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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Glaube – Aberglaube – Tod" - Interdisziplinäre Fachtagung zum Umgang mit dem Tod von der Frühgeschichte bis zur Neuzeit

Der Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin lud vom 28. bis 30. November zur interdisziplinären Fachtagung "Glaube – Aberglaube – Tod. Vom Umgang mit dem Tod von der Frühgeschichte bis zur Neuzeit" ein.

Die Tagung, die in Kooperation mit der 'Archäologischen Gesellschaft in Berlin und Brandenburg' sowie mit der finanziellen Unterstützung des 'Förderverein für Ur- und Frühgeschichte an der Humboldt-Universität e.V.' und privaten Spendern organisiert wurde, sollte neben der Vor- und Frühgeschichte auch kultur- und religionswissenschaftliche sowie volkskundlich-ethnologische und anthropologische Betrachtungen zusammenführen. Dass dieser interdisziplinäre Ansatz gerade bei einem so komplexen Forschungsfeld wie dem Umgang mit dem Tod mehr als wünschenswert und geradezu notwendig ist, wurde anhand der verschiedenen Vorträge im Laufe der Tagung immer wieder deutlich. Zwischen 170 und 200 Teilnehmer verfolgten nach Schätzungen der Organisatoren in dem konstant ausgelasteten Seminarraum die 27 Vorträge von Freitagmittag bis Sonntagnachmittag. Abschließend wurde eine Führung durch die nahe gelegene Parochialkirche sowie der dortigen Ausstellung "Erzähl’ mir was vom Tod" angeboten.

Der Schwerpunkt sowohl des einführenden Textes der Einladung als auch der Vorträge selbst lag zwar eindeutig auf archäologischen Aspekten, doch zeigte sich im Verlauf der Tagung, wie sinnvoll und erkenntnisbereichernd ein interdisziplinärer Austausch sein kann.

So konnten beispielsweise die Vorträge "Volksaberglaube und seine Erforschung aus heutiger ethnologischer Perspektive" von Bettina Volk und „Sonderbestattungen vom 10.-15. Jh. in Brandenburg aus anthropologischer Sicht" von Bettina Jungklaus oder auch "Der Dominikanerfriedhof in Strausberg. Sonderbestattungen, Sicheln und ihre Interpretation" aus archäologischer Perspektive von Blandine Wittkopp in direkte Beziehung zu "Wiedergängerglaube im Mittelalter", einem volkskundlichen Beitrag von Thomas Schürmann sowie "Vampirismus aus sprach- und kulturhistorischer Perspektive" von Ralf Gebuhr gesetzt werden. Die thematischen Bezüge reichten jedoch auch bis hin zu augenscheinlich gänzlich anderen (eigentlich traditionell volkskundlichen) Themen wie "Totenkronen" von Sylvia Müller und Juliane Lippok oder "Hopfenbett und Hexenkraut. Glaube und Bestattungsbräuche in Grüften der Neuzeit" von Andreas Ströbl und Dana Vick. Die inhaltliche Verbindung zwischen diesen eigentlich so unterschiedlichen Forschungsthemen aus den Disziplinen der Ethnologie, Anthropologie, Archäologie, Volkskunde und Kulturgeschichte ließ sich häufig über das kontroverse Thema des "Wiedergängerglaubens" oder des "Vampirismus" herstellen, da diese Aspekte z.B. bei der Deutung so genannter "Sonderbestattungen" von Bedeutung sind. So kam es im Verlauf der Tagung immer wieder zu Diskussionen über den Begriff der "Sonderbestattungen" und darüber, was als "Sonder"-Fall und was in Abgrenzung dazu als "normale" oder "konventionelle" Bestattungsform bezeichnet werden kann.

Die inhaltlichen und thematischen Verbindungen zwischen den einzelnen Forschungen finden bisher leider kaum bzw. viel zu selten Entsprechungen auf struktureller Ebene von Forschungsprojekten und deren Konzeption und Aufarbeitung. Während die Archäologie im deutschsprachigen Raum z.B. bei Grabungsprojekten traditionell mit anthropologischen Forschungen kooperiert, ist dies mit volkskundlichen, ethnologischen, kultur- oder religionswissenschaftlichen Bereichen nach wie vor eher die Ausnahme. Dass eine Kooperation verschiedener Forschungsdisziplinen und somit auch verschiedener methodologischer Herangehensweisen auch zu (weiterführenden und notwendigen) Diskussionen und Auseinandersetzungen führen kann, lässt sich am Beispiel der verwendeten Terminologie verdeutlichen: Bereits der Titel der Tagung "Glaube – Aberglaube – Tod" weist indirekt auf diese Problematik hin: Wie wird "Glaube" von "Aberglaube" differenziert? Werden nicht hier bereits Wertungen vorgenommen, die den eigenen kulturellen, also euro-zentristisch und christlich-geprägten Hintergrund widerspiegeln?

Wie wichtig eine genaue Verwendung bestimmter Termini sowie eine genaue methodologisch-reflektierte Vorgehensweise sein kann, zeigte beispielhaft ein Vortrag mit dem Titel "Magische Rituale bei der Bestattung – auch heute! Und ihre trauerpsychologische Bedeutung" von Reiner Sörries, in dem Veränderungen und Entwicklungen in der gegenwärtigen Bestattungskultur wie z.B. Friedwälder in einen direkten (phänomenologischen) Zusammenhang mit (neu-)heidnischen und sogar neo-nazistischen Phänomenen gestellt wurde. Zwar erfolgte diese gewagte und kontroverse These mit der Einschränkung auf eine phänomenologische Betrachtung, doch könnte dieser sehr generalisierenden Herangehens- und Betrachtungsweise entgegengehalten werden, dass demnach auch christliche Erdbestattungen in eine direkte Tradition dezidiert vor- bzw. nicht-christlicher Beisetzungen gesetzt werden könnten, da auch hier Erdbestattungen mit Steinsetzung praktiziert wurden… diese Überspitzung soll verdeutlichen, dass solche extrem generalisierenden und wertenden Herangehensweisen bestenfalls zu kontroversen Diskussionen führen können.

Zu ebenfalls kontroversen aber auch sehr lebendigen Diskussionen führte (wohl in voller Absicht) der Vortrag von Michael Gebühr mit dem Titel "Rezente Nahtoderlebnisse und prähistorische Beigabensitten – Eine Hypothese", in dem die Möglichkeit in den Raum gestellt wurde, Funde von vor- und frühgeschichtlichen Grabbeigaben und hiermit verbundene eventuelle Jenseitsvorstellungen in Beziehung zu setzen zu Berichten über Nahtoderlebnisse und hiermit verbundenen Jenseitsvorstellungen aus der Gegenwart.

Auf eine (häufig unterschwellige) Gefahr populär-wissenschaftlicher bzw. sensationsgieriger Ausschlachtung der Beschäftigung mit dem Tod wurde z.B. in den Vorträgen über Wiedergänger und Vampirismus von den Referenten ebenso hingewiesen wie bei allem, was in vermeintlich "magische" oder „abergläubische“ Bereiche hineinreicht. Diese Suche nach dem "Sensationellen" oder "Besonderen" wird jedoch auch in der Forschung zum Thema Tod im Allgemeinen deutlich: Menschenopfer, Moorleichen, Sonderbestattungen oder Bestattungen gesellschaftlicher Eliten weisen nicht nur auf diese Suche nach dem "Besonderen" hin, sondern lassen auch vermuten, dass hier nicht eine "Geschichte von unten" im Vordergrund steht. Hier zeigt sich eine den Geschichts- und Kulturwissenschaften immanente Gefahr, den Alltag bzw. die Lebensrealität der "Masse" der Bevölkerung der jeweiligen Epoche aus den Augen zu verlieren, indem nur das "Besondere", die Ausnahmen und herausragenden Phänomene in den Blick der Forschung und letztendlich der Öffentlichkeit geraten.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der Aspekt der Quellenkritik, sowohl schriftlicher Quellen (von wem, für wen, wann, warum verfasst?) als auch archäologischer Befunde. Neben Fragen nach dem, was gefunden wurde, muss auch gefragt werden, was nicht gefunden wurde. Auf die Bedeutung einer kritischen Auswertung des vorliegenden Quellenmaterials machte u.a. Norbert Fischer in seinem Vortrag zum Thema "Sturmflut, Tod und Mentalität an der Nordseeküste (16.–18.Jh.)" aufmerksam. Dieser Vortrag sollte auch den Abschluss der insgesamt geplanten 27 Vorträge bilden. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und der im Anschluss geplanten Besichtung der Ausstellung "Erzähl’ mir was vom Tod" musste auch die vorgesehene Abschlussdiskussion stark begrenzt werden.

Viele der hier aufgeworfenen Fragen und Problemstellungen konnten im Rahmen des sehr straffen Programms der Tagung nur angerissen werden. Der vorgesehene Zeitplan konnte ohnehin nicht immer eingehalten werden, so dass die zeitlich knapp berechneten – aber dafür mit ausreichend Getränken und Keksen ausgestatteten – Kaffeepausen auch hin und wieder zugunsten von Nachfragen ausfallen mussten. Hier zeigt sich aber auch der Diskussionsbedarf und Wunsch nach Austausch aller Beteiligten. Bei geplanter 30 Minuten-Beschränkung pro Vortrag inklusive Fragen war dies kaum machbar. Der Versuch der Organisatoren, der Vielfalt des Forschungsfeldes Tod gerecht zu werden, erforderte Kompromisse: Zwar bestand die Möglichkeit zu formlosem Zusammensein und Austausch am Abend, doch nach über elf Stunden mit insgesamt 13 Vorträgen war dies auch eine Frage der Energie aller Beteiligten.

Als Fazit kann dieser interdisziplinäre Kongress mit seinen Vorträgen und Diskussionen als anregend und motivierend bezeichnet werden. Bleibt zu hoffen, dass dem vielfach artikulierten Wunsch nach Vernetzung, Austausch und Kooperation auch Umsetzungen in die Praxis folgen werden. Denn viele Fragen bleiben nach wie vor offen und ungeklärt, was den Umgang mit dem Tod als Forschungsfeld aber auch so spannend macht. So müssen Forschungen zum Thema Tod immer einen Balanceakt zwischen Interpretation der Quellen bzw. Befunde und spekulativen Mutmaßungen vollziehen. Zwar war diese Fachtagung lediglich auf wissenschaftliche Kreise ausgerichtet, doch viele der hier vorgestellten Forschungen sollten auch einem breiteren Publikum zugänglich sein. Forschung kann und sollte dazu beitragen, den Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer in seinen verschiedenen Facetten in die Öffentlichkeit zu tragen.

Adrian Anton (Volkskunde/Kulturanthropologie), Linn Hübler (Vor- und Frühgeschichte), Universität Hamburg

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Katastrophen und Unglücksfälle (Mai 2009).
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