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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Sterben und Tod bei den westafrikanischen Grebo (Teil I)

Die meisten der etwa 450.000 Grebo (auch Glebo) leben im Südosten der 1847 von befreiten amerikanischen Sklaven, den sogenannten Americo-Liberianern, in Westafrika an der Pfefferküste gegründeten Republik Liberia, knapp 50.000 in der benachbarten Elfenbeinküste.

Die Liberianer sind ein religiöses Volk. Sie hängen vorwiegend ihren traditionellen Glaubensformen an, etwa 20 % sind Christen (vorwiegend im Küstenbereich) und etwa 15 % Muslime (besonders im Nordosten). Für die eingeborenen Afro-Liberianer haben Grund und Boden große wirtschaftliche, politische und auch religiöse Bedeutung, denn dort "leben" die Toten, die Lebenden und die Ungeborenen. Ursprünglich war daher alles Land Gemeinschaftseigentum. Der Verfasser, zwischen 1956 und 1963 liberianischer Regierungsarzt, reiste ausgiebig in den von den Grebo bewohnten Gebieten an der Küste und im damals mit hohem Urwald bedeckten, noch nicht durch Straßen aufgeschlossenen Hinterland. Jahre später begann sich Liberia zunächst durch den Straßenbau und das Abholzen des Urwalds, dann durch den unvorstellbar grausamen Bürgerkrieg mehr zu verändern als in seiner ganzen vorherigen Geschichte.

Liberia
Stammesgebiete in Liberia

Das Sterben

In den Jahresberichten des vom Verfasser geleiteten modernen J. J. Dossen Memorial Hospital in Harper City / Cape Palmas betrug der Anteil an Todesfällen etwa 6 %. Diese Zahl trügt jedoch, da Patienten häufig das Hospital verließen, sobald sie ihr Ende nahen fühlten. Viele Liberianer empfinden das Sterben als einen ebenso wichtigen Lebensabschnitt wie Geburt, Jugend, Reife und Alter. Sie lebten damals in festen familiären Bindungen mit traditionellen Vorstellungen und Gebräuchen, nach denen sie im Familien- und Stammeskreis sterben wollten. Wurde erkennbar, dass ein Mensch sterben würde, versammelten sich die Angehörigen, Freunde und Nachbarn um ihn und stimmten die Totenklage an, als wäre er bereits verstorben. Die überlieferten Riten der letzten großen Wende sicherten den Verstorbenen ein Fortleben innerhalb ihrer Familie und ihrer Ethnie. Dem Toten bot man symbolisch Speisen und Getränke an. Er lebt weiter, so lange jemand an ihn denkt, von ihm spricht oder gar von ihm träumt – dafür muss er während seines Lebens sorgen.

Die ursprünglichen Religionen Westafrikas kennen, ungleich den monotheistischen Religionen Judaismus, Christentum und Islam, nach dem Tod keine Belohnung oder Bestrafung und keinen weltfernen Aufenthaltsort wie Paradies oder Hölle. Sterbenskranke Afrikaner vermitteln nicht den Eindruck, dass sie von Todesangst geplagt werden. Die Angst vor dem Tode, die eigentlich die Angst vor dem Nicht-mehr-in-dieser-Welt-sein und dem Unbekannten danach ist, verliert ihre Bedeutung, wenn der Verstorbene in seiner Welt weiter lebt. Demgegenüber besitzt die Lebensangst als Bedrohung oder Sinnverlust des eigenen Daseins, als Verlust der eigenen Identität bedrohliche Bedeutung. Lebensangst kann ausgelöst werden durch Geister, die man selbst durch Bruch eines Tabu erzürnte, oder die ein dritter mittels schwarzer Magie schickte.

Friedhöfe und Einzelgräber der Grebo

In der Nähe einiger Grebodörfer des Webbo District (heute River Gee County) stieß der Verfasser Ende der 1950er Jahre auf im Urwald gelegene Friedhöfe. Über jedem Grab erhob sich ein etwa 1,5 m hohes, dachartiges Gestell aus Gerten, die längs neben den meist ovalen Grabhügeln im Boden steckten und oben zusammen gebogen waren. Dort, wo die Gerten sich scherenförmig kreuzten, lag ein Stab und fixierte das Gebilde. Auf anderen Friedhöfen waren die Gerten oben mit Lianen zusammengebunden. In einigen sehr kleinen Gräbern waren Kinder begraben. Auf dem Friedhof bei Feloke lagen an zahlreichen Grabstellen kleine Holzbretter mit den Namen der Verstorbenen, offenbar als Einfluss der nahen protestantischen Assembly of God Mission.

Manchmal ließen sich Menschen auch in ihren Hütten oder in deren unmittelbarer Nähe begraben. In Cavalla am Atlantik wurden die Grabhügel von vier Brüdern, die nacheinander Paramount Chief waren, von einem flachen Satteldach überdeckt. Nicht selten fanden sich an den Pfaden im Urwald individuell gestaltete Einzelgräber, manchmal mit den persönlichen Dingen des Verstorbenen, wie den Patronenhülsen und der Kappe eines Jägers.

Die Toteninsel vor Cape Palmas

Die Toteninsel, allgemein Dead Island, offiziell Russwurm Island genannt, ist Cape Palmas östlich vorgelagert. Sie wurde um 1958 durch einen Damm mit dem Kap verbunden und damit Teil eines Hafens für kleine Küstenschiffe. Früher pflegten die Grebo der Küstenregion (südliche Grebo) ihre Toten mit Beigaben offen auf der Insel niederzulegen, weil nach ihrer Auffassung der Geist eines mit Erde bedeckten Toten sich nicht frei bewegen kann. Diese Bestattungsform war den herrschenden Americo-Liberianern, die das Kap seit 1834 besiedelten, derart zuwider, dass sie zu einem wichtigen Anlass für den Grebokrieg von 1856 wurde. Hundert Jahre später, als der Hafen gebaut wurde, waren ältere Grebo davon überzeugt, dass die Geister ihrer Ahnen den Hafen auf der Toteninsel zerstören würden – 1960 entstanden durch schwere Grundseen erhebliche Schäden am gerade fertig gestellten Hafen. Nachdem die Insel zu Fuß erreichbar war, fanden sich zahlreiche Grabbeigaben, besonders Arm- und Fußreifen aus Messing und Eisen sowie in Europa hergestellte Perlen.

Der Missionsfriedhof der Episcopalkirche in Cavalla

Wenige Schritte entfernt vom Atlantikstrand und von einem flachen Hügel, auf dem sich eindrucksvoll die älteste Kirche im Maryland County erhebt, findet sich im niedrigen Busch der Missionsfriedhof Cavalla mit etwa zehn Grabsteinen, umgestürzt, zerbrochen und von grünen Pflanzen überwuchert. Auf ihnen lassen sich einige meist amerikanische Namen entziffern. Manche Missionare verstarben bereits wenige Monate nach ihrer Ankunft in Afrika. Für John Payne (1815-1874), der 1837 nach Cape Palmas kam, 1851 erster Missionsbischof der Episcopal Church in Liberia wurde, in Cavalla lebte, 1871 mit gebrochener Gesundheit in die USA heimkehrte und dort verstarb, findet sich ein Gedenkstein. Er übersetzte das Gebetbuch und einige Hymnen in das Grebo, für das er eine Schrift mit lateinischen Buchstaben entwickelte. Ein schlichtes Steinkreuz trägt den Namen seines aus Neububach (Schwarzwald) stammenden Nachfolgers Johann (John) Gottlieb Auer (1832-1874) und dessen am Tag ihrer Geburt verstorbenen Tochter Lucy. Als Linguist übersetzte Reverend Auer Texte in das Grebo und in das Kru. Seine Übersetzungen von Bibel, Gebets- und Gesangbüchern werden bis heute bei den in der Gegend gebürtigen Christen benutzt.

Anm. der Redaktion: Teil II, „Die Totenfeiern der westafrikanischen Grebo“ folgt in Heft 108

Literatur:
Gordon, Raymond G., Jr. (ed.): Ethnologue: Languages of the World, 15th edition. Dallas, 2005; Online version: http:// www.ethnologue.com/ (Zugriffe bis 11.6.2008)
http://www.britannica.com/EBchecked/topic/339254/Liberia/55263/Religion (Zugriff 11.6.2009)
Kalthoff, Horst: Arzt in Liberia. Liberia, Land und Leute zwischen 1956 und 1963 sowie seine Geschichte bis zur Gegenwart. Germering 1996, S. IX, 25, 389 f., 444
Kalthoff, Horst: Westafrikanische Ethnologica. Aus der Sammlung Lotte und Horst Kalthoff. Berlin 2009, S. 32 ff.

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