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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Sommerliches Kulturleben auf Friedhöfen

Drei kulturelle Veranstaltungen auf Friedhöfen nordeuropäischer Großstädte sollen als Beispiele dienen, wie der "Ort der stillen Trauer" in das Leben des heutigen Menschen würdevoll einbezogen werden kann.

Ob Wilhelm Cordes, der Schöpfer des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg, sich damals ein fröhliches und doch würdevolles Treiben auf seinem Friedhof hat vorstellen können, so wie es sich zu dessen 125-jährigem Jubiläum darbot? Wohl kaum. Doch für die wohl 14000 Besucher war das Juni-Wochenende in diesem Sommer ein gelungenes Ereignis in Hamburg mit hervorragenden Beiträgen und einem sehr vielfältigen Programm: Musik, Theater, Lesungen und Prominente; Ausstellungen, Führungen, Kutschfahrten und Bildinstallationen; statt eines Sonntagsgottesdienstes eine musikalische Feierstunde mit islamischen, jüdischen und christlichen Geistlichen; und natürlich Info-Stände, Beratung und vieles mehr.

harfespieler
Harfenspieler im Rosengarten (Foto: Behrens)

Besonders zauberhaft war der Märchenerzähler und Harfenspieler im Rosengarten, umringt von faszinierten jungen und älteren Zuhörern.

Auch in Paris tummeln sich Erzähler auf Friedhöfen. Die Zeitung "Le Monde" vom 3.8.2002 widmet eine ganze Seite dem Thema Erzählung als einer neuen Sprache der Stadt ("Le conte, nouvelle parole de la ville"). Seit der Gründung des "Festival Paris Quartier d'eté vor acht Jahren sucht die Programmgestalterin immer neue, ungewöhnliche Standorte wie die Bar eines Hotels, eine Kirche, eine Bank, ein Standesamt ... oder auch Friedhöfe! So berichtet ein Artikel von den vergrabenen Geschichten, die in diesem Jahr auf den Pariser Friedhöfen vorgestellt werden ("Exhumer les histoires enfouies dans les cimetières parisiens"): "Ein Friedhof ist das Theater von unwahrscheinlichen Ereignissen, Taten des Todes, der Liebe, Sex, Spiritismus, Totenbeschwörung. Man langweilt sich nicht auf dem Père Lachaise", sagt Mélancolie Motte aus Brüssel, eine der sieben Erzähler, die auf sieben Pariser Friedhöfen von Epitaphen und Geschichten der dort begrabenen Menschen erzählen...

Im östlichen Nachbarland Polen haben Stettiner ein neues, einmaliges Projekt erlebt. Mozarts Requiem wurde am 7. Juli 2002 vor 3.000 Zuhörern auf dem Stettiner Friedhof - er ist kleiner, aber ähnlich wie Ohlsdorf ein Parkfriedhof - aufgeführt. Das Konzert, gewidmet den verschollenen Seeleuten, wurde von der Stettiner Oper organisiert. Drei Chöre sangen mit.

Teresa Lemke aus dem Collegium Maiorum, das mehrmals in Hamburg (auch im Michel) aufgetreten ist und mit dem kleinen Opernchor und jungen KollegInnen aus dem Akademischen Chor der TU mitwirkte, berichtet: "Das Orchester und wir standen auf einer speziell aufgebauten und überdachten Bühne gegenüber der Friedhofskapelle an einem großen Teich, die Stühle der Zuhörer auf dem gegenüberliegenden Ufer, alles sehr gut beleuchtet und mikrofonisiert. Als wir (der Chor) mit Kerzen in den Händen von der Kapelle zu der Bühne hinmarschierten, haben Marine-Kadetten Rettungsringe mit Kerzen darauf aufs Wasser gelassen, während wir unsere Kerzen auf ein Podest am Wasser gestellt haben und weiter an die Bühne gegangen sind. Zu dem ,Benedictus' hat ein Duett eine klassisch gemachte Ballettetüde auf einem Ponton auf dem Wasser getanzt. Es war alles sehr beeindruckend und phantastisch. Wir selbst haben lange nicht mehr so emotional gesungen, das Publikum war begeistert."

Seitdem überlegt man ernsthaft, die Veranstaltung auf dem Stettiner Friedhof zu wiederholen und jährlich ein anderes Requiem aufzuführen.

Wäre so etwas nicht auch auf dem Ohlsdorfer Friedhof denkbar, etwa am Nordteich oder am sogenannten T-Teich? Mozart auf diesem Friedhof gab es schon und wird es noch geben. Ende August begannen hier die Dreharbeiten für den Film "Blue Print". In einer Feierhalle des Krematoriums spielte Franka Potente ("Lola rennt") auf einem Flügel Mozart. Ab September 2003 werden wir sie sehen und seine Musik hören können.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Armenbegräbnisse (November 2002).
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