Drei Institutionen verschiedener Universitäten, die den Bereichen der Kunst und der Geisteswissenschaften zugehören, hatten an der Oldenburger Carl-von-Ossietzky-Universität vom 12. bis 14. Juni 2008 zu einer Arbeitstagung zum Thema "Bekleidung der Toten" eingeladen.
Die Fragestellung der Initiatorinnen war, wie sich heute die Bedeutungen und Funktionen des Leichnams und dessen, was ihn umgibt und an ihm verrichtet wird, mit dem Wandel von Todes-, Menschen- und Körperbildern sowie durch die Pluralität religiöser Kulturen und Glaubensverständnisse verändern.
Zusammengekommen waren Referate aus einem breiten interdisziplinären Spektrum mit internationaler Konnotation: Die Teilnehmerinnen stammten ebenso aus den Geisteswissenschaften – vertreten waren Kunstgeschichte, Kunst- und Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft, Volkskunde – wie aus Kunst und Gestaltung, Restaurierungspraxis und Bestattungskultur und sie beschränkten sich nicht ausschließlich auf den deutschsprachigen Kulturraum. Da die Beiträge im Voraus bekannt waren, lag der Schwerpunkt der Tagung auf intensiven Diskussionen. Die Vorträge selbst werden in dem geplanten Tagungsband nachzulesen sein.
Wie zu erwarten war das Spektrum der Beiträge ausgesprochen vielfältig. Unter den Obertiteln "Rituale", "Einkleidungen" und "Schuld, Aggression, Wunde" wurden so unterschiedliche Themen diskutiert wie zum Beispiel in der Rubrik "Rituale" die Totenkleidung als Objekt und Symbol der Furcht vor den Ahnen am Beispiel der Sepulkralriten der Udmurten in Russland; die Restaurierung von Totenkleidung in Sachsen; Tod, Trauer und Frauenbild in den Todesdarstellungen Hans Holbeins des Jüngeren und Trauerschmuck aus menschlichem Haar. Unter dem Oberbegriff "Einkleidungen" stand die Frage nach den heutigen kulturellen Mustern und individuellen Einkleidungen von Sterblichkeit; die Verhüllung und Nacktheit im Bild der Grabskulptur und der Trauernden; die Darstellung und Darbietung des Frauenkörpers in der Wiener Anatomie des 18. Jahrhunderts; die Totenkleidung von Herrschern als Zeichen des eigenen Selbstverständnisses und das Ritual des Staatsbegräbnisses in BRD und DDR.
Während es bei diesen Themen um unterschiedliche Bekleidungsarten ging, wurde unter dem Oberbegriff "Schuld, Aggression, Wunde" die Bedeutung der Entkleidung – mit einem Begriff Karen Ellwangers der "Devestitur" (im Gegensatz zur Investitur) – thematisiert. Die gezielte Entwürdigung wurde an amerikanischen Lynchfotografien des 20. Jahrhunderts schockierend deutlich. Vor der Folie dieser und anderer Entwürdigungen durch Kleidung bzw. Entkleidung stach das ehrende Zeremoniell der mehrfachen Umkleidung des zu Grabe getragenen Körpers – mit Totenhemd bzw. feierlichem Anzug, umgeben von Sargwäsche mit Spitzen, durch welche die Übergänge überspielt werden, geborgen im Sarg und noch einmal bedeckt von einem Sargtuch – nicht nur bei dem Bestattungsritual für die überwiegend Männern gewährten Staatsbegräbnisse in BRD und DDR hervor, sondern wurde überraschenderweise besonders an dem Akt des Abbaus des letzten Stahlträgers von Ground Zero in New York deutlich, der wie die Aufbahrung eines Menschen zelebriert wurde.
Dass es bei dem Übergangsritual der Aufbahrung und Abschiednahme stets auch um Selbstrepräsentation ging, wurde daran deutlich, wie viel Wert königliche Herrscher und Fürsten auf die Festlegung ihrer Totenkleidung gelegt haben. Auch beim bürgerlichen Begräbnis in der Vergangenheit war aber das letzte Hemd nicht immer nur einförmig schlicht weiß und stets nach demselben Muster geschnitten, sondern wurde ganz unterschiedlich gewählt und konnte auch modisch ausstaffiert sein, wie die Sargfunde aus dem 16. bis 19. Jahrhundert in Dresden bewiesen. Zwei der gegenwartsbezogenen Beiträge zeigten das hohe Maß an Individualisierung, das heute die gesellschaftlichen Verhältnisse prägt und auch vor dem Tod nicht halt macht.
Mit den ersten Aussagen eines kulturwissenschaftlichen Forschungsprojektes zur Totenkleidung konnte überzeugend belegt werden, dass Menschen, die heute nach ihren Wünschen in Bezug auf ihr eigenes zukünftiges "letztes Hemd" befragt werden, damit ein Zeichen ihrer persönlichen, vestimentär gespiegelten Lebenshaltung imaginieren. Und die persönliche Erfahrung einer Trauerbegleiterin führte zu dem Plädoyer, dem eigenen – von den jeweils individuellen Wünschen, Gefühlen und Haltungen geprägten – Handeln der Nachlebenden in der Zeit der Abschiednahme eine umfassende Wichtigkeit für einen "heilsamen" Verlauf des Übergangsprozesses und der Trauer zuzumessen.
Die Einladung zu der Tagung lässt sich nachlesen unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=7780; das Programm unter: http://www.uni-oldenburg.de/textil/download/Programm_Totenkleidung.pdf