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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die "Republik der Toten" – Friedhofs- und Bestattungskonzepte während der Französischen Revolution (Teil II)

Teil I erschien in der Ausgabe August 2009

3.2. Dem Sterben ein ästhetisches Antlitz. Das Verschwinden des Todes vom Friedhof

Als Begleiter der Säkularisierung des Todes gewann im 18. Jahrhundert der Wunsch an Bedeutung, Bestattungsorte schöner zu gestalten und von der Omnipräsenz des Todes zu befreien. Dazu sollte vor allem eine Landschaftsgestaltung im Geiste der Gartenarchitektur des 18. Jahrhunderts dienen. Hinter dieser sollte die Realität des Todes zurücktreten, die mit den Elementen des Memento Mori immer noch die Friedhöfe bestimmte. Hier zeigt sich ein Verlust von unbefangener Nähe zum Tod, der zunächst im deutlichen Widerspruch zur rationalen Sichtweise der Aufklärung zu stehen scheint. Eine nähere Betrachtung legt allerdings nahe, dass gerade diese rationale Perspektive eine bedeutende Rolle bei diesem Wandel gespielt hat, denn mit ihr war der Verlust (oder zumindest die Verunsicherung) des Glaubens verbunden, der Tod sei der Übergang in eine jenseitige Welt. Dieser Per-spektivwechsel ließ jetzt die Möglichkeit entstehen, den Tod als Endpunkt zu sehen – und somit auch als endgültigen Abschied für die Hinterbliebenen. Die Folge war eine Intensivierung der Trauer und eine neue Qualität der Angst, die sich wesentlich vom Schrecken des Mittelalters unterschied. Soweit sie sich in den Quellen greifen lässt (und ohne den physischen Aspekt zu vernachlässigen), war die mittelalterliche Angst vor allem durch die Ungewissheit der Frage bestimmt, welchen Weg die Seele ins Jenseits nehmen würde. Die Angst vor der Hölle war allgegenwärtig und der Friedhof in seinem Aufbau ein Spiegel dieser Angst, aber auch der Hoffnung, die mit dem Tod verbunden wurde. Der Tod der Aufklärung stellte diese Hoffnung fundamental in Frage. Angst machte nun nicht mehr – oder ungleich weniger – die Ungewissheit des Jenseits, sondern die Ungewissheit eines möglicherweise absoluten Endes. Deutlicher Ausdruck und Reaktion auf diese Verunsicherung war eine stärkere Hinwendung zum Leben und das Streben nach individuellem Glück, das sich zum Leitgedanken des 18. Jahrhunderts entwickelte. Diese Aufwertung des Lebens veränderte auch die Beziehung zum Tod, die nun zunehmend von Verdrängung geprägt war. Dies wird nicht nur in den neuen Friedhofskonzepten mit dominierender Naturkomponente sichtbar, sondern auch in der Darstellung des Todes als sanfter Schlaf, die zum Ende des Jahrhunderts europaweit zum zentralen Motiv der Todesikonographie wurde. Durch die Verbindung von Tod und Schlaf sollte der Tod bewusst vom Schrecken einer expliziten Darstellung befreit und durch ein sanfteres Bild ersetzt werden.

Diese Entwicklung hielt auch Einzug in die Konzepte der Revolution und verband sich dabei mit politischen Motiven, vor allem mit einer Ablehnung der Religion, die es in dieser Form bis dahin nicht gegeben hatte. Obwohl sich die Aufklärung in vielen Bereichen von christlichen Bezugspunkten gelöst hatte, war sie dennoch weiterhin in ein christliches Europa eingebunden gewesen. Trauerzeremonien und Friedhöfe waren immer noch von christlicher Tradition bestimmt. Zwar prägte die klassizistische Formensprache zunehmend die Grabmalkultur, verdrängte jedoch christliche Darstellungen nicht, die sich teilweise mit den neuen Ausdruckformen mischten. Es kam also nicht zu einer Negation religiöser Symbole oder gar der Religion selbst, sondern lediglich zu einer Vielfalt des Ausdrucks. Dies galt auch noch für die erste Phase der Revolution, deren Maßnahmen noch nicht gegen den christlichen Glauben selbst gerichtet waren, sondern auf Gleichstellung der Religionen und Beseitigung der kirchlichen Standesprivilegien abzielten. Die Nationalversammlung konzentrierte sich auf die Ehrung von Toten, die sich besonders um die Revolution verdient gemacht hatten. Dies führte nicht nur zur Transformation der Kirche Saint-Geneviève in den Panthéon, sondern auch zur Nutzung der Pariser Gärten, in denen Gräber für geehrte Personen errichtet wurden. Hier zeigt sich nicht nur ein Bedürfnis, Orte der Toten in die Natur zu verlegen, sondern auch die Bereitschaft, dafür nicht die angestammten Begräbnisplätze zu nutzen. Ein Abrücken von christlicher Tradition wird also auch hier schon deutlich, obwohl dies noch keine Auswirkung auf die Friedhöfe selbst hatte.

Erst ab 1793 änderte sich der offizielle Stellenwert des ‚religiösen Kults‘ massiv, wie er von nun an genannt wurde. Unter den Jakobiner kam es zum Versuch einer umfassenden Dechristianisierung, die auch zur vollständigen Verbannung religiöser Symbole und Riten vom Friedhof führte. Die Aussage des Richters Monrachel aus dem Jahr 1794 verdeutlicht die Intention hinter dieser beispiellosen Entwicklung:

"Der Tod ist ein ebenso natürlicher Vorgang wie die Geburt, er enthält nichts Schreckliches, nichts, was die Ängste begründen könnte, die die Menschen bei den abergläubischen Zeremonien und Vorstellungen der Religion Zuflucht suchen ließ und auf die die Priester ihre Herrschaft gründen."

Dies entsprach der Gedankenwelt vieler Revolutionäre der Jahre 1793/94, die religiöse Jenseitsvorstellungen und die damit verbundenen Ängste vor Fegefeuer und Jüngstem Gericht als von der Kirche instrumentalisierten Aberglauben betrachteten. Dem wurde das rationale Bild eines Todes entgegengehalten, wie ihn Monrachel als natürliches Pendant zur Geburt beschreibt. Damit sollte der ‚Priestertrug des Aberglaubens’ seinen Schrecken verlieren. Die Schlaf-Metaphorik wurde zentral für dieses Todesverständnis. So schrieb der bereits erwähnte Avril 1794: "Der Tod, dem man bisher mit Schrecken begegnete, ist nur ein süßer Schlummer, der auf die Mühen des Lebens folgt." Und der spätere Polizeiminister Fouché erließ ein Jahr zuvor einen Erlass für das Departement Nièvre, in dem es heißt:

"Art. 5. Der öffentliche Ort, an dem sie [die Toten] ihre letzte Ruhe finden [...] wird mit Bäumen bepflanzt sein, unter deren Schatten sich eine Statue erhebt, die den Schlaf darstellt. Alle anderen Zeichen und Symbole werden entfernt.

Art. 6. Über dem Eingangstor dieses Feldes [...] wird man lesen: Der Tod ist ewiger Schlaf."

Dieser Erlass wurde auf Vorschlag des Generalprokurators Chaumette vom Stadtrat von Paris und anschließend von weiteren Distrikten übernommen. Chaumette erklärte, er wünsche die Friedhöfe als elysische Gefilde zu gestalten, auf denen das christliche Schreckensbild lieblicheren und philanthropischeren Ideen weichen solle. Dies entsprach auch den Zielen Avrils, der seinen Entwurf einer Dominanz der Landschaft öffnete. Nicht nur, dass die Bepflanzung einen Großteil des Raumes einnehmen sollte, entschied er sich auch gegen eine Begrenzung des Friedhofs durch eine Mauer und für die Anlage von Ha-Ha’s. Diese Gräben, die im Gegensatz zu Mauern und Zäunen für den Spaziergänger aus der Ferne unsichtbar sind und ursprünglich aus der englischen Landschaftsarchitektur kamen, sollten den Ort schützen und gleichzeitig einen ungehinderten Blick auf die Landschaft gewährleisten. Mit diesen Maßnahmen und der Auswahl besonders wohlriechender Pflanzen wollte er nicht nur der Hygiene dienen, sondern auch eine Stimmung schaffen, in der sich für die Besucher ein Gefühl heiterer Ruhe einstellt. Jegliches Detail dieser Konzeption zielte darauf ab, dem Tod seinen Schrecken zu nehmen.

Obwohl der Versuch der umfassenden Dechristianisierung scheiterte, blieb es auch nach dem Sturz der Jakobiner – und bis zum Ende der Revolution – bei der Verbannung der Religion vom Friedhof. Zwar wurde deren gesellschaftliche Ächtung durch Anerkennung der Religionsfreiheit aufgehoben, aber der ‚religiöse Kult‘ galt nun im Zuge der Trennung von Staat und Kirche als rein private Angelegenheit. Diese solle öffentlich nicht in Erscheinung treten, um nicht das religiöse Empfinden anderer zu verletzen. Eine Begleiterscheinung dieses Abrückens von der Religion war eine Säkularisierung des christlichen Auferstehungsglaubens. Dies wird unter anderem in Stimmen deutlich, die sich angesichts von Beratungen des Rats der Fünfhundert über Friedhofsreformen zu Wort meldeten. Immer wiederkehrendes Thema darin war eine Vorstellung vom Tod als Übergang in einen Zustand süßer Ruhe, bei dem der Tote in einer sich beständig erneuernden Natur weiterlebe. Hier zeigt sich eine Vorstellung vom Leben nach dem Tod, die ganz wesentlich auf die Verunsicherung zurückzuführen ist, die mit dem Ende der Verbindlichkeit christlicher Jenseitsvorstellungen einsetzte. Die Natur fungierte dabei als Surrogat für die christliche Heilslehre. Eine weitere Variante dieses säkularisierten Auferstehungsglaubens zeigt sich in den Plänen des Mathematikers Gouan, der an die realistische Perspektive eines ewigen Lebens glaubte, wenn erst die Naturwissenschaft die notwendigen Mittel dafür gefunden habe. Bis dahin sollten die Toten in einem himmlischen Elysium aufbewahrt werden. Er plante einen über den Wolken von einem riesigen Ballon getragenen Friedhof. Verbunden mit der Erde durch ein gewaltiges Seil sollten die Särge hinauf und herunter transportiert und die Toten im Himmel durch die Kälte konserviert werden:

"Ja, ich lasse die Toten zum Himmel aufsteigen. Dort werden sie ruhen, um von Menschen, die tausendmal mehr Kenntnisse als wir heute haben, wieder zum Leben erweckt zu werden."

Nicht mehr eine sich erneuernde Natur, sondern die Naturwissenschaft wird hier zur Projektionsfläche der Hoffnung auf ein ewiges Leben. So obskur der Vorschlag von Gouan heute erscheinen mag, ist er doch ein beeindruckendes Beispiel dafür, welche Machbarkeitsphantasien mit dem naturwissenschaftlichen Fortschrittsglauben des 18. Jahrhunderts verbunden waren. Einen Preis gewann Gouan mit seinem Projekt allerdings nicht, das er beim Wettbewerb des Institut National 1799 eingereicht hatte.

Dort war das Verschwinden des Todes in der Landschaft der zentrale Punkt der meisten Abhandlungen. So entwarf etwa Mulot, einer der Preisträger, einen weiten Landschaftsgarten durchzogen von Bäumen, Rasenflächen, Sträuchern und Blumen, die sich beständig abwechseln sollten. Dabei entfaltete er eine ganz eigene symbolische Poesie, die er den Pflanzen zugestehen wollte:

"Die Rose, die Stille und Geheimnis empfinden lässt, würde an die Farbe der Wangen und Lippen der Personen, die man geliebt hat, erinnern. Die duftende Lilie ließe an die Klarheit ihres Teints und die Reinheit ihrer Seele denken. Das Veilchen würde ihre Freundlichkeit und ihre Schlichtheit ins Gedächtnis zurückrufen."

Die Erinnerung an die Toten (und den Tod selbst) sollte so in die Schönheit der Natur eingebunden und die Trauer angenehmeren Gedanken weichen können. Ähnlich wollte ein anonymer Autor vorgehen, der sich einen malerischen Platz vorstellte, an dem sich Menschen zum Spaziergang und Verweilen treffen sollten - angezogen von dem Artenreichtum und der Herrlichkeit der Natur. Ausgangspunkt eines Ganges auf den Friedhof war in dieser Überlegung nicht mehr alleine das Aufsuchen eines geliebten Hinterbliebenen, sondern die Schönheit der Stätte an sich. Dennoch war eine Begegnung mit dem Tod bewusst intendiert:

"Auf diese Weise könnten die Friedhöfe zu einer Schule werden, die man besuchen würde, um sich zu bilden und um seine Empfindsamkeit zu erziehen. Sie würde all jenen offen stehen, die dort spazieren gehen möchten. Der Ehegatte ginge mit der Empfindung der Treue hierhin, die die Verstorbene ihm versprach; die kleinen Kinder, die in der Umgebung des Grabes ihres Vaters auf dem Rasen spielen, würden sich sozusagen von Kindheit an daran gewöhnen, dem Tod ins Auge zu schauen und ihn nicht länger fürchten."

Dieser Friedhofsentwurf enthält ein deutliches Memento Mori, allerdings mit gänzlich anderer Intention und gänzlich anderen Mitteln als die mahnende Erinnerung des Mittelalters. Zwar sollte eine Begegnung mit dem Tod stattfinden, die jedoch mit der Schönheit der Umgebung verbunden werden sollte. Nicht den realen Tod in seiner Endgültigkeit, sondern den verkleideten, von aller Hässlichkeit gereinigten Tod sollten die Kinderaugen sehen.

Über dem offenen Bild des Todes lag weitgehend ein Tabu. Nur selten wurde dieser als Mysterium einer absoluten Grenze des Lebens symbolisch angedeutet. Einer der wenigen Entwürfe, in dem dies versucht wurde, sah anstatt steinerner Grabmonumente Holzpfosten vor, auf denen die Namen, Geburts- und Sterbedaten der Toten notiert und niemals erneuert werden sollten. So hätte der Friedhof den Anblick eines Feldes von Pfosten geboten, in den unterschiedlichen Stadien der Verwitterung und Zersetzung als eine Entsprechung des Vergehens im Tod. Doch dieser Entwurf war eine große Ausnahme.

Die meisten Autoren suchten hingegen mit variierenden Themen den Tod durch Einbindung in die Natur zu verhüllen. War dies zumeist noch mit einer Begegnung mit dem Grab verbunden, so gingen manche der Teilnehmer auch darüber noch hinaus, indem sie diese den Lebenden entziehen wollten. So plante unter anderem der Bewerber Chambon, das gesamte Gräberfeld für die Trauernden unsichtbar zu machen. Die Trauergemeinde sollte nur einen großen Vorplatz betreten, wo dichte Baumreihen und Gitter den Blick auf das Innere des Friedhofs verbergen sollten. Während der Zeremonie sollte der Sarg des Verstorbenen auf einem diagonalen Pfad in den inneren Bereich fortgetragen werden, so dass die eigentliche Bestattung für die Angehörigen nicht zu sehen gewesen wäre. Auch andere Beiträge verfolgten eine ähnliche Strategie, mit der den Trauernden die Unannehmlichkeit der Bestattung am offenen Grab erspart werden sollte, wie es der Bewerber Pommereul ausdrückte.

3.3 Das Feld der Tugendhaften. Der Tod als Politikum und moralisches Lehrstück

Ein weiteres Charakteristikum der Revolutionszeit war der Versuch einer politischen Funktionalisierung des Todes, indem die (sich wandelnden) Ziele und Ideale der Republik in die Gestaltung des Friedhofs und der Bestattungszeremonien eingebunden wurden. Dies zeigt sich besonders deutlich ab der zweiten Phase der Revolution, denn die Vertreibung der Religion vom Begräbnisort ließ der Republik mehr Raum, den sie füllen konnte. Ein zentraler Gedanke aller Entwürfe war das Prinzip der Gleichheit. Dies galt auch schon während der konstitutionellen Monarchie. So schreibt etwa Monbalon 1791:

"Über den Gräbern [...] wird es keine Inschriften geben, kein Zeichen eines sozialen Unterschieds, nichts wird der großen Lehre der Gleichheit widersprechen."

Nur durch eine Ziffer sollte erkennbar sein, wer an welcher Stelle liegt, um so soziale Unterschiede zu nivellieren. Nur für Personen, die der Republik besonders große Dienste erwiesen hatten, waren Monumente in einer Galerie vorgesehen. Unterschiede gab es somit nur noch in der republikanischen Tugend.

Der Versuch einer Umsetzung radikaler Gleichheit hatte vor allem während der Herrschaft der Jakobiner große Bedeutung. Dies zeigt sich unter anderem in dem Konzept Avrils:

"Es soll keine Inschriften geben, die über das Leben, die besonderen Verdienste, die Laufbahn eines Verstorbenen unterrichten – dies würde nur Eitelkeit, Missgunst und soziale Trennung befördern."

Gleicht dies noch den Worten Monbalons, sah Avril keine besondere Ehrung für verdiente Bürger mehr vor. Stattdessen sollten Tafeln angebracht werden, um Tugenden wie 'Aufopferung für das Vaterland' oder 'Wohltätigkeit' hervorzuheben. So sollte auf einem ansonsten von jeglicher Inschrift und Symbolik befreiten Ort den Werten der Revolution ein Denkmal errichtet werden, in denen das Individuum in Gleichheit aufgehen sollte. Dies setzte sich in der von Avril geplanten Bestattungszeremonie fort. Den Gang zum Bestattungsort, der von Vertretern des Staates begleitet werden sollte, konzipierte er bewusst für einen Moment der Trauer: "Zarte Kinder, dort sollt ihr weinen über den Verlust derer, denen ihr euer Leben verdankt, und mögt ihr diese Tränen nie vergessen." Damit stand er im Widerspruch zu Ansichten, wie sie sich in Äußerungen des Richters Monrachel zeigen. Dieser forderte, der Staat möge alle Bücher und Theaterstücke verbieten, die Angst vor dem Tod verbreiten würden, "selbst Trauerkleidung und öffentliche Bekundung von Trauer sollen verboten […] werden". Avril hingegen wollte die Trauer nicht negieren, sondern bei der Ankunft auf dem Friedhof in einer Art 'republikanischen Taumel' auflösen: Auf Reden über die patriotische Tugend der Verstorbenen und die Moral im Allgemeinen sollten Gesänge und republikanische Hymnen folgen. Ziel war dabei, die Trauer patriotischer Freude und Verbrüderung weichen zu lassen:

"Man wird die köstlichen Tränen fließen sehen […] und man wird erleben, wie das reine Feuer des Vaterlands die Herzen erfüllt. […] So wie dieser Tag mit Tränen beginnt, so wird er mit einer bewegenden Freude enden; und endlich, wenn die Tugend ihren Trost spendet, vergeht der Schmerz."

Hier wird der Wunsch deutlich, die Republik zum sinnstiftenden Religionsersatz zu machen, denn einen solchen Stellenwert als Hort der Hoffnung hatte bis dahin nur die Religion.

Auch wenn er keinen besonderen Platz für die Ehrung Einzelner vorsah, war die Gleichheit in Avrils Konzept nicht absolut. Sie endete bei den Toten, die nicht den herrschenden Wertvorstellungen entsprachen und somit am gleichen Punkt wie auf den christlichen Friedhöfen. Für diese Verstorbenen sah er – in ebenfalls vergleichbarer Weise – eine Separation von den 'tugendhaften' Toten vor. Eine solche Selektion findet sich in unterschiedlichen Varianten auch in den meisten späteren Bestattungskonzepten, wobei sich in dem Spannungsfeld zwischen ehrenhafter und nicht ehrenhafter Bestattung der erzieherische Impetus der Revolution zeigt. Dies wird besonders daran deutlich, wie plakativ diese Absonderung vorgenommen werden sollte. So sah zum Beispiel 1796 der Architekt Nougaret einen Zwei-Klassen-Friedhof vor. Dieser sollte geteilt werden in einen Landschaftspark für tugendhafte Bürger und ein Massengrab, in dem die Überreste der sittenlosen Toten angehäuft und dem Vergessen überantwortet werden sollten. Ähnlich differenzierten Pommereul und Dodoret, beide Teilnehmer des Wettbewerbs 1799, in ihren Entwürfen jeweils ein 'Feld des Vergessens' und ein 'Feld der Tugend', bzw. einen größeren Friedhof mit weißen und einen kleineren mit schwarzen Mauern für 'gute' und 'schlechte' Tote. Dolivier, ebenfalls ein Bewerber 1799, wollte die Segregation aktiv in den Begräbnisritus einbinden: Auf dem Friedhof sollte ein 'Priester der Moral' den Trauerzug empfangen und entscheiden, ob der Verstorbene die Ehre eines Grabes verdient hat. Bei einer positiven Entscheidung wäre es zu einer feierlichen Beisetzung gekommen, bei einer negativen wäre der Tote in einen Graben der Ausgestoßenen geworfen worden. Eine solche Kategorisierung der Toten beinhaltete eine Normsetzung für ein gewünschtes Verhalten der Lebenden, die sich nicht wesentlich von dem Erziehungsanspruch der mittelalterlichen Kirchhöfe unterschied. Lediglich der mittelalterliche Erziehungsinhalt – die christliche Moral – wäre beim Bau dieser Friedhöfe gegen die revolutionären Ideale ausgetauscht worden.

Während dieser Erziehungsgedanke bis zum Ende des Direktoriums fester Bestandteil der Projekte war, relativierte sich die Einstellung zum Prinzip der Gleichheit wieder nach dem Ende der Jakobinerherrschaft. Dies hing mit einem erneuten Erstarken des Besitzbürgertums zusammen, dem nun das Recht auf private Bestattung zugesprochen wurde. Dies galt allerdings nur im Rahmen einer öffentlich geregelten Form, bei der zumindest formal das Prinzip der Gleichheit gewahrt werden sollte. Auch wurde die Ehrung besonderer Bürger weiterhin als Vorrecht des Staates betrachtet, während die sonstigen Gräber auf eine schlichte Form beschränkt wurden. Dies führte in den meisten Entwürfen zu einer Teilung des Friedhofs in einen öffentlichen (kostenfreien) und privaten (kostenpflichtigen) Teil, von denen besondere Stätten für geehrte und verdammte Bürger abgetrennt waren. So entstanden neue Hierarchien auf dem Friedhof, ohne allerdings althergebrachte Strukturen wiederauferstehen zu lassen.

4. Was bleibt? Gedanken zum Einfluss der Revolution auf die Entwicklung der Bestattungskultur

Keines der vorgestellten Konzepte wurde umgesetzt. Kein Friedhof aus der Revolutionszeit ist heute zu betreten. Was also ist geblieben von den mannigfaltigen Ideen, die in dem ‚Laboratorium‘ der Revolution entstanden und von denen nur wenige hier angedeutet werden konnten?

Die Revolution hinterließ eine im Mark veränderte Gesellschaft, indem sie mit Traditionen brach oder evolutionäre Wandlungen verstärkte, die sich bereits vorher angekündigt hatten. Es kam zu einer Veränderung der Kultur und der individuellen Mentalitäten, die auch durch die Restaurationszeit nicht wieder rückgängig zu machen war. Im Gegenteil wurde ein weitgehender gesellschaftlicher Wandel erneut in drei Revolutionen im 19. Jahrhundert eingefordert und auch erreicht. Nichts mehr war wie vorher. Das gilt auch für die Sepulkralkultur.

Die Revolution verstärkte den Bedeutungsverlust der Religion so weit, dass er nicht mehr rückgängig zu machen war. Die Trennung von Religion und Staat wurde auch unter Napoleon beibehalten und fand ihren Niederschlag in einem Edikt, mit dem 1804 verbindlich die Bestattung geregelt wurde. Von nun an wurde keine Konfession mehr vom Friedhof ausgeschlossen. Eingebunden in diese konfessionelle Gleichheit wurden auch diejenigen, denen zuvor vom Christentum eine Bestattung versagt worden war, wie Atheisten, Selbstmörder oder Angehörige 'unehrlicher Berufe'. Mit dieser weitgehenden Öffnung wurde einer der markantesten Brüche der Tradition zum Gesetz, der der Revolution entwachsen war. Weiterhin wurden die Auslagerung der Friedhöfe aus den Städten, die Sargpflicht und das Bestatten der Körper in Einzelgräbern bindend angeordnet und auch darin Überlegungen verwirklicht, die sich in den Konzepten der Revolution gefestigt hatten. Der von der Revolution angestoßene oder weiterentwickelte Prozess wurde mit diesem Edikt zementiert, das auf die Sepulkralkultur in Europa großen Einfluss nahm. Das gleiche gilt für den Pariser Friedhof Père Lachaise, der als erste laizistische Begräbnisstätte im selben Jahr des Dekrets angelegt wurde. Dieser Friedhof, in dem sich viele der Ideale zahlreicher Revolutionsarchitekten verwirklicht fanden, wurde zum Vorläufer und Vorbild dieser Friedhofsgattung in Europa und Amerika. Nichts mehr war wie vorher.

Literaturauswahl

Ariès, Philippe: Geschichte des Todes, München 2005.

Bauer, Franz: Von Tod und Bestattung in alter und neuer Zeit, in: Historische Zeitschrift 254 (1992), S. 1-31.

Bertaud, Jean-Paul: Alltagsleben während der Französischen Revolution, Würzburg 1989.

Dinzelbacher, Peter: Die letzten Dinge. Himmel, Hölle, Fegefeuer im Mittelalter, Freiburg 1999.

Etlin, Richard: The architecture of death. The transformation of the Cemetery in Eighteenth-Century, Paris 1984.

Fischer, Norbert: Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt 2001.

Harten, Elke; Harten, Hans-Christian: Die Versöhnung mit der Natur. Gärten, Freiheitsbäume, republikanische Wälder, heilige Berge und Tugendparks in der Französischen Revolution, Reinbek 1989.

Kuhn , Axel: Die Französische Revolution, Ditzingen 1999.

Mischke, Marianne: Der Umgang mit dem Tod. Vom Wandel in der abendländischen Geschichte, Berlin1996.

Ohler, Norbert: Sterben und Tod im Mittelalter, Düsseldorf 1990.

Petersen, Susanne: Die große Revolution und die kleinen Leute. Französischer Alltag 1789/95, Köln 1988.

Schleich, Eva: Kirche, Klerus und Religion, in: Die Französische Revolution, hg. v. Rolf Reichhardt, Würzburg 1988, 172-185.

Schmale, Wolfgang: Entchristianisierung, Revolution und Verfassung. Zur Mentalitätsgeschichte der Verfassung in Frankreich, 1715 – 1794, Berlin 1988.

Stephan, Peter: Des Lebens Dernier Cri. Ein Lauf- und Lesebuch über Pariser Friedhöfe, Bühl-Moos 1985.

Thamer, Hans-Ulrich: Die Französische Revolution, München 2006.

Vovelle, Michel: Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, München 1982.

Wilhelm-Schaffer, Irmgard: Gottes Beamter und Spielmann des Teufels. Der Tod in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1999.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Neuzeitliche Gruftanlagen (November 2009).
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