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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Projektbericht: "Forum über das Trauern, Sterben und Abschied nehmen"

Autor/in: Silke Kral
Ausgabe Nr. 97, II, 2007 - Mai 2007

Das Thema eines interdisziplinären Kultur-Projekts mit Praktikern und Theoretikern aus Schleswig-Holstein im März und April 2007 lautete, aktuelle und historische Einblicke in die Sterbekultur des Nordens zu vermitteln.

In das Zentrum der öffentlichen Betrachtung gerückt wurden verschiedene kulturelle Programmpunkte aus den Bereichen Trauern und Tod. Den Auftakt der Veranstaltungen bildete ein ökumenischer Gottesdienst in Kiel.

Zentraler Aufhänger des Veranstaltungsprogramms war ein zweitägiges Forum am Veranstaltungsort Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Dieses fand am Wochenende des 3. und 4. März auf einer Ausstellungsfläche von 425 qm statt. Darin stellten sich unterschiedlichste Berufsgruppen mit aufeinander abgestimmten Einzelpräsentationen vor, also Organisationen, Vereine, Verbände, Unternehmer und Freiberufler, die tagtäglich mit dem Tod zu tun haben: Friedhofsgärtner, Steinmetze, Trauerbegleiter, Bestatter, Hospize – um einige der 32 Aussteller zu benennen.

Namhafte Referenten und Referentinnen aus dem norddeutschen Raum hielten verschiedene geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Fach-Vorträge von der Archäologie bis zur Medizin. Diese wurden aufgezeichnet.

Die gesamte Veranstaltung wurde – um einem ganzheitlichen Ansatz möglichst nahe zu kommen – mit kleinen Programmpunkten bestückt, wie einer geleiteten Meditation, einer Einführung zum Umgang mit Trauer, verschiedenen Lesungen und heilsamen Berührungen für Trauernde. Fotografien, künstlerische Ausstellungen und die Präsentation von Leihgaben, wie zwei Designer-Särgen und Engels-Skulpturen aus Süddeutschland, sowie eine Tanz-Performance rundeten das Gesamtbild ab.

Selbstständige Abend-Veranstaltungen begleiteten das Projekt. Zum Thema interreligiöse Betrachtung fand ein Themenabend zur Trauerbegleitung und Trauerkultur bei Muslimen und Christen in der Islamischen Gemeinde Kiel statt. Die Volkshochschule Kiel und der Kieler Arbeitskreis für Trauerbegleitung veranstalteten einen Abend zum Thema Trauerbegleitung im Kieler Umland.

Am 25. März, am Tag der Offenen Tür im Krematorium Stade/Niedersachsen, wurde die Künstlerausstellung des Bildhauers Arno Falk, Bothkamp, Schleswig-Holstein, eröffnet, welche bis zum 24.04.2007 dauerte. Das Projekt endete am 24. April mit einem Lieder- und Rezitationsabend zum Thema Kindertod Hamburger Künstler/innen in Stade: "Oft denk‘ ich, sie sind nur ausgegangen" und mit Texten und Tagebuch-aufzeichnungen von Friedrich und Luise Rückert sowie Kompositionen von Gustav Mahler und Johannes Brahms.

Erwähnenswert bleibt ein das Projekt begleitendes Schülerprojekt, welches über Straßeninterviews ermittelte, wie die Bevölkerung Kiels auf unser Vorhaben, mit dem Tod über eine Veranstaltung in die breite Öffentlichkeit zu gehen, reagierte. Zum Erstaunen aller Beteiligten formulierten vor allem junge Menschen, dass sie ein sehr großes Interesse daran hätten, mehr über dieses facettenreiche Thema zu erfahren, während viele ältere entweder die Kamera mieden oder kein Interesse zeigten, zu antworten.1

Am Anfang war die Idee

Nachdem bei einer Fotoausstellung im November 2006 in einer Kieler Kirche die Frage bestanden hatte, ob sich eine breite Öffentlichkeit dem Thema Tod gegenüber aufgeschlossen zeigte, lautete der Beweggrund für die Veranstaltung im März/April: Was würde passieren, wenn das Thema nach draußen, hier: in einen weniger klassischen und ungeschützten Rahmen gestellt würde? Also jenseits der Bestattungsszene, einer klassischen Friedhofsumgebung oder eben einer Kirche. Auf dieses Experiment ließen sich mit mir viele Fachleute ein, die ihr Interesse daran zeigten, sich einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen, bekannt zu machen und Fragen aus der Bevölkerung zu beantworten.

Angedacht wurde eine konzeptionell ruhig angelegte Veranstaltung, welche ich als Freiberuflerin (in Eigenregie, ohne Auftraggeber oder dahinter stehender Institution) in angemieteten Räumlichkeiten an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchführte. Wenngleich das Projekt zu keiner Sekunde in irgendeiner Weise abgesichert war (das Land Schleswig-Holstein diskutiert noch...), schien mir alleine das Thema es Wert zu sein, am Ball zu bleiben und in manch schwierigen Situationen mehr oder weniger unbeirrt weiter zu machen, um interessierten Teilen dieser unserer Gesellschaft mitzuteilen, a) wie lohnenswert es für den eigenen Lebensprozess und gerade auch für junge Menschen ist, sich mit dem Thema Sterben frühzeitig zu beschäftigen, weil der Tod zentraler Teil des Lebens ist und uns Wahrheiten und Weisheiten lehrt und b) darauf hinzuweisen und es zu würdigen, wie stolz wir hierzulande auf die Leistung der einzelnen Berufsgruppen sein können, die sich Tag für Tag einem der sensibelsten und schwierigsten Bereiche unseres Lebens annehmen und zuwenden, was wir – angesichts der sehr schmerzhaften Abschiede Angehöriger bei immer verschieden ablaufenden Todesfällen – nicht als Selbstverständlichkeit betrachten sollten.

Ausgangspunkt der Themenstellung war die hohe Anzahl der anonymen Bestattungen in den Städten Schleswig-Holsteins mit über 50–70 %, welche einen Einschnitt für die herkömmlichen kulturellen Gepflogenheiten bedeutet: Durch die bewusste Entscheidung zu Lebzeiten einerseits, auf seinen eigenen Namen und/oder einen festgelegten Ort im Todesfalle zu verzichten (beispielsweise bei einer Seebestattung) bzw. durch ökonomische Zwänge andererseits darauf verzichten zu müssen (weil Ämter bei gesellschaftlich benachteiligten Menschen, die keine Angehörigen haben, den günstigsten Bestattungsort wählen), ist unsere Bestattungskultur zwangsläufig einem Wandel unterworfen und beeinflusst damit die Kultur des Sterbens in unserer Gesellschaft nachhaltig.

Die persönliche Herausforderung

Ja, ich hatte es mir mit der Wahl des Projektthemas nicht einfach gemacht. Hatte ich mich bereits an anderer Stelle mit Tabus, Abspaltungen von dunklen Bereichen des Lebens und der Nicht-Integration von Gefühlen in gesellschaftlichen Prozessen beschäftigt, erschien es mir bei der Bearbeitung dieses Tabu-Themas, welches ich nun über Menschen in die Öffentlichkeit trug, als müsste ich mich ohne Ende dafür rechtfertigen, was ich tat. Selbst Fachorganisationen verstanden das Projekt manches Mal nicht – war es doch die eigene Perspektive, die man Tag für Tag verfolgte, und die bisher als die einzig richtige erschien. Warum jetzt über den eigenen Tellerrand hinausblicken? In einem Projekt mitwirken, das eine Meta-Ebene erschloss und zudem verschiedenste Bereiche aus einer übergeordneten Perspektive anbot und betrachtete? Skeptische Reaktionen waren daher keine Seltenheit.

Doch mit Standhaftigkeit und Hartnäckigkeit blieb ich am Thema dran und versuchte nach einschneidenden negativen Erfahrungen vor Ort auch bundesweit begeisterte und aufgeschlossene Mitstreiter/innen zu gewinnen. Denn vom Rande eines Tabuthemas auf eine Gesellschaft zu gucken (mit der Frage: Wo sitzt das Tabu?) ist wissenschaftlich betrachtet ein spannendes Arbeitsfeld. Das Thema Tod zeigt geradezu klassisch auf, in welche Richtung sich eine industrialisierte Gesellschaft mit derzeit großen ökonomischen Problemen verändert: Wie sie sich in Zeiten Menschen gegenüber verhält, in denen viele von uns über wenig oder kaum Geld verfügen, welche ethischen Werte und Normen sie den sozial Schwachen gegenüber vertritt, in welchen Facetten sie sich dem Tod entgegenstellt oder ihn akzeptiert, und sich ihm in Zeiten zögernder Alterungsprozesse geradezu verweigert. All das wird beim genauen Hinsehen offensichtlich und zeigt am Ende wohl nur eines: Wie verletzlich und verwundbar wir Menschen doch sind. Wie befangen wir in einer Welt voller Ausflüchte mit manchen Verlegenheitsgesten agieren, wie vieles wir mit Geld und Kapital zu kompensieren und bewerkstelligen versuchen.

Es waren keine Massen von Besuchern, die unsere Veranstaltung in Kiel anzog. Doch den 145 Gästen, welche die teilnehmende Anzahl aus den ausstellenden Berufsgruppen ergänzte, gefiel es sichtlich bei uns; sie fühlten sich wohl. Sicherlich sind diese nackten Zahlen für manch einen der Unternehmer enttäuschend, der es gewohnt ist, seinen Erfolg vornehmlich aus den Zahlen abzuleiten. Und daher freut es mich besonders, dass mir gegenüber der eine oder andere im Vorfeld geäußert hatte: Wir erwarten mit und von der Veranstaltung nichts...

Letztlich ist es mühsam nachzufragen, warum wir in Kiel an jenem Wochenende kein Besuchermagnet wurden. Manch einer vermutete einen heimlichen Boykott einzelner Unternehmer und Organisationen aus dem Kieler Umland, die in mir eine Konkurrentin witterten und mir bereits im Vorfeld mitunter sehr schroff begegnet waren, nach dem Motto: Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie hier?

Ein wesentlicher Punkt aus meiner persönlichen Betrachtung liegt in der sehr großen Zurückhaltung von Presse und Medien, das Thema Tod und somit das Projekt mit zu transportieren. Ich spreche an dieser Stelle nicht von der bundesweiten Fachpresse oder den 12 Fachverbänden, die unser Projekt z.B. sehr interessiert über ihre Internetseiten oder Fachjournalseiten aufnahmen oder ankündigten. Es waren letztlich wenige Personen aus der täglichen Pressearbeit bereit, sich auf das Thema Tod journalistisch einzulassen – und in das Thema "richtig" einzusteigen, also nicht auf die von mir vorbereiteten Texte zurückzugreifen und abzudrucken, sondern selbst Recherchen einzubringen und zu berichten. Daher sind die wenigen Vorberichte, wie z.B. in den Kieler Nachrichten (24.02.2007) umso wertvoller, da substantiell.

War meine Herangehensweise generell "sehr negativ", wie es mir in manch einem der Vorgespräche zum Projekt entgegen schallte? Ich denke: Nein. Wir haben es uns in Zeiten leerer Kassen leider im kulturellen Bereich angewöhnt, schnelllebige Vorzeigeprojekte mit Event-Charakter zu veranstalten und irgendwie abgewöhnen lassen, kritisch-wach auf bestimmte Prozesse, wie den Wandel in der Sterbekultur, zu verweisen. Dabei arbeiten wir in der Öffentlichkeit – pauschal betrachtet – vielfach positivistisch und benennen die Dinge, die von vornherein mit einem gewissen Kulturpessimismus behaftet sind, nicht mehr beim Namen. Wir versuchen diesen meist von vorneherein auszuschließen, weil er tiefsinnige Diskussionen erzeugen könnte; Diskussionen, die sich jenseits oberflächlicher und schnell daher gesagter Meinungen bewegen. Und Tiefsinniges und Bedenkenswertes wollen wir in unserer schnelllebigen Zeit anscheinend nicht (mehr).

Das Projekt war mein eigenes und vor allem wirtschaftliches Risiko, das Risiko einer Freiberuflerin. Dazu stehe ich. Es war allerdings sehr interessant zu beobachten, dass sich keine größere Organisation landauf, landab und die von mir angesprochenen Parteien vor Ort in der Lage sahen, das Projekt fundiert abzusichern oder fundiert zu fördern. Hartnäckigen Kritikern gegenüber, die mir jetzt ausschließlich schlechte Besucherzahlen in Kiel vorwerfen, bitte ich um Nachsicht: Im Nachhinein weiß man immer vieles besser und ist schlauer ... Es ist mühsam, auf ungefragte Kritik antworten zu müssen, ohne weder nach den Hintergründen des Arbeitens gefragt zu werden, noch nach dem Gesamtbild des Projekts – dafür aber auf gut gemeintes Dafürhalten: Was wäre gewesen, wenn... Und wir wissen alle: Mit Geld und Förderern lässt sich so einiges kaufen und so mancher Schwachpunkt in einem Projekt wegkaschieren, und sei es, dass man sich beispielsweise journalistische Berichte samt erstellter Marketing-Strategie einkauft. Doch dafür mangelte es in diesem Projekt an dem nötigen Kleingeld.

Ein sehr guter Projekt-Kenner des Themas und der Szenen in Deutschland und deren öffentlicher Wirksamkeit – ein persönliches Vorbild für mich in mancherlei Hinsicht – schickte mir kurz vor der Eröffnung des Forums in Kiel eine E-Mail mit folgendem Wortlaut, welche mich versöhnlich stimmte: "... Ich wünsche Ihnen, dass dieses Projekt viel Anklang findet, besonders über den Fachpublikumsbereich hinaus. Und wenn der Zuspruch bescheiden bleiben sollte, wünsche ich Ihnen trotzdem Mut, derartige Themen auch in Zukunft immer wieder in die Gesellschaft zu bringen."

Wie kam es zu der Kooperation mit einem Krematorium?

Die Entscheidung, eine Zusammenarbeit mit einem Krematorium herzustellen und durchzuführen, ergab sich aus dem einfachen Wunsch, innerhalb des Projekts einen gemeinsamen Tag der Offenen Tür mit allen (einem privaten und drei staatlichen) Krematorien des Bundeslandes Schleswig-Holstein anzuregen und zu veranstalten. Die dahinter liegenden Fragen lauteten: Warum setzen wir uns hierzulande mit den eigenen Entwicklungen vor der Haustüre so wenig auseinander – etwa mit dem Faktum, dass die Anzahl der Kremationen in den letzten Jahren sehr stark zugenommen hat oder im Norden der BR Deutschland der Anteil der Kremationen ein zahlenmäßig vielfach höherer ist als in Süddeutschland? Warum fahren Menschen in Butterfahrt-ähnlichen Events nach Belgien oder Tschechien, um sich dort zu informieren? Worin begründet sich dieses bekundete Interesse an "fremder" Sterbekultur und nicht an der eigenen?

Dort, wo Menschen über zu wenige Informationen verfügen, fangen sie an zu phantasieren, Geschichten zu erfinden, die meist mit der Realität nichts zu tun haben und Ängste schüren. Viele von uns haben keine ausreichenden Informationen zu den Krematorien im Lande. Daher befinden sich in unseren Köpfen meist dunkle, negative Bilder, wie wir sie zu den Krematorien aus der nationalsozialistischen Ära und zur damaligen Vernichtungsmaschinerie kennen. Woher bekamen wir diese Informationen? Meist aus dem Schulunterricht. Und unsere Eltern und Großeltern, die massiv in die Kriegs- und Nachkriegserlebnisse eingebunden waren, halten sich uns gegenüber beim Thema Sterben eher sehr bedeckt, wohl auch weil sie sehr viele Tote gesehen haben, was sie bis heute vielfach nicht verarbeiten konnten. Müssen wir aber ihre Ängste aus hinter vorgehaltener Hand geäußerten Geschichten auf die heutige Situation in Deutschland übertragen? Haben wir nicht das Recht auf Transparenz, was heutige Krematorien betrifft? Sollten wir im Fortlauf der Geschichte nicht vielmehr neue Fragen stellen – nach unserer persönlichen Entscheidung und Haltung, wie wir mit dem Thema Feuerbestattungen heute umgehen wollen? – Etwa: Warum entscheide ich mich bewusst für eine Einäscherung? Wollen wir uns als mündige Bürger und Bürgerinnen nicht an einem aktiven Prozess beteiligen, indem wir beispielsweise nach den allerhöchsten ethischen Ansprüchen fragen, die wir für unsere Gesellschaft einfordern können? Indem wir beispielsweise gerade angstbesetzte Fragen laut stellen und klar nachfragen, was uns einzelne Unternehmen anbieten und wie unterschiedlich sie hinter den Kulissen arbeiten?

Wie das Leben so spielt, werden Ideen von verschiedenen Menschen unterschiedlich betrachtet und bewertet. Für meine Gesprächspartner in Schleswig-Holstein war ich als Initiatorin des Projekts für einen Tag der Offenen Tür keine ernst zu nehmende Partnerin auf gleicher Augenhöhe, mit der grundsätzlich über eine Verwirklichung gesprochen wurde. Vielleicht deshalb nicht, weil man mir als wissenschaftlich arbeitender Frau meine intellektuelle Ungeduld (Ein Tag der Offenen Tür gleich in vier Krematorien auf einmal?) wohl übel nahm. Mehr als die Worte: Vielen Dank für Ihren Vorschlag, oder: Hier können Sie nach unseren Vorstellungen dieses und jenes durchführen oder: Was organisieren Sie alles für uns? war in Schleswig-Holstein nicht drin. Übrig blieb das Unternehmen in Stade – ausgerechnet bereits in Niedersachsen gelegen, was der Medienberichterstattung innerhalb Schleswig-Holsteins Schwierigkeiten bereitete, da deren Berichterstattung mit der Landesgrenze endet... Merkwürdig war nur der Umstand, dass die journalistische Berichterstattung andersherum, also von Niedersachsen aus nach Schleswig-Holstein und nach Kiel funktionierte, und das gesamte Kieler Projekt in der Stader Tageszeitung im lokalen und Kulturteil nebst Farbfotos eine sehr würdigende Beachtung fand.

Und gerade in Niedersachsen fand ich einen völlig unkomplizierten Ansprechpartner vor, geistiger Unterstützer meines Vorhabens, Finanzier des von mir erstellten künstlerischen Programms vor Ort in Stade und ein mich vom ethischen Standpunkt absolut überzeugender Veranstaltungspartner mit hoher Transparenz und Einsichtnahme: Klar, aufgeschlossen, spontan-offensiv, entgegenkommend, fürsorglich, sich kümmernd, Kunstliebhaber, mit Herz und Menschenverstand... Warum hätte ich – wem auch immer zuliebe – auf diese Zusammenarbeit verzichten sollen?

Ein erwähnenswerter Punkt bei vielen als hervorragend zu benennenden inhaltlichen Punkten liegt meines Erachtens in einem außerordentlich hohen Reflexionsvermögen des Stader Unternehmens. Die Geschäftsleitung verortet sich trotz höchst konzentrierter Arbeitsprozesse im Bereich des Todes mit ihrer Arbeit in unserer Gesellschaft unter dem Stichwort: "Verantwortung fürs Leben."

Unter diesen Voraussetzungen ist daher das Erspüren und Verrichten sensibler und sensibelster Erfordernisse der alltäglichen Arbeitsvorgänge bis in die kleinsten Details der Arbeitsabläufe hinein selbstverständlich, nach dem Motto: Das Allerbeste, was ich für mich auf meinem allerletzten Wege bis zur Einäscherung wünsche, gebe ich auch an andere Menschen (Verstorbene und trauernde Angehörige) weiter und sei es, dass der Schamottstein mit der eingravierten Nummer des Verstorbenen (zur Erkennung der Asche) nicht außen auf den Sarg genagelt wird, sondern dem Sarg vor der Verbrennung an sicherer Stelle beigelegt wird. Ich hätte vor der Zusammenarbeit nie gedacht, dass ich mich als (an Erdbestattungen gewohnte) Katholikin – zumindest rein äußerlich – je für ein Krematorium begeistern würde.

Innovative Ansätze des Unternehmens mit Vorbildcharakter sind z.B.:

  • 100%ige Zuführung von wertvollen Materialien aus Metallimplantaten der Verstorbenen an Plan International (einer Kinderhilfsorganisation)
  • Umweltbewusste Wiederverwendung chirurgischer Implantate durch OrthoMetals
  • Unterstützung des WWF in der Aufforstung von Wäldern – als Entschädigung für den Ausstoß von Kohlendioxyd, der auch bei modernster Technik produziert wird
  • Das Krematorium wird seit Anfang 2007 zu 100% mit Strom aus regenerativen Energien von NaturWatt betrieben.2

Laut Veranstalter waren am Tag der Offenen Tür über 1000 Menschen nach Stade gekommen. Eine Gruppe von älteren Damen und Herren bemerkte beim gemeinsamen Mittagessen, sie seien froh gekommen zu sein. Sie hätten sich im Vorfeld ein völlig falsches Bild über ein Krematorium gemacht. Nun seien sie über die angenehme Atmosphäre vor Ort positiv überrascht und wollten ihren gewonnen Eindruck nicht mehr missen. Dies waren keine Einzelstimmen.

Fazit

Machen wir uns nichts vor: Es gibt sehr viele Menschen, die das Thema Tod in unserer Gesellschaft verneinen, ja regelrecht blockieren. Vermutlich können sie nicht anders, als ablehnend damit umzugehen: Indem sie versuchen, den Tod wegzudiskutieren oder ihre eigene Sterblichkeit zu übersehen. Auch Journalisten sind Angehörige des gesellschaftlichen Prozesses, daher sind Kommentare wie: Das Thema grenzt nur knapp an mein Fachgebiet mit großer Milde zu betrachten.

Das Projekt entstammte meinem besten Wissen und Gewissen, und es ist gut so und in Ordnung, wie es sich aus der Ein-Frau-Situation und Aktion beständig heraus entwickelte, wie es entstand und in der Durchführung selbst verlief.

Viele Berufsgruppen, die Tag für Tag mit dem Tod zu tun haben, und die sich im benannten Projekt engagierten, reagieren auf die sich ändernde Gesellschaft erst langsam und manche fangen erst damit an, die Öffentlichkeit im Bereich Sterben mit an die Hand zu nehmen und regelmäßig(er) zu informieren; vieles spielt sich hinter den Kulissen ab. Das ist bedauernswert, aber auch nicht weiter schlimm. Hier generell entsprechende Konzepte zu finden und zu entwickeln, ist eine allgemeine Aufgabe, die nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen und lösbar ist. Zielgruppen gibt es zur Genüge. Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Ärzte und Ärztinnen, Pastoren und Pastorinnen waren in diesem Projekt für mich eine besondere Zielgruppe, die zu erreichen mir im (überwiegend protestantischen Norden) nur auf mühsamen Wegen gelang. Gottes Mühlen mahlen langsam. Es erfordert insgesamt Geduld und Nachhaltigkeit aller Beteiligten, sich mit verschiedenen Projekten in regelmäßiger, beständiger Kontinuität mit dem Thema Tod aus den einzelnen Nischen in die Öffentlichkeit zu bewegen.

Ich muss zugeben, dieses Projekt war das bisher interessanteste meiner bisherigen beruflichen Laufbahn – wenn gleichzeitig auch das beschämendste. Ein Projekt, das mich alles in allem sehr viel lehrte und insbesondere, wie wir (Männer und Frauen) hier und heute gesellschaftlich und beruflich miteinander unterwegs sind; wie wir miteinander sprechen und in welcher Weise wir uns respektieren; unter welchen ökonomischen und ethischen Voraussetzungen wir hier im Jetzt und Heute im Bereich der Sterbekultur handeln.

Beschämend war das Projekt insofern: Sicherlich erachteten sehr viele Menschen die Unternehmung als solche als unheimlich wichtig und gut, und dass ich mit dem Thema Tod so mutig nach vorne ging. Und ausgerechnet auch noch in Norddeutschland. Doch als es darum ging, diese anscheinend so großartige Tat finanziell umzusetzen, wurden die meisten ganz still und klein und verkrümelten sich still und leise in alle denkbaren Ecken und Nischen. Es waren zwei Organisationen, die den Werbezweck des Vorhabens für sich erkannten und ihr Logo gegen eine finanzielle Leistung bzw. gegen die logistische Unterstützung und Mit-Bewerbung des Projekts in unser Programmheft setzen ließen.

Bin ich stolz darauf, ein "norddeutscher Pionier" zu sein? Gegenfrage: Hätte jemand gerne mit mir getauscht und sich ohne finanzielle Absicherung freiwillig den Anfeindungen ausgeliefert, die mir widerfuhren? Und: War das Projekt erfolgreich? Wenn ich bestimmten Menschen folge, die Erfolg daraus ableiten, wenn man in der Presse und im Internet steht: Ja. Der amerikanische Industrielle Henry Ford formulierte einmal: "Mehr für die Welt zu tun, als die Welt für dich tut – das ist Erfolg." Diese Sicht der Dinge liegt mir näher. In diesem Sinne wünsche ich uns allen im Norden: Don‘t talk the talk – walk the walk.

1 Das gesamte Projekt ist urheberrechtlich geschützt.
2 Siehe: Verantwortung fürs Leben. Broschüre zum Tag der Offenen Tür am 25.3.2007, S. 16–19

Kontakt: Dr. Silke Kral, Ahlmannstr. 4, 24118 Kiel

Anm. d. Red.: Silke Kral sandte der Redaktion dieses ausführliche Resümee zu einer von ihr konzipierten Veranstaltungsreihe, deren Höhepunkt das "Forum über das Trauern, Sterben und Abschied nehmen" war (Kiel, 3.-4. März 2007). Der persönlich gehaltene Bericht ist zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit den Bedingungen, ein solches Projekt zu realisieren.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Otto Linne der Reformer (Mai 2007).
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