten Stiftsbewohnerinnen getroffen.
Für die Anlage wurde eine unter zwei schattenspendenden Buchen gelegene historische Grabstätte, deren Nutzung abgelaufen war, neu hergerichtet. Das Grabmal wurde beibehalten, restauriert und mit einem neuen Schriftzug versehen. Im Gegenzug, so erzählt Elke Visser, erhielt das Stift von der Friedhofsverwaltung ein Nutzungsrecht von zunächst 50 Jahren, das um weitere 50 Jahre verlängert werden kann. Zusätzlich können benachbarte Ergänzungsflächen erworben werden. Bisher wurden drei Bestattungen aufgenommen, es gibt rund 30 weitere Interessentinnen. Das Anrecht auf einen Grabplatz können die Bewohnerinnen über einen Zusatzvertrag mit der Stiftung erwerben. Sie behalten dieses Anrecht auch dann, wenn sie einmal – zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen – das Stift wieder verlassen müssen. Elke Visser bezeichnet das ganze Projekt übrigens gern als "unsere Grab-WG", also als Wohngemeinschaft im Tod.


Gedenkstein. Foto: N. Fischer

Die Bepflanzung des Gemeinschaftsgrabes wurde in Zusammenarbeit mit dem Leiter der Friedhofsgärtnerei, Herrn Dude, gestaltet, der allgemein das Projekt jederzeit unterstützt hat. Darüber hinaus wird die Grabstätte immer wieder individuell geschmückt, zum Beispiel mit Sonnenblumen. "Wichtig ist, dass die Bepflanzung regelmäßig begossen und von verwelkten Blumen und Pflanzen befreit wird", erzählt Elke Visser. Und weiter: "Wir haben eine im Boden verankerte Bank aufstellen lassen, dass man sich während und nach der Arbeit oder dem Grabbesuch ausruhen kann." Sie selbst beschäftigt sich seit längerem mit dem Thema Tod und geht gern auf Begräbnisplätze, zum Beispiel den Ohlsdorfer Friedhof. Dort besuchte sie auch den "Garten der Frauen". Auch für viele Stiftsbewohnerinnen, so vermerkt Elke Visser, war die neue Grabanlage ein Anlass, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen.
Eine weitere Bewohnerin des Nyegaard-Stiftes äußerte sich zur Anlage einmal wie folgt: "Ich habe die Fantasie, dass wir dann da unten weiter miteinander schnacken können."

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Kunst in Hamburg (November 2019).
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