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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die geträumte Welthauptstadt Germania und die Umsetzungen von Gräbern aus Berlin-Schöneberg nach Stahnsdorf

Autor/in: Dirk Reimann
Ausgabe Nr. 81, II, 2003 - Mai 2003

Ende der 1930er Jahre wurden im Zuge von Speers hypertrophen Planungen für den Aus- und Umbau Berlins in "Germania" rund 15.000 Särge und Aschenurnen nach Stahnsdorf überführt.

Dazu zählten auch etwa 120 Erbgräber vom Alten Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg, die mit der Bahn auf der Strecke Wannsee - Stahnsdorf zum Südwest-Kirchhof gebracht wurden. Man hat sie am Nordrand des Stahnsdorfer Terrains, längs der Alten Potsdamer Landstraße, wiedererrichtet ("Alte Umbettung"). Für Wahlgrabstellen und für normale Reihengräber entstand im Südteil des Friedhofs ein besonderer Beerdigungsblock, die heutige "Neue Umbettung". Hier wurden für die Überreste von zahlreichen Verstorbenen aus Schöneberg auch zwei riesige Sammelgräber angelegt.

1938/39 mussten im Zusammenhang mit den Planungen Albert Speers zur Umwandlung Berlins in die Hauptstadt "Germania" etwa 15.000 Umbettungen von Gräbern nach Stahnsdorf vorgenommen werden, wo der Südwest-Kirchhof des damaligen Berliner Stadtsynodalverbandes lag. Speer, "Generalbauinspektor" (G.B.I.), plante für Berlin als künftiges Zentrum eines deutschen Weltreiches u.a. eine große Nord-Süd-Achse. Sie sollte die neue Hauptstraße der Millionen-Metropole werden und ideologischer und kommerzieller Mittelpunkt der Stadt sein.

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"Schematischer Plan der Nord-Süd-Achse, 1937" (Foto: Reimann)

Vom Verlauf der Nord-Süd-Achse waren auch die historisch bedeutsamen Friedhöfe von St. Matthäus und Zwölf-Apostel in Berlin-Schöneberg berührt. Wo sie lagen, sollte ein neues Reichsversicherungsamt und - als Endpunkt der innerstädtischen Achse - ein monumentaler Südbahnhof entstehen (Architekt: A. Speer). Deshalb hatte man einen Teil der Friedhöfe entwidmet, d.h. ihrer öffentlich-rechtlichen Bestimmung entzogen, und die Gräber an die Peripherie der Stadt verlegt, darunter viele bekannte, große Namen.

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"Modell des Kernstücks der Nord-Süd-Achse, letzte Fassunf von 1942. Im Vordergrund der Südbahnhof" (Foto: Reimann)

Nach den Vorstellungen Speers sollten für "Germania" (wie die Stadt nach 1950 heißen sollte) zusammen etwa 40 Berliner Innenfriedhöfe zerstört werden. Aus den nationalsozialistischen Herrschaftsträumen wurde glücklicherweise nichts; der Zweite Weltkrieg hat den Wahn "Germania" verhindert. Als Planungsbereiche des G.B.I. in Schöneberg galten auch die Gebiete: Erster Städt. Friedhof Maxstraße (heute: Eisackstraße); Neuer Zwölf-Apostel-Friedhof am Sachsendamm; Alter und Neuer Kirchhof der St.-Matthäus-Gemeinde, Großgörschenstraße bzw. am Priesterweg. 1938/1939 begann der "Generalbauinspektor" diese Begräbnisplätze aufzulösen.

Die zunächst für 1945 geplante Freimachung des Zweiten Städtischen Friedhofs Alboinplatz-Eythstraße und des Alten Kirchhofs der Zwölf-Apostel-Gemeinde in der Kolonnenstraße, die für die südliche Weiterführung der Nord-Süd-Achse benötigt wurden, fand nicht mehr statt. Die dort befindlichen Gräber blieben unangetastet. Auch die völlige Schließung bzw. Umwandlung des Dritten Schöneberger (Friedenauer) Friedhofs, Südwestkorso-Stubenrauchstraße, in eine Grünanlage wurde letztlich nicht durchgeführt.

Es war vorgesehen, dass auf den Friedhöfen, in die ab 1938 umgebettet werden sollten, sämtliche Gräber in dem bisherigen Zustand wiederangelegt werden, einschl. Grabbepflanzung. Die meisten Särge und Urnen aus dem Bezirk Schöneberg wurden nach dem Südwest-Kirchhof in Stahnsdorf überführt, der 1909 als eine neue, landschaftlich gestaltete Hauptbegräbnisstätte für elf evangelische Gemeinden aus Charlottenburg, Schöneberg und dem Südwesten Berlins angelegt wurde. Dazu gehörten auch rund 120 Erbbegräbnisse vom als "Prominentenfriedhof" bekannten Alten Matthäus-Kirchhof, die zunächst kartiert und vermessen und dann auf der S-Bahnstrecke Wannsee - Stahnsdorf zum Südwest-Kirchhof gebracht wurden. Dort wurden sie an der Nordgrenze zur Alten Potsdamer Landstraße, heutige "Alte Umbettung", wiedererrichtet. Im Bereich Umbettungen-Erbbegräbnisse finden sich u.a. das komplette Mausoleum Langenscheidt, die Erbbegräbnisstätte von Richthofen und die Grabanlage der Kaufmannsfamilie Reichelt.

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"Vermessung der Grabstätte Langenscheidt zwecks Umbettung. Aufnahme von 1938" (Foto: Reimann)

Im Südteil des Friedhofs entstand für Wahlgrabstellen und für normale Reihengräber ein besonderer Beerdigungsblock, die heutige "Neue Umbettung". Hier sind die Grabmäler des Botanikers Hugo Conwentz und des Architekten Walter Gropius sen., Vater des bekannten Bauhaus-Architekten zu finden. Weitere Umgebettete sind im Urnenhain, dem Bezirk für Urnenbestattungen, oder wie der Kunsthistoriker Max Jordan und der Ethnograph Adolf Bastian in den angrenzenden Gräberabteilungen ("Block Trinitatis" etc.) separat beigesetzt worden. Für die Gebeine tausender Toter der Friedhöfe Zwölf-Apostel und St. Matthäus legte man am Südrand des Stahnsdorfer Terrains zudem zwei nicht weiter gekennzeichnete Sammelgräber an. Unter ihnen sollen sich auch diejenigen der Schriftsteller Theophil Zolling und Richard Lucae, der lange Jahre Direktor der Bauakademie war, befinden. Der direkt gegenüberliegende Wilmersdorfer Waldfriedhof sowie der Städt. Friedhof in Güterfelde wurden teilweise mit Gräbern vom Ersten Schöneberger Friedhof, Maxstraße, belegt.

Die Speersche Neuplanung Berlins litt von vornherein unter Arbeitskräftemangel und Materialknappheit, da beides für Rüstungszwecke eingesetzt wurde. Bei Kriegsbeginn erfolgte deshalb zunächst ein Stopp der Umsetzungsarbeiten. Die Umbettungsaktion war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon nahezu abgeschlossen. Im ersten Kriegsjahr wurden die Umbeerdigungen dann unter Schwierigkeiten fortgesetzt. Die Pflanzungsarbeiten auf dem Südwest-Kirchhof konnten von der verantwortlichen Friedhofsleitung nach Kriegsbeginn allerdings nicht mehr restlos durchgeführt werden, nicht nur weil das Pflanzenmaterial fehlte, sondern auch, weil das Arbeitspersonal infolge der Einziehung zur Wehrmacht immer mehr zusammenschmolz. Erst in den 1950er Jahren sind die Arbeiten an den neuen Grabfeldern in Stahnsdorf endgültig abgeschlossen worden.

[Anm. d. Red.: Dirk Reimann, geb. 1973, M. A., ist Historiker und lebt in Berlin. Er forscht und publiziert vor allem im Bereich der Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Der vorliegende Text fasst die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der "Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg" aus dem Jahre 2001 zusammen].

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Urne im Wohnzimmer? (Mai 2003).
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