Direkt zum Inhalt

OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Ein Arzt sieht "Körperwelten"

Mit zwiespältigen Gefühlen sah ich diese am 4. Januar 2004 in Hamburg beendete Ausstellung menschlicher Plastinate:

Die Feinheit des Blutgefäßnetzes, das Nervensystem, Herz-Lungen-Präparate in gesundem und krankem Zustand, Muskulaturverläufe, das Gehirn in der Schädelkalotte eines Schachspielers oder den Reiter mit vorgeklappter Gesichtsscheibe. Ich las die Geschichte der Anatomie in präziser Weise zusammengefasst. Daneben wird immer wieder der Anspruch erhoben, diese anatomische Darbietung sei gesundheitserziehend und aufklärend.

Soweit scheint alles gut – und dennoch nicht gut, denn es fehlt der Respekt vor dem toten Menschen, der hier zu einem Plastikgebilde degradiert wird: in der Darbietung seines fast frivolen Dargestelltseins und in der Holzhärte seines Plastinats. Die teilweise grotesken Gesten der Toten sind ins Zerrbild gesetzte Bewegungen Lebender. Es ist sicher kein Zufall, dass der Eintrittspreis zu den „Körperwelten” niedriger wurde, wenn man gleichzeitig den Eintritt in das Erotic-Art-Museum buchte.

Heute wie vor fünfzig Jahren, als ich den anatomischen Präparierkurs belegte, war und ist es in der Anatomie höchstes Gesetz, dass man einen toten Menschen nur sezieren darf, damit nachfolgenden Menschen ärztlich besser geholfen werden kann. Der Präparator ist verpflichtet, mit wirklichem Ernst den Toten zu sezieren. Natürlich sind 20-Jährige dabei manchmal albern, werden aber schnell von Älteren in ihre Grenzen gewiesen. Sämtliche Körperteile der Toten werden für eine spätere Bestattung gesammelt und nicht in fragwürdigen Stellungen zu zirkushaften Plastinaten umgewandelt.

Auf dem Neuen Niendorfer Friedhof in Hamburg gibt es seit Jahren eine Gedenkstätte für Körperspender: „Im Tod dem Leben dienen” steht auf dem Gedenkstein. Die sezierten Körper werden eingeäschert und auf Kosten des anatomischen Institutes des UKE dort beigesetzt. Hier findet einmal im Jahr eine überkonfessionelle Gedenkfeier statt. Welch ein Unterschied zu der Effekthascherei des Plastinators von Hagens!

Ich unterstütze als Arzt und Christ die Stellungnahme der Ärztekammer Hamburg vom Oktober 2003: „Diese Ausstellung kommerzialisiert unter dem Deckmantel der Wissenschaft Tabubruch, Voyeurismus und Gruseleffekt und macht tote Menschen auf unwürdige Weise zu Objekten. Die Kammerversammlung lehnt einen solchen Umgang mit verstorbenen Menschen ab.”

Ich habe zehn Jahre im UKE wissenschaftlich gearbeitet und publiziert und bin dort als Universitätslehrer habilitiert, weiß also, was wissenschaftliches Arbeiten heißt. Die Ausstellung dieses Plastinators ist nicht wissenschaftlich, sie missbraucht die Wissenschaft nur als Vorwand.

Der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e.V. zieht die Kraft für seinen Einsatz auch aus der Würde des Umgangs mit den Toten. Seine Arbeit, wie ich sie verstehe, ist eingebettet in eine christliche Tradition unseres Volkes. Für mich ist dieses Christentum als Lebensbasis unverzichtbar. Schon aus dieser christlichen Sicht kann ich deshalb solche zur Sensationsschau gestellten Körperexperimente nur ablehnen. Auch ein Anatom muss neben der Würde des Lebens auch die Würde des Todes achten. Man kann, wie man sieht, technisch einen Menschen in ein totes Ausstellungsstück verwandeln – aber man darf moralisch nicht alles tun, was man kann, sonst zerstört man immer mehr ein menschliches Miteinander.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Baumbestattungen (Februar 2004).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).