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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Ein Pariser Friedhof: Montparnasse

Wer Friedhöfe mit Frankreichs Hauptstadt verbindet, denkt unwillkürlich an den bekanntesten von ihnen, den "Cimetière du Père-Lachaise".

Mit 43 Hektar ist er der größte Stadtfriedhof von Paris und auch mit Recht der berühmteste. Als erster Friedhof mit Gartencharakter, Ende des 18. Jahrhunderts konzipiert und 1803 eröffnet, diente er lange als Vorbild und hinterließ nicht nur in der Literatur seine Spuren: Zum ersten Mal wurde die Gestaltung eines "englischen Gartens" auf eine Friedhofsanlage übertragen und nach seinem Muster wurden Friedhöfe auf der ganzen Welt angelegt - von England über Amerika bis nach Ohlsdorf!

Was aber weniger bekannt ist: Paris verfügt über zwanzig Friedhöfe mit insgesamt 420 Hektar (etwas mehr als der Ohlsdorfer Friedhof); vierzehn befinden sich innerhalb der Stadt, sechs in den Randbezirken: Außerhalb des Zentrums ist der Friedhof von Pantin mit 107 Hektar die größte Begräbnisstätte. Die klangvollsten Namen von zahlreichen Berühmtheiten aus zwei Jahrhunderten der Kulturgeschichte bieten vor allem drei Friedhöfe: der Père-Lachaise - mittlerweile versteinert durch viele Monumente, Grabkapellen und Mausoleen - aber auch Montmartre und Montparnasse.

So hatte ich im Herbst 2001 die Gelegenheit, den Cimetière Montparnasse zu besuchen. Bei seiner Eröffnung im Jahre 1824 - damals "extra muros" - wurde er mit sechs Hektar für den gesamten Pariser Süden gegründet. Heute ist er über 19 Hektar groß, d. h. kaum die Hälfte vom Père-Lachaise, von dem er sich auch durch seinen Plan unterscheidet. Hier keine Spur von geschlängelten Linien: Gepflegte Wege durchqueren schnurgerade seine dreißig Divisionen. Er hat außerdem eine Besonderheit: Er besteht aus zwei nebeneinanderliegenden Flächen, da er seit 1891 von einer Straße (Rue Emile Richard) durchschnitten ist, die den alten vom jüngeren Teil trennt.

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Portraitrelief César Franck von Auguste Rodin auf dem Friedhof Montparnasse (Foto: Behrend)

Auf dem Père-Lachaise stehen 12.000 Bäume, er soll auch das größte Vogelhaus von Paris sein. Hier jedoch, mit zwar weniger Bäumen und doch reichlich Vögeln, umgeben von Mauern und Wohnblöcken, die Wolkenkratzer der Tour Maine-Montparnasse im Hintergrund, wirkt dieser Friedhof wie eine wahre Oase in der Großstadt.

Der spontane Eindruck ist ein drangvolles Nebeneinanderstehen von Grabsteinen, Monumenten und Kapellen. Hans-Eberhard Lex nennt in seinem Buch über Pariser Friedhöfe den Cimetière Montparnasse den Friedhof gutbürgerlicher Wohlanständigkeit in Paris. Durch die Fülle von berühmten Toten, die unter prunkvollem Marmor aller kunsthistorischer Stilrichtungen dicht an dicht ruhen, ist es schon mühsam, in kurzer Zeit einzelne Grabstätten zu finden. Der Friedhof Montparnasse ist aber kein Museum, er wird weiter belegt: So findet man in größter Dichte nebeneinander klassizistische und moderne Grabsteine, herrliche Jugendstilskulpturen mit trauernden jungen Frauen (sogar ein vollangezogenes Ehepaar im Bett beim Grabmal Pigeon) sowie auch sehr schlichte Steine.

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Grabmal Pigeon auf dem Friedhof Montparnasse (Foto: Behrend)

Man könnte eine Menge bekannter Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen der Politik, Wissenschaften, Musik, Kunst oder Literatur auflisten. Nur einige sollen hier erwähnt werden: So der Automobilkonstrukteur Citroën, der Physiker Becquerel, die Verleger Hachette und Flammarion, die Lexikographen Larousse und Littré; die Schriftsteller Baudelaire und Maupassant, Ionesco, Tristan Tzara und Samuel Beckett, der Existenzialist Sartre und seine lebenslange Gefährtin Simone de Beauvoir; die Bildhauer Rude, der am Arc de Triomphe die Nationalhymne der Franzosen "La Marseillaise" in Stein schlug und Brancusi, dessen Werk "Der Kuss" (das die Kunsthalle in Hamburg auch besitzt) dort ein Grab krönt; die Komponisten Saint-Saens und César Franck; die Pianistin Clara Haskil, der Chansonnier Maurice Chevallier, der Sänger Serge Gainsbourg, die Schauspielerinnen Jean Seberg und Delphine Seyrig und viele andere mehr. Wie man sieht, lohnt es sich, dort mit etwas Muße zu flanieren!

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Grabmal Vernon (Foto: Behrend)
Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Kinder erleben den Friedhof (November 2001).
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